Studienarbeit aus dem Jahr 2022 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universität Leipzig (Institut für Germanistik), Veranstaltung: Seminar "Postkoloniale Theorie und Critical Whiteness", Sprache: Deutsch, Abstract: Inwiefern transportiert Mays Streben nach Völkerverständigung gleichzeitig auch Orientalisierung und Exotismus? Kann sein Werk als repräsentativ für die deutsche Kolonialzeit betrachtet werden? Vertieft Karl May mit der Konstruktion seines weißen, christlichen Helden die Diskrepanz zwischen "Orient" und "Okzident"? Hier soll der Anfang eines Versuchs entstehen, die Subtilität aufzuzeigen, mit der koloniale Ideologie und orientalisierende Darstellungsweisen durch Mays Schaffen verbreitet wurden. Im Jahr 1884 stellt das Deutsche Reich unter Kaiser Wilhelm I. und Reichskanzler Otto von Bismarck zum ersten Mal Gebiete im heutigen Namibia (,Deutsch-Südwestafrika') unter seine Herrschaft. In den nächsten drei Jahrzehnten baut Deutschland seinen Einfluss in Afrika und im Pazifik aus, es will auch seinen ,Platz an der Sonne'. In ebendieser Zeit verfasst Karl May (25.02.1842 - 30.03.1912) seine Winnetou-Trilogie und seinen Orientzyklus (1892), die ihn in Deutschland und vielen anderen Ländern sehr populär werden lassen. Seine Bücher werden millionenfach gelesen, übersetzt und verklärt - May wird mit seinen Erzählungen zum Jahrhundertschriftsteller. Für viele Generationen jugendlicher Leser*innen prägte sein Orientzyklus, dessen Teil auch Durchs wilde Kurdistan ist, über den deutschen Abenteurer Kara Ben Nemsi und seinen Begleiter Hadschi Halef Omar das zentraleuropäische Bild des ,Orients' - in Mays Romanen bedeutet dieser eine andere, ferne Welt um Scheiche, Muslim*innen und Religionskonflikte. Obwohl die Art und Weise, in der sich May ,den Orient' vorstellt, kaum auf neutral verfassten Tatsachen beruht - der Sachse reist erst 1899, über sieben Jahre nach Erscheinen des Orientzyklus tatsächlich nach Vorderasien -, bilden seine Werke für Generationen deutscher Rezipient*innen ein Mosaik aus kulturhistorischen Informationen, das "zur ersten und einzigen Quelle der Information über die Türkei, die arabischen Länder und den Islam wurde", schreibt Peter Brenner in seiner Literaturgeschichte von 2004 über Karl May. Svenja Bach bewertet am Ende ihrer Abhandlung den Einfluss, den Mays Islam- und Orientbild bis heute auf Lesende hat, als eindeutig positiv. Der Literaturwissenschaftler Heinz Stolte erkennt in Karl Mays Romanen sogar die Weiterentwicklung des aufklärerischen Toleranzgedanken, manifestiert in Lessings Nathan der Weise.
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