Alle, die sich für die Geschichte des 20. Jahrhunderts interessieren - und das müsste eigentlich jeder - sollten dieses außergewöhnlich informative und in guter britischer Historikertradition lesbar geschriebene, aber nicht ohne Nebenwirkungen zu verkraftende Buch studieren. Wer glaubte, mit der
Niederlage des nationalsozialistischen Terrorregimes in Deutschland 1945 seien Gewalt und Krieg in…mehrAlle, die sich für die Geschichte des 20. Jahrhunderts interessieren - und das müsste eigentlich jeder - sollten dieses außergewöhnlich informative und in guter britischer Historikertradition lesbar geschriebene, aber nicht ohne Nebenwirkungen zu verkraftende Buch studieren. Wer glaubte, mit der Niederlage des nationalsozialistischen Terrorregimes in Deutschland 1945 seien Gewalt und Krieg in Europa zu Ende gegangen, der irrt sehr. Lowe beschreibt, gestützt auf einen imposanten Berg von Quellen und Augenzeugenberichten, das Chaos, die Vertreibungen und Bürgerkriege, die ethnischen Säuberungen und die Anarchie, die in vielen Regionen unseres Kontinents zwischen 1943 bis 1950 aus »entfesselter Rache«, aus ideologischer Verblendung und aus zynischem politischen Kalkül auf brutale und grausamste Weise zum Ausbruch kamen. Ich gestehe, daß ich die Lektüre des Buches nicht wegen des Umfangs, sondern vor allem wegen der geschilderten eruptiven Gewalt, die sich mitten im (angeblich) zivilisierten Europa Bahn brach und die das Vorstellungsvermögen zum Zerreißen strapaziert, für einige Zeit unterbrechen musste. Dennoch oder gerade wegen dieser Darstellungen handelt es sich m.E. um eines der wichtigsten wissenschaftlich fundierten historischen Arbeiten der letzten Jahre, die sich nicht nur an die Historikerzunft wenden. Insbesondere auch die Beschreibung der griechischen Verhältnisse in der Nachkriegszeit (Kap. 24) ist schockierend und geeignet, unser Verständnis der aktuellen Mentalität der Menschen Griechenlands zu vertiefen. Der Blick zurück macht nicht zuletzt klar, wie alternativlos gegenseitige Anerkennung und eine auf friedfertigen Mitteln und demokratischen Grundwerten beruhende Verständigung in der EU sind, wenn wir unseren Kindern einen von Kriegen freien europäischen Kontinent vererben wollen.