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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Grete Weil erzählt in ihrem aus dem Nachlass veröffentlichten Roman "Der Weg zur Grenze" vom nationalsozialistischen Terror
Grete Weil, 1906 im oberbayerischen Egern geboren, gehört zu den literarischen Zeitzeuginnen des Holocausts. Wie Anne Frank (und nur einige Hundert Meter von ihr entfernt) lebte sie während der deutschen Besatzung in einem Versteck in Amsterdam, hatte jedoch das Glück, dass es nicht verraten wurde. Da ihre Romane und Erzählungen wie "Tramhalte Beethovenstraat" (1963, Neuausgabe 2021) insbesondere die Verfolgungen und Deportationen in den Niederlanden schildern, wurde sie dort viel gelesen. Aber auch hierzulande erschien vor einigen Jahren in der renommierten Reihe "Text und Kritik" ein ihr gewidmeter Band.
Nun ist aus Weils Nachlass ein bisher unveröffentlichtes Werk herausgegeben worden, ihr erster Roman "Der Weg zur Grenze". Grete Weil hat das Buch im Winter 1944/45 im Versteck geschrieben, während Amsterdam hungerte, fror und unter dem finalen Naziterror litt. Die Stadt wurde erst am 5. Mai 1945 befreit.
Es ist mehr als nur ein kämpferisches Buch gegen den Nationalsozialismus. Ins Fiktionale versetzt, schreibt sich Grete Weil ihre Lebensgeschichte vom Leib. Die Rahmenhandlung spielt im Jahr 1936 und handelt davon, wie die jüdische Deutsche Monika Merton, getarnt als Ski-Ausflüglerin, über die Grenze nach Österreich zu fliehen versucht. Unterwegs dorthin lernt sie im Zug den jungen Lyriker Andreas von Cornides kennen, der als intellektuell aufgeschlossen, aber politisch naiv geschildert wird. In einer umstürmten Skihütte öffnet Monika ihm die Augen über die Realität der Verfolgungen im "Dritten Reich", indem sie ihre Lebensgeschichte erzählt, die den größten Teil des Romans ausmacht.
Es beginnt mit einer unbeschwerten Münchner Kindheit und Jugend, als Monika die Möglichkeit von Verfolgungen noch so fern erscheint wie die Pest des Mittelalters. Vor allem aber erzählt Monika Merton von der Liebe ihres Lebens. Sie ist fasziniert von ihrem Cousin Klaus, von seinen arabisch anmutenden Gesichtszügen, seiner Zugewandtheit und sensiblen Intellektualität. Wie ein geschwisterliches Spiegelbild erscheint er ihr; gerade deshalb braucht ihre Liebe mehrere Anläufe und Umwege. Ihre Ehe wird erst einmal zum Desaster schon deshalb, weil Monika sich nur schlecht in diese Lebensform fügen kann. "Wir lieben und quälen uns dabei noch zu Tode", stellt Klaus ratlos fest.
Gerade weil die Menschen noch mit ganz anderen Lebensverstrickungen zu tun haben, trifft sie das politische Verhängnis regelmäßig im falschen Moment. Nach zwei Dritteln ist der Roman bei der Machtübernahme Hitlers angekommen. Subtil zeichnet Grete Weil die Strategien, mit denen sich Menschen arrangieren mit Zuständen, die ihr höchstes Misstrauen erregen sollten. Monika und Klaus arbeiten inzwischen als Lehrer in einem Landschulheim am Tegernsee. Dort fühlen sie sich sicher; der Gedanke an die mühselige Emigration wird erst einmal verworfen. Und die Dinge scheinen sich nach den anfänglichen "Überreaktionen" ja wieder zu beruhigen. Lachen die Menschen auf der Straße nicht vor Lebensfreude? Es stimmt ja nicht, dass sich mit den Nationalsozialisten sogleich eine dunkle Wolke der Bedrückung über Deutschland gelegt hätte. Die Schreie aus den Kellern der SA dringen nicht auf die sonnigen Straßen, wo es auch im Frühjahr 1933 nach Blüten duftet und die Menschen in den Cafés sitzen.
Dann aber zeigt sich, wie illusionär die Hoffnungen sind. Monikas Vater, ein alter vernunftfrommer Arzt, wird denunziert und stirbt an den Folgen einer kurzen Haft. Das Landschulheim ist den Nationalsozialisten bald wie alle freien Erziehungsanstalten ein Dorn im Auge. Der Leiter, ein bayerischer Quer- und Charakterkopf, bekommt die Brutalität des neuen Regimes zu spüren. Schließlich wird auch Klaus verhaftet. Eindringlich werden Monikas panische Bemühungen geschildert, ihn wieder aus Dachau herauszubekommen. Irgendwann werden Monikas Briefe nicht mehr erwidert: Empfänger "unbekannt".
In der Skihütte bekommen Monika Merton und ihr Zuhörer Andreas von Cornides am Ende noch den überraschenden Besuch eines verirrten Paars: ein SA-Mann aus Dachau mit seiner Geliebten, die sich die ganze Nacht an seinem muskulösen Körper und seinen Gewaltstorys aus dem Lager aufgeilt. Monika muss in ihrem Versteck dem martialischen Liebesgeflüster unfreiwillig zuhören - ein greller erzählerischer Effekt, aber doch auch von einer höheren Stimmigkeit, weil Grete Weil genau so geschrieben hat: im Versteck vor den Schergen. Während sie auf ein paar Quadratmetern in der Wohnung des Grafikers und Widerstandskämpfers Herbert Meyer-Ricard ihr Leben fristete und bei jedem Klingeln rasch im Hohlraum hinter einem Bücherregal zu verschwinden hatte, mochte die literarische Imagination vergangenen Lebens, Liebens und Leidens überlebenswichtig gewesen sein.
Wie ihre Romanheldin hat Grete Weil ihren Cousin geheiratet. Auch Edgar Weil, dem der Roman gewidmet ist, wurde 1933 zunächst inhaftiert. Dann aber gelang dem Paar noch beizeiten die Emigration nach Amsterdam. Kurz vor der geplanten Ausreise nach Kuba wurde Edgar Weil jedoch im Juni 1941 deportiert und im KZ Mauthausen ermordet. In "Der Weg zur Grenze" zieht Grete Weil die beiden traumatischen Ereignisse zusammen, was eine expressive Verdichtung in den Kapiteln über die Verfolgung bewirkt.
Nur selten kippt die emotionale Dringlichkeit des Romans in jenes räsonierende Schicksalspathos, wie man es in vielen Büchern der Dreißiger- und Vierzigerjahre findet. Diese Schrift aus dem Schlupfloch mag keine schlackenlose Literatur sein. Aber sie ist heute, fast achtzig Jahre nach ihrem Entstehen, eine doch berührende Lektüre, die mehr von der Epoche vermittelt als viele erinnerungspolitisch begradigte Darstellungen aus sicherer historischer Distanz. WOLFGANG SCHNEIDER
Grete Weil: "Der Weg zur Grenze". Roman.
Hrsg. und mit Nachwort von Ingvild Richardsen. Verlag C. H. Beck, München 2022. 384 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
SRF Kultur, Bernadette Conrad
"'Der Weg zur Grenze' ist ein schmerzhaftes Buch. Denn bei aller Verfremdung und Fiktion verarbeitet die Schriftstellerin darin nicht nur die Trauer um den Verlust ihres Mannes Edgar Weil, sondern setzt sich auch mit eigenen Fehlern auseinander."
Süddeutsche Zeitung, Sabine Reithmaier
"Dass dieser Roman nun erstmals aus dem Nachlass herausgegeben wurde, ist ein Glücksfall für die Literatur des Exils und der Shoa"
Die Presse, Albert C. Eibl
"Weil's themes of political awakening, solidarity through storytelling, and personal responsibility make her novel highly relevant to contemporary times"
New Books in German
"Endlich die Aufmerksamkeit, die das Buch verdient."
Bayerischer Rundfunk Abendschau, Boris Berg
"Ich halte die Entdeckung des Manuskripts für eine Sensation."
Wolfgang Benz
"Eine ausgezeichnete Charakter- und Milieustudie der deutschen Gesellschaft anhand vieler, ganz unterschiedlicher und interessanter Figuren. Ein Lehrbuch über die frühen Jahre der Naziherrschaft."
ORF, Carsten Hueck
"Ein eindrucksvolles Zeugnis aus bedrängter Zeit"
Dresdner Morgenpost
"Es ist eine Beichte, durchzogen von ebenso großer Selbstkritik wie von Lebens-und Gefühlsunsicherheit, zeugend von Jugend, dem Verlust des Verstandes und dem Irrsinn politischer Wetterlagen"
Jüdische Allgemeine, Alexander Kluy
"Es ist mehr als nur ein kämpferisches Buch gegen den Nationalsozialismus. Ins Fiktionale versetzt, schreibt sich Grete Weil ihre Lebensgeschichte vom Leib."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wolfgang Schneider
"Nicht weniger spannend als der Roman selbst liest sich das Nachwort von Ingvild Richardsen."
Galore, Edda Bauer