Das Deutsche wird seit etwa 1200 Jahren als Fremdsprache gelernt. Die ältesten Zeugnisse sind mittelalterliche Glossare für Reisende. Im Hochmittelalter florierte die 'direkte Methode': Man lernte Volkssprachen durch mündliche Instruktion. Wirtschaftliche Interessen und Massenvertreibungen im Zeichen von Glaubenskonflikten intensivieren im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit die Nachfrage nach Kenntnissen des Deutschen. Systematischer Deutschunterricht ist im 15. Jahrhundert in Norditalien nachweisbar, und auch in Mittel- und Osteuropa wird in dieser Zeit Deutsch unterrichtet. Eine große Vielfalt von Sprachbüchern, Wörterbüchern, Übungsmaterialien und schließlich auch Lerngrammatiken entsteht im 16. Jahrhundert, und im 17. Jahrhundert existiert bereits ein breites Spektrum von Kozepten und Medien für den Erwerb des Deutschen. Dieses Buch zeichnet erstmals den Gang dieser Entwicklung bis zum Ende des 17. Jahrhunderts.
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Auch früher paukte man Deutsch: Eine Studie von Helmut Glück
"Deutsch als Fremdsprache" ist seit einiger Zeit an vielen deutschen Universitäten ein festes und nützliches Fach. Zwei Väter sind jedenfalls zu nennen: Harald Weinrich als wohl entscheidender Anreger und Hans Maier, der als Minister das Fach in München mit Weinrich installiert hat; von dort breitete es sich aus. Ein neues Fach also, eine "Disziplin" (welch treffende Bezeichnung für ein Fach!). Von daher ist es skurril gewagt, im Blick auf die Epoche vom "Mittelalter bis zur Barockzeit" von "Deutsch als Fremdsprache" zu reden, wie es Helmut Glück in seiner umfangreichen Darstellung tut.
Freilich - insofern, rein vom Wort her, schon richtig - hat es unvermeidlich auch zu jener Zeit nicht so wenige gegeben, die aus diesem oder jenem Grunde das Deutsche oder, genauer, eine Form des Deutschen als Fremdsprache erlernen mußten. Dies gilt aber doch eigentlich immer und überall! Es galt damals für jede andere Sprache in Europa und oft sogar bereits außerhalb Europas, wenn man etwa an die Missionierung denkt. Und für zwei oder drei Sprachen galt es ganz besonders, aus kulturellen Gründen: Es galt, erstaunlich lange über das Mittelalter hinaus, für das Lateinische, dann aber auch, schon vom Mittelalter an, für das Französische; später, im 16. Jahrhundert, war das Italienische die Sprache der Kultur, bis das Französische erneut die Oberhand gewann.
In solcher Rolle war das Deutsche nie - das kam halbwegs später, vom 19. Jahrhundert an, und zwar durch die Entwicklung in den Wissenschaften. Niemand zum Beispiel konnte um 1900 irgendwo Sprachwissenschaft studieren, ohne zuvor Deutsch gelernt zu haben. Oder: Noch vor fünfzig Jahren wurde an der kleinen britischen Universität Leicester - und sicher nicht nur dort - für Naturwissenschaftler ein Kurs "Scientific German" angeboten: Das Interesse an dergleichen dürfte längst ohne Rest geschwunden sein.
Glück breitet materialreich und umsichtig die Gründe aus, warum damals in Deutschland Deutsch gelernt werden mußte: Fernhandel, Wanderungen von Handwerkern, Auslandslehren, Schüleraustausch (auch dieses Wort klingt ungeheuer modern), Fernheiraten, Fernreisen, akademische Wanderungen, Migration, dann die französischsprachigen Glaubensflüchtlinge. Danach "Deutsch als Fremdsprache" anderswo: in Frankreich, Italien, in den baltischen Ländern, in Rußland, den Niederlanden, auf den Britischen Inseln, der Iberischen Halbinsel, in Böhmen und Polen. Schließlich die Sprachbücher - Vokabularien und Grammatiken (oder jedenfalls Ansätze dazu) -, von denen sich einiges schon im Mittelalter findet und die danach an Zahl stark zunehmen. Natürlich muß ein solches Buch einiges bringen, das sich anderswo auch findet. Aber Glück tut dies besonders gut: umfassend orientiert, abgewogen und klar, etwa zu Hochdeutsch, Niederdeutsch, Niederländisch und Jiddisch.
Das Buch - Glück widmet es dem vorzüglichen Potsdamer Grammatikus Eisenberg - ist gut, zum Teil gar launig geschrieben. Und es ist stupend - vor allem in seiner Dokumentierung. Ungeheuer, was es da alles aufzuspüren gab und tatsächlich aufgespürt wurde! Ungut ist nur, daß hier überall schon Sprachwissenschaft gesehen wird. Glücks "Sprachbücher" etwa haben mit Linguistik rein gar nichts zu tun. Es erinnert an die Laien-Frage: "Sie sind Sprachwissenschaftler - wie viele Sprachen sprechen Sie?"
Das Fach gibt es erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Was es vorher an Wissen über Sprachen und an philosophischer Sprachreflexion gab, ist nicht geringzuschätzen (es gilt besonders für die letztere), war aber etwas anderes. Es fehlte etwas eigentümlich Einfaches, was erst mit Männern wie Franz Bopp und Jacob Grimm kam: ein Interesse an der Sprache rein als solcher. Vorher hat man sich - gerade Glücks Buch zeigt es wieder und wieder - für Sprache stets nur im Blick auf anderes interessiert: im Blick auf heilige oder literarisch hochgeschätzte Texte, auf das eigene Volk und vor allem auf die Erkenntnis, die Beschaffenheit des Geistes. Das Interesse an der Sprache mußte davon - dies hatte übrigens auch seine Kosten - erst befreit werden. Es gibt keine "Sprachwissenschaft in Deutschland vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert". Unsicherheit über den Beginn einer Disziplin bedeutet stets auch Unsicherheit im Systematischen: Man weiß nicht mehr, worauf es jetzt in der eigenen Disziplin entscheidend ankommt.
HANS-MARTIN GAUGER.
Helmut Glück: "Deutsch als Fremdsprache in Europa vom Mittelalter bis zur Barockzeit". Verlag Walter de Gruyter, Berlin/ New York 2003. VIII, 606 S., 22 Abb., geb., 34,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Süddeutsche Zeitung
"Das Buch [...] ist gut, zum Teil gar launig geschrieben. Und es ist stupend - vor allem in seiner Dokumentierung. Ungeheuer, was es da alles aufzuspüren gab und tatsächlich aufgespürt wurde!"
Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Insgesamt dürfte die besprochene Monographie auf absehbare Zeit das Standardwerk zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache bleiben."
Markus Hundt in: www.literaturkritik.de
"Mit dieser Studie hat Glück einen bedeutsamen und innovativen Beitrag zur Geschichte des Deutschen vorgelegt."
Nicola Mclelland in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 1/2005