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Als die arbeitslose Phoebe Siegler erfährt, dass die Tochter ihrer besten Freundin vermisst wird, bricht sie von Brooklyn aus auf, um in der kalifornischen Provinz nach dem Teenager zu suchen. Im dunklen Herzen der Wüste trifft sie auf Aussteiger, die jenseits von Recht und Gesetz in Stammesgruppen leben. Der Einzige, der ihr Zugang zu diesen ehemaligen Hippie- Kommunen verschaffen kann, ist Charles Heist – genannt der »wilde Detektiv«. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump kündigt Phoebe Siegler ihren Job bei einem Radiosender, weil sie sich mit schuldig fühlt, dass es so weit gekommen ist. Als…mehr

Produktbeschreibung
Als die arbeitslose Phoebe Siegler erfährt, dass die Tochter ihrer besten Freundin vermisst wird, bricht sie von Brooklyn aus auf, um in der kalifornischen Provinz nach dem Teenager zu suchen. Im dunklen Herzen der Wüste trifft sie auf Aussteiger, die jenseits von Recht und Gesetz in Stammesgruppen leben. Der Einzige, der ihr Zugang zu diesen ehemaligen Hippie- Kommunen verschaffen kann, ist Charles Heist – genannt der »wilde Detektiv«. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump kündigt Phoebe Siegler ihren Job bei einem Radiosender, weil sie sich mit schuldig fühlt, dass es so weit gekommen ist. Als sie der Hilferuf ihrer Freundin Rosalyn erreicht, fliegt sie nach Kalifornien, um deren Tochter Arabella zu finden. Sie landet in einer Stadt am Rande der Wüste, zu deren merkwürdig zusammengewürfelten Bewohnern auch Charles Heist gehört, den sie den wilden Detektiv nennt. Ihre gemeinsame Suche führt die beiden in die gefährliche Gesellschaft der Stämme, die dort ohne Stromversorgung autonom leben. Während Phoebe und der wilde Detektiv mehr über das verschwundene Mädchen herausfinden, geraten sie in immer größere Lebensgefahr. All dies in einer Zeit, in der es wegen Donald Trump und des Todes von Leonard Cohen sowieso nicht viel zu feiern gibt.

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Autorenporträt
Jonathan Lethem, geboren 1964 in New York, ist Autor zahlreicher Romane, darunter die Brooklyn-Romane »Motherless Brooklyn« und »Die Festung der Einsamkeit«. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u.a. den »National Book Critics Award«, den »Gold Dagger« und das »MacArthur Fellowship«. Lethem hat am Pomona College in Südkalifornien die Professur für Creative Writing inne. Zurzeit lebt er mit seiner Familie in Kalifornien. Weitere Informationen zu Jonathan Lethem finden Sie auf seiner Website www.jonathanlethem.com Ulrich Blumenbach hat u. a. Werke von Agatha Christie, Joshua Cohen, Stephen Fry, Jack Kerouac und Anthony Burgess sowie Gedichte von Dorothy Parker ins Deutsche gebracht. Für die Übersetzung von David Foster Wallace' Roman Unendlicher Spaß wurde er 2010 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2019

Das Monster im Turm
Jonathan Lethem erzählt in „Der wilde Detektiv“ von einer
Quasselstrippe, Aussteigern und Präsidenten-Horror
VON HUBERT WINKELS
Wer ohne Unterlass redet, jammert und lamentiert, deutet und die Deutung deutet und alles volltextet und alles voll Texten sieht, bis sich die Kondensstreifen im Himmel über New York vor Bedeutung krümmen, der muss zum Psychiater – oder er stammt von einem ab. Logorrhö ist die Privilegiertenkrankheit der Ostküstenintelligenzija. Siehe Woody Allen. Doch was tun? Wen adressieren? Wohin mit dem redenden Ich? Dahin, wo nichts ist, nichts von Bedeutung jedenfalls. „Da ist nichts da da“ erklärt die junge redemanische Journalistin Phoebe Siegler ihrer Facebook-Freundin Stephanie, um ihr zu sagen, dass sie in den uplands an den Rändern von Los Angeles untergekommen sei, in der „nichts da da“-Zone zwischen Bergen, Meer und Wüste, am Rande der wüsten Stadt, an ihren wilden Rändern, an den wilden Rändern der Welt, den „wild edges“, wie es im „wilden Detektiv“ immer wieder heißt. Phoebes Eltern sind beide Psychotherapeuten.
So richtig Lust hat Jonathan Lethem nicht, die Anamnese des psycholingualen Defekts zu betreiben, zu satt spielt er ihm in die Karten, denn sich beim Reden und Erklären selbst zu überholen, hat seinen Romanen schon immer den besonderen Schwung gegeben, besonders seinem berühmtesten, „Motherless Brooklyn“, mit dem tourettegeplagten Erzähler Lionel Essrog. Seine Helden und Erzähler sind schwatzende elternlose Selbsterzeuger in Permanenz. Sie leben in den Bildern und Codes der US-amerikanischen Popkultur, und es kann nicht schaden, Comics und Cartoons, Grunge und Grinch, „True Detective“ und „Der Planet der Affen“ zu kennen wie das eigene Jugendzimmer, um einen gewissen Genuss daraus zu ziehen; und manchmal auch schöne Literatur, fantastische und detektivische, die von J. R. R. Tolkien und Raymond Chandler.
So richtig lange hält Lethem sich nicht mit Phoebes Geschichte auf, die unserer Begegnung mit ihr im wüsten Büro eines düsteren Detektivs am Stadtrand von LA vorausgeht. Er berichtet im Schweinsgalopp von Phoebes New Yorker Karriere im Juste Milieu des linksliberalen Kultur-Bürgertums. Sie hat bei einer Literaturzeitschrift gearbeitet, bei einem öffentlichen Radiosender, für eine Zeitung. Zu Hause auf dem Klo stapelten sich die Ausgaben des New Yorker. Mehr braucht es nicht, um auf die zu zeigen, die Trumps Wahlerfolg fassungslos gemacht hat, um nicht zu sagen: sprachlos. Und das ist auch schon die Pathogenese in nuce: verfeinertes liberales Gerede und der Einbruch des machistischen Ungeheuers (Trump/Sauron) als komplementäre Phänomene. „Ich machte meiner Stadt Vorwürfe, das Monster im Turm hervorgebracht zu haben und jetzt nicht mehr besiegen zu können. Meine Fluchtroute hatte ich schon festgelegt …“.
Man versteht schon, warum Lethem so schnell an den „wilden Rändern“ ist. Er muss nur das „orangefarbene Monster“ erwähnen, und los gehts auf die eskapistische Bahn: innerpsychisch oder in die reale Wüstenei oder eben beides. Der Roman beginnt mit der Präsidentschaftswahl Anfang November 2016 und hat seinen Höhepunkt in den Tagen der Inauguration. Man könnte den „wilden Detektiv“ auch einen President-elect-Roman nennen und würde Lethem damit sicher einen Gefallen tun, denn er schert sich sehr darum, seinem aus dem Ruder gelaufenen Roman das legitimatorische Präsidenten-Horror-Siegel aufzudrücken. Das kann man auch eine Art von Machtmissbrauch nennen. Von jetzt an sind wir lesenden Erklärbären Monsterjäger in allegorischen Settings, Trump-Folgen-Abschätzer.
Das kommt zu voller Ausprägung, wenn sich zwei Hippiehorden in der Mojavewüste feindlich gegenüberstehen: die Hasen und die Bären, Erstere vornehmlich weiblich kommunenhaft, mit Kindern und ein paar Männern, die sich kümmern; die anderen toxisch-männlich, behaart, gewaltsam, Hells Angels mit Pfadfinderkompetenzen im Kirmesbärenkostüm.
Und mittendrin die zivilisationsflüchtige Quasselstrippe namens Phoebe und der seinerseits bärig behaarte wilde Detektiv Charles Heist, ein cowboyhaftes Bild von einem Mann, bei dessen Anblick Phoebe dahinschmilzt, weil er das Versprechen auf starke männliche Schweigsamkeit sendet.
Was ist das nun, was sich da tierallegorisch aufbrezelt und bekämpft: Die roten und die blauen Wähler in den USA? Zwei Fraktionen der Republikaner? Das Hillary-Clintonsche Ostküstenestablishment gegen den Mittleren Bärenwesten? So mag man munter deuten, allein die wilden Fantasien vom wilden Mad-Max-Westen ziehen eigene Spuren im Wüstensand: abbrechende, grenzwertige, zweideutige, absurde. Spuren im Nichts, „Da ist nichts da da“.
Phoebe also mit Charles Heist, dem virilen Räuber ihrer flatterhaften Rede, unterwegs in den verheerten Zonen der post-achtundsechziger Hippie-Utopien. Ohne Wlan, ohne Telefonverbindung, dafür mit Trommeln in der Nacht und einem Ritualmordpärchen in einer Senke auf dem Berg, wo sich Bär und Hase gute Nacht sagen. Denn die beiden jungen Körper mit durchgeschnittenen Kehlen liegen da im zerfetzten Hasen- und Bärenkostüm. Ein veritabler Kriminalfall. Charles Heist übernehmen Sie! Aber nein, hier sind wir im psychedelischen Albtraum, im Aussteiger-Absurdistan, in einer lausigen, lustigen Dystopie mit weißen und braunen Fellohren. Der wilde Detektiv wird hier vielmehr als Faustkämpfer gebraucht, der in der Lage ist, bei einem Kampf um den Königsthron der Bären seinem riesigen Feind in der staubigen Arena mit einem Stein das Auge auszuschlagen und durch die Augenhöhle direktemang ins Gehirn zu fassen.
Die eigentliche Detektivgeschichte hat sich auf diesem Actiongipfel des Romans bereits verflüchtigt, aus Leserperspektive: als uninteressant erwiesen. Phoebe ist nämlich nach LA gereist, um Arabella, die verschwundene Tochter einer mütterlichen Freundin, zu suchen. Dass Arabella sich überall als Phoebe ausgegeben hat, trägt nur nach, was wir längst wissen, dass sie nur eine andere Gestalt von Phoebe selber ist. Diese nämlich ist auf der Suche nach sich selbst – und einem Mann –, und holt sich bald schon selbst ein. Wenn Phoebe dann eine Arabella bei den hasig-bärigen Wüstenfüchsen auftut und in einem kurzen Romanabstecher nach New York ihrer Mutter zuführt, ist jede detektivische Lust längst erloschen. Es zählt der Bär.
Man ahnt aber, dass Lethem ursprünglich etwas anderes gewollt hat in diesem Roman. Er hat es auch gelegentlich benannt. Er wollte einen Roman über die Situation der Geschlechter in den USA schreiben, einen satirischen zweifellos, als ihm der Trump-Überfall dazwischen kam. Dieser hatte offenbar die Wirkung eines Keulenschlags auf den Hinterkopf, wie Katy Waldman im New Yorker meint. Doch leider wird die Geschichte auch nicht besser, wenn man sich die Entwicklung ohne die Präsidenten-Zentrierung ansieht. Phoebe ist bei allem Redefuror immer als das arme Häschen sichtbar, das in starken behaarten Bärenarmen von seiner sinnlosen Sinnproduktion befreit werden möchte. In diesem Sinne gibt es ein Happy End, wenn der stark verletzte Heist, als er merkt, wie Phoebe bei einem Zufallstreffen mit ihrer Freundin Stephanie und einem Installationskünstler wieder in ihr Ostküsten-Gerede fällt, sie mit starker Hand umklammert und wortlos hinwegführt.
Der hier aktuell amtierende kritische Erklärbär sieht da eine gewisse maliziöse Absicht am Werk, die sich dem Monster im Turm ergibt. Trump-Pathologie und soziale Geschlechterpathologie und Aussteigerpathologie ergeben zusammen noch keine gescheite Krankheit. Und eine weitere angebotene Lesart des Romans rettet diesen so wenig wie die Laune des Lesers. Phoebe, so heißt es zwischendurch, sei im Auftrag der Premiummedien von der Ostküste unterwegs, um aus dem „heart of darkness“ zu berichten, auch mit literarischen Mitteln. Wenn dieser Roman von Jonathan Lethem das Ergebnis ist, dann darf er als verweht und versandet in seiner eigenen Geschwätzigkeit gelten.
Jonathan Lethem: Der wilde Detektiv. Roman. Tropen Verlag, Stuttgart 2019. 335 Seiten, 22 Euro.
Der bärig behaarte
Detektiv verspricht männliche
Schweigsamkeit
Das arme Häschen sucht
in starken Bärenarmen Erlösung
vom Zwang zur Sinnproduktion
Jonathan Lethem, 1964 in New York geboren, lebt in Kalifornien.
Foto: imago/Jakob Hoff
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2019

Die Bären sind los
Aus der Wüste unseres Missverständnisses: Jonathan Lethems "Der wilde Detektiv"

Gleich hinter Los Angeles beginnt die Wüste. Es gibt Menschen, die sagen, dass Los Angeles selbst aber schon die Wüste sei: eine endlos scheinende Ausdehnung vom Immergleichen, nur eben menschengemacht, weil sich die leere Sinnlosigkeit einer Stadt ähnlich erhaben anfühlen kann wie das Nichts, das sich links und rechts des Twentynine Palms Highway ausbreitet. Dort, in dieser Landschaft aus Stein und Sand und Dürre, in der sich nichts zu finden scheint, in die aber immer wieder Sinnsucher aufgebrochen sind, hat der amerikanische Schriftsteller Jonathan Lethem seinen neuen Roman angesiedelt: "Der wilde Detektiv" heißt er, eine Art Thriller, komplett mit Morden und einer Verschwörung und Sex und Pistolen. Eine junge Studentin aus Brooklyn, Arabella, verschwindet in Kalifornien. Phoebe, die beste Freundin der Mutter, bricht auf, um nach ihr zu suchen - und findet aber eine Welt abseits jener Welt, die sie verlassen hat und in der in dem Moment, als diese Geschichte spielt, Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt wird.

"Der wilde Detektiv" ist auch das: Ein politischer Roman, der im Moment zwischen den Vereinigten Staaten vor und denen mit Trump spielt. Phoebe, Lethems Erzählerin, kapituliert auch vor dieser neuen Realität in Washington. Bis eben hat sie in New York beim Rundfunk gearbeitet, jetzt will sie nur noch weg. Auch deswegen ergreift sie die Chance, die sich ihr bietet, als Arabellas Mutter Roslyn von der verschwundenen Tochter erzählt. Arabella sollte eigentlich in Portland, Oregon, aufs College gehen, von dort ist sie aber verschwunden, letzte Spuren führen in die Wüste vor den Toren Los Angeles'. Sie dort zu finden, am anderen Ende des Kontinents, tief im Inland, das könnte für Phoebe aber auch gleichzeitig bedeuten, jene Menschen außerhalb ihrer Blase kennenzulernen, die soeben einen Fernsehkasper zum Präsidenten gemacht haben.

Was innerhalb ihrer New Yorker Blase niemand für möglich gehalten hatte, bis es dann Wirklichkeit geworden war. Phoebe, angewidert von sich selbst und den Prätentionen ihrer Umwelt, flieht also nach Westen, wird aber so schnell nicht los, was sie zurücklässt. Weswegen sie sich immer wieder räumlich und zeitlich an dem orientiert, was in Washington geschieht, während sie in der Wüste nach Arabella sucht. Da ist ein Koffer, der "noch in der Obama-Ära gepackt worden war". Da ist der erste Geschlechtsverkehr "seit der Wahl". Eine neue Zeitrechnung herrscht in diesem Roman.

Aber es ist nicht nur die Zeitrechnung. Der eigentliche Stoff dieser Geschichte, und das ist typisch für den Schriftsteller Jonathan Lethem, ist die amerikanische Gegenwartswahrnehmung. Und wie sie von den modernen Mythen der Popkultur auf sehr spezielle Weise geschärft wurde. Dafür hat sich Lethem immer schon interessiert, egal ob in seinem Meisterwerk "Die Festung der Einsamkeit" oder in schwächeren Romanen wie "Chronic City" oder "Du liebst mich, du liebst mich nicht". Lethem interessiert sich dafür, wie die Welt aussieht, wenn man sie sortiert und durchdringt mit den Archetypen und Ritualen des Fernsehens, des Kinos, der Musik.

Wie es ist, wenn man bei einem Berg wie dem Mount Baldy, um den herum "Der wilde Detektiv" spielt, nicht mehr wie die Menschen zu älteren Zeiten an Jerusalem denkt - sondern an Bibelfilme über Jerusalem. Wenn alles "ziemlich Game-of-Thrones-mäßig ist", wie es im Roman einmal heißt. Oder Phoebe vor einem Showdown zitternd auf "rain delay" hofft - wie es heißt, wenn es beim Baseball zu regnen anfängt und das Spiel und die Übertragung unterbrochen werden. Oder sie in Punchlines von legendären "New Yorker"-Cartoons denkt: "In der Mojave weiß niemand, dass du kein Hund bist", sagt sie einmal zu sich selbst. Im Originalcartoon sagt das ein Hund, der vor einem Computer sitzt, über das Internet.

Das Phänomen, welches Jonathan Lethem hier in Szene setzt, geht über Ironie weit hinaus. Wohin Phoebe auch schaut, sieht sie Referenzen an eine medial vermittelte und verstärkte Alltagskultur. Aus der sie ja eigentlich fliehen wollte. Deren Maßstäbe sie aber mitgenommen hat, weil sie eins mit ihrer sogenannten Natur geworden ist. Was ist überhaupt noch Natur? Am Fuße des Mount Baldy trifft Phoebe dann ständig auf Landsleute, die zwar ihre Sprache sprechen, aber die Referenzen nicht mehr verstehen, ihre Anspielungen, ihren Zynismus. Über was verständigt sich dann aber die Kommunikation, wenn die gemeinsame Grundlage verlorengeht?

Und auch dafür hat sich Jonathan Lethem in seinen Romanen immer interessiert: für diesen Riss, der zwischen jenen verläuft, die ohne die Popkultur ihre Gegenwart nicht mehr verstehen können, und den anderen, für die aber diese Regeln der Popkultur gar nicht gelten, ja, die nicht einmal wissen, dass es sie überhaupt gibt. In seinem kleinen Buch über eine der berühmtesten Platten der Talking Heads, "Fear of Music" aus dem Jahr 1979, hat Lethem davon erzählt, wie er als Fünfzehnjähriger in Brooklyn vor dem Radio saß, aus dem David Byrne sprach, der Sänger der Band: "Talking Heads have a new album. It's called Fear of Music." Immer wieder will Lethem das gehört haben, aber er findet keine Beweise mehr dafür, dass es diese Radiowerbung überhaupt gegeben hat. Was, wenn niemand die Signale hört, die du hörst? Wenn du der Einzige bist, der die Stimmen erkennt?

Der deutsche Untertitel dieses mitreißenden Essays bringt auf den Punkt, wovon auch Phoebe befallen ist: "Ein Album anstelle meines Kopfes." Eine Pointe aus einem Cartoon anstelle einer Erkenntnis. Eine Fernsehserie statt einer Landschaftsbeschreibung. Aber das eine ersetzt das andere nicht, es ist das andere. Diesen kulturellen Wandel beschreibt Jonathan Lethem wie kaum ein anderer in der amerikanischen Gegenwartsliteratur - frei von Kulturpessimismus. Und mit einem leidenschaftlichen Interesse für die Dissidenz, die sich ergibt, wenn man daran festhält, seine Gegenwart nach den Sounds einer Pop-Platte zu erfassen, alle anderen aber lieber die Nachrichten hören. Aber die Talking Heads sind eben auch die Nachrichten.

Als Phoebe nach Kalifornien kommt, wendet sie sich an einen Privatdetektiv, Charles Heist. Er ist der wilde Detektiv, der Lethems Roman den Titel gibt. Sie verfällt ihm sofort, die beiden werden ein Paar. Aber auch in ihrer eigenen Liebesgeschichte wie in ihren Ermittlungen auf der Suche nach der verlorenen Tochter kann Phoebe nicht aufhören, sich selbst von außen zu sehen. Ständig fühlt sie sich, als würde ein Drehbuch ihren nächsten Schritt festlegen. Und sie formt, was sie erlebt, metaphorisch um. "Er sah aus wie ein atmender Holzschnitt", so beschreibt Phoebe den Detektiv. Eine Meisterleistung von einem Satz - beiläufig verrät er, dass Phoebe Journalistin ist, weil sie wortgewandt ist. Zugleich zeigt er aber, wie Phoebes Wahrnehmungsapparat funktioniert: Sie erkennt in Heists Gesicht ein künstlerisches Genre, ein Format. Und zuletzt aber offenbart dieser Satz vor allem Phoebes Wunsch nach der anderen Erfahrung, die sie in der Wüste sucht: Charles Heist ist für Phoebe ein Mann aus einer vergangenen Zeit, ein irgendwie handgemachter Typ mit großen, starken, warmen, rauhen Händen, der nicht nach ihren Regeln lebt, der ein Opossum in seiner Detektei pflegt und ein Mädchen versteckt - eine Ausreißerin wie Arabella, vermutet Phoebe erst.

Also beauftragt sie Heist mit der Recherche, und der findet rasch heraus, dass Arabella draußen in der Wüste gesehen worden ist - und dass sie sich möglicherweise einer Gruppe von Aussteigern angeschlossen haben könnte, die Kaninchen genannt werden und in den Wäldern und Bergen leben. In seltsamer Koexistenz mit den sogenannten Bären, einer Gruppe von Männern, die sich an den jungen Frauen der Kaninchen vergehen. Und die es irgendwie geschafft haben, indem sie sich weiter vermehrten, die Hippiezeit der späten sechziger Jahre zu überdauern. Während Trump seine ersten "grauenhaften Dekrete" erlässt, leben die Bären und Kaninchen, in Felle und Pelze gehüllt, als gäbe es weder den Präsidenten und seine Dekrete noch den Präsidenten davor oder den davor und den nächsten davor. Wie sich herausstellt, war Charles Heist auch mal einer von den Aussteigern. Die Suche nach Arabella zieht ihn jetzt wieder zurück in den Kult, aus dem er einst geflohen ist. Und Phoebe mit ihm. Sie schließt sich den Kaninchen an, erst auf der Suche nach Arabella, dann nach Heist. Und dann wird aus diesem komplexen Gegenwartsroman kurz ein richtiger Thriller.

Was, wenn du eine Sprache sprichst, die dein Gegenüber nicht entziffern kann, ja nicht einmal für eine Sprache hält? "Der wilde Detektiv" erzählt zwar von einer Frau, die auf einen Mann trifft, der nicht weiß, wer Elena Ferrante ist. Aber der Riss, der zwischen ihr und Heist verläuft, symbolisiert auch den Riss, der quer durch die geteilten Vereinigten Staaten von Trump verläuft. Wo die einen die anderen nicht mehr verstehen. Weil sie die gleiche Sprache sprechen, aber andere Signale empfangen.

TOBIAS RÜTHER

Jonathan Lethem: "Der wilde Detektiv". Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Tropen, 335 Seiten, 22 Euro

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»Wie wenige Autoren findet er für diese Mischung aus Polit- und Abenteuerroman auch eine faszinierende Sprache, die Schönheit und Provokation zusammenbringt.« Ralf Stiftel, Westfälischer Anzeiger, 12.07.2019 Ralf Stiftel Westfälischer Anzeiger 20190712