Die Privatisierung in Tschechien
Der Privatisierungsprozess, den die Tschechische Republik in den 1990er-Jahren durchlief, ist auch als »tschechischer Weg« bekannt. Eva Schäffler schildert diesen Weg jedoch jenseits bestehender Sonderwegs- und (Miss-)Erfolgsnarrative. Bereits vor der Samtenen Revolution gab es staatliche Wirtschaftsreformen sowie Reformszenarien. Die Autorin widmet sich zudem ungeplanten Entwicklungen und Konflikten, die sich bei der Restitution, der Privatisierung kleiner und der Privatisierung großer Betriebe ergaben. Mit den deutsch-tschechischen Joint Ventures Volkswagen und Škoda sowie Continental und Barum wird die internationale Dimension der tschechischen Privatisierung beleuchtet.
Der Privatisierungsprozess, den die Tschechische Republik in den 1990er-Jahren durchlief, ist auch als »tschechischer Weg« bekannt. Eva Schäffler schildert diesen Weg jedoch jenseits bestehender Sonderwegs- und (Miss-)Erfolgsnarrative. Bereits vor der Samtenen Revolution gab es staatliche Wirtschaftsreformen sowie Reformszenarien. Die Autorin widmet sich zudem ungeplanten Entwicklungen und Konflikten, die sich bei der Restitution, der Privatisierung kleiner und der Privatisierung großer Betriebe ergaben. Mit den deutsch-tschechischen Joint Ventures Volkswagen und Škoda sowie Continental und Barum wird die internationale Dimension der tschechischen Privatisierung beleuchtet.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für Rezensent Thomas Lindenberger ist Eva Schäfflers Monografie über Tschechiens Weg in die Marktwirtschaft eine "konzise" Basis politikgeschichtlicher Art für weitere Arbeiten. Auch wenn Schäffler nicht zu allen Kontroversen zum Thema abschließende Antworten bereithält, bietet der Band laut Lindenberger doch sorgfältige Recherche und gute Lesbarkeit sowie einen Einblick in die Vorgänge der Privatisierung und ihrer Akteure. Zuvor zeigt Schäffler die Entwicklung vom Staatssozialismus über die Restitution von Vermögen bis zur Öffnung nach außen, erklärt der Rezensent. Insbesondere die Darstellung der Eingliederung von Skoda in den VW-Konzern findet Lindenberger spannend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2023Als die "Prognostiker" die Macht hatten
Wie die Tschechoslowakei und die beiden Nachfolgestaaten den Weg zur Marktwirtschaft fanden
Dem vom Bundesfinanzministerium geförderten Forschungsvorhaben des Münchner Instituts für Zeitgeschichte zur Geschichte der Treuhandanstalt kann man den Vorwurf der Nabelschau nicht machen: Die letzten zwei seiner seit 2022 veröffentlichten Ergebnisbände sind den Nachbarländern Polen (Florian Peters, "Von Solidarnosc zur Schocktherapie") und der Tschechischen Republik gewidmet und weiten damit den Blick bei der Suche nach Antworten auf heiß umstrittene Fragen: Welcher war der richtige, welcher der falsche Weg, als es darum ging, in den neuen Demokratien im ehemaligen Ostblock staatssozialistische Planwirtschaften möglichst rasch in Marktwirtschaften zu transformieren? Woran lassen sich aus volkswirtschaftlicher Sicht Erfolg und Scheitern festmachen? Und wie gerecht verteilt waren Kosten und Gewinne der Umgestaltung? Eva Schäfflers Monographie über den tschechischen (anfänglich noch tschechoslowakischen) "Fall" beansprucht keineswegs, diese Streitfragen eindeutig zu beantworten. Sie bescheidet sich vielmehr mit einer sorgfältig recherchierten und gut lesbaren Darstellung der maßgeblichen Akteure und Institutionen, die die Privatisierung der in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen vom Friseursalon bis hin zum Autohersteller Skoda konzipiert und gesteuert haben.
Ganz im Sinne einer konsequenten Historisierung des Systemwechsels ab 1990 geht Schäffler zu Beginn ihrer Darstellung ausführlich auf das tschechische Gegenstück der sowjetischen Perestroika in den späten Krisenjahren des Staatssozialismus ein, die prestavba (Umbau), die mit einer Öffnung für neue Unternehmensformen und Auslandsbeteiligungen der weiterhin in Staatsbesitz verbleibenden Betriebe einige Voraussetzungen für die spätere Privatisierungspolitik schuf. Die zukünftige Elite von Wirtschaftsreformern und Politikern (Frauen waren nicht darunter) reifte seit den 1980er-Jahren im interdisziplinären Fachgebiet der "Prognostik" heran - einer marxistischen Variante der Futurologie, die sozioökonomische Entwicklungstrends analysieren und Vorschläge für die Wirtschaftsplanung entwickeln sollte. Diese "Prognostiker" begannen frühzeitig halb öffentlich über einen eigenständigen tschechoslowakischen Weg des Wirtschaftsumbaus zu debattieren, betraten noch im Spätherbst 1989 während der "sanften" Revolution die politische Bühne und besetzten in den Neunzigerjahren Schlüsselpositionen in Regierung und Verwaltung. Verdienstvoll ist auch die genaue Schilderung der vor der eigentlichen Privatisierung begonnenen Restitution von unter kommunistischer Herrschaft enteignetem Vermögen an tschechische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen und deren Implikationen für das deutsch-tschechische Verhältnis, das in den Neunzigerjahren noch durch Rückerstattungsforderungen deutscher Vertriebenenorganisationen belastet war.
Im Kontrast zu Ostdeutschland, wo noch die letzte Volkskammer der DDR das gesamte "volkseigene" Produktivvermögen einem privatrechtlich verfassten Megaunternehmen, der Treuhandanstalt, übertragen hatte, damit diese es an Investoren verkaufe, setzten die "sanften" Revolutionäre bei der eigentlichen Privatisierung vor allem auf die Beteiligung des inländischen Publikums: Eckstein der unter anderem vom Finanzminister der tschechischen Teilrepublik Václav Klaus (vormals einer der prominenten "Prognostiker", nachmals langjähriger Ministerpräsident) konzipierten Transformationsstrategie war die Couponprivatisierung: Jeder Staatsbürger und jede Staatsbürgerin hatten das Recht, durch Registrierung Anteilzertifikate am zu privatisierenden Volksvermögen zu erhalten, die sie dann mit denen entsprechend zahlreicher Mitbürgerinnen und Mitbürger zusammenlegen konnten, um gemeinsam Privatisierungsprojekte bestimmter Betriebe zu betreiben. Mit diesem Prinzip verbanden sich zwei Idealvorstellungen: Der neue Kapitalismus sollte möglichst egalitär-demokratisch, und - zunächst jedenfalls - möglichst national gestaltet sein. Dass es einiger Überredungskünste bedurfte, bevor dann 1992 der große Run auf die Couponhefte einsetzte, führt Schäffler sowohl auf weitverbreitete Zweifel an damit zu erzielenden Gewinnen sowie auf die komplizierten und schwer vermittelbaren Verfahrensregeln dieser Privatisierungsmethode zurück. Der rechte Schwung kam erst mit den sogenannten "Investitionsprivatisierungsfonds" in die Sache: Diese teilweise von weiterhin in Staatseigentum befindlichen Banken betriebenen Finanzierungsgesellschaften ließen sich die Anrechte von Couponinhabern und -inhaberinnen übertragen, stellten dafür eine Rendite in Aussicht und zogen dann im großen Stil Privatisierungsprojekte durch - natürlich auf eigene Rechnung. Da dieser Unternehmenstyp im ursprünglichen Privatisierungskonzept gar nicht vorgesehen war, blieb er schlecht reguliert und öffnete Unterschlagung und Korruption Tür und Tor. Typisch wurde das Ausweiden übernommener Betriebe durch Veräußerung von Vermögenswerten zugunsten Dritter. Dieses im Tschechischen "Tunneln" genannte Verfahren avancierte rasch zum negativen Markenzeichen der Privatisierung: Zurück blieben durchlöcherte Unternehmen, deren wertlose Hüllen den an ihnen indirekt per Coupons beteiligten Bürgerinnen und Bürgern nichts mehr einbrachten. Parallel dazu fand die sogenannte "kleine Privatisierung", also die Versteigerung von Geschäften, Handwerksbetrieben und kleinen Dienstleistungsunternehmen, durchaus ihre zunächst inländischen Interessenten. Bereits in einem frühen Stadium des Transformationsgeschehens konnten erste internationale Kooperationen durch Verhandlungen auf Regierungsebene in die Wege geleitet werden, woraus unter anderem das in Deutschland bekannteste Beispiel gelungener Privatisierung in der Tschechischen Republik, nämlich die Fortführung der Automarke Skoda als Teil des VW-Konzerns, hervorging. Weiteren, dezidiert quantitativ ausgerichteten Untersuchungen wird es vorbehalten bleiben, die in Ostmitteleuropa nach 1990 beschrittenen Wege der Wiederaufrichtung einer auf kapitalistischem Privateigentum beruhenden Marktwirtschaft auch hinsichtlich ihrer volkswirtschaftlichen und sozialen Effekte zu messen und zu bewerten. Für die Tschechische Republik bietet die Studie von Eva Schäffler dafür eine konzise politikgeschichtliche Grundlage.
THOMAS LINDENBERGER
Eva Schäffler: Der Weg in die Marktwirtschaft. Tschechien und die Privatisierung in den 1990er-Jahren. Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt
Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 304 S., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie die Tschechoslowakei und die beiden Nachfolgestaaten den Weg zur Marktwirtschaft fanden
Dem vom Bundesfinanzministerium geförderten Forschungsvorhaben des Münchner Instituts für Zeitgeschichte zur Geschichte der Treuhandanstalt kann man den Vorwurf der Nabelschau nicht machen: Die letzten zwei seiner seit 2022 veröffentlichten Ergebnisbände sind den Nachbarländern Polen (Florian Peters, "Von Solidarnosc zur Schocktherapie") und der Tschechischen Republik gewidmet und weiten damit den Blick bei der Suche nach Antworten auf heiß umstrittene Fragen: Welcher war der richtige, welcher der falsche Weg, als es darum ging, in den neuen Demokratien im ehemaligen Ostblock staatssozialistische Planwirtschaften möglichst rasch in Marktwirtschaften zu transformieren? Woran lassen sich aus volkswirtschaftlicher Sicht Erfolg und Scheitern festmachen? Und wie gerecht verteilt waren Kosten und Gewinne der Umgestaltung? Eva Schäfflers Monographie über den tschechischen (anfänglich noch tschechoslowakischen) "Fall" beansprucht keineswegs, diese Streitfragen eindeutig zu beantworten. Sie bescheidet sich vielmehr mit einer sorgfältig recherchierten und gut lesbaren Darstellung der maßgeblichen Akteure und Institutionen, die die Privatisierung der in Staatsbesitz befindlichen Unternehmen vom Friseursalon bis hin zum Autohersteller Skoda konzipiert und gesteuert haben.
Ganz im Sinne einer konsequenten Historisierung des Systemwechsels ab 1990 geht Schäffler zu Beginn ihrer Darstellung ausführlich auf das tschechische Gegenstück der sowjetischen Perestroika in den späten Krisenjahren des Staatssozialismus ein, die prestavba (Umbau), die mit einer Öffnung für neue Unternehmensformen und Auslandsbeteiligungen der weiterhin in Staatsbesitz verbleibenden Betriebe einige Voraussetzungen für die spätere Privatisierungspolitik schuf. Die zukünftige Elite von Wirtschaftsreformern und Politikern (Frauen waren nicht darunter) reifte seit den 1980er-Jahren im interdisziplinären Fachgebiet der "Prognostik" heran - einer marxistischen Variante der Futurologie, die sozioökonomische Entwicklungstrends analysieren und Vorschläge für die Wirtschaftsplanung entwickeln sollte. Diese "Prognostiker" begannen frühzeitig halb öffentlich über einen eigenständigen tschechoslowakischen Weg des Wirtschaftsumbaus zu debattieren, betraten noch im Spätherbst 1989 während der "sanften" Revolution die politische Bühne und besetzten in den Neunzigerjahren Schlüsselpositionen in Regierung und Verwaltung. Verdienstvoll ist auch die genaue Schilderung der vor der eigentlichen Privatisierung begonnenen Restitution von unter kommunistischer Herrschaft enteignetem Vermögen an tschechische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen und deren Implikationen für das deutsch-tschechische Verhältnis, das in den Neunzigerjahren noch durch Rückerstattungsforderungen deutscher Vertriebenenorganisationen belastet war.
Im Kontrast zu Ostdeutschland, wo noch die letzte Volkskammer der DDR das gesamte "volkseigene" Produktivvermögen einem privatrechtlich verfassten Megaunternehmen, der Treuhandanstalt, übertragen hatte, damit diese es an Investoren verkaufe, setzten die "sanften" Revolutionäre bei der eigentlichen Privatisierung vor allem auf die Beteiligung des inländischen Publikums: Eckstein der unter anderem vom Finanzminister der tschechischen Teilrepublik Václav Klaus (vormals einer der prominenten "Prognostiker", nachmals langjähriger Ministerpräsident) konzipierten Transformationsstrategie war die Couponprivatisierung: Jeder Staatsbürger und jede Staatsbürgerin hatten das Recht, durch Registrierung Anteilzertifikate am zu privatisierenden Volksvermögen zu erhalten, die sie dann mit denen entsprechend zahlreicher Mitbürgerinnen und Mitbürger zusammenlegen konnten, um gemeinsam Privatisierungsprojekte bestimmter Betriebe zu betreiben. Mit diesem Prinzip verbanden sich zwei Idealvorstellungen: Der neue Kapitalismus sollte möglichst egalitär-demokratisch, und - zunächst jedenfalls - möglichst national gestaltet sein. Dass es einiger Überredungskünste bedurfte, bevor dann 1992 der große Run auf die Couponhefte einsetzte, führt Schäffler sowohl auf weitverbreitete Zweifel an damit zu erzielenden Gewinnen sowie auf die komplizierten und schwer vermittelbaren Verfahrensregeln dieser Privatisierungsmethode zurück. Der rechte Schwung kam erst mit den sogenannten "Investitionsprivatisierungsfonds" in die Sache: Diese teilweise von weiterhin in Staatseigentum befindlichen Banken betriebenen Finanzierungsgesellschaften ließen sich die Anrechte von Couponinhabern und -inhaberinnen übertragen, stellten dafür eine Rendite in Aussicht und zogen dann im großen Stil Privatisierungsprojekte durch - natürlich auf eigene Rechnung. Da dieser Unternehmenstyp im ursprünglichen Privatisierungskonzept gar nicht vorgesehen war, blieb er schlecht reguliert und öffnete Unterschlagung und Korruption Tür und Tor. Typisch wurde das Ausweiden übernommener Betriebe durch Veräußerung von Vermögenswerten zugunsten Dritter. Dieses im Tschechischen "Tunneln" genannte Verfahren avancierte rasch zum negativen Markenzeichen der Privatisierung: Zurück blieben durchlöcherte Unternehmen, deren wertlose Hüllen den an ihnen indirekt per Coupons beteiligten Bürgerinnen und Bürgern nichts mehr einbrachten. Parallel dazu fand die sogenannte "kleine Privatisierung", also die Versteigerung von Geschäften, Handwerksbetrieben und kleinen Dienstleistungsunternehmen, durchaus ihre zunächst inländischen Interessenten. Bereits in einem frühen Stadium des Transformationsgeschehens konnten erste internationale Kooperationen durch Verhandlungen auf Regierungsebene in die Wege geleitet werden, woraus unter anderem das in Deutschland bekannteste Beispiel gelungener Privatisierung in der Tschechischen Republik, nämlich die Fortführung der Automarke Skoda als Teil des VW-Konzerns, hervorging. Weiteren, dezidiert quantitativ ausgerichteten Untersuchungen wird es vorbehalten bleiben, die in Ostmitteleuropa nach 1990 beschrittenen Wege der Wiederaufrichtung einer auf kapitalistischem Privateigentum beruhenden Marktwirtschaft auch hinsichtlich ihrer volkswirtschaftlichen und sozialen Effekte zu messen und zu bewerten. Für die Tschechische Republik bietet die Studie von Eva Schäffler dafür eine konzise politikgeschichtliche Grundlage.
THOMAS LINDENBERGER
Eva Schäffler: Der Weg in die Marktwirtschaft. Tschechien und die Privatisierung in den 1990er-Jahren. Studien zur Geschichte der Treuhandanstalt
Ch. Links Verlag, Berlin 2023. 304 S., 30,- Euro.
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