Mississippi-Delta: Elf lange Jahre saß Russell Gaines im Gefängnis, weil er betrunken Auto fuhr und dabei einen Jugendlichen tötete. Doch am Morgen seiner Entlassung muss er feststellen, dass nicht jeder der Meinung ist, er hätte schon für seine Schuld bezahlt. Am selben Tag stapfen eine Frau namens Maben und ihre kleine Tochter Annalee die Interstate entlang, verzweifelt, erschöpft, und bezahlen mit ihren letzten paar Dollar ein Zimmer für die Nacht - eine Nacht, die damit enden wird, dass Maben mit einer Pistole in der Hand durch die Dunkelheit irrt und ein Deputy tot auf der Straße liegt. Im Morgengrauen kreuzen sich die Wege von Russell und Maben, und der Ex-Sträfling muss sich entscheiden, wessen Leben er retten wird: sein eigenes oder das der Frau und ihrer Tochter.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2019Mord und Melancholie
Krimis in Kürze: Leonardo Padura, Lucía Puenzo und Michael Farris Smith
Im Zeitalter der Serien haben langgediente Romanhelden große Chancen auf eine Neu- oder Wiedergeburt im bewegten Bild. Auch Leonardo Paduras Polizeileutnant Mario Conde, der Held des "Havanna Quartetts" ist ein Mann, den viele eher aus Netflix' "Four Seasons in Havana" kennen als aus Büchern. Was den Romanen dann häufig nützt, weil man mehr erfahren möchte. Conde ist in "Die Durchlässigkeit der Zeit" (Unionsverlag, 442 S., geb., 18,99 [Euro]) längst kein Polizist mehr. Er handelt mit alten Büchern und versucht sich, soweit das in Kuba möglich ist, als eine Art Privatdetektiv, der diesmal in die Welt des illegalen Kunsthandels eintaucht. Bei Padura sind Plots nicht das, worauf es ankommt. Ihm ist der Kriminalroman vor allem ein Instrument, die langsam zerfallende kubanische Gesellschaft zu erkunden.
Er blickt in Parallelwelten, die offiziell nicht existieren, auf die Ränder, wo es entweder für Dollars alles oder Armut und die diversen Spielarten des Verbrechens gibt, die der Sozialismus abgeschafft haben wollte. Conde und seine alten Freunde, sofern sie die Insel nicht verlassen haben, schlagen sich mühsam durch. Melancholische Überlebende, noch nicht zynisch geworden, aber mit jenem Sinn für Ironie, den es braucht, wenn ausgerechnet in Kuba wegen einer wertvollen schwarzen Madonna Morde geschehen.
Weiter südlich, in Argentinien und Uruguay, spielt der beeeindruckende Roman "Die man nicht sieht" (Wagenbach, 208 S., br., 20,- [Euro]) von Lucía Puenzo, Erzählerin und Filmemacherin. Eine Straßenkindergeschichte von Ismael, Enana und dem sechsjährigen Ajo, die geschickte Einbrecher sind. Entwurzelt, weltweiser, als viele Erwachsene je sein werden, alte Kinder, für die "von allem, was sie kannten, Adrenalin das war, was Glücksgefühlen am nächsten kam". Wenn andere in die Sommerferien fahren, schickt sie ihr Auftraggeber, der sie brutal ausnutzt, zum Klauen nach Uruguay, zu einem weitläufigen Areal an der Küste mit neun Villen, in die sie einbrechen und immer nur so viel mitnehmen sollen, dass es nicht unmittelbar auffällt.
Lucía Puenzo hat ein gutes Auge für kleine bizarre Szenen, für Momente, die nicht länger dauern als ein kurzer Kameraschwenk, und das alles ohne großen Kommentar. Sie entwickelt eine spröde Zärtlichkeit für diese Kinder, ohne je sentimental zu werden, sie zeigt in aller Härte, wie gering ihre Chancen sind, diesem Leben zu entkommen, ohne es übermäßig zu dramatisieren. Entsprechend nüchtern, knapp und klar ist die Sprache dieses Romans, den man, wie alle Kriminalromane, die etwas taugen, als Gesellschaftsbild lesen muss.
Das lässt sich mühelos auch von Michael Farris Smiths Roman "Desperation Road" (Ars vivendi, 280 S., geb., 22,- [Euro]) sagen, der sich weniger um einen Fall und dessen Klärung dreht, sondern um Schuld, Sühne und Rache im Kleinstadtmilieu der amerikanischen Südstaaten, tief in Mississippi. Es beginnt, wie die frühen Romane von Denis Johnson begannen, "Angels" zum Beispiel. Eine ausgemergelte junge Frau, die zu Fuß mit ihrer kleinen Tochter neben der Autobahn hergeht. Ein Mann, der nach elf Jahren Gefängnis zurückkehrt und gleich am Busbahnhof zusammengeschlagen wird.
Dann bringt die Frau einen Cop um, der sie vergewaltigt hat, und der Mann gerät hinein in diese Geschichte. Das klingt nach dunkler Fatalität, nach der Ausweglosigkeit, wie sie zum Noir-Prinzip gehört und wie sie der Titel erwarten lässt. Aber Smith ist ein zu neugieriger und eigensinniger Erzähler, um es laufen zu lassen, wie man das kennt. Er interessiert sich für das, was die Rächer treibt und den örtlichen Deputy, einen alten Football-Kumpel von Russell, dem Heimkehrer, der trotz verbüßter Strafe nicht mit sich im Reinen ist.
Smith hat nicht ganz diesen leichten Zug ins Absurde und ins Poetische, der Denis Johnsons Prosa so faszinierend machte, aber er ist vertraut mit der Welt, aus der er erzählt, mit dieser eigentümlichen Mischung aus Gewalttätigkeit, Wut und Verzweiflung und wohin sie führt - was eine schwache Hoffnung auf so etwas wie Erlösung am Ende der "Desperation Road" nicht ausschließen muss.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Leonardo Padura, Lucía Puenzo und Michael Farris Smith
Im Zeitalter der Serien haben langgediente Romanhelden große Chancen auf eine Neu- oder Wiedergeburt im bewegten Bild. Auch Leonardo Paduras Polizeileutnant Mario Conde, der Held des "Havanna Quartetts" ist ein Mann, den viele eher aus Netflix' "Four Seasons in Havana" kennen als aus Büchern. Was den Romanen dann häufig nützt, weil man mehr erfahren möchte. Conde ist in "Die Durchlässigkeit der Zeit" (Unionsverlag, 442 S., geb., 18,99 [Euro]) längst kein Polizist mehr. Er handelt mit alten Büchern und versucht sich, soweit das in Kuba möglich ist, als eine Art Privatdetektiv, der diesmal in die Welt des illegalen Kunsthandels eintaucht. Bei Padura sind Plots nicht das, worauf es ankommt. Ihm ist der Kriminalroman vor allem ein Instrument, die langsam zerfallende kubanische Gesellschaft zu erkunden.
Er blickt in Parallelwelten, die offiziell nicht existieren, auf die Ränder, wo es entweder für Dollars alles oder Armut und die diversen Spielarten des Verbrechens gibt, die der Sozialismus abgeschafft haben wollte. Conde und seine alten Freunde, sofern sie die Insel nicht verlassen haben, schlagen sich mühsam durch. Melancholische Überlebende, noch nicht zynisch geworden, aber mit jenem Sinn für Ironie, den es braucht, wenn ausgerechnet in Kuba wegen einer wertvollen schwarzen Madonna Morde geschehen.
Weiter südlich, in Argentinien und Uruguay, spielt der beeeindruckende Roman "Die man nicht sieht" (Wagenbach, 208 S., br., 20,- [Euro]) von Lucía Puenzo, Erzählerin und Filmemacherin. Eine Straßenkindergeschichte von Ismael, Enana und dem sechsjährigen Ajo, die geschickte Einbrecher sind. Entwurzelt, weltweiser, als viele Erwachsene je sein werden, alte Kinder, für die "von allem, was sie kannten, Adrenalin das war, was Glücksgefühlen am nächsten kam". Wenn andere in die Sommerferien fahren, schickt sie ihr Auftraggeber, der sie brutal ausnutzt, zum Klauen nach Uruguay, zu einem weitläufigen Areal an der Küste mit neun Villen, in die sie einbrechen und immer nur so viel mitnehmen sollen, dass es nicht unmittelbar auffällt.
Lucía Puenzo hat ein gutes Auge für kleine bizarre Szenen, für Momente, die nicht länger dauern als ein kurzer Kameraschwenk, und das alles ohne großen Kommentar. Sie entwickelt eine spröde Zärtlichkeit für diese Kinder, ohne je sentimental zu werden, sie zeigt in aller Härte, wie gering ihre Chancen sind, diesem Leben zu entkommen, ohne es übermäßig zu dramatisieren. Entsprechend nüchtern, knapp und klar ist die Sprache dieses Romans, den man, wie alle Kriminalromane, die etwas taugen, als Gesellschaftsbild lesen muss.
Das lässt sich mühelos auch von Michael Farris Smiths Roman "Desperation Road" (Ars vivendi, 280 S., geb., 22,- [Euro]) sagen, der sich weniger um einen Fall und dessen Klärung dreht, sondern um Schuld, Sühne und Rache im Kleinstadtmilieu der amerikanischen Südstaaten, tief in Mississippi. Es beginnt, wie die frühen Romane von Denis Johnson begannen, "Angels" zum Beispiel. Eine ausgemergelte junge Frau, die zu Fuß mit ihrer kleinen Tochter neben der Autobahn hergeht. Ein Mann, der nach elf Jahren Gefängnis zurückkehrt und gleich am Busbahnhof zusammengeschlagen wird.
Dann bringt die Frau einen Cop um, der sie vergewaltigt hat, und der Mann gerät hinein in diese Geschichte. Das klingt nach dunkler Fatalität, nach der Ausweglosigkeit, wie sie zum Noir-Prinzip gehört und wie sie der Titel erwarten lässt. Aber Smith ist ein zu neugieriger und eigensinniger Erzähler, um es laufen zu lassen, wie man das kennt. Er interessiert sich für das, was die Rächer treibt und den örtlichen Deputy, einen alten Football-Kumpel von Russell, dem Heimkehrer, der trotz verbüßter Strafe nicht mit sich im Reinen ist.
Smith hat nicht ganz diesen leichten Zug ins Absurde und ins Poetische, der Denis Johnsons Prosa so faszinierend machte, aber er ist vertraut mit der Welt, aus der er erzählt, mit dieser eigentümlichen Mischung aus Gewalttätigkeit, Wut und Verzweiflung und wohin sie führt - was eine schwache Hoffnung auf so etwas wie Erlösung am Ende der "Desperation Road" nicht ausschließen muss.
PETER KÖRTE
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