Das preußisch-deutsche Militär musste sich in nur vier Jahren dem ersten industrialisierten Volkskrieg der Neuzeit anpassen. Welche weit reichenden militärinternen Wandlungsprozesse damit im Bereich der Organisation und in den einzelnen Phasen der Land-, See- und Kolonialkriegführung einhergingen, analysiert Christian Stachelbeck differenziert und gut verständlich. Probleme der immensen Mobilisierung von Menschen und Kriegsmaterial für die Rüstung unterzieht er ebenso einer kritischen Prüfung wie die Wechselwirkungen von Alltagserfahrungen und Motivationen des einfachen Soldaten mit der militärischen Führung.
Die komprimierte, mit Schaubildern illustrierte und Quellentexten angereicherte Gesamtdarstellung erreicht gleichermaßen Fachhistoriker wie das breite Publikum.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2013Kurzer Krieg, schneller Sieg?
Heer und Marine bis 1918
"Mit Blick auf den August 2014 ist eine deutliche Steigerung des öffentlichen Interesses am Ersten Weltkrieg und seinen Streitkräften auch in Deutschland zu erwarten." Das meint Christian Stachelbeck in seinem exzellenten Überblick über die Land-, See- und Kolonialkriegführung des kaiserlichen Deutschlands. Der Mitarbeiter des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr behandelt in vier faktengesättigten, mit Bildern, Karten und Tabellen aufgelockerten Kapiteln "Militärisches Denken und Kriegführung", "Strukturen", "Rüstung" sowie "Alltag, Kriegserfahrungen, Motivationen". Deutlich werden die chaotischen Befehls- und Zuständigkeitsstränge, ebenso die Vorbehalte und Egoismen einzelner Waffengattungen. Der Kaiser fungierte als Bundesfeldherr, mit Stäben und Bevollmächtigten an seiner Seite. Das preußische Kriegsministerium bildete die oberste Militärverwaltungsbehörde, deren Weisungen die Kriegsministerien Sachsens, Württembergs und Bayerns "zumeist" für ihre Kontingente umsetzten. Auch die Kaiserliche Marine litt unter Macht- und Konkurrenzkämpfen sowie Intrigenspielen. Erst im August 1918 etablierte sich eine einheitliche Seekriegsleitung.
Die Überlegenheit an Menschen und an wirtschaftlichem Potential der Entente-Mächte gegenüber den Mittelmächten war schon bei Kriegsbeginn 1914 vorhanden. Daher klammerten sich deutsche General- und Admiralstäbler gern an die Vorstellung vom kurzen Krieg und schnellen Sieg. In dem langen Ringen zwischen 1914 und 1918 leistete dann rund ein Fünftel der Deutschen Militärdienst; zirka zwei Millionen Tote (einschließlich 100 000 "als tot angenommene Verluste) hatte das Heer insgesamt zu beklagen. Die meisten Soldaten kamen durch die unmittelbare Wirkung der gegnerischen Artilleriegeschütze um. Rund ein Zehntel der Todesfälle "resultierte trotz einer verbesserten sanitätsdienstlichen und medizinischen Versorgung aus Krankheiten". Übrigens waren die Kriegsfreiwilligen "anders als bislang angenommen weniger enthusiasmierte junge Männer (Studenten und Schüler) der bürgerlichen Oberschicht. Vielmehr eilten überwiegend Angehörige einer breiten städtischen Arbeiter- und insbesondere Mittelschicht vorrangig aus Pflichtgefühl freiwillig zu den Fahnen." Dem Fehlverhalten des Offizierskorps - schamlose Ausnutzung von Privilegien, Günstlingswirtschaft bei Verpflegung und Urlaub - komme erhebliche Mitschuld am Zusammenbruch 1918 zu: "Dies stand im krassen Gegensatz zum Mythos der alle Gesellschaftsschichten umfassenden Frontgemeinschaft, so wie sie in der Nachkriegsliteratur etwa eines Ernst Jünger gerne gepflegt wurde." Der Mythos von "im Felde unbesiegt" und die Lüge vom "Dolchstoß" habe in der Zwischenkriegszeit auf 1939 eingestimmt. Deutschlands Militäreliten glaubten "in maßloser Selbstunterschätzung", dass sich strategische Unterlegenheit und Ressourcen-Armut durch überlegene Führung und "taktisch-operative Beweglichkeit im Gefecht" ausgleichen ließe.
RAINER BLASIUS
Christian Stachelbeck: Deutschlands Heer und Marine im Ersten Weltkrieg. Oldenbourg Verlag, München 2013. 224 S., 19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heer und Marine bis 1918
"Mit Blick auf den August 2014 ist eine deutliche Steigerung des öffentlichen Interesses am Ersten Weltkrieg und seinen Streitkräften auch in Deutschland zu erwarten." Das meint Christian Stachelbeck in seinem exzellenten Überblick über die Land-, See- und Kolonialkriegführung des kaiserlichen Deutschlands. Der Mitarbeiter des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr behandelt in vier faktengesättigten, mit Bildern, Karten und Tabellen aufgelockerten Kapiteln "Militärisches Denken und Kriegführung", "Strukturen", "Rüstung" sowie "Alltag, Kriegserfahrungen, Motivationen". Deutlich werden die chaotischen Befehls- und Zuständigkeitsstränge, ebenso die Vorbehalte und Egoismen einzelner Waffengattungen. Der Kaiser fungierte als Bundesfeldherr, mit Stäben und Bevollmächtigten an seiner Seite. Das preußische Kriegsministerium bildete die oberste Militärverwaltungsbehörde, deren Weisungen die Kriegsministerien Sachsens, Württembergs und Bayerns "zumeist" für ihre Kontingente umsetzten. Auch die Kaiserliche Marine litt unter Macht- und Konkurrenzkämpfen sowie Intrigenspielen. Erst im August 1918 etablierte sich eine einheitliche Seekriegsleitung.
Die Überlegenheit an Menschen und an wirtschaftlichem Potential der Entente-Mächte gegenüber den Mittelmächten war schon bei Kriegsbeginn 1914 vorhanden. Daher klammerten sich deutsche General- und Admiralstäbler gern an die Vorstellung vom kurzen Krieg und schnellen Sieg. In dem langen Ringen zwischen 1914 und 1918 leistete dann rund ein Fünftel der Deutschen Militärdienst; zirka zwei Millionen Tote (einschließlich 100 000 "als tot angenommene Verluste) hatte das Heer insgesamt zu beklagen. Die meisten Soldaten kamen durch die unmittelbare Wirkung der gegnerischen Artilleriegeschütze um. Rund ein Zehntel der Todesfälle "resultierte trotz einer verbesserten sanitätsdienstlichen und medizinischen Versorgung aus Krankheiten". Übrigens waren die Kriegsfreiwilligen "anders als bislang angenommen weniger enthusiasmierte junge Männer (Studenten und Schüler) der bürgerlichen Oberschicht. Vielmehr eilten überwiegend Angehörige einer breiten städtischen Arbeiter- und insbesondere Mittelschicht vorrangig aus Pflichtgefühl freiwillig zu den Fahnen." Dem Fehlverhalten des Offizierskorps - schamlose Ausnutzung von Privilegien, Günstlingswirtschaft bei Verpflegung und Urlaub - komme erhebliche Mitschuld am Zusammenbruch 1918 zu: "Dies stand im krassen Gegensatz zum Mythos der alle Gesellschaftsschichten umfassenden Frontgemeinschaft, so wie sie in der Nachkriegsliteratur etwa eines Ernst Jünger gerne gepflegt wurde." Der Mythos von "im Felde unbesiegt" und die Lüge vom "Dolchstoß" habe in der Zwischenkriegszeit auf 1939 eingestimmt. Deutschlands Militäreliten glaubten "in maßloser Selbstunterschätzung", dass sich strategische Unterlegenheit und Ressourcen-Armut durch überlegene Führung und "taktisch-operative Beweglichkeit im Gefecht" ausgleichen ließe.
RAINER BLASIUS
Christian Stachelbeck: Deutschlands Heer und Marine im Ersten Weltkrieg. Oldenbourg Verlag, München 2013. 224 S., 19,80 [Euro].
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