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Die ultimative Abrechnung mit dem menschenverachtenden US-Kapitalismus
John Steinbecks letzter Roman ist ein bis heute gültiges Lehrstück über Geld und Moral: Sein Protagonist Ethan Hawley, Hätschelkind der Finanzaristokratie von Long Island, muss sich um materielle Dinge nicht sorgen – bis ihn die Pleite seines Vaters plötzlich zwingt, auf eigenen Beinen zu stehen. Um Frau und Kinder ernähren zu können, tritt er eine schlechtbezahlte Stelle als Verkäufer in einem Lebensmittelladen an. Rasch erkennt jedoch er, dass redliches Tagwerk einen Mann nicht weiterbringt. Unter dem Einfluss seiner…mehr

Produktbeschreibung
Die ultimative Abrechnung mit dem menschenverachtenden US-Kapitalismus

John Steinbecks letzter Roman ist ein bis heute gültiges Lehrstück über Geld und Moral: Sein Protagonist Ethan Hawley, Hätschelkind der Finanzaristokratie von Long Island, muss sich um materielle Dinge nicht sorgen – bis ihn die Pleite seines Vaters plötzlich zwingt, auf eigenen Beinen zu stehen. Um Frau und Kinder ernähren zu können, tritt er eine schlechtbezahlte Stelle als Verkäufer in einem Lebensmittelladen an. Rasch erkennt jedoch er, dass redliches Tagwerk einen Mann nicht weiterbringt. Unter dem Einfluss seiner Frau und dem seines Bankberaters entledigt er sich aller Menschlichkeit und steigt zum skrupellosen Geschäftsmann auf, der ohne Rücksicht auf andere nur den eigenen Vorteil sucht.
Autorenporträt
John Steinbeck (1902-1968) thematisiert in seinen Büchern vor allem die Lebensverhältnisse von einfachen Arbeitern und Außenseitern. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Novelle Von Mäusen und Menschen sowie die Romane Früchte des Zorns und Jenseits von Eden. 1962 erhielt er den Nobelpreis für Literatur und gilt bis heute als einer der erfolgreichsten und beliebtesten Autoren der USA.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2018

Geld will keine Freunde,
es will nur mehr Geld
Anatomie des Finanzregimes: John Steinbecks Roman
„Der Winter unseres Missvergnügens“
Als John Steinbeck im Jahr 1962 den Nobelpreis für Literatur erhielt, sah sich die Schwedische Akademie genötigt zu betonen, der amerikanische Schriftsteller sei in seinem 1961 veröffentlichten Roman „Der Winter unseres Missvergnügens“ wieder zur Form seiner frühen Jahre aufgelaufen. Denn längst schieden sich an Steinbecks Schaffen die Geister, und manches von dem, was er nach der Erzählung „Von Mäusen und Menschen“ (1937) und seinem sozialkritischen Opus magnum „Früchte des Zorns“ (1939) vorgelegt hatte, war zwar bei den Lesern populär, doch von der Literaturkritik kühl bis ablehnend behandelt worden.
Entsprechend erging es dem „Winter“-Roman, der Steinbecks letzter bleiben sollte. Er verkaufte sich gut, aber die Fachwelt sah ihn – mit illustren Ausnahmen wie Saul Bellow – mehrheitlich als Beleg für die literarische Altersschwäche des Autors, für das Verlöschen seiner einst so rebellischen Vitalität. Erst in den Siebzigern, nach dem Watergate-Skandal, revidierten einige Kritiker ihr Urteil und erkannten, was Steinbeck hier gelungen war: eine gnadenlos klarsichtige, literarisch komplexe Darstellung des moralischen und kulturellen Niedergangs der USA während der Eisenhower-Ära.
Das verlässlichste Merkmal bedeutender Literatur ist, dass sie jeder Generation wieder neue Dinge zu sagen hat. Der Roman, dessen Titel den Eingangsvers von Shakespeares „Richard III.“ zitiert, wurde gleich nach Erscheinen ins Deutsche übersetzt, war aber hierzulande fast in der Versenkung verschwunden. Jetzt hat der Manesse-Verlag ihn neu übersetzen lassen und dabei ein Werk zutage gefördert, das bei aller Zeitgebundenheit wie für die Gegenwart geschrieben zu sein scheint. Aus heutiger Perspektive ist es, als hätte der Autor die Verhältnisse, die der US-Kapitalismus der Fünfzigerjahre hervorgebracht und über den ganzen Globus verbreitet hat, samt deren Konsequenzen schon vorausgesehen und im Konflikt seines Antihelden Ethan Hawley auf ihr Grundmuster zurückgeführt. Mit rein erzählerischen Mitteln, unterhaltsam und spannend, komisch auch – obwohl das Attribut „launig“ auf dem Umschlagtext leicht daneben zielt, denn es handelt sich ja um eine Tragödie. Man kann sie, je nach Interessenlage, als die amerikanische oder die menschliche Tragödie lesen.
Ethan Hawley, Ende dreißig, ist der Spross einer alteingesessenen, angesehenen Familie auf Long Island, zu seinen Vorfahren gehören Pilgerväter und Walfangkapitäne. Er ist unversehrt aus dem Zweiten Weltkrieg heimgekehrt und lebt mit seiner Frau Mary und zwei Kindern im ererbten, stattlichen Haus in New Baytown, einer fiktiven Kleinstadt, in der sich John Steinbecks letzter Wohnsitz Sag Harbor wiedererkennen lässt. Der Wermutstropfen im Idyll: Nachdem das Familienvermögen durch unglückliche Umstände schon weitgehend zerronnen war, hat Ethan als Geschäftsmann versagt und musste den (hinreißend beschriebenen) Lebensmittelladen, den er noch von seinem Vater übernehmen konnte, an einen italienischen Einwanderer verkaufen. Bei Signor Marullo arbeitet er nun als Angestellter, was ihn kaum bedrückt, da er keine großen Ambitionen hat und imstande ist, das Vorhandene wertzuschätzen.
Ethan ist ein Spaßmacher und Ironiker, Mary nennt ihn häufig „albern“. Und die Kosenamen, die er für sie erfindet, von „Wippsterz“ bis „Honigbrötchen“, würden heute eindeutig unter das Sexismus-Verdikt fallen. Doch ist er zugleich ein Repräsentant des „alten“ Amerika, mit einem soliden Bildungshintergrund und ethischen Prinzipien – ein ehrenwerter Mann, der hinter der Maske seiner Clownerien ein nachdenkliches, ja grüblerisches Naturell verbirgt. Mary aber wirft ihm seine „altmodischen, überkandidelten Ideen“ vor. Denn sein Typus passt nicht mehr in die Zeit, eine immer nervöser werdende Epoche, die mit Hochgeschwindigkeit unter ein neues, allumfassendes und unentrinnbares Regime taumelt: das des Geldes und der Rendite.
„Der Winter unseres Missvergnügens“ beginnt an einem strahlenden Frühlingsmorgen, der jedoch ein Karfreitag ist. An diesem notorisch „schwarzen“ Tag gerät Ethan Hawley, der eben noch sein Leben genoss, in ein sich immer enger zuziehendes Netz aus Ratschlägen und Einflüsterungen, Forderungen und Versuchungen, und alles wird magisch überhöht durch die Prophezeiung von Margie Young-Hunt, einer Freundin Marys, die gern aus den Tarotkarten liest, wenn sie nicht gerade Männer verführt.
Ethan soll reich werden, den finanziellen Status und Einfluss seiner Vorfahren zurückgewinnen – das sagen die Karten, und so lautet das Fazit der Ansprüche, die seine Familie plötzlich an ihn stellt, und der Anregungen, die ihm Kassierer und Direktor der lokalen Bank zuteil werden lassen. Dazu fügen sich das Bestechungsangebot eines windigen Handelsvertreters und gut gemeinte Tipps vom Ladenbesitzer Marullo, wie man den Profit erhöhen könne. Marullo ist es auch, der seinem Verkäufer die entscheidende, die epochale Lektion erteilt: „Jungchen, vielleicht sind Sie zu nett – zu freundlich. Geld will keine Freunde, will nur mehr Geld.“
Ethan lernt rasch, er verändert sich buchstäblich über Nacht. Um diese Verwandlung plausibel zu machen, lässt Steinbeck in einer Szene seinen Protagonisten physisch spüren, wie ihm sozusagen der Teufel ins Gedärm fährt. Und es gelingt ihm eindrucksvoll, in die schleichende Kontamination der Gedanken und Empfindungen Ethans den Leser wie einen Komplizen mit hineinzuziehen.
Steinbeck arbeitet in diesem Roman mit vielen Kunstgriffen. Er wechselt zweimal den Erzählmodus von der auktorialen zur Ich-Perspektive, unterlegt den Text mit einem System aus Antithesen und Ambivalenzen, Irritationen und Widersprüchen, sodass jede scheinbare Wahrheit auf ihr Gegenteil trifft.
Und er lädt sein Erzählen mit literarischen Bezügen und Bedeutungsschichten auf, von Shakespeare bis Herman Melville, von der Bibel bis zur Artussage (die wichtigsten werden in Ingo Schulzes klugem Nachwort erhellt). Das aber geschieht auf so anstrengungslose Art, dass es unter die einfache Schreibregel zu fallen scheint, die der Bücherliebhaber Ethan irgendwann formuliert: „Eine Geschichte braucht Berührungspunkte mit dem Leser, damit er sich darin geborgen fühlt.“
Ethan Hawley wird in diesem Frühling für ein profitables Grundstück den Selbstmord eines Jugendfreundes in Kauf nehmen und für den Rückerwerb des Ladens den Italiener Marullo als illegalen Einwanderer denunzieren. Vor einem geplanten Bankraub bewahrt ihn knapp ein gnädiges Schicksal. Erst als sein Sohn Allen, ganz Kind der neuen Zeit, aus Geld- und Ruhmgier mit einem aus Plagiaten kompilierten Aufsatz einen nationalen Preis gewinnt, kommt er zur Besinnung.
Der Ausgang bleibt dramatisch ungewiss. Sicher ist hingegen, dass die Nobel-Akademie, so viele Missgriffe man ihr auch nachsagen kann, im Jahr 1962 eine gute Entscheidung getroffen hat.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
„Eine Geschichte braucht
Berührungspunkte
mit dem Leser,
damit er sich
darin geborgen fühlt.“
John Steinbeck:
Der Winter unseres
Missvergnügens.
Roman. Aus dem
Englischen von Bernhard Robben. Manesse Verlag,
München 2018.
608 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Kristina Maidt-Zinke freut sich, dass John Steinbecks Roman "Der Winter unseres Missvergnügens" nun neu übersetzt wurde, denn ihrer Meinung nach hat er bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit erfahren: Die Geschichte über den Ladenangestellten Ethan Hawley, der von seiner Familie und der wachsenden Profitgier in ganz Amerika gedrängt wird, für Geld seine moralischen Ansprüche zu vergessen, ist in ihren Augen nämlich nicht weniger als eine "gnadenlos klarsichtige Darstellung des kulturellen Niedergangs der USA während der Eisenhower-Ära". Darüber hinaus empfindet die Rezensentin den Roman auch als brandaktuell, denn es scheint ihr, als hätte Steinbeck die Folgen der Verbreitung des US-Kapitalismus vorausgesehen. Damit ist der Roman für Maidt-Zinke gar eine Art Tragödie über die derzeitige Menschheit.

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»Eine gnadenlos klarsichtige, literarisch komplexe Darstellung des moralischen und kulturellen Niedergangs der USA während der Eisenhower-Ära. ... Der Ausgang bleibt dramatisch ungewiss. Sicher ist hingegen, dass die Nobel-Akademie ... im Jahr 1962 eine gute Entscheidung getroffen hat.« Süddeutsche Zeitung, Kristina Maidt-Zinke