Was haben Miranda July, Markus Werner und Wilhelm Genazino gemeinsam? Lesen Sie dieses Buch und Sie wissen es. Maria hat Zeit. So sitzt sie tagsüber oft auf einer Bank am Platz vor der Kirche, beobachtet das Treiben dort, ein Kommen und Gehen, Leute, die Ziele haben und wenig Zeit. Die arbeitslose Textilfachverkäuferin kennt sich mit Stoffen aus, weiß, was zueinander passt, was Schwächen kaschiert und Vorzüge betont. In ihrem Fall ist das schwieriger: Welcher Vorzug macht ihr Alter vergessen für einen Markt, der sie nicht braucht? Alt ist sie nicht, aber ihr Leben läuft trotzdem rückwärts, an seinen Möglichkeiten, Träumen und Unfällen vorbei: Otto, den sie im Gemüsefach vergisst, Walter, den Elvis-Imitator von der traurigen Gestalt, der sie zur Witwe macht, Eduard, der mit einer anderen aus der Stadt zurückkehrt, ihre kleinere Schwester, die sosehr Mutter ist, dass sie Maria wie ein Kind behandelt. In solchen Geschichten um solche Menschen, liebenswert in ihrer skurrilen Versponnenheit, entwirft Anna Weidenholzer ein Bild von einer Frau am Rande der Gesellschaft. Und das ist immer noch mitten im Leben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2012Die Uhr läuft, die Zeit steht still
Wer die Arbeit verliert II: Die junge Schriftstellerin Anna Weidenholzer hat einen feinherben Roman über Arbeitslosigkeit und ihre Folgen geschrieben. In "Der Winter tut den Fischen gut" geht es um Demütigungen im Gewand sozialstaatlicher Wohltaten.
Die Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre hat gerade in Österreich wesentliche Texte über den damit einhergehenden Verlust der Selbstachtung des Einzelnen wie auch der Solidarität mit seinen Schicksalsgenossen gezeitigt: die empathischen Rollengedichte Theodor Kramers, Rudolf Brunngrabers großen Zeitroman "Karl und das 20. Jahrhundert" - und einen Klassiker der Soziologie, die Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" von Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel.
Wie das Gesicht der Arbeitslosigkeit heute, zur Zeit einer spätkapitalistischen Melancholie, aussieht, die Masse aller traurigen Einzelfälle, das gemäßigte Elend staatlich verwalteter Entbehrung, das hat literarisch bisher wenig Kontur gewonnen. Die 1984 in Linz geborene Anna Weidenholzer nimmt sich in ihrem zweiten Buch - nach dem Erzählband "Der Platz des Hundes" (2010) - dieses Themas an und nennt darin auch "Die Arbeitslosen von Marienthal" als Quelle.
Allerdings ist "Der Winter tut den Fischen gut" viel mehr als ein Buch über Arbeitslosigkeit: Es macht aus dem Fall der Maria Beerenberger eine individuelle Lebensgeschichte, es gibt der ehemaligen Verkäuferin im Textilfachhandel, gekündigt mit 47, nach neunzehn Jahren, Gesicht und Stimme - ohne Pathos und ohne plumpe Parteilichkeit. Maria ist nicht nur "Arbeitslose", sie ist eine Frau mit Vergangenheit, einer mittelprächtigen Ehe, einer großen Jugendliebe, einem unerfüllten Berufswunsch: Sängerin wollte sie einmal werden. Jetzt wechselt sie die Straßenseite, wenn sie Bekannte trifft, und führt Scheintelefonate, um ja nicht müßig zu erscheinen.
Der mit den Anforderungen des Erwerbslebens wie der Gesellschaft nicht mehr kompatible Sonderling: seit Wilhelm Genazino ist das keine originelle Figur. Und doch ist dieser Roman einer Boutiquenverkäuferin alles andere als Konfektion. Schon der Aufbau der Erzählung überzeugt durch Eigensinn: Das Buch beginnt mit einem ideal ausgemalten Bewerbungsgespräch, an dessen Ende der Entschluss steht: "Fangen wir von hinten an." Dann folgt sogleich Kapitel 54, es wird zurückgezählt bis zu Kapitel 1, das logischerweise in der Kindheit spielt. Indem die "verflossenen Leben" und Lieben ins Visier geraten, samt allen nicht genommenen Abzweigungen und nicht ergriffenen Möglichkeiten, bekommt auch das drohend Monolithische der Zukunft Sprünge: Auswege werden vorstellbar.
Die Geschichte bewegt sich paradox im Krebsgang vorwärts, wobei Weidenholzer das Prinzip nicht sklavisch einhält: Mittels etlicher Vor- und Rückverweise baut sie eine besondere Spannung auf; wir erfahren etwa bald, dass Maria Witwe ist, dann taucht ihr Mann Walter, ein Automechaniker, auf - aber wir wissen lange nicht, wie er gestorben ist. Er lebt jedenfalls ungesund und trinkt zu viel, er neigt zu Wutanfällen und wirft Maria vor, dass sie keine Kinder bekommen haben. Der Autorin gelingt es, solch banale Lebenserschwernisse durch eine Fülle von Details plastisch, interessant, bisweilen auch sacht komisch erscheinen zu lassen. Maßgeschneidert wirkt, bis in die Dialoge hinein, die Sprache: Sie ist schlicht, prägnant und von einer schartigen Schönheit.
Einzelne Sätze sehen wir scharf ausgeleuchtet. So ist der Boutiquenbesitzer Herr Willert ein wandelndes Verkaufsbenimmbuch, seine Ratschläge durchsetzen musterhaft den Text: "Man darf den Händen die Arbeit nicht ansehen" oder "Achten Sie auf Ihre Figur". Doch dass Maria all diese Direktiven befolgt, nützt ihr gar nichts. Herr Willert, die merkantile Autorität, ist nur scheinbar ein Mann vom alten Schlag, im Augenblick der Entscheidung opfert er die bewährte Kraft dem Spardruck. Jetzt ist Maria der netten Beraterin und dem weniger netten Berater vom Arbeitsamt ausgeliefert, das, trendig in "Arbeitsmarktservice" umgetauft, auch kein freundlicheres Gesicht hat: Unbotmäßigkeit wird bestraft. Und die Ratgeber-Literatur für Arbeitslose vermittelt blanken Hohn: "Machen Sie konsequent, systematisch, parallel, schnell und viel."
Von Beginn an fallen die Uhren ins Auge: die silberne Armbanduhr des erträumten Personalchefs, der Wecker, mit dem in der Hand Maria noch Stunden weiterschläft, die Küchenuhr, die dem dahineilenden Vormittag auf den Fersen ist. Die Uhr läuft, und die Zeit steht still. Die Tagesfreizeit wird zum Gefängnis. Die kleinen Rituale, die Maria liebt, beginnen sie immer mehr einzuschnüren, bis sie sich am Rande einer Depression bewegt. Als Haustier legt sie sich eine Kaulquappe zu, weil eine solche nicht auffällt, aber aus dem Frosch wird kein Märchenprinz. "Der Winter tut den Fischen gut", wie Maria zum Fischverkäufer bemerkt, aber leider der Kühlschrank nicht dem Frosch.
Schlimmere Opfer sind nicht zu beklagen, doch das Abgründige lauert in dieser feinherben Geschichte gleich am Wegesrand. So sagt der Sohn der Apfelfrau zu seiner Mutter: "Wenn du stirbst, fälle ich deine Bäume, sobald du tot umfällst, schneide ich sie alle um." Aber es gibt auch die Hausmeisterin Milica, die für Maria Kaffee kocht und ihr aus dem Satz eine schöne Zukunft liest. Stark muss er schon sein, der Kaffee: "Das ist doch gut, wenn das Herz klopft, wenn man weiß, dass man noch am Leben ist."
DANIELA STRIGL
Anna Weidenholzer: "Der Winter tut den Fischen gut". Roman.
Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg, Wien 2012. 234 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer die Arbeit verliert II: Die junge Schriftstellerin Anna Weidenholzer hat einen feinherben Roman über Arbeitslosigkeit und ihre Folgen geschrieben. In "Der Winter tut den Fischen gut" geht es um Demütigungen im Gewand sozialstaatlicher Wohltaten.
Die Massenarbeitslosigkeit der dreißiger Jahre hat gerade in Österreich wesentliche Texte über den damit einhergehenden Verlust der Selbstachtung des Einzelnen wie auch der Solidarität mit seinen Schicksalsgenossen gezeitigt: die empathischen Rollengedichte Theodor Kramers, Rudolf Brunngrabers großen Zeitroman "Karl und das 20. Jahrhundert" - und einen Klassiker der Soziologie, die Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal" von Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel.
Wie das Gesicht der Arbeitslosigkeit heute, zur Zeit einer spätkapitalistischen Melancholie, aussieht, die Masse aller traurigen Einzelfälle, das gemäßigte Elend staatlich verwalteter Entbehrung, das hat literarisch bisher wenig Kontur gewonnen. Die 1984 in Linz geborene Anna Weidenholzer nimmt sich in ihrem zweiten Buch - nach dem Erzählband "Der Platz des Hundes" (2010) - dieses Themas an und nennt darin auch "Die Arbeitslosen von Marienthal" als Quelle.
Allerdings ist "Der Winter tut den Fischen gut" viel mehr als ein Buch über Arbeitslosigkeit: Es macht aus dem Fall der Maria Beerenberger eine individuelle Lebensgeschichte, es gibt der ehemaligen Verkäuferin im Textilfachhandel, gekündigt mit 47, nach neunzehn Jahren, Gesicht und Stimme - ohne Pathos und ohne plumpe Parteilichkeit. Maria ist nicht nur "Arbeitslose", sie ist eine Frau mit Vergangenheit, einer mittelprächtigen Ehe, einer großen Jugendliebe, einem unerfüllten Berufswunsch: Sängerin wollte sie einmal werden. Jetzt wechselt sie die Straßenseite, wenn sie Bekannte trifft, und führt Scheintelefonate, um ja nicht müßig zu erscheinen.
Der mit den Anforderungen des Erwerbslebens wie der Gesellschaft nicht mehr kompatible Sonderling: seit Wilhelm Genazino ist das keine originelle Figur. Und doch ist dieser Roman einer Boutiquenverkäuferin alles andere als Konfektion. Schon der Aufbau der Erzählung überzeugt durch Eigensinn: Das Buch beginnt mit einem ideal ausgemalten Bewerbungsgespräch, an dessen Ende der Entschluss steht: "Fangen wir von hinten an." Dann folgt sogleich Kapitel 54, es wird zurückgezählt bis zu Kapitel 1, das logischerweise in der Kindheit spielt. Indem die "verflossenen Leben" und Lieben ins Visier geraten, samt allen nicht genommenen Abzweigungen und nicht ergriffenen Möglichkeiten, bekommt auch das drohend Monolithische der Zukunft Sprünge: Auswege werden vorstellbar.
Die Geschichte bewegt sich paradox im Krebsgang vorwärts, wobei Weidenholzer das Prinzip nicht sklavisch einhält: Mittels etlicher Vor- und Rückverweise baut sie eine besondere Spannung auf; wir erfahren etwa bald, dass Maria Witwe ist, dann taucht ihr Mann Walter, ein Automechaniker, auf - aber wir wissen lange nicht, wie er gestorben ist. Er lebt jedenfalls ungesund und trinkt zu viel, er neigt zu Wutanfällen und wirft Maria vor, dass sie keine Kinder bekommen haben. Der Autorin gelingt es, solch banale Lebenserschwernisse durch eine Fülle von Details plastisch, interessant, bisweilen auch sacht komisch erscheinen zu lassen. Maßgeschneidert wirkt, bis in die Dialoge hinein, die Sprache: Sie ist schlicht, prägnant und von einer schartigen Schönheit.
Einzelne Sätze sehen wir scharf ausgeleuchtet. So ist der Boutiquenbesitzer Herr Willert ein wandelndes Verkaufsbenimmbuch, seine Ratschläge durchsetzen musterhaft den Text: "Man darf den Händen die Arbeit nicht ansehen" oder "Achten Sie auf Ihre Figur". Doch dass Maria all diese Direktiven befolgt, nützt ihr gar nichts. Herr Willert, die merkantile Autorität, ist nur scheinbar ein Mann vom alten Schlag, im Augenblick der Entscheidung opfert er die bewährte Kraft dem Spardruck. Jetzt ist Maria der netten Beraterin und dem weniger netten Berater vom Arbeitsamt ausgeliefert, das, trendig in "Arbeitsmarktservice" umgetauft, auch kein freundlicheres Gesicht hat: Unbotmäßigkeit wird bestraft. Und die Ratgeber-Literatur für Arbeitslose vermittelt blanken Hohn: "Machen Sie konsequent, systematisch, parallel, schnell und viel."
Von Beginn an fallen die Uhren ins Auge: die silberne Armbanduhr des erträumten Personalchefs, der Wecker, mit dem in der Hand Maria noch Stunden weiterschläft, die Küchenuhr, die dem dahineilenden Vormittag auf den Fersen ist. Die Uhr läuft, und die Zeit steht still. Die Tagesfreizeit wird zum Gefängnis. Die kleinen Rituale, die Maria liebt, beginnen sie immer mehr einzuschnüren, bis sie sich am Rande einer Depression bewegt. Als Haustier legt sie sich eine Kaulquappe zu, weil eine solche nicht auffällt, aber aus dem Frosch wird kein Märchenprinz. "Der Winter tut den Fischen gut", wie Maria zum Fischverkäufer bemerkt, aber leider der Kühlschrank nicht dem Frosch.
Schlimmere Opfer sind nicht zu beklagen, doch das Abgründige lauert in dieser feinherben Geschichte gleich am Wegesrand. So sagt der Sohn der Apfelfrau zu seiner Mutter: "Wenn du stirbst, fälle ich deine Bäume, sobald du tot umfällst, schneide ich sie alle um." Aber es gibt auch die Hausmeisterin Milica, die für Maria Kaffee kocht und ihr aus dem Satz eine schöne Zukunft liest. Stark muss er schon sein, der Kaffee: "Das ist doch gut, wenn das Herz klopft, wenn man weiß, dass man noch am Leben ist."
DANIELA STRIGL
Anna Weidenholzer: "Der Winter tut den Fischen gut". Roman.
Residenz Verlag, St. Pölten, Salzburg, Wien 2012. 234 S., geb., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Sabine Vogels Rezension zu Anna Weidenholzers Roman "Der Winter tut den Fischen gut" wird selbst zu einem Stück Literatur, wenn sie den nüchternen Stil, in dem die junge Autorin vom trüben Alltag der arbeitslosen und menschenscheuen Maria erzählt, in ihrer Besprechung aufnimmt. Hauptsatz an Hauptsatz reihend, fasst Vogel den Inhalt zusammen: Sinnbildlich für ihre Trostlosigkeit, umgibt sich Maria mit lauter Toten und Schatten, wie der Asche ihres Hundes Berti, der Erinnerung an ihren verstorbenen Mann Walter und dem toten Frosch Otto, der erfroren war, nachdem sie ihn fürsorglich für den Winterschlaf in den Kühlschrank gelegt hatte. Trotz der "hoffnungslos depressiven Geschichte", überträgt Vogel damit eine Situationskomik, die entsteht, wenn sich durch die Weltabgeschiedenheit die Prioritäten des Alltags verschieben. Absolut lesenswert findet sie den Roman, der verdrängte Schicksale von Menschen, die "der Welt verloren gegangen" sind, zurück ins Bewusstsein holt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.02.2013Es graut so grau
Anna Weidenholzers Roman „Der Winter tut den Fischen gut“ erzählt von der Arbeitslosigkeit – und friert dabei selber ein
Was weiß der Anfang schon vom Ende? Dass sich ein Menschenleben nicht kaulquappenhaft nach Plan abspult, ist klar; und doch sieht es im Rückblick perfiderweise manchmal so aus, als ob es eine unheimliche Logik gegeben hätte, als ob es unter den gegebenen sozialen und historischen Bedingungen nicht anders hätte kommen können. Anna Weidenholzers Roman „Der Winter tut den Fischen gut“ folgt einem Leben, in dem vieles nicht geglückt ist, und der erzählerische Trick dieser spröden Geschichte besteht darin, dass sie im Rückwärtsgang erzählt wird. Anna Weidenholzer, 1984 in Linz geboren, hat 2010 den Erzählband „Der Platz des Hundes“ veröffentlicht; in ihrem Romandebüt, das es auf die Shortlist des Leipziger Buchpreises geschafft hat, rollt sie den tristen Alltag der arbeitslosen Maria nach hinten auf in eine Vergangenheit, die auch nicht viel rosiger aussieht als die Gegenwart.
Am Anfang lernen wir Maria in ihren Endvierzigern kennen: Die Textilverkäuferin ist schon längere Zeit arbeitslos, sie verbringt ihre grauen Tage in einer namenlosen österreichischen Kleinstadt, weicht ehemaligen Bekannten aus und geht regelmäßig zum Arbeitsamt, wo man ihr sinnlose Bewerbungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen verordnet. Ihre Umgebung wirkt dabei wie ein Panorama aus gefühllosen „Selber schuld“-Trampeln: Man traktiert sie mit hohler Ratgeberliteratur oder erklärt ihr, dass sie ihr Glück nur energisch genug beim Universum bestellen müsse. Wenn sie ein wenig auf der Parkbank vor der Kirche herumsitzt, wird sie abschätzig gemustert.
Kurz, von überall her wispert man ihr bösartig oder wohlmeinend zu, dass sie Arbeit findet, wenn sie es nur fest genug will: Maria schmort in der missgünstigen Häkelgardinenhölle ihrer Kleinstadt. Sie blickt zu Boden, weicht aus, steckt ein, und je weiter ihre Geschichte zurückgedreht wird, desto deutlicher zeichnet sich die brave, fleißige Dulderin in ihr ab. Das heißt nicht, dass sie notwendigerweise eine hätte werden müssen; aber die meisten Vektoren, die Anna Weidenholzer im Rückwärtsgang anlegt, führen in diese Richtung.
Neunzehn Jahre hat Maria in einer Boutique gearbeitet, und als sie vom Junior-Chef entlassen wird, wehrt sie sich nicht. „Sehen Sie es positiv“, sagt dieser Kotzbrocken, „Sie haben jetzt die Freiheit, von vorn zu beginnen.“ Maria möchte weiterhin keinen Lärm machen.
Diesen Zynismus fängt Anna Weidenholzer geschickt ein, und doch kommt ihr Roman nicht in die Gänge. Er bleibt an der Tristesse eines ereignislosen Daseins hängen, das nur aus Mikro-Sensationen besteht: Der Küchenuhrzeiger schleicht dahin, der Hausmeister grantelt, der Bus kommt zu spät. Wie kann man von einem langweiligen Leben erzählen, ohne dass die Geschichte selbst auch langweilig wird? Wie hält man diesen Alltag aus, ohne an ihm zu verzweifeln oder einzuschlafen?
Anna Weidenholzer hat eine reduzierte, lakonische, sehr durchgearbeitete Sprache gewählt, die sich der Ereignisarmut mimetisch anschmiegt und ebenso auf dem Teppich bleibt wie die Hauptfigur selbst. Oder vielmehr auf dem Boden, den sie so oft anschaut. Das große erzählerische Rätsel, wie man Funken schlägt aus Tristesse und Einsamkeit, löst der Roman damit nicht.
Eine personale Erzählstimme protokolliert Marias schlichte Gedanken, die manchmal ins Schwarze treffen, manchmal aber auch einfach nur nervenaufreibend simpel sind. Wie lässt der Chef eigentlich Frischluft ins Büro, wenn doch immer ein Usambaraveilchen auf der Fensterbank steht? Je weiter sich der Roman in Marias Vergangenheit zurückspult, desto deutlicher zeichnet sich ab, wie überschaubar der Radius dieses Lebens auch früher schon war. Man lernt Maria als Witwe kennen, dann taucht Walter auf, ihr nicht allzu zärtlicher Ehemann. An den Wochenenden schunkeln sie mit Arbeitskollegen, Maria mag Schlager wie „Tränen lügen nicht“ – und Textilien, mit denen sie sich auskennt. Den Stoff ihrer Träume findet sie in der Musik, denn sie wäre gern Schlagersängerin geworden.
Manchmal wird dieses matte Muster von kleinen Skurrilitäten aufgehellt: Maria legt sich ein Haustier zu, und relativ bald ist klar, dass es sich bei diesem Otto um einen Frosch oder genauer – Rückspultaste – um eine Kaulquappe handeln muss. „Wenn einem das Haustier im Kühlschrank gefriert, ist das eine unangenehme Situation“, wird knapp vermerkt. Marias Versuch, Otto im Gemüsefach überwintern zu lassen, ist gescheitert. Über ihr eigenes Überwintern wissen wir nichts, denn der Krebsgang des Romans ist notwendigerweise auf Zukunftslosigkeit angelegt. Nachdem die Rückspultaste lange genug gedrückt wurde, kommt ein kleines Mädchen zum Vorschein, dessen Onkel sich umbringt, weil er die Arbeitslosigkeit nicht mehr erträgt.
Anna Weidenholzer hat ihrem Roman eine Materialliste angefügt, auf der nicht nur Schlager und Ratgeberliteratur vermerkt sind, sondern auch der soziologische Klassiker „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von 1933 der Soziologen Marie Jahoda und Paul F. Lazarsfeld. Die hauchzarten historischen Verweise dieser interessanten Materialliste reichen aber nicht aus, um den Roman aus seiner Graustufigkeit herauszureißen. Weil die Erzählperspektive im ewigen Alltag der Häkelgardinen stecken bleibt, kann sie dem engen Radius nichts hinzufügen. Dieses unverschuldet lethargische Leben entzieht sich den literarischen Wiederbelebungsversuchen – da kann auch ein skurriler Kühlschrankfrosch nichts ausrichten.
JUTTA PERSON
Früher steckten in Fröschen schon mal Prinzen – in Anna Weidenholzers Anti-Märchen steckt im Frosch nur die Kaulquappe, die er mal war.
FOTO: DDP
Anna Weidenholzer:
Der Winter tut den
Fischen gut. Roman.
Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2012. 237 Seiten, 21,50 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Anna Weidenholzers Roman „Der Winter tut den Fischen gut“ erzählt von der Arbeitslosigkeit – und friert dabei selber ein
Was weiß der Anfang schon vom Ende? Dass sich ein Menschenleben nicht kaulquappenhaft nach Plan abspult, ist klar; und doch sieht es im Rückblick perfiderweise manchmal so aus, als ob es eine unheimliche Logik gegeben hätte, als ob es unter den gegebenen sozialen und historischen Bedingungen nicht anders hätte kommen können. Anna Weidenholzers Roman „Der Winter tut den Fischen gut“ folgt einem Leben, in dem vieles nicht geglückt ist, und der erzählerische Trick dieser spröden Geschichte besteht darin, dass sie im Rückwärtsgang erzählt wird. Anna Weidenholzer, 1984 in Linz geboren, hat 2010 den Erzählband „Der Platz des Hundes“ veröffentlicht; in ihrem Romandebüt, das es auf die Shortlist des Leipziger Buchpreises geschafft hat, rollt sie den tristen Alltag der arbeitslosen Maria nach hinten auf in eine Vergangenheit, die auch nicht viel rosiger aussieht als die Gegenwart.
Am Anfang lernen wir Maria in ihren Endvierzigern kennen: Die Textilverkäuferin ist schon längere Zeit arbeitslos, sie verbringt ihre grauen Tage in einer namenlosen österreichischen Kleinstadt, weicht ehemaligen Bekannten aus und geht regelmäßig zum Arbeitsamt, wo man ihr sinnlose Bewerbungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen verordnet. Ihre Umgebung wirkt dabei wie ein Panorama aus gefühllosen „Selber schuld“-Trampeln: Man traktiert sie mit hohler Ratgeberliteratur oder erklärt ihr, dass sie ihr Glück nur energisch genug beim Universum bestellen müsse. Wenn sie ein wenig auf der Parkbank vor der Kirche herumsitzt, wird sie abschätzig gemustert.
Kurz, von überall her wispert man ihr bösartig oder wohlmeinend zu, dass sie Arbeit findet, wenn sie es nur fest genug will: Maria schmort in der missgünstigen Häkelgardinenhölle ihrer Kleinstadt. Sie blickt zu Boden, weicht aus, steckt ein, und je weiter ihre Geschichte zurückgedreht wird, desto deutlicher zeichnet sich die brave, fleißige Dulderin in ihr ab. Das heißt nicht, dass sie notwendigerweise eine hätte werden müssen; aber die meisten Vektoren, die Anna Weidenholzer im Rückwärtsgang anlegt, führen in diese Richtung.
Neunzehn Jahre hat Maria in einer Boutique gearbeitet, und als sie vom Junior-Chef entlassen wird, wehrt sie sich nicht. „Sehen Sie es positiv“, sagt dieser Kotzbrocken, „Sie haben jetzt die Freiheit, von vorn zu beginnen.“ Maria möchte weiterhin keinen Lärm machen.
Diesen Zynismus fängt Anna Weidenholzer geschickt ein, und doch kommt ihr Roman nicht in die Gänge. Er bleibt an der Tristesse eines ereignislosen Daseins hängen, das nur aus Mikro-Sensationen besteht: Der Küchenuhrzeiger schleicht dahin, der Hausmeister grantelt, der Bus kommt zu spät. Wie kann man von einem langweiligen Leben erzählen, ohne dass die Geschichte selbst auch langweilig wird? Wie hält man diesen Alltag aus, ohne an ihm zu verzweifeln oder einzuschlafen?
Anna Weidenholzer hat eine reduzierte, lakonische, sehr durchgearbeitete Sprache gewählt, die sich der Ereignisarmut mimetisch anschmiegt und ebenso auf dem Teppich bleibt wie die Hauptfigur selbst. Oder vielmehr auf dem Boden, den sie so oft anschaut. Das große erzählerische Rätsel, wie man Funken schlägt aus Tristesse und Einsamkeit, löst der Roman damit nicht.
Eine personale Erzählstimme protokolliert Marias schlichte Gedanken, die manchmal ins Schwarze treffen, manchmal aber auch einfach nur nervenaufreibend simpel sind. Wie lässt der Chef eigentlich Frischluft ins Büro, wenn doch immer ein Usambaraveilchen auf der Fensterbank steht? Je weiter sich der Roman in Marias Vergangenheit zurückspult, desto deutlicher zeichnet sich ab, wie überschaubar der Radius dieses Lebens auch früher schon war. Man lernt Maria als Witwe kennen, dann taucht Walter auf, ihr nicht allzu zärtlicher Ehemann. An den Wochenenden schunkeln sie mit Arbeitskollegen, Maria mag Schlager wie „Tränen lügen nicht“ – und Textilien, mit denen sie sich auskennt. Den Stoff ihrer Träume findet sie in der Musik, denn sie wäre gern Schlagersängerin geworden.
Manchmal wird dieses matte Muster von kleinen Skurrilitäten aufgehellt: Maria legt sich ein Haustier zu, und relativ bald ist klar, dass es sich bei diesem Otto um einen Frosch oder genauer – Rückspultaste – um eine Kaulquappe handeln muss. „Wenn einem das Haustier im Kühlschrank gefriert, ist das eine unangenehme Situation“, wird knapp vermerkt. Marias Versuch, Otto im Gemüsefach überwintern zu lassen, ist gescheitert. Über ihr eigenes Überwintern wissen wir nichts, denn der Krebsgang des Romans ist notwendigerweise auf Zukunftslosigkeit angelegt. Nachdem die Rückspultaste lange genug gedrückt wurde, kommt ein kleines Mädchen zum Vorschein, dessen Onkel sich umbringt, weil er die Arbeitslosigkeit nicht mehr erträgt.
Anna Weidenholzer hat ihrem Roman eine Materialliste angefügt, auf der nicht nur Schlager und Ratgeberliteratur vermerkt sind, sondern auch der soziologische Klassiker „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von 1933 der Soziologen Marie Jahoda und Paul F. Lazarsfeld. Die hauchzarten historischen Verweise dieser interessanten Materialliste reichen aber nicht aus, um den Roman aus seiner Graustufigkeit herauszureißen. Weil die Erzählperspektive im ewigen Alltag der Häkelgardinen stecken bleibt, kann sie dem engen Radius nichts hinzufügen. Dieses unverschuldet lethargische Leben entzieht sich den literarischen Wiederbelebungsversuchen – da kann auch ein skurriler Kühlschrankfrosch nichts ausrichten.
JUTTA PERSON
Früher steckten in Fröschen schon mal Prinzen – in Anna Weidenholzers Anti-Märchen steckt im Frosch nur die Kaulquappe, die er mal war.
FOTO: DDP
Anna Weidenholzer:
Der Winter tut den
Fischen gut. Roman.
Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2012. 237 Seiten, 21,50 Euro.
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