Goethes zweite Schweizer Reise 1779 hätte gut die letzte des damals Dreißigjährigen sein können, und der "Werther" sein einziges bekanntes Werk. Denn das Risiko einer neunstündigen Fußwanderung über die Furka im November durch Neuschnee war unberechenbar. Aber der frisch ernannte Geheimrat hatte es auf den kürzesten Weg zu seinem heiligen Berg, dem Gotthard, abgesehen, seinen acht Jahre jüngeren Landesfürsten Carl August mitgenommen und alle Warnungen in den Wind geschlagen. Adolf Muschg liest diesen 12. November, den "weißen Freitag", die Wette Goethes mit seinem Schicksal, als Gegenstück zu Fausts Teufelswette und zugleich als Kommentar zum eigenen Fall eines gealterten Mannes, der mit einer Krebsdiagnose konfrontiert ist. Als Zeitgenosse weltweiter Flucht und Vertreibung und einer immer dichteren elektronischen Verwaltung des Lebens findet er gute Gründe, nach Vorhersagen, Warnungen und Versprechen in einer Geschichte zu suchen, die gar nicht vergangen ist. Sie handelt vom Umgang mit dem Risiko, dem auch der noch so zivilisierte Mensch ausgesetzt ist, weil er es als Naturgeschöpf mit Kräften zu tun hat, die er nicht beherrschen kann. Muschg hat mit dieser Doppelbelichtung zweier Reisen sein persönlichstes Buch geschrieben und sich ihrem bei aller Verschiedenheit gemeinsamen Grund genähert, den man nur im Erzählen ahnt - mit immer noch offenem Ende und doch im Wissen um die Endlichkeit, die nicht zu überschreiten ist.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2017Teufelspakt auf dem Furka-Pass
Adolf Muschg erzählt in seinem neuen Buch „Der weisse Freitag“ von Goethes zweiter Schweizerreise.
Zugleich blickt er zurück auf sein eigenes Leben und fragt sich, ob es gelungen ist
VON MARTIN EBEL
Den Dichter Goethe begreifen und bewundern wir nicht erst seit Rüdiger Safranskis Biografie auch als Gestalter eines besonderen Kunstwerks: des eigenen Lebens. Hier setzt auch Adolf Muschgs neue Auseinandersetzung mit dem großen Kollegen an – den er schon als „Fluchthelfer“, „Emigranten“ und „Grünen“ porträtiert hat und in einem früheren Büchlein über Goethes drei Reisen in die Schweiz als einen, „der auszog, das Leben zu lernen“. Die neue „Erzählung vom Entgegenkommen“ nimmt sich noch einmal der zweiten Reise an, unternommen 1779 in Begleitung seines Herzogs, dem er zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahren diente.
1779 war Goethe dreißig, ein noch junger Mann (der Herzog noch jünger: 22); Adolf Muschg ist 82, sein Lebenshorizont, das weiß er spätestens seit einer Krebsdiagnose, begrenzt. Hat er zu leben gelernt, und sollte sich das Gelernte nicht gerade am Ende, den Tod vor Augen, erweisen? Diese Frage durchzieht die „Erzählung“, formal eher ein Hybrid – von germanistischer Deutung (Muschg war nicht umsonst jahrzehntelang Professor an der ETH), literarischer Fantasie und autobiografischem Innehalten.
Das Ganze ist gehalten in jenem Spätstil des Autors, der schon die Romane der vergangenen Jahre prägte und sich auszeichnet durch eine Neigung zu Verdichtung und Überdetermination einerseits, zur ausgiebigen Assoziation und Abschweifung andererseits und der keinen Bezug, kein Zitat, die in seinem imponierenden Gedächtnis auf Verwendung warten, links liegen lassen kann (leider auch keinen Kalauer). Es ist ein manieristischer Stil, der Romanen wie „Kinderhochzeit“, „Sax“ und „Die japanische Tasche“ nicht immer guttat, dem neuen Buch, „Der weisse Freitag“, aber weitaus besser bekommt.
Dieser titelgebende Freitag ist der 12. November 1779, als Goethe mit Carl August, dem Diener Hermann und zwei einheimischen Führern, deren Namen nicht überliefert sind, den Furka-Pass überquerte, auf immerhin 2429 Meter Höhe. Im Spätherbst ein anstrengendes Unternehmen, zumal für Flachländer; der Schnee lag kniehoch, es gab keine präparierten Winterwanderwege und schon gar nicht die heute in den Schweizer Alpen allgegenwärtigen Wegweiser und Wegmarkierungen. Andrerseits kannten die Führer, die im Ziegenfellhandel regelmäßig über den Pass gingen, die Passage gut, und sie hatten ihre Gäste im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit genau gemustert.
Gar so dramatisch war die Sache also nicht, und dass Goethe mit der Winterüberquerung „als Versucher seines Fürsten und seiner selbst in Gottes Namen den Teufel herausgefordert“ habe, scheint, um Muschg zu überkalauern, an des Teufels drei goldenen Haaren herbeigezogen zu sein. Die Gewalttour als Probe seines Dienstherrn auf Verlässlichkeit? Als Grundlage für die Entscheidung, sein Leben ganz in Weimar zu verbringen, sich tätig dem Gemeinwesen zu widmen, immer in Gefahr, sich selbst verloren zu gehen? Kann sein, kann man so sehen. Zwingend ist das nicht, aber eine Spekulation, die literarisch erlaubt ist.
An die Geschmacksgrenze und darüber hinaus gehen dagegen die Spekulationen in eroticis, die wiederzugeben wir uns ersparen. Muschgs neue Goethe-Schrift beeindruckt weniger durch Thesen und Beweise als durch etwas, was man Beschwörung nennen möchte: Beschwörung des großen Vorgängers als Retter. Retter wovon, wovor? Die Antwort ist anspruchsvoll: „Er hat das Zeug zum Lebensretter für die menschliche Zivilisation, ohne es darauf angelegt zu haben.“ Denn diese Zivilisation tut alles, „die Tatsachen zu schaffen, die seine (Goethes) Ahnungen bestätigen“, als da sind Naturzerstörung, spekulative Geldwirtschaft, technologischer Gigantismus.
Dass die Menschheit durch Goethe-Lektüre nicht zu Einsicht und Einkehr kommt, ist zu befürchten. Dem Einzelnen, hier dem Autor, kann sie hingegen zu heilsamer Reflexion verhelfen. Ein Vorbild ist Goethe für Muschg auch in der Art, wie er gegen „den Fluch der schwindenden Zeit“ die Mittel der Kunst setzt. Eines dieser Mittel ist „die Befassung mit der Einzelheit, als wäre sie das Ganze“. Und so befasst sich Muschg – und uns – mit den Details seines Alltags, der nächsten Umgebung: des verkleinerten Wohnsitzes in Männedorf, des (nicht ganz) japanischen Gartens, der dort aufgestellten Spiegel, einer Amsel, die in einen dieser Spiegel hineinpickt.
Auch mit unerquicklichen medizinischen Details – Diagnostik in der Röhre mit kaum zu bändigendem Harndrang, Bestrahlung durch ein Gerät, das er „Vogel Rock“ nennt. Vor allem aber schweift der Blick des alten Mannes, inspiriert und provoziert durch Goethes Lebenskunst, zurück auf sein eigenes Leben, das sich so gar nicht zum Kunstwerk runden will. Der Blick trifft auf Versäumnisse anderer an ihm, eigene Versäumnisse an anderen, auch den Nächsten. Die seelischen Entbehrungen eines Jungen tauchen auf – sie werden, Muschg ist nicht wehleidig, nur angetippt –, dessen Vater früh starb, dessen Mutter depressiv war und der sich unter den viel älteren Stiefgeschwistern als störender „Rest von Familiengeschichte“ fühlte.
„Ich habe nicht gelernt, mein Leben zu geniessen, eher es zu rechtfertigen“, schreibt Muschg und erinnert an die Beschädigungen durch eine Religion, mit der die Mutter dem Kind „die Hölle heiss“ gemacht hatte. „Das meiste, was ich an empfohlener Lebens-Form vorfand, war nicht tragfähig“, konstatiert er. Stattdessen eine eigene gefunden zu haben: Das ist Hoffnung und Bemühen, nie Gewissheit. Immerhin gibt es gelegentlich Momente, in denen „ihm die Welt grundlos auf- und eingeleuchtet hat“; das kann auch einmal eine Passantin mit einem Mops sein.
Diese Passagen der Rückschau und des Blicks auf das unweigerlich Bevorstehende – „Den Weg, den du jetzt gehst, gehen alle, aber du zum ersten Mal“ – liest man beeindruckt und bewegt. Aus der Annäherung an Goethe ist tatsächlich, wie der Verlag verkündet, „Adolf Muschgs persönlichstes Buch“ geworden. Und nicht sein schlechtestes.
Inspiriert und provoziert durch
Goethes Lebenskunst stellt sich
der Autor seiner Vergangenheit
Caspar Wolf (1735 - 83): „Die Berge bei Lauteraar“ (1776), Kunstmuseum Basel. Foto: bridgeman
Adolf Muschg:
Der weisse Freitag.
Erzählung vom
Entgegenkommen.
Verlag C. H. Beck,
München 2017.
252 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Adolf Muschg erzählt in seinem neuen Buch „Der weisse Freitag“ von Goethes zweiter Schweizerreise.
Zugleich blickt er zurück auf sein eigenes Leben und fragt sich, ob es gelungen ist
VON MARTIN EBEL
Den Dichter Goethe begreifen und bewundern wir nicht erst seit Rüdiger Safranskis Biografie auch als Gestalter eines besonderen Kunstwerks: des eigenen Lebens. Hier setzt auch Adolf Muschgs neue Auseinandersetzung mit dem großen Kollegen an – den er schon als „Fluchthelfer“, „Emigranten“ und „Grünen“ porträtiert hat und in einem früheren Büchlein über Goethes drei Reisen in die Schweiz als einen, „der auszog, das Leben zu lernen“. Die neue „Erzählung vom Entgegenkommen“ nimmt sich noch einmal der zweiten Reise an, unternommen 1779 in Begleitung seines Herzogs, dem er zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahren diente.
1779 war Goethe dreißig, ein noch junger Mann (der Herzog noch jünger: 22); Adolf Muschg ist 82, sein Lebenshorizont, das weiß er spätestens seit einer Krebsdiagnose, begrenzt. Hat er zu leben gelernt, und sollte sich das Gelernte nicht gerade am Ende, den Tod vor Augen, erweisen? Diese Frage durchzieht die „Erzählung“, formal eher ein Hybrid – von germanistischer Deutung (Muschg war nicht umsonst jahrzehntelang Professor an der ETH), literarischer Fantasie und autobiografischem Innehalten.
Das Ganze ist gehalten in jenem Spätstil des Autors, der schon die Romane der vergangenen Jahre prägte und sich auszeichnet durch eine Neigung zu Verdichtung und Überdetermination einerseits, zur ausgiebigen Assoziation und Abschweifung andererseits und der keinen Bezug, kein Zitat, die in seinem imponierenden Gedächtnis auf Verwendung warten, links liegen lassen kann (leider auch keinen Kalauer). Es ist ein manieristischer Stil, der Romanen wie „Kinderhochzeit“, „Sax“ und „Die japanische Tasche“ nicht immer guttat, dem neuen Buch, „Der weisse Freitag“, aber weitaus besser bekommt.
Dieser titelgebende Freitag ist der 12. November 1779, als Goethe mit Carl August, dem Diener Hermann und zwei einheimischen Führern, deren Namen nicht überliefert sind, den Furka-Pass überquerte, auf immerhin 2429 Meter Höhe. Im Spätherbst ein anstrengendes Unternehmen, zumal für Flachländer; der Schnee lag kniehoch, es gab keine präparierten Winterwanderwege und schon gar nicht die heute in den Schweizer Alpen allgegenwärtigen Wegweiser und Wegmarkierungen. Andrerseits kannten die Führer, die im Ziegenfellhandel regelmäßig über den Pass gingen, die Passage gut, und sie hatten ihre Gäste im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit genau gemustert.
Gar so dramatisch war die Sache also nicht, und dass Goethe mit der Winterüberquerung „als Versucher seines Fürsten und seiner selbst in Gottes Namen den Teufel herausgefordert“ habe, scheint, um Muschg zu überkalauern, an des Teufels drei goldenen Haaren herbeigezogen zu sein. Die Gewalttour als Probe seines Dienstherrn auf Verlässlichkeit? Als Grundlage für die Entscheidung, sein Leben ganz in Weimar zu verbringen, sich tätig dem Gemeinwesen zu widmen, immer in Gefahr, sich selbst verloren zu gehen? Kann sein, kann man so sehen. Zwingend ist das nicht, aber eine Spekulation, die literarisch erlaubt ist.
An die Geschmacksgrenze und darüber hinaus gehen dagegen die Spekulationen in eroticis, die wiederzugeben wir uns ersparen. Muschgs neue Goethe-Schrift beeindruckt weniger durch Thesen und Beweise als durch etwas, was man Beschwörung nennen möchte: Beschwörung des großen Vorgängers als Retter. Retter wovon, wovor? Die Antwort ist anspruchsvoll: „Er hat das Zeug zum Lebensretter für die menschliche Zivilisation, ohne es darauf angelegt zu haben.“ Denn diese Zivilisation tut alles, „die Tatsachen zu schaffen, die seine (Goethes) Ahnungen bestätigen“, als da sind Naturzerstörung, spekulative Geldwirtschaft, technologischer Gigantismus.
Dass die Menschheit durch Goethe-Lektüre nicht zu Einsicht und Einkehr kommt, ist zu befürchten. Dem Einzelnen, hier dem Autor, kann sie hingegen zu heilsamer Reflexion verhelfen. Ein Vorbild ist Goethe für Muschg auch in der Art, wie er gegen „den Fluch der schwindenden Zeit“ die Mittel der Kunst setzt. Eines dieser Mittel ist „die Befassung mit der Einzelheit, als wäre sie das Ganze“. Und so befasst sich Muschg – und uns – mit den Details seines Alltags, der nächsten Umgebung: des verkleinerten Wohnsitzes in Männedorf, des (nicht ganz) japanischen Gartens, der dort aufgestellten Spiegel, einer Amsel, die in einen dieser Spiegel hineinpickt.
Auch mit unerquicklichen medizinischen Details – Diagnostik in der Röhre mit kaum zu bändigendem Harndrang, Bestrahlung durch ein Gerät, das er „Vogel Rock“ nennt. Vor allem aber schweift der Blick des alten Mannes, inspiriert und provoziert durch Goethes Lebenskunst, zurück auf sein eigenes Leben, das sich so gar nicht zum Kunstwerk runden will. Der Blick trifft auf Versäumnisse anderer an ihm, eigene Versäumnisse an anderen, auch den Nächsten. Die seelischen Entbehrungen eines Jungen tauchen auf – sie werden, Muschg ist nicht wehleidig, nur angetippt –, dessen Vater früh starb, dessen Mutter depressiv war und der sich unter den viel älteren Stiefgeschwistern als störender „Rest von Familiengeschichte“ fühlte.
„Ich habe nicht gelernt, mein Leben zu geniessen, eher es zu rechtfertigen“, schreibt Muschg und erinnert an die Beschädigungen durch eine Religion, mit der die Mutter dem Kind „die Hölle heiss“ gemacht hatte. „Das meiste, was ich an empfohlener Lebens-Form vorfand, war nicht tragfähig“, konstatiert er. Stattdessen eine eigene gefunden zu haben: Das ist Hoffnung und Bemühen, nie Gewissheit. Immerhin gibt es gelegentlich Momente, in denen „ihm die Welt grundlos auf- und eingeleuchtet hat“; das kann auch einmal eine Passantin mit einem Mops sein.
Diese Passagen der Rückschau und des Blicks auf das unweigerlich Bevorstehende – „Den Weg, den du jetzt gehst, gehen alle, aber du zum ersten Mal“ – liest man beeindruckt und bewegt. Aus der Annäherung an Goethe ist tatsächlich, wie der Verlag verkündet, „Adolf Muschgs persönlichstes Buch“ geworden. Und nicht sein schlechtestes.
Inspiriert und provoziert durch
Goethes Lebenskunst stellt sich
der Autor seiner Vergangenheit
Caspar Wolf (1735 - 83): „Die Berge bei Lauteraar“ (1776), Kunstmuseum Basel. Foto: bridgeman
Adolf Muschg:
Der weisse Freitag.
Erzählung vom
Entgegenkommen.
Verlag C. H. Beck,
München 2017.
252 Seiten, 22,95 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2017Literarische Nahrung für letzte Tage
Sterben mit Goethe, Überleben dank Elie Wiesel: Die Schweizer Adolf Muschg und Jean Ziegler ziehen Lebensbilanz.
Am 12. November 1779 ging Goethe ins Hochgebirge. Auf ihrer abenteuerlichen Tour über den von einem Gletschersturz bedrohten Furkapass werden die Bergsteiger aus sicherer Distanz scharf beobachtet: "Bewegung war nur am wechselnden Abstand zwischen ihnen auszumachen und am anhaltenden Versuch, ihn wieder zu schließen." Dann wird spekuliert, was ein Betrachter an diesem "weißen Freitag" auch noch "hätte sehen können", auf dieser historischen Etappe von Goethes Schweizer Reise. "Aber den Beobachter gibt es nicht."
Es gibt ihn schon, aber er liegt im Krankenhaus: Im zweiten Kapitel des Buchs "Der weiße Freitag" fällt er zu Hause die Treppe herunter und fühlt sich - ins Alter gekommen - fortan der "Generation Tölpel" zugehörig. Die Verletzung am Knie muss operiert, Schleimbeutel entfernt werden - wie zuvor schon eine Gallenblase, ein Stück Dickdarm, die Prostata. Der Patient nimmt einen Band der Goethe-Ausgabe von 1808 mit ins Spital. Über den Dichter redet auch sein aus Deutschland stammender Arzt gerne.
Dass es sich bei diesem abwesenden Beobachter von Goethes abenteuerlicher Winterreise und dem Patienten um den Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg handelt, wird durch geographische und biographische Anspielungen schnell erkennbar und dann auch explizit. Im Zwiegespräch mit Goethe blickt der Germanist Muschg auf sein zu Ende gehendes Leben zurück. Sein wohl letztes Buch ist auch sein persönlichstes. Er erzählt von seiner japanischen Frau und ihrem Garten mit den Spiegeln. Im Frühjahr ist Muschg wieder in die protestantische Kirche eingetreten. Von seinem Bruder Walter ist die Rede, von der Mutter, von Hermann Burger, vom Wallis und vom Gotthard. Dessen Mythos und die Geschichte von der Teufelsbrücke erzählt Muschg in ein paar herrlichen Abschnitten.
Er schildert auch die Trennung von seiner früheren Frau, bei der ihm der fünfzehn Jahre alte Sohn sagte: "Bitte, nur keine Schuldgefühle." Jahrzehnte später - "erst kürzlich" - notierte Muschg dann eine Bemerkung, die er auf den ersten Seiten zitiert: "Ich habe nicht gelernt, mein Leben zu genießen, nur es zu rechtfertigen." Das klingt mehr nach Gottfried Keller, dem er einen biographischen Essay gewidmet hatte, als nach Goethe, mit dem es nun ans Sterben geht. Geradezu heiter schreibt Muschg über seine Krebserkrankung. "Mein gedrucktes Lebenswerk halte ich für eine abgelegte Haut", aus der er im Alter von 82 Jahren schlüpft wie der Schmetterling aus der Raupe. "Dankbarkeit", an der es ihm nicht mangelt, nennt er "die rechte Nahrung für letzte Tage". Als "Henkersmahlzeit" wird ihm eine letzte Pfeife völlig reichen, in Ruhe geraucht, so "würde ich mein Leben für gelungen halten".
Im Traum erscheint ihm Christoph Blocher. Muschg war vor zwei Jahrzehnten, als es um die Weltkriegsvergangenheit der Schweiz ging, sein gewichtiger Gegenspieler, das bessere nationale Gewissen: "Auschwitz in der Schweiz" betitelte Muschg damals einen Essay. In seinem Traum hat Blocher alle Zeitungen aufgekauft, "neulich die Neue Zürcher Zeitung". Er wird auch noch die reformierte Kirche kaufen. Es ist nicht das Geld, das die Macht von Blocher, der die Schweizer Politik "seit Jahren vor sich hertreibt", ausmache: Es sei "Ihr Glaube, der Berge versetzt", sagt Muschg im Traum zum Sohn eines Pfarrers, der aus Deutschland kam und von "seiner Gemeinde fortgejagt" wurde. So wie man Blocher aus der Regierung verstieß. "Eine Kränkung, die nicht vergeben werden kann", befindet der Dichter. "Der Abgewählte offenbart sich als Erwählter" - allerdings von Adolf Muschgs Gnaden: "Und ich spiele den Täufer . . ."
Jean Ziegler, wie Muschg Jahrgang 1934, beteiligte sich an der damaligen Debatte mit einer heftigen Anklageschrift: In "Die Schweiz, das Gold und die Toten" vertrat er die These, dass sein Heimatland mittels wirtschaftlicher Kollaboration den Krieg verlängert habe. Wie bei Muschg kehren zwanzig Jahre danach in seinem neuem Buch "Der schmale Grat der Hoffnung" auf überraschenden Wegen die Gespenster der Vergangenheitsbewältigung zurück. Seit der Finanzkrise hat sich das Verhältnis der Schweiz zu ihrem während Jahrzehnten meistgehassten Nestbeschmutzer nicht nur normalisiert. Er wird inzwischen wie eine Ikone verehrt. Ein Film über ihn, der auch auf Arte zu sehen sein wird, lockte viele Besucher in die Kinos. Die "Neue Zürcher Zeitung" wählte ihn zum "einflussreichsten Schweizer". In der Westschweizer Sonntagszeitung "Le Matin Dimanche" erzählt Ziegler, wie er dank des Fußballs zum Kommunisten wurde. Im Berner "Bund" verkündet er seinen Glauben an eine Auferstehung ("Ich spüre die Präsenz von Toten") und den neuen Menschen, der aus Südamerika kommen werde: In Ecuador "ist die neue Menschwerdung im Gang".
"Die Schweiz, das Gold und die Toten" war das einzige Buch, das der Genfer Soziologe und langjährige Abgeordnete in seiner deutschen Muttersprache geschrieben hat. Weltweit, erinnert er sich, sei es gelobt, in der Schweiz aber "völlig verrissen" worden. Mit einer "Flut von Verleumdungen" sei er eingedeckt worden, "Basler Millionäre" reichten eine Klage wegen "Hochverrats" ein: Sie hatten wegen der Kursverluste der Schweizer Banken viel Geld verloren und machten dafür Ziegler verantwortlich, der mit dem Jüdischen Weltkongress "kollaboriert" hatte und im Verfahren um die "nachrichtenlosen Vermögen" vor dem amerikanischen Senat aussagte. Ausführlich schildert Ziegler diesen Auftritt, sein "Unbehagen" und die "Abneigung", die er dabei empfand. Nicht gegen die Schweiz habe er ausgesagt, um die entwendeten jüdischen Vermögen sei es ihm gegangen. Dass Jean Ziegler 2000 zum Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung ernannt wurde, verdankt er laut seiner eigenen Darstellung weitgehend diesem Auftritt in Washington.
Auf die Vereinten Nationen stützt sich seine "Hoffnung". Das Buch ist ein Beitrag im "Kampf für die Wiedergeburt einer dahinsiechenden UNO" und beginnt mit dem Treffen von Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill 1941 auf dem amerikanischen Kreuzer "Augusta". Bei stürmischer See entwarfen die beiden Staatschefs ihre "Vision" der Nachkriegszeit, erstmals war dabei explizit von "Vereinten Nationen" die Rede.
In ihrem Schoß ist der unermüdliche Jean Ziegler auf seinem langen Marsch im akademischen Ruhestand angekommen. In jungen Jahren wollte sich der emeritierte Professor der Guerrilla in Südamerika anschließen, doch Che Guevara, dem er in Genf als Fahrer gedient hatte, vergatterte ihn dazu, als Intellektueller das "Gehirn des Monsters" in seiner Schweizer Heimat zu bekämpfen.
Der persönliche Rückblick auf den Streit um die Kriegsschulden erfolgt zum Schluss, im Kapitel "Palästina". Es handelt von einer Dienstreise nach Israel und der Kampagne, die Zieglers Bericht über den Hunger in den besetzten Gebieten auslöste. Aus der Zeitung erfuhr Ziegler, dass die israelische Regierung seine Absetzung verlangte. Sie habe versucht, ihn zu "beschmutzen" und "meine Glaubwürdigkeit und, wenn möglich, auch meine psychische Stabilität zu zerstören". Ohne dass das tödliche Wort ausgesprochen wurde, ging es um den Vorwurf des "Antisemitismus".
Er löste eine Kettenreaktion aus. Zieglers Eröffnungsrede bei den Festspielen in Salzburg wurde abgesagt. In Kanada wurden Uni-Rektoren angehalten, geplante Veranstaltungen mit Ziegler zu verbieten. Nach seiner Rede zum Nationalfeiertag am 1. August in Saas Fee bekam der dortige Bürgermeister Post aus Paris: Eine einflussreiche Vereinigung bezichtigte Ziegler des "Judenhasses" und des "Negationismus". Präsident Obamas UN-Botschafterin Samantha Power beschimpfte ihn als "eine Schande" für die Vereinten Nationen.
Der Vorwurf des Antisemitismus hat eine tiefe Kränkung hinterlassen. Zieglers Rekapitulation seines Auftritts vor dem amerikanischen Senat erfolgt ausschließlich unter dem Aspekt seiner Verteidigung und moralischen Rehabilitierung. Zum Kronzeugen seines Plädoyers macht er Elie Wiesel: Ziegler war während eines Studienaufenthalts in New York dessen Untermieter und Elie Wiesel, der die Schoa überlebt hatte, noch kein bekannter Schriftsteller, sondern Korrespondent einer israelischen Zeitung bei den Vereinten Nationen.
Über die Politik Israels waren beide nie gleicher Meinung, befreundet aber blieben sie bis zu Wiesels Tod. Der Autor war nach Genf gekommen, als Ziegler von dem Bankier Edmond Safra nach dem Verlust seiner parlamentarischen Immunität mit einer Schadenersatzklage in astronomischer Höhe überzogen wurde. Safra hatte beste Anwälte, "auch von Antisemitismus war vor dem Gericht die Rede", schreibt Ziegler, "dank Elie Wiesel entging ich dem Ruin." Der Friedensnobelpreisträger hatte den aus Syrien stammenden Multimilliardär zum Rückzug seiner Klage bewegen können.
JÜRG ALTWEGG
Adolf Muschg: "Der weiße Freitag". Eine Erzählung.
Verlag C. H. Beck, München 2017. 251 S., geb., 22,95 [Euro].
Jean Ziegler: "Der schmale Grat der Hoffnung". Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsamen gewinnen werden.
Verlag C. Bertelsmann, München 2017. 320 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sterben mit Goethe, Überleben dank Elie Wiesel: Die Schweizer Adolf Muschg und Jean Ziegler ziehen Lebensbilanz.
Am 12. November 1779 ging Goethe ins Hochgebirge. Auf ihrer abenteuerlichen Tour über den von einem Gletschersturz bedrohten Furkapass werden die Bergsteiger aus sicherer Distanz scharf beobachtet: "Bewegung war nur am wechselnden Abstand zwischen ihnen auszumachen und am anhaltenden Versuch, ihn wieder zu schließen." Dann wird spekuliert, was ein Betrachter an diesem "weißen Freitag" auch noch "hätte sehen können", auf dieser historischen Etappe von Goethes Schweizer Reise. "Aber den Beobachter gibt es nicht."
Es gibt ihn schon, aber er liegt im Krankenhaus: Im zweiten Kapitel des Buchs "Der weiße Freitag" fällt er zu Hause die Treppe herunter und fühlt sich - ins Alter gekommen - fortan der "Generation Tölpel" zugehörig. Die Verletzung am Knie muss operiert, Schleimbeutel entfernt werden - wie zuvor schon eine Gallenblase, ein Stück Dickdarm, die Prostata. Der Patient nimmt einen Band der Goethe-Ausgabe von 1808 mit ins Spital. Über den Dichter redet auch sein aus Deutschland stammender Arzt gerne.
Dass es sich bei diesem abwesenden Beobachter von Goethes abenteuerlicher Winterreise und dem Patienten um den Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg handelt, wird durch geographische und biographische Anspielungen schnell erkennbar und dann auch explizit. Im Zwiegespräch mit Goethe blickt der Germanist Muschg auf sein zu Ende gehendes Leben zurück. Sein wohl letztes Buch ist auch sein persönlichstes. Er erzählt von seiner japanischen Frau und ihrem Garten mit den Spiegeln. Im Frühjahr ist Muschg wieder in die protestantische Kirche eingetreten. Von seinem Bruder Walter ist die Rede, von der Mutter, von Hermann Burger, vom Wallis und vom Gotthard. Dessen Mythos und die Geschichte von der Teufelsbrücke erzählt Muschg in ein paar herrlichen Abschnitten.
Er schildert auch die Trennung von seiner früheren Frau, bei der ihm der fünfzehn Jahre alte Sohn sagte: "Bitte, nur keine Schuldgefühle." Jahrzehnte später - "erst kürzlich" - notierte Muschg dann eine Bemerkung, die er auf den ersten Seiten zitiert: "Ich habe nicht gelernt, mein Leben zu genießen, nur es zu rechtfertigen." Das klingt mehr nach Gottfried Keller, dem er einen biographischen Essay gewidmet hatte, als nach Goethe, mit dem es nun ans Sterben geht. Geradezu heiter schreibt Muschg über seine Krebserkrankung. "Mein gedrucktes Lebenswerk halte ich für eine abgelegte Haut", aus der er im Alter von 82 Jahren schlüpft wie der Schmetterling aus der Raupe. "Dankbarkeit", an der es ihm nicht mangelt, nennt er "die rechte Nahrung für letzte Tage". Als "Henkersmahlzeit" wird ihm eine letzte Pfeife völlig reichen, in Ruhe geraucht, so "würde ich mein Leben für gelungen halten".
Im Traum erscheint ihm Christoph Blocher. Muschg war vor zwei Jahrzehnten, als es um die Weltkriegsvergangenheit der Schweiz ging, sein gewichtiger Gegenspieler, das bessere nationale Gewissen: "Auschwitz in der Schweiz" betitelte Muschg damals einen Essay. In seinem Traum hat Blocher alle Zeitungen aufgekauft, "neulich die Neue Zürcher Zeitung". Er wird auch noch die reformierte Kirche kaufen. Es ist nicht das Geld, das die Macht von Blocher, der die Schweizer Politik "seit Jahren vor sich hertreibt", ausmache: Es sei "Ihr Glaube, der Berge versetzt", sagt Muschg im Traum zum Sohn eines Pfarrers, der aus Deutschland kam und von "seiner Gemeinde fortgejagt" wurde. So wie man Blocher aus der Regierung verstieß. "Eine Kränkung, die nicht vergeben werden kann", befindet der Dichter. "Der Abgewählte offenbart sich als Erwählter" - allerdings von Adolf Muschgs Gnaden: "Und ich spiele den Täufer . . ."
Jean Ziegler, wie Muschg Jahrgang 1934, beteiligte sich an der damaligen Debatte mit einer heftigen Anklageschrift: In "Die Schweiz, das Gold und die Toten" vertrat er die These, dass sein Heimatland mittels wirtschaftlicher Kollaboration den Krieg verlängert habe. Wie bei Muschg kehren zwanzig Jahre danach in seinem neuem Buch "Der schmale Grat der Hoffnung" auf überraschenden Wegen die Gespenster der Vergangenheitsbewältigung zurück. Seit der Finanzkrise hat sich das Verhältnis der Schweiz zu ihrem während Jahrzehnten meistgehassten Nestbeschmutzer nicht nur normalisiert. Er wird inzwischen wie eine Ikone verehrt. Ein Film über ihn, der auch auf Arte zu sehen sein wird, lockte viele Besucher in die Kinos. Die "Neue Zürcher Zeitung" wählte ihn zum "einflussreichsten Schweizer". In der Westschweizer Sonntagszeitung "Le Matin Dimanche" erzählt Ziegler, wie er dank des Fußballs zum Kommunisten wurde. Im Berner "Bund" verkündet er seinen Glauben an eine Auferstehung ("Ich spüre die Präsenz von Toten") und den neuen Menschen, der aus Südamerika kommen werde: In Ecuador "ist die neue Menschwerdung im Gang".
"Die Schweiz, das Gold und die Toten" war das einzige Buch, das der Genfer Soziologe und langjährige Abgeordnete in seiner deutschen Muttersprache geschrieben hat. Weltweit, erinnert er sich, sei es gelobt, in der Schweiz aber "völlig verrissen" worden. Mit einer "Flut von Verleumdungen" sei er eingedeckt worden, "Basler Millionäre" reichten eine Klage wegen "Hochverrats" ein: Sie hatten wegen der Kursverluste der Schweizer Banken viel Geld verloren und machten dafür Ziegler verantwortlich, der mit dem Jüdischen Weltkongress "kollaboriert" hatte und im Verfahren um die "nachrichtenlosen Vermögen" vor dem amerikanischen Senat aussagte. Ausführlich schildert Ziegler diesen Auftritt, sein "Unbehagen" und die "Abneigung", die er dabei empfand. Nicht gegen die Schweiz habe er ausgesagt, um die entwendeten jüdischen Vermögen sei es ihm gegangen. Dass Jean Ziegler 2000 zum Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung ernannt wurde, verdankt er laut seiner eigenen Darstellung weitgehend diesem Auftritt in Washington.
Auf die Vereinten Nationen stützt sich seine "Hoffnung". Das Buch ist ein Beitrag im "Kampf für die Wiedergeburt einer dahinsiechenden UNO" und beginnt mit dem Treffen von Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill 1941 auf dem amerikanischen Kreuzer "Augusta". Bei stürmischer See entwarfen die beiden Staatschefs ihre "Vision" der Nachkriegszeit, erstmals war dabei explizit von "Vereinten Nationen" die Rede.
In ihrem Schoß ist der unermüdliche Jean Ziegler auf seinem langen Marsch im akademischen Ruhestand angekommen. In jungen Jahren wollte sich der emeritierte Professor der Guerrilla in Südamerika anschließen, doch Che Guevara, dem er in Genf als Fahrer gedient hatte, vergatterte ihn dazu, als Intellektueller das "Gehirn des Monsters" in seiner Schweizer Heimat zu bekämpfen.
Der persönliche Rückblick auf den Streit um die Kriegsschulden erfolgt zum Schluss, im Kapitel "Palästina". Es handelt von einer Dienstreise nach Israel und der Kampagne, die Zieglers Bericht über den Hunger in den besetzten Gebieten auslöste. Aus der Zeitung erfuhr Ziegler, dass die israelische Regierung seine Absetzung verlangte. Sie habe versucht, ihn zu "beschmutzen" und "meine Glaubwürdigkeit und, wenn möglich, auch meine psychische Stabilität zu zerstören". Ohne dass das tödliche Wort ausgesprochen wurde, ging es um den Vorwurf des "Antisemitismus".
Er löste eine Kettenreaktion aus. Zieglers Eröffnungsrede bei den Festspielen in Salzburg wurde abgesagt. In Kanada wurden Uni-Rektoren angehalten, geplante Veranstaltungen mit Ziegler zu verbieten. Nach seiner Rede zum Nationalfeiertag am 1. August in Saas Fee bekam der dortige Bürgermeister Post aus Paris: Eine einflussreiche Vereinigung bezichtigte Ziegler des "Judenhasses" und des "Negationismus". Präsident Obamas UN-Botschafterin Samantha Power beschimpfte ihn als "eine Schande" für die Vereinten Nationen.
Der Vorwurf des Antisemitismus hat eine tiefe Kränkung hinterlassen. Zieglers Rekapitulation seines Auftritts vor dem amerikanischen Senat erfolgt ausschließlich unter dem Aspekt seiner Verteidigung und moralischen Rehabilitierung. Zum Kronzeugen seines Plädoyers macht er Elie Wiesel: Ziegler war während eines Studienaufenthalts in New York dessen Untermieter und Elie Wiesel, der die Schoa überlebt hatte, noch kein bekannter Schriftsteller, sondern Korrespondent einer israelischen Zeitung bei den Vereinten Nationen.
Über die Politik Israels waren beide nie gleicher Meinung, befreundet aber blieben sie bis zu Wiesels Tod. Der Autor war nach Genf gekommen, als Ziegler von dem Bankier Edmond Safra nach dem Verlust seiner parlamentarischen Immunität mit einer Schadenersatzklage in astronomischer Höhe überzogen wurde. Safra hatte beste Anwälte, "auch von Antisemitismus war vor dem Gericht die Rede", schreibt Ziegler, "dank Elie Wiesel entging ich dem Ruin." Der Friedensnobelpreisträger hatte den aus Syrien stammenden Multimilliardär zum Rückzug seiner Klage bewegen können.
JÜRG ALTWEGG
Adolf Muschg: "Der weiße Freitag". Eine Erzählung.
Verlag C. H. Beck, München 2017. 251 S., geb., 22,95 [Euro].
Jean Ziegler: "Der schmale Grat der Hoffnung". Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsamen gewinnen werden.
Verlag C. Bertelsmann, München 2017. 320 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Reflektierend, spekulierend, assoziierend, fantasierend, ironisierend und in keinem Satz larmoyant."
Karin Großmann, Sächsische Zeitung, 29. April 2017
"Kristallklare Eleganz (...) eine dringend empfehlenswerte Neuerscheinung für alle Muschg- und/oder Goethe-Interessierten."
Ulrike Frick, Münchner Merkur, 11. April 2017
"'Der weiße Freitag' ist formal ein schillernder Hybrid von Erzählung, Wissenschaftsprosa und Autobiografie, manchmal verdichtet funkelnd, manchmal gelehrt, oft überlegend ruhig. Inhaltlich ist er am ehesten ein innehaltender, fast montaigneartiger Essay über das gelingende Leben."
Georg Patzer, literaturkritik.de, 10. April 2017
"Ein Lebensbuch, ein Weltbuch."
Hans-Dieter Franz, Stuttgarter Zeitung, 24. März 2017
"Zum einen ein aufregender Forschungsbeitrag, in dem der Germanist mit großer Empathie und den Mitteln des Romans Goethes Schweizer Reise konstruiert. Zum anderen aber ein sehr persönlicher Lebensrückblick des Autors."
Oliver Pfohlmann, Deutschlandfunk, 6. März 2017
"Ein leichtes, unpathetisches, lebenskluges Anschreiben gegen den Tod."
Manfred Koch, Neue Zürcher Zeitung, 26. Februar 2017
Karin Großmann, Sächsische Zeitung, 29. April 2017
"Kristallklare Eleganz (...) eine dringend empfehlenswerte Neuerscheinung für alle Muschg- und/oder Goethe-Interessierten."
Ulrike Frick, Münchner Merkur, 11. April 2017
"'Der weiße Freitag' ist formal ein schillernder Hybrid von Erzählung, Wissenschaftsprosa und Autobiografie, manchmal verdichtet funkelnd, manchmal gelehrt, oft überlegend ruhig. Inhaltlich ist er am ehesten ein innehaltender, fast montaigneartiger Essay über das gelingende Leben."
Georg Patzer, literaturkritik.de, 10. April 2017
"Ein Lebensbuch, ein Weltbuch."
Hans-Dieter Franz, Stuttgarter Zeitung, 24. März 2017
"Zum einen ein aufregender Forschungsbeitrag, in dem der Germanist mit großer Empathie und den Mitteln des Romans Goethes Schweizer Reise konstruiert. Zum anderen aber ein sehr persönlicher Lebensrückblick des Autors."
Oliver Pfohlmann, Deutschlandfunk, 6. März 2017
"Ein leichtes, unpathetisches, lebenskluges Anschreiben gegen den Tod."
Manfred Koch, Neue Zürcher Zeitung, 26. Februar 2017