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Die unheimliche Gegengeschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg keine wieder- oder neugeborene Demokratie, sondern eine besiegte Nation, die von Wunderheilern, Hexenprozessen, Obsessionen, apokalyptischen Visionen und Hoffnungen auf einen Messias heimgesucht und erschüttert wurde. Ein Spuk apokalyptischer Visionen und Obsessionen des Bösen sucht Deutschland nach der Niederlage 1945 heim. Bei Massenveranstaltungen treten Messiasgestalten und Wunderheiler auf. Verschwörungserzählungen haben Hochkonjunktur. Bruno Gröning ruft zur »Großen Umkehr«…mehr

Produktbeschreibung
Die unheimliche Gegengeschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg keine wieder- oder neugeborene Demokratie, sondern eine besiegte Nation, die von Wunderheilern, Hexenprozessen, Obsessionen, apokalyptischen Visionen und Hoffnungen auf einen Messias heimgesucht und erschüttert wurde. Ein Spuk apokalyptischer Visionen und Obsessionen des Bösen sucht Deutschland nach der Niederlage 1945 heim. Bei Massenveranstaltungen treten Messiasgestalten und Wunderheiler auf. Verschwörungserzählungen haben Hochkonjunktur. Bruno Gröning ruft zur »Großen Umkehr« und leitet einen göttlichen »Heilstrom« an Kranke weiter. Eine zwanghafte Beschäftigung mit dem Bösen verbindet diese Ereignisse mit dem zurückliegenden Vernichtungskrieg und dem verdrängten Holocaust. Über die Schuld und die Schuldigen wird beharrlich geschwiegen. »Realitätsflucht« und die Unfähigkeit, »zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden«, lautete bereits vor über 70 Jahren die Diagnose von Hannah Arendt. Diese andere, sehr aufschlussreiche Gegengeschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg schildert die international renommierte Sozial- und Kulturhistorikerin Monica Black.

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Autorenporträt
Monica Black ist Associate Professor an der University of Tennessee, Knoxville, und Historikerin des modernen Europas. Sie ist die Herausgeberin der Zeitschrift Central European History und Autorin des preisgekrönten Buches Death in Berlin: From Weimar to Divided Germany und gilt als eine der besten Koryphäen der deutschen wie auch der europäischen Sozial- und Kulturgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021

Im Bann
der Schuld
Monica Black erkundet den
Kult um Hexen und Wunderheiler
im Nachkriegsdeutschland
VON BURKHARD MÜLLER
Das Standardnarrativ der (west-)deutschen Geschichte nach 1945 läuft ungefähr noch immer so: Stunde null, Trümmerfrauen, Währungsreform, Wirtschaftswunder. „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“, das wurde zwar im Osten gesungen (eine Zeit lang wenigstens), aber fast mehr noch im Westen gelebt und geglaubt.
Was dabei auf der Strecke blieb, ist der seelische Zustand der Versehrtheit. Völlig ruiniert und dabei auch noch schuldig von Grund auf zu sein – wer vermag diese Doppellast zu tragen? Eine direkte Auseinandersetzung mit dem, was man einerseits getan und andererseits erlitten hatte, schien da fast unmöglich. Schweigen war das Gebot der Stunde. Aber das Verdrängte kehrt wieder, häufig in schwer erkennbarer Gestalt. In Japan, wo die Atombombe beschwiegen wurde, entstand Godzilla. Und in Deutschland?
In Deutschland waren es, so sieht es die amerikanische Historikerin Monica Black, „Deutsche Dämonen“. So lautet der Titel ihres Buchs, in fetter roter Schrift wie eine Blutspur gesetzt und an den Rändern geschwärzt wie von Rauch. Als Motto wählt sie einen Satz des französischen Soziologen und Jesuiten Michel de Certeau: „Innerhalb der geschlossenen Sphäre eines diabolischen Diskurses haben Unruhe-, Rache- und Hassgefühle sicherlich freie Bahn, wird man sagen, vor allem aber sind sie verlagert und in eine Sprache eingeschlossen, in der sie erneut maskiert und den Zwängen eines anderen Ausdruckssystems unterworfen sind.“
Dieser Satz umreißt Interesse, Vorgehen und Deutung der Autorin: Das scheinbar Irrationale der untersuchten Formen erweist sich als die Verschiebung eines realen Tatbestands, zu dem ganz besonders auch die negativen Affekte zählen. Und dennoch bleibt vor dem „Diskurs“ das kleine Wörtchen „diabolisch“ stehen, das dem alten Widersacher eine primäre Existenz zubilligt – nicht alles lässt sich durch Aufklärung aus der Welt schaffen.
Die junge BRD, schreibt Black, gleiche dem Film noir, der ungefähr zur selben Zeit im französischen und amerikanischen Kino florierte: Man sah, was es zu sehen gab, denn schließlich war es ein Film; aber man war sich nie sicher, was es zu bedeuten hatte. In Deutschland gedieh, wie die Autorin betont, derweil der bunte Heimatfilm, der tat, als gäbe es ein Volksleben voll naturnaher Unschuld, und der auf seine Weise noch viel mehr noir war.
Man ist also gespannt, welche Dämonen nun die Leinwand betreten werden. Der Untertitel, kleiner und ohne Rot, wirkt ein wenig antiklimaktisch und verrät auch gleich schon etwas vom strukturellen Problem dieses Buchs: „Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland“. Ein Wunderheiler ist nicht per se dämonisch, sondern zunächst eher segensreich, und zu den Hexen unterhält er keine näheren Beziehungen. Blacks Buch zerfällt damit in zwei Teile.
Der eine Teil, der die ganze erste Hälfte umfasst und auch den Abschluss bildet, hat es mit dem Wunderheiler Bruno Gröning und einigen seiner Kollegen zu tun; der andere, der mit den Hexen, wird in der Einleitung genannt, aber ansonsten zwischen die Wunderheiler platziert. Die Hexen sind natürlich das fesselndere Thema, aber die Hexerei beziehungsweise die Hexenjagd der Nachkriegszeit verblieb zumeist im engeren Rahmen von Dorf und Nachbarschaft. Als wirklich republikweit aufwühlend erweist sich Bruno Gröning, zu seiner Zeit, wie es heißt, bekannter als Adenauer und Ludwig Erhard.
Das Disparate ihres Ansatzes versucht Black zu plausibilisieren, indem sie die „vertikale“ Struktur der Verehrung für den Wundermann, von unten nach oben wie noch kurz vorher beim Führer, in Kontrast setzt zur „horizontalen“ Wirkungsweise des Hexereiverdachts, der sich gehässig auf die Nachbarn richtet. Gemeinsam ist beiden, dass sie früher oder später immer vor Gericht landen.
Doch finden die Hexenprozesse in den Fünfzigern typischerweise in Dorfgasthäusern und Kinosälen statt und führen zu Verurteilungen wegen Verleumdung und Körperverletzung, die sehr viel förmlicheren Wunderheilertribunale bis hinauf zum Verfassungsgericht erkennen auf Verstöße gegen das Heilpraktikergesetz und fahrlässige Tötung. Es sind also eigentlich zwei Bücher, die ein besonnenes Lektorat besser auch in solche geschieden hätte.
Abgesehen davon ist es ein in jeder Hinsicht lesenswertes Werk geworden. Blacks Stärke liegt in der Archivarbeit. Sie zitiert aus den vielen Zeugnissen, aus denen Argwohn und tiefstes Vertrauen, Verzweiflung und Hass sprechen, vor allem aber ein großes Bedürfnis nicht nur nach Heilung, sondern nach seelischer Reinigung – ohne dass, wovon man sich gereinigt wünscht, je deutlichen Ausdruck gewinnt. Viel ist vom Bösen die Rede und wenig von den Sünden, zumal den eigenen.
Gröning, eine finster charismatische Figur mit – sehr ungewöhnlich für die Zeit – lang wallendem Haupthaar, der sich mit gaunerhaften Aposteln umgibt, heilt bevorzugt solche Kranke, mit denen sich schon Jesus befasst hat: Blinde, Gelähmte, Besessene. Zehntausende harren bei Nacht und Regen vor seinem Domizil nahe Rosenheim aus, ehe er endlich geruht, sich ihnen zu zeigen, um vier Uhr morgens – und Ungezählte genesen auf der Stelle, sobald sie die von ihm ausgesandten Heilwellen spüren, fassen zögernd ihre Krücken und gehen, blinzeln durch Tränen der Ergriffenheit und sehen plötzlich wieder – das alles ist bezeugt. Heute weiß das keiner mehr und will, wie es aussieht, auch kaum einer wissen, denn was für ein Licht wirft es auf den Ursprung unserer Gesellschaft? Black hat die Zeitungsartikel und Briefe, die Akten und Fotos gefunden und zeigt sie uns.
Da sind die Mädchen von Heroldsbach. Der Spiegel hat sie damals aufs Titelblatt gesetzt. Sie waren für ihre Schule in den Wald gegangen, um Herbstlaub zu sammeln. Und es erschien ihnen wie den Hirtinnen von Lourdes die weiß gewandete Madonna. 3000 weitere Visionen schlossen sich an, 1,5 Millionen Pilger machten sich auf nach Heroldsbach, der Vatikan schritt ein.
So friedevoll wie in Lourdes war die Heroldsbacher Madonna allerdings nicht: Sie verhieß, dass alle, die nicht an sie glaubten, von den Sowjets massakriert würden. Da hatten allerdings die Wallfahrtsgegner den Teich, aus dem die Gläubigen ihr Wunderwasser schöpften, bereits mit Gülle vergiftet.
Die Mädchen auf dem Titelbild sind kaum älter als zehn Jahre, könnten also ohne Weiteres heute noch leben (sie wären jetzt Anfang achtzig). So nah ist das alles, und so fern! Vielleicht tut sich eine angelsächsische Forscherin leichter mit diesem Paradox, weil sie zur zeitlichen auch noch die räumlich-sprachliche Distanz zu überbrücken hat.
Sie muss ihrem englischsprachigen Publikum erläutern, was es mit den Oberammergauer Passionsspielen auf sich hat, was „Schwarzschlachten“ bedeutet und was ein „Schweinehund“ ist – jedenfalls weit Schlimmeres als bloß ein „Bastard“. Auch meint „Bastard“ immer den anderen, während der Schweinehund bekanntlich auch der innere sein kann. Wie gerne hört man zu, wenn man von kompetenter Seite sozusagen sich selbst erklärt wird!
In der Hoffnung
auf Erlösung warteten
Zehntausende nachts im Regen
vor dem Haus des
Wunderheilers Bruno Gröning
Die verschiedenen Heftungen und Bindungen werden hier zum
nächsten Produktionsschritt bewegt: den Buchdeckautomaten, der die Bücher mit Covern versieht.

Monica Black:
Deutsche Dämonen.
Hexen, Wunderheiler
und die Geister der
Vergangenheit im
Nachkriegsdeutschland.
Aus dem Englischen von Werner Roller.
Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 423 Seiten, 26 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Monica Black, Professorin für Geschichte an der Universität Tennessee und eine "Koryphäe für deutsche Sozial- und Kulturgeschichte", wie Rezensent Hans von Trotha uns mitteilt, geht in ihrem Buch der Frage nach, wie die Deutschen keine zehn Jahre nach Auschwitz das Wirtschaftswunder aus dem Boden stampfen konnten. Ihre These: Verdrängung machte das möglich. Vor allem die Vorliebe der Deutschen für "Wunderheiler" (heute würde man vielleicht Heilpraktiker sagen) legt ihr dies nahe, erklärt der Rezensent. Besonders sticht dabei der ehemalige Nazi und spätere "Wunderheiler" Bruno Göring hervor, lesen wir, der laut Autorin in Deutschland bekannter gewesen sein soll als Adenauer. Möglich war das durch die "Kurierfreiheit" in Deutschland, die es jedem erlaubt zu heilen, erklärt Trotha. Er lobt die "akribische Quellenarbeit" der Autorin, die ihm ein bislang wenig bekanntes Thema erleuchtet. Etwas unheimlich scheinen ihm seine Landsleute dabei auch geworden zu sein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2021

Durch die Ruinen zieht der Heiler

Seelische Reinigung war nachgefragt: Monica Black widmet sich Gesundbetern und Hexenangst im Nachkriegsdeutschland.

Von Oliver Jungen

Was 1949 auf dem Traberhof in Rosenheim geschah, erinnert an ekstatische Popstar-Verehrung. Tausende Menschen versammelten sich Tag für Tag, um einen Blick auf den dort Hof haltenden Geistheiler Bruno Gröning zu erhaschen. Der langhaarige Sonderling aus Danzig - ehemals einfaches NSDAP-Mitglied, Kriegsgefangener, Vertriebener - war dafür bekannt, Krankheiten qua Energiestrom heilen zu können. Einige Anwesende legten sich, wie ein Polizeibericht mitteilt, sogar mit einer eindeutigen Forderung vor den Wagen des Heilers: "Er solle sie heilen oder über sie hinwegfahren." Die Aufläufe wurden zur Gefahr für die öffentliche Ordnung. Nur das noch aus der NS-Zeit stammende Heilpraktikergesetz machte es möglich, den neuen deutschen Seelen-Messias juristisch unter Druck zu setzen.

Skeptiker gab es durchaus, der bayerische Innenminister sprach von "Massenpsychose", doch viele Politiker und Publizisten glaubten an Gröning, für sie ein Vertreter der ganzheitlichen Naturmedizin. Mit Psychosomatik hatte Grönings Wirken indes wenig zu tun. Böse Menschen könne er nicht heilen, behauptete er. Misserfolge mussten Patienten also ihren Sünden zuschreiben. Offenbar traf diese Gut-Böse-Dichotomie den Zeitgeist. In der von Trümmerfrauen, der (Pseudo-)Stunde null oder einer Rekatholisierung unter Adenauer geprägten Historiografie war bislang wenig von Wunderheilern oder Teufelszauber zu lesen. Das ändert sich nun mit dem Buch von Monica Black, einer Historikerin für moderne europäische Geschichte an der University of Tennessee in Knoxville.

Vor einigen Jahren wurde darüber gestritten, inwiefern der Nationalsozialismus als "Politische Religion" - Eric Voegelin prägte diesen Begriff 1938 - begriffen werden kann: Claus-Ekkehard Bärsch und Michael Burleigh etwa waren entschieden dafür, Hans Mommsen dagegen. Unbestritten aber ist, dass in der Völkischen Bewegung auch spiritistische und esoterische Strömungen aufgingen und der Nationalsozialismus samt Führerkult religiöse Merkmale aufwies. Daraus leitet sich die Grundfrage des vorliegenden Buches ab: Was passiert mit einer Gesellschaft, die von einem Tag auf den nächsten ihrer Heilsmetaphysik abschwören muss?

Blacks unbefangener Blick auf die besiegte, nur partiell entnazifizierte Nation zeigt einen bekannten Mechanismus: "Die Angst vor einem dauerhaften, sogar eine ganze Generation belastenden Makel erzeugt machtvolle Tabus." Die Schuld, die der Bevölkerung allmählich bewusst (gemacht) wurde, war so gewaltig, dass sie sich nur verdrängen ließ. So entstand in der politisch, wirtschaftlich und sozial verunsicherten Nachkriegszeit ein gespenstisches Schweigen über die allen nur zu präsente Vergangenheit. Eine Unfähigkeit, zu trauern, und die Abdrängung der individuellen Schuld in eine folgenlose Kollektivschuld haben freilich schon Hannah Arendt und die Mitscherlichs diagnostiziert.

Die gewissermaßen tiefenpsychologische Arbeitshypothese in diesem Buch lautet darüber hinaus, dass sich das Verdrängte eigene Wege an die Oberfläche suchte. Dass die Dämonen der Deutschen also wiederkehrten, und zwar in der Doppelgestalt von Hexenangst und Wunderglaube: das eine so etwas wie das Nachleben der Denunziation jüdischer Nachbarn - eine "horizontale" Angelegenheit -, das andere, "vertikal" ausgerichtet in Form einer Verehrung von Gesundbetern, als volksfromme Neuformatierung des Führerkults. Und das mit Wucht: der Charismatiker Gröning war laut der "Neuen Illustrierten" im ersten Nachkriegsjahrzehnt "bekannter als Adenauer und Erhard".

Ausgiebig erläutert die Historikerin ihre These, dass die erstaunliche Zahl von "übernatürlichen Massenereignissen" ihre Wurzel "in grauenhaften Erlebnissen, in Formen von Schuld und Scham, Verantwortlichkeit, Misstrauen und Verlust" während der nationalsozialistischen Epoche hat. Und doch liegt der Wert dieser selbst für angloamerikanische Verhältnisse besonders lebensnah erzählenden Studie nicht im Aufstellen einer weiteren steilen These zu den Nachwirkungen der Hitler-Diktatur, sondern in ihrem Detailreichtum, der sich aufwendiger Archivarbeit verdankt. Monica Black zitiert aus unzähligen Berichten, Briefen, Prozessen und Zeitungsartikeln.

Wir begleiten den privatreligiös gottesfürchtigen, jenseits einer Fangemeinde heute fast vergessenen Bruno Gröning vom ersten größeren Heilungserfolg (der nicht lange anhielt) - ein Junge in Herford, der nicht mehr laufen konnte oder wollte - über sämtliche Stationen seines Wegs, den er mit wechselnden Managern zurücklegte (darunter stramme Nationalsozialisten wie der ehemalige SS-Mann Otto Meckelburg), bis zu jenem 1957 beginnenden und mit Grönings Tod (1959) endenden Prozess, in dem er sich für den Tod einer von ihm "therapierten" Jugendlichen verantworten musste. Sie hatte ihre Tuberkulose-Medikamente verweigert.

Nicht nur die Sehnsucht vieler Deutscher nach "seelischer Reinigung" wird in dem Buch deutlich, sondern auch die Zerrissenheit der sich neukonstituierenden Gesellschaft. So zählten zu Grönings Anhängern auch Antinazisten; die Kurierfreiheit war schließlich unter Hitler abgeschafft worden. Vielfach drehten sich die hitzigen Debatten, das zeigt Blacks Analyse, verkappt um tabuisierte Fragen von Schuld und Identität.

So erhellend diese Neuinterpretation der Phase zwischen Kapitulation und Wirtschaftswunder im Lichte einer Erregungsgeschichte ist, bleiben auch Desiderate. Mitunter mutet die Übersetzung etwas störrisch an: "Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass irgendetwas davon mit der Art, wie Gröning Frau Joest oder irgendeine andere Person behandelte, irgendetwas zu tun hatte." Unausgewogen wirkt zudem die Verteilung der Passagen im Hinblick auf horizontale und vertikale Irrationalität: Der um Seitenblicke auf Marienwunder und weitere Heiler ergänzte Gröning-Abschnitt macht den Löwenanteil aus; für die verdeckten Bezüge zum Antisemitismus aufzeigenden Betrachtungen zum "Hexenwahn", der bis Mitte der Fünfzigerjahre zu massiven Ausgrenzungen und wohl mehr als hundert Gerichtsverfahren führte, bleiben nur kurze Zwischenkapitel.

Vor allem aber setzt die Autorin die untersuchten Ereignisse und Debatten nicht in Beziehung zu dem in Südostasien, Afrika oder Lateinamerika bis heute verbreiteten Hexenglauben oder zur weiteren Entwicklung der ganzheitlichen Alternativmedizin in Deutschland. Das wäre wichtig gewesen, weil ja die mentalitätsgeschichtliche Sonderstellung des ersten Nachkriegsjahrzehnts demonstriert werden soll.

Insgesamt aber justiert die Untersuchung den Blick auf die aus Ruinen hervorkriechende (west-)deutsche Gesellschaft neu. Sie zeigt nicht nur, dass der Prozess der Zivilisation weniger stetig verlief, als sich Norbert Elias das vorgestellt hat (was es seit Hans Peter Duerr nicht mehr braucht), sondern vor allem, dass ein Teufelspakt, wie die Deutschen ihn eingegangen sind, über den Untergang hinauswirkt. Gröning war der Therapeut, den der traumatisierte Volkskörper sich selbst erfand; damit war er allerdings Teil des Traumas, nicht der Erneuerung.

Monica Black: "Deutsche Dämonen". Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland.

Aus dem Englischen von Werner Roller. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021. 432 S., geb., 26,- Euro.

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»Die US-Historikerin legt eine instruktive, auf umfangreichen Archiv-Recherchen beruhende Studie vor, die man ebenso gefesselt wie ungläubig liest. Und die mit Blick auf den heutigen Boom von Verschwörungserzählungen oder angeblichen Corona-Wundermedikamenten in mancherlei Hinsicht geradezu unheimlich heutig anmutet.« Oliver Pfohlmann, Neue Züricher Zeitung, 30. Dezember 2021 Oliver Pfohlmann Neue Zürcher Zeitung 20211230