Pablo Neruda gilt als einer der bedeutendsten Dichter der Weltliteratur. Mit „20 Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung“ eroberte er die Herzen der Leser weit über die Grenzen Südamerikas hinaus. Vierzig Jahre nach Nerudas Tod wurden nun 21 Gedichte im Nachlass des Nobelpreisträgers entdeckt - darunter auch sechs neue Liebesgedichte.
In »Dich suchte ich« besingt Neruda die Liebe und den Schmerz der Trennung, er erzählt von Chile, von der Natur seines Heimatlandes, vom Reisen. Verse, spontan zu Papier gebracht auf Zetteln, Menükarten, Konzertprogrammen, wie die diesem Band beigefügten Faksimiles zeigen. In diesen erst vor wenigen Jahren entdeckten Gedichten begegnen wir einem der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seines Schaffens.
In »Dich suchte ich« besingt Neruda die Liebe und den Schmerz der Trennung, er erzählt von Chile, von der Natur seines Heimatlandes, vom Reisen. Verse, spontan zu Papier gebracht auf Zetteln, Menükarten, Konzertprogrammen, wie die diesem Band beigefügten Faksimiles zeigen. In diesen erst vor wenigen Jahren entdeckten Gedichten begegnen wir einem der wichtigsten lateinamerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seines Schaffens.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2017Dehne dein Schweigen
Es geht natürlich um die Liebe in den „Nachgelassenen Gedichten“ des chilenischen
Nobelpreisträgers Pablo Neruda, und um Ratschläge an junge unbekannte Dichter
VON RALPH HAMMERTHALER
Gern nannte sich der Dichter Pablo Neruda einen Sänger. Er besang die Liebe, den Weizen und den Himmel, aber auch den Kampf gegen Armut und Unterdrückung. Schon lange vor Bob Dylan also gab es einen Sänger, der den Nobelpreis für Literatur erhielt, im Jahr 1971. „Dich suchte ich“ heißt ein neuer, schön gestalteter Band mit nachgelassenen Gedichten. „Dich suchte ich“ ist eine Zeile aus dem dritten Gedicht, schlicht, doch von der für Neruda so typischen nervösen Sehnsucht ergriffen, genauso wie die Zeile „Deine Füße fasse ich im Schatten“ – „Tus pies toco en la sombra“, so heißt das Buch im Original.
Überraschend wirkt es nicht, wenn der Verlag in Titel und Aufmachung wieder auf den populären Liebesdichter setzt. Denn selten war es früher verkehrt, der Liebsten, verstohlen auch der Zweitliebsten, eine Sammlung mit Nerudas Liebesgedichten zu schenken. Dabei stehen im zweiten Teil, nach dem ersten der „Liebesgedichte“, die stärkeren Verse; noch dazu sind sie in der Überzahl. Am besten nuschelt man sie, um das Pathos zu dämpfen, dylanmäßig vor sich hin, die Stimme kann ruhig etwas kratzen, ein Gedicht hält das aus. Geduckt und etwas verlegen wird der zweite Teil unter der Überschrift „Andere Gedichte“ zusammengefasst.
In einem dieser anderen Gedichte erblickt der alt gewordene Dichter, „Auch auf der Höhe/dieser Jahre/oben auf den/ Kordilleren meines Lebens“, einen jungen Dichter am Strand, Verstreutes auflesend, Zeit vertrödelnd; er erkennt sich selbst in diesem Bild. Wie Rainer Maria Rilke in „Briefe an einen jungen Dichter“ erteilt der Alte dem Jungen unverlangte Ratschläge: „gut, Junge, und nun/höre zu/bewahre/dehne dein Schweigen/bis in dir/die Wörter/reifen.“ Er möge sich nicht groß hervortun „als Schwan,/als Trapezkünstler zwischen Sätzen hoch oben/und dem leeren Rund“. Stattdessen ruft ihn der Alte zur Arbeit, an die Kohlen, ans Feuer, „du musst/dir die Hände beschmutzen/mit verbranntem Öl“.
Der Gefahr, vor lauter Verehrung abzuheben, war sich Neruda durchaus bewusst. „‚Bilde dir nichts ein‘, schrieb jemand/an meine Wand“, heißt es in einem weiteren anderen Gedicht. Anfangs wehrt er den Angriff ab, sieht nichts als eine Projektion darin, die Eitelkeit der selber Eitlen. Zwischendurch aber schlägt eine Überlegung, nur durch ein Komma getrennt, in Gewissheit um: „Vielleicht/bin ich eingebildet,/auch ich bin eingebildet.“ Toll, denkt man, jetzt hat er es gesagt. Aber dann nimmt er das Eingeständnis wieder zurück, spricht von seinen ausgelatschten Schuhen, davon, dass er nur alle fünf Jahre einen neuen Anzug bestellt. Und was die eigenen Gedichte betrifft, so vergesse er sie, kaum dass er sie geschrieben habe. Mit diesen Versen verwandt ist seine „Ode an den Neid“, längst veröffentlicht in „Elementare Oden“. Was tun, wenn dir ein Neider etwas Unliebsames, gar eine Wahrheit an den Kopf wirft? „Ich werde fortfahren zu singen.“
21 Gedichte enthält dieser Band. Anstelle von Titeln tragen sie Nummern, bis auf Nr. 15, „An die Anden“. Wie es passieren konnte, dass die Witwe, Matilde Urrutia, als sie den Nachlass sichtete, 21-mal ein Gedicht übersah, ist schwer vorstellbar. Erst als die Fundación Pablo Neruda in Santiago de Chile 2011 begann, die Originale zu katalogisieren, und zwar Papier für Papier oder auch Fitzel für Fitzel, wurden sie entdeckt. Manche lagen in Schachteln mit anderen Gedichten, die bereits gedruckt worden waren. Manche standen in Schulheften, wiederum mit anderen, bereits gedruckten. Neruda schrieb sie auch auf lose Blätter, auf eine Speisekarte oder das Konzertprogramm einer Schiffsreise. Einige Faksimiles in diesem Buch zeigen eine gut lesbare Handschrift, einmal, auf der Speisekarte, leicht abschüssig, was nicht am Wellengang gelegen haben kann. Korrekturen nahm Neruda entschlossen vor, also wild herumkritzelnd.
In Anmerkungen zu jedem Gedicht erfährt man, wo es gefunden worden ist, was zumeist auch Rückschlüsse erlaubt auf die Zeit der Entstehung. Kreuz und quer wird auf das bereits publizierte Werk verwiesen. Ein Gedicht kommt selten allein. Noch die deutsche Übersetzerin Susanne Lange hat nach Namen recherchiert, die niemandem etwas sagten, nämlich Roa Lynn und Patrick Morgan. Sie stieß auf einen Artikel im New Yorker aus dem Jahr 2016, geschrieben von eben dieser Roa Lynn. Mit Patrick wollte Roa einst eigene Gedichte veröffentlichen, und sie hatte die verwegene Idee, Neruda daheim aufzusuchen und ihn um ein Vorwort zu bitten. Nach dem Mittagessen zog sich Neruda zum Lesen zurück und verfasste für sie ein durch die Lektüre inspiriertes Gedicht. Aber leider ist aus dem Gedichtband der jungen Leute nichts geworden.
Im Gedicht Nr. 18 dämmert die Nacht herauf. Jeder kehrt auf seine Weise nach Hause zurück, der Soldat von seinen Ängsten, sagt Neruda, der Indio von seinem Hunger, der Richter von Müdesein und Unwissen, der Intrigant von seinem Dolchstoß. „Und wie sie alle lege ich die Kleider ab,/schaffe mir in der Nacht aller Menschen/eine kleine Nacht für mich,/meine Frau kommt, Stille herrscht/und der Schlaf kreist wieder um die Welt.“
Ich schaffe mir, schreibt Neruda,
„in der Nacht aller Menschen/
eine kleine Nacht für mich“
Der Dichter im Relief. Ein Neruda-Wandbild im Norden Chiles.
Foto: mauritius images
Pablo Neruda: Dich suchte ich. Nachgelassene Gedichte. Aus dem Spanischen
von Susanne Lange. Luchterhand Literaturverlag, München 2017. 144 Seiten,
18 Euro. E-Book 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Es geht natürlich um die Liebe in den „Nachgelassenen Gedichten“ des chilenischen
Nobelpreisträgers Pablo Neruda, und um Ratschläge an junge unbekannte Dichter
VON RALPH HAMMERTHALER
Gern nannte sich der Dichter Pablo Neruda einen Sänger. Er besang die Liebe, den Weizen und den Himmel, aber auch den Kampf gegen Armut und Unterdrückung. Schon lange vor Bob Dylan also gab es einen Sänger, der den Nobelpreis für Literatur erhielt, im Jahr 1971. „Dich suchte ich“ heißt ein neuer, schön gestalteter Band mit nachgelassenen Gedichten. „Dich suchte ich“ ist eine Zeile aus dem dritten Gedicht, schlicht, doch von der für Neruda so typischen nervösen Sehnsucht ergriffen, genauso wie die Zeile „Deine Füße fasse ich im Schatten“ – „Tus pies toco en la sombra“, so heißt das Buch im Original.
Überraschend wirkt es nicht, wenn der Verlag in Titel und Aufmachung wieder auf den populären Liebesdichter setzt. Denn selten war es früher verkehrt, der Liebsten, verstohlen auch der Zweitliebsten, eine Sammlung mit Nerudas Liebesgedichten zu schenken. Dabei stehen im zweiten Teil, nach dem ersten der „Liebesgedichte“, die stärkeren Verse; noch dazu sind sie in der Überzahl. Am besten nuschelt man sie, um das Pathos zu dämpfen, dylanmäßig vor sich hin, die Stimme kann ruhig etwas kratzen, ein Gedicht hält das aus. Geduckt und etwas verlegen wird der zweite Teil unter der Überschrift „Andere Gedichte“ zusammengefasst.
In einem dieser anderen Gedichte erblickt der alt gewordene Dichter, „Auch auf der Höhe/dieser Jahre/oben auf den/ Kordilleren meines Lebens“, einen jungen Dichter am Strand, Verstreutes auflesend, Zeit vertrödelnd; er erkennt sich selbst in diesem Bild. Wie Rainer Maria Rilke in „Briefe an einen jungen Dichter“ erteilt der Alte dem Jungen unverlangte Ratschläge: „gut, Junge, und nun/höre zu/bewahre/dehne dein Schweigen/bis in dir/die Wörter/reifen.“ Er möge sich nicht groß hervortun „als Schwan,/als Trapezkünstler zwischen Sätzen hoch oben/und dem leeren Rund“. Stattdessen ruft ihn der Alte zur Arbeit, an die Kohlen, ans Feuer, „du musst/dir die Hände beschmutzen/mit verbranntem Öl“.
Der Gefahr, vor lauter Verehrung abzuheben, war sich Neruda durchaus bewusst. „‚Bilde dir nichts ein‘, schrieb jemand/an meine Wand“, heißt es in einem weiteren anderen Gedicht. Anfangs wehrt er den Angriff ab, sieht nichts als eine Projektion darin, die Eitelkeit der selber Eitlen. Zwischendurch aber schlägt eine Überlegung, nur durch ein Komma getrennt, in Gewissheit um: „Vielleicht/bin ich eingebildet,/auch ich bin eingebildet.“ Toll, denkt man, jetzt hat er es gesagt. Aber dann nimmt er das Eingeständnis wieder zurück, spricht von seinen ausgelatschten Schuhen, davon, dass er nur alle fünf Jahre einen neuen Anzug bestellt. Und was die eigenen Gedichte betrifft, so vergesse er sie, kaum dass er sie geschrieben habe. Mit diesen Versen verwandt ist seine „Ode an den Neid“, längst veröffentlicht in „Elementare Oden“. Was tun, wenn dir ein Neider etwas Unliebsames, gar eine Wahrheit an den Kopf wirft? „Ich werde fortfahren zu singen.“
21 Gedichte enthält dieser Band. Anstelle von Titeln tragen sie Nummern, bis auf Nr. 15, „An die Anden“. Wie es passieren konnte, dass die Witwe, Matilde Urrutia, als sie den Nachlass sichtete, 21-mal ein Gedicht übersah, ist schwer vorstellbar. Erst als die Fundación Pablo Neruda in Santiago de Chile 2011 begann, die Originale zu katalogisieren, und zwar Papier für Papier oder auch Fitzel für Fitzel, wurden sie entdeckt. Manche lagen in Schachteln mit anderen Gedichten, die bereits gedruckt worden waren. Manche standen in Schulheften, wiederum mit anderen, bereits gedruckten. Neruda schrieb sie auch auf lose Blätter, auf eine Speisekarte oder das Konzertprogramm einer Schiffsreise. Einige Faksimiles in diesem Buch zeigen eine gut lesbare Handschrift, einmal, auf der Speisekarte, leicht abschüssig, was nicht am Wellengang gelegen haben kann. Korrekturen nahm Neruda entschlossen vor, also wild herumkritzelnd.
In Anmerkungen zu jedem Gedicht erfährt man, wo es gefunden worden ist, was zumeist auch Rückschlüsse erlaubt auf die Zeit der Entstehung. Kreuz und quer wird auf das bereits publizierte Werk verwiesen. Ein Gedicht kommt selten allein. Noch die deutsche Übersetzerin Susanne Lange hat nach Namen recherchiert, die niemandem etwas sagten, nämlich Roa Lynn und Patrick Morgan. Sie stieß auf einen Artikel im New Yorker aus dem Jahr 2016, geschrieben von eben dieser Roa Lynn. Mit Patrick wollte Roa einst eigene Gedichte veröffentlichen, und sie hatte die verwegene Idee, Neruda daheim aufzusuchen und ihn um ein Vorwort zu bitten. Nach dem Mittagessen zog sich Neruda zum Lesen zurück und verfasste für sie ein durch die Lektüre inspiriertes Gedicht. Aber leider ist aus dem Gedichtband der jungen Leute nichts geworden.
Im Gedicht Nr. 18 dämmert die Nacht herauf. Jeder kehrt auf seine Weise nach Hause zurück, der Soldat von seinen Ängsten, sagt Neruda, der Indio von seinem Hunger, der Richter von Müdesein und Unwissen, der Intrigant von seinem Dolchstoß. „Und wie sie alle lege ich die Kleider ab,/schaffe mir in der Nacht aller Menschen/eine kleine Nacht für mich,/meine Frau kommt, Stille herrscht/und der Schlaf kreist wieder um die Welt.“
Ich schaffe mir, schreibt Neruda,
„in der Nacht aller Menschen/
eine kleine Nacht für mich“
Der Dichter im Relief. Ein Neruda-Wandbild im Norden Chiles.
Foto: mauritius images
Pablo Neruda: Dich suchte ich. Nachgelassene Gedichte. Aus dem Spanischen
von Susanne Lange. Luchterhand Literaturverlag, München 2017. 144 Seiten,
18 Euro. E-Book 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2018Briefe an sein jüngeres Ich
Gedichte aus dem Nachlass von Pablo Neruda
1952, vermutlich auf dem Rückflug von Europa nach Uruguay, schreibt Pablo Neruda ein Gedicht auf die Menükarte, ein Liebesgedicht. Es spricht vom roten Blitz des Haars der Geliebten und beteuert (in deutscher Übersetzung): "Du und ich, wir sind die Erde mit ihren Früchten." Großzügig taucht das Gedicht die Nähe der Liebenden in ein weltumspannendes Pathos. Man meint die Freundin und Muse dicht neben dem schreibenden Dichter sitzen zu sehen. Das ist nicht abwegig, da sich auf der Menükarte auch noch die folgende Notiz findet: "Am 29. Dezember 1952 - 11 Uhr morgens - in 3500 Metern Höhe fliegend - zwischen Recife und Río Janeiro". Sie trägt die Handschrift Matilde Urrutias. Matilde war seit 1946 die Geliebte und Muse Nerudas und seit 1955 seine Frau. Sie war es auch, die des Dichters Nachlass ordnete, ehe sie selbst 1985 starb, zwölf Jahre nach Nerudas Tod.
Als in späteren Jahren die Fundación Pablo Neruda sich daranmachte, die Originalmanuskripte und Typoskripte vollständig zu katalogisieren, zeigte es sich, dass der Witwe eine Reihe von Gedichten entgangen war. Diese Texte wurden 2014 von der Fundación publiziert und sind jetzt in der Übersetzung Susanne Langes in einem schön gemachten Band vereinigt. "Dich suchte ich" enthält sechs Liebesgedichte und fünfzehn weitere Poesien, in denen der Eros Nerudas sich an anderen Themen abarbeitet.
Die wiedergefundenen Gedichte reichen von den frühen fünfziger Jahren bis in die Zeit kurz vor dem Tod des Dichters 1973. Sie wurden in Schulhefte und auf Schreibblöcke geschrieben, aber auch auf Speisekarten und Konzertprogramme. Manches ist handschriftlich durchkorrigiert, anderes zeigt nur minimale Eingriffe. Der Leser kann das auf gut zwanzig brauntonigen Faksimiles nachvollziehen, soweit er die Originale zu entziffern vermag. Manchmal wäre der spanische Klartext hilfreich gewesen.
Natürlich kreisen alle Liebesgedichte um Matilde. Gleich das erste nennt sie beim Namen und rühmt "die Küsse, die dein Mund mich lehrte". Das vierte Gedicht - vermutlich von 1964 - macht die Geliebte zu einer antiken Göttin und erweitert den Gedichtraum zur revolutionären Epoche. Auch die anderen Gedichte variieren die bekannten Themen Nerudas, die Liebe, die Landschaft und Natur Chiles, den tätigen Menschen und dessen Handwerk - auch das Handwerk des Dichters.
Das siebte Gedicht liest sich als Brief an einen jungen Kollegen. Doch der Adressat ist kein ratsuchender Novize wie in Rilkes berühmten Briefen an Franz Xaver Kappus, sondern der junge Mann, der Neruda selbst war. Diesem einstigen Ich verleiht der Dichter die Figur eines Heizers und beschwört ihn, ein guter und ehrlicher Arbeiter zu sein: "Vergiss nicht die Deinen / oder die Erde, / werde hart / gehe / über die spitzen Steine / und kehre zurück."
Das klingt wie ein Motto für alle Poesie, die Neruda schrieb, so auch für die nachgelassenen Gedichte. Nr. 18 ist ein Hymnus auf die menschlichen Berufe. Zu Beginn steht wiederum der Heizer und zum Schluss - quasi als krönende Synthese - die Frau: "Meine Frau kommt, Stille herrscht / und der Schlaf kreist wieder um die Welt." Man kann die Rolle der Frau in Nerudas Poesie gar nicht überschätzen. Sie übersteigt noch die Thematik von Kommunismus und Befreiung, und selbst Nerudas zeitweilige Begeisterung für die sowjetische Eroberung des "unbelebten Himmels" ist von seiner Bewunderung des Weiblichen durchtränkt. In einer Rede hat der Dichter es drastisch formuliert und mit Blick auf die "schöne Kosmonautin Walentina" formuliert, die Reisen in den Kosmos seien nicht vollständig gewesen, bevor eine Frau hinauf und wieder zurückgeflogen sei. Sagen wir also, alle Gedichte Nerudas sind im Grunde Liebesgedichte.
HARALD HARTUNG
Pablo Neruda:
"Dich suchte ich". Nachgelassene Gedichte.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Luchterhand Literaturverlag. München 2017. 139 S., Abb., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gedichte aus dem Nachlass von Pablo Neruda
1952, vermutlich auf dem Rückflug von Europa nach Uruguay, schreibt Pablo Neruda ein Gedicht auf die Menükarte, ein Liebesgedicht. Es spricht vom roten Blitz des Haars der Geliebten und beteuert (in deutscher Übersetzung): "Du und ich, wir sind die Erde mit ihren Früchten." Großzügig taucht das Gedicht die Nähe der Liebenden in ein weltumspannendes Pathos. Man meint die Freundin und Muse dicht neben dem schreibenden Dichter sitzen zu sehen. Das ist nicht abwegig, da sich auf der Menükarte auch noch die folgende Notiz findet: "Am 29. Dezember 1952 - 11 Uhr morgens - in 3500 Metern Höhe fliegend - zwischen Recife und Río Janeiro". Sie trägt die Handschrift Matilde Urrutias. Matilde war seit 1946 die Geliebte und Muse Nerudas und seit 1955 seine Frau. Sie war es auch, die des Dichters Nachlass ordnete, ehe sie selbst 1985 starb, zwölf Jahre nach Nerudas Tod.
Als in späteren Jahren die Fundación Pablo Neruda sich daranmachte, die Originalmanuskripte und Typoskripte vollständig zu katalogisieren, zeigte es sich, dass der Witwe eine Reihe von Gedichten entgangen war. Diese Texte wurden 2014 von der Fundación publiziert und sind jetzt in der Übersetzung Susanne Langes in einem schön gemachten Band vereinigt. "Dich suchte ich" enthält sechs Liebesgedichte und fünfzehn weitere Poesien, in denen der Eros Nerudas sich an anderen Themen abarbeitet.
Die wiedergefundenen Gedichte reichen von den frühen fünfziger Jahren bis in die Zeit kurz vor dem Tod des Dichters 1973. Sie wurden in Schulhefte und auf Schreibblöcke geschrieben, aber auch auf Speisekarten und Konzertprogramme. Manches ist handschriftlich durchkorrigiert, anderes zeigt nur minimale Eingriffe. Der Leser kann das auf gut zwanzig brauntonigen Faksimiles nachvollziehen, soweit er die Originale zu entziffern vermag. Manchmal wäre der spanische Klartext hilfreich gewesen.
Natürlich kreisen alle Liebesgedichte um Matilde. Gleich das erste nennt sie beim Namen und rühmt "die Küsse, die dein Mund mich lehrte". Das vierte Gedicht - vermutlich von 1964 - macht die Geliebte zu einer antiken Göttin und erweitert den Gedichtraum zur revolutionären Epoche. Auch die anderen Gedichte variieren die bekannten Themen Nerudas, die Liebe, die Landschaft und Natur Chiles, den tätigen Menschen und dessen Handwerk - auch das Handwerk des Dichters.
Das siebte Gedicht liest sich als Brief an einen jungen Kollegen. Doch der Adressat ist kein ratsuchender Novize wie in Rilkes berühmten Briefen an Franz Xaver Kappus, sondern der junge Mann, der Neruda selbst war. Diesem einstigen Ich verleiht der Dichter die Figur eines Heizers und beschwört ihn, ein guter und ehrlicher Arbeiter zu sein: "Vergiss nicht die Deinen / oder die Erde, / werde hart / gehe / über die spitzen Steine / und kehre zurück."
Das klingt wie ein Motto für alle Poesie, die Neruda schrieb, so auch für die nachgelassenen Gedichte. Nr. 18 ist ein Hymnus auf die menschlichen Berufe. Zu Beginn steht wiederum der Heizer und zum Schluss - quasi als krönende Synthese - die Frau: "Meine Frau kommt, Stille herrscht / und der Schlaf kreist wieder um die Welt." Man kann die Rolle der Frau in Nerudas Poesie gar nicht überschätzen. Sie übersteigt noch die Thematik von Kommunismus und Befreiung, und selbst Nerudas zeitweilige Begeisterung für die sowjetische Eroberung des "unbelebten Himmels" ist von seiner Bewunderung des Weiblichen durchtränkt. In einer Rede hat der Dichter es drastisch formuliert und mit Blick auf die "schöne Kosmonautin Walentina" formuliert, die Reisen in den Kosmos seien nicht vollständig gewesen, bevor eine Frau hinauf und wieder zurückgeflogen sei. Sagen wir also, alle Gedichte Nerudas sind im Grunde Liebesgedichte.
HARALD HARTUNG
Pablo Neruda:
"Dich suchte ich". Nachgelassene Gedichte.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Luchterhand Literaturverlag. München 2017. 139 S., Abb., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Eine gelungene Auswahl an Gedichten: Wir erkennen den großen Meister wieder; seine poetisch-epische Sprachgewalt, reich an Metaphern, Bildern und Allegorien, lernen wir einmal mehr schätzen.« Ute Evers / Neues Deutschland