An diesem Buch werden sich Kapitalismuskritiker die Zähne ausbeißen. Zitelmann prüft die zehn häufigsten Einwände gegen den Kapitalismus: Kapitalismus führe zu Hunger und Armut, zu steigender Ungleichheit, zu überflüssigem Konsum, zu Umweltzerstörung und Klimawandel. Im Kapitalismus zähle nur der Profit zu Lasten der Menschlichkeit, im Kapitalismus dominierten Monopole, und die Demokratie werde ausgehöhlt. Zitelmann setzt sich mit jedem dieser Argumente ausführlich auseinander und zeigt: Nicht der Kapitalismus hat versagt, sondern alle antikapitalistischen Experimente der vergangenen 100 Jahre. Dabei argumentiert er nicht theoretisch, sondern wartet mit einer Fülle überraschender Fakten und historischer Tatsachen auf. Der zweite Teil des Buches handelt davon, wie die Menschen in Europa, den USA und Asien zum Kapitalismus stehen. Um das zu erkunden, hat Zitelmann bei dem renommierten Umfrageinstitut Ipsos MORI eine Umfrage in 14 Ländern in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse hier erstmals vorgestellt werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2022Warum die Kapitalismuskritik irrt
Rainer Zitelmann nimmt sich Antikapitalisten vor
Kapitalismuskritische Bücher gibt es viele, darunter Bestseller wie Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert". Bücher, die "Mehr Kapitalismus wagen" wollen, wie Friedrich Merz 2008, sind dagegen rar gesät. Die meisten stammen von Rainer Zitelmann. Seine Karriere begann er als ein aufsehenerregender Historiker, der mit seiner Dissertation eine lange Debatte über die modernisierenden Effekte des Nationalsozialismus anstieß. Nach Stationen als Lektor und Journalist gründete er ein erfolgreiches Unternehmen und ist schließlich mit einer zweiten Promotion in der Soziologie ("Psychologie der Superreichen") und Wirtschaftspublizistik angekommen. Politisch entwickelte er sich vom Maoisten zum Radikalliberalen.
Seine Philosophie bringt Zitelmann anschaulich zum Ausdruck: "Stellen Sie sich ein Reagenzglas vor, in dem sich die Elemente Staat und Markt, Sozialismus und Kapitalismus befinden. Und dann geben Sie in dieses Reagenzglas mehr Markt ein, so wie es die Chinesen seit den 1980er-Jahren getan haben: Das Ergebnis ist eine Abnahme der Armut und eine Zunahme des Wohlstandes. Oder Sie geben in das Reagenzglas mehr Staat ein, so wie es die Sozialisten in Venezuela seit 1999 getan haben. Das Ergebnis ist mehr Armut und weniger Wohlstand."
Bringen aber mehr Markt und mehr Kapitalismus nicht zwangsläufig mehr Armut und Ungleichheit mit sich? Das sind zwei verschiedene Annahmen. Die erste kann Zitelmann mit Steven Pinker, Hans Rosling sowie den Historikern Fernand Braudel und Werner Plumpe eindrucksvoll widerlegen. Denn die Annahme basiert auf einer romantischen Vorstellung der größtenteils von Armut und von Hunger geprägten Lebensverhältnisse der vorkapitalistischen Zeit. Der Kapitalismus brachte steigende Löhne, höhere Kaufkraft, sinkende Arbeitszeiten, mehr Arbeitsmöglichkeiten und eine "materielle Hintergrundentlastung" (Plumpe), die kein anderes Wirtschaftssystem bieten konnte. Hinzuzufügen wäre allerdings, dass die Anpassungsschocks doch sehr drastisch ausfielen.
Was ist aber mit der wachsenden Ungleichheit? Zum einen stimme dieser Befund im globalen Vergleich nicht. Ferner sei die Gruppe der statistisch erfassten Reichen nicht stabil; jeweils unterschiedliche Personen gehören dazu, wie der Abstieg zahlreicher Erben zeige. In der von Piketty ausgemachten Hochphase der wachsenden Ungleichheit zwischen 1990 und 2010 seien zum anderen 700 Millionen Menschen der extremen Armut entkommen. Für Zitelmann ist Ungleichheit schlicht kein Problem, solange die Armut sinkt und mehr Menschen in Wohlstand kommen.
Auf vielen weiteren Feldern entlarvt Zitelmann antikapitalistische Mythen. So zeigt er, dass der Grad ökonomischer Freiheit mit einer guten Umweltbilanz korreliert, zyklische Krisen produktiv sind, ökonomisches Kapital nicht einfach in politische Macht konvertiert werden kann und kapitalistische Gesellschaften keineswegs kriegslüsterner sind. Schon gar nicht führen sie in den Faschismus, hier knüpft Zitelmann an seine frühen Arbeiten an. In der NS-Zeit galt ein Primat der Politik über alle Wirtschaftsinteressen. Vor allem war der Faschismus nicht eine Funktion des Finanzkapitals, wie die Spendenströme vor 1933 zeigen.
Die mitreißenden Ausführungen provozieren einige Einwände. Hinsichtlich Corona verweist Zitelmann kursorisch darauf, dass die Impfstoffe von kapitalistischen Pharmaunternehmen entwickelt wurden. Aber was ist mit der staatlichen Förderung und Distribution der Vakzine, was mit Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen? Wie gehen kapitalistische Systeme generell mit exogenen Schocks wie Naturkatastrophen und Pandemien um? Gilt auch hier die Empfehlung weniger Staat und mehr Markt? Und wenn nein, wie kann man das in die Reagenzglastheorie integrieren?
Zitelmann scheint für Krankheiten und Unglücksfälle staatliche Hilfe zu akzeptieren. Lebt aber eine prosperierende Gesellschaft darüber hinaus nicht gerade davon, dass den Interessen der Beschäftigten durch Sozialversicherungen, Gewerkschaften und rechtliche Absicherungen Rechnung getragen und die Wirtschaftsbeziehungen so befriedet werden? Das wusste schon Bismarck, als er die Sozialversicherungen in Deutschland einführte. Auch die Kritik an der "Überflussgesellschaft" seit John Kenneth Galbraith kann durch den richtigen Verweis auf die elitäre Konsumkritik, welche die eigenen Konsumwünsche für die richtigen und die des Pöbels für manipuliert hält, nicht vollständig entkräftet werden. Zwar ist die geplante Obsoleszenz von Produkten ein Mythos. Aber die permanente künstliche Stimulierung von Konsumwünschen hat nichttriviale Folgen. Das Smartphone zeigt allerdings einen umgekehrten Effekt: Ein innovatives Produkt kann Dutzende Einzelgeräte überflüssig machen.
Zitelmann fügt zwei Kapitel an, in denen er die Schrecken des real existierenden Sozialismus von der Sowjetunion bis Kambodscha bilanziert und eigens in Auftrag gegebene Umfragen zur Einstellung verschiedener Gesellschaften zum Kapitalismus vorstellt. Am Ende ist für ihn der Antikapitalismus eine politische Religion, die nichts mit Vernunft zu tun hat, sondern von nicht eingestandenen Gefühlen wie Neid motiviert ist. Mit etlichen Daten und Fakten nimmt Zitelmann den Antikapitalisten mit ihrem Nullsummenglauben, dass es den Armen hülfe, wenn es den Wohlhabenden schlechter ginge, den Wind aus den Segeln. In der Debatte mit ordoliberalen Monopolkritikern würde er sich wohl schwerer tun. Oder? PETER HOERES
Rainer Zitelmann. Die 10 Irrtümer der Anti-Kapitalisten. Zur Kritik der Kapitalismuskritik. München: FinanzBuch Verlag 2022, 464 Seiten, 25 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rainer Zitelmann nimmt sich Antikapitalisten vor
Kapitalismuskritische Bücher gibt es viele, darunter Bestseller wie Thomas Pikettys "Das Kapital im 21. Jahrhundert". Bücher, die "Mehr Kapitalismus wagen" wollen, wie Friedrich Merz 2008, sind dagegen rar gesät. Die meisten stammen von Rainer Zitelmann. Seine Karriere begann er als ein aufsehenerregender Historiker, der mit seiner Dissertation eine lange Debatte über die modernisierenden Effekte des Nationalsozialismus anstieß. Nach Stationen als Lektor und Journalist gründete er ein erfolgreiches Unternehmen und ist schließlich mit einer zweiten Promotion in der Soziologie ("Psychologie der Superreichen") und Wirtschaftspublizistik angekommen. Politisch entwickelte er sich vom Maoisten zum Radikalliberalen.
Seine Philosophie bringt Zitelmann anschaulich zum Ausdruck: "Stellen Sie sich ein Reagenzglas vor, in dem sich die Elemente Staat und Markt, Sozialismus und Kapitalismus befinden. Und dann geben Sie in dieses Reagenzglas mehr Markt ein, so wie es die Chinesen seit den 1980er-Jahren getan haben: Das Ergebnis ist eine Abnahme der Armut und eine Zunahme des Wohlstandes. Oder Sie geben in das Reagenzglas mehr Staat ein, so wie es die Sozialisten in Venezuela seit 1999 getan haben. Das Ergebnis ist mehr Armut und weniger Wohlstand."
Bringen aber mehr Markt und mehr Kapitalismus nicht zwangsläufig mehr Armut und Ungleichheit mit sich? Das sind zwei verschiedene Annahmen. Die erste kann Zitelmann mit Steven Pinker, Hans Rosling sowie den Historikern Fernand Braudel und Werner Plumpe eindrucksvoll widerlegen. Denn die Annahme basiert auf einer romantischen Vorstellung der größtenteils von Armut und von Hunger geprägten Lebensverhältnisse der vorkapitalistischen Zeit. Der Kapitalismus brachte steigende Löhne, höhere Kaufkraft, sinkende Arbeitszeiten, mehr Arbeitsmöglichkeiten und eine "materielle Hintergrundentlastung" (Plumpe), die kein anderes Wirtschaftssystem bieten konnte. Hinzuzufügen wäre allerdings, dass die Anpassungsschocks doch sehr drastisch ausfielen.
Was ist aber mit der wachsenden Ungleichheit? Zum einen stimme dieser Befund im globalen Vergleich nicht. Ferner sei die Gruppe der statistisch erfassten Reichen nicht stabil; jeweils unterschiedliche Personen gehören dazu, wie der Abstieg zahlreicher Erben zeige. In der von Piketty ausgemachten Hochphase der wachsenden Ungleichheit zwischen 1990 und 2010 seien zum anderen 700 Millionen Menschen der extremen Armut entkommen. Für Zitelmann ist Ungleichheit schlicht kein Problem, solange die Armut sinkt und mehr Menschen in Wohlstand kommen.
Auf vielen weiteren Feldern entlarvt Zitelmann antikapitalistische Mythen. So zeigt er, dass der Grad ökonomischer Freiheit mit einer guten Umweltbilanz korreliert, zyklische Krisen produktiv sind, ökonomisches Kapital nicht einfach in politische Macht konvertiert werden kann und kapitalistische Gesellschaften keineswegs kriegslüsterner sind. Schon gar nicht führen sie in den Faschismus, hier knüpft Zitelmann an seine frühen Arbeiten an. In der NS-Zeit galt ein Primat der Politik über alle Wirtschaftsinteressen. Vor allem war der Faschismus nicht eine Funktion des Finanzkapitals, wie die Spendenströme vor 1933 zeigen.
Die mitreißenden Ausführungen provozieren einige Einwände. Hinsichtlich Corona verweist Zitelmann kursorisch darauf, dass die Impfstoffe von kapitalistischen Pharmaunternehmen entwickelt wurden. Aber was ist mit der staatlichen Förderung und Distribution der Vakzine, was mit Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen? Wie gehen kapitalistische Systeme generell mit exogenen Schocks wie Naturkatastrophen und Pandemien um? Gilt auch hier die Empfehlung weniger Staat und mehr Markt? Und wenn nein, wie kann man das in die Reagenzglastheorie integrieren?
Zitelmann scheint für Krankheiten und Unglücksfälle staatliche Hilfe zu akzeptieren. Lebt aber eine prosperierende Gesellschaft darüber hinaus nicht gerade davon, dass den Interessen der Beschäftigten durch Sozialversicherungen, Gewerkschaften und rechtliche Absicherungen Rechnung getragen und die Wirtschaftsbeziehungen so befriedet werden? Das wusste schon Bismarck, als er die Sozialversicherungen in Deutschland einführte. Auch die Kritik an der "Überflussgesellschaft" seit John Kenneth Galbraith kann durch den richtigen Verweis auf die elitäre Konsumkritik, welche die eigenen Konsumwünsche für die richtigen und die des Pöbels für manipuliert hält, nicht vollständig entkräftet werden. Zwar ist die geplante Obsoleszenz von Produkten ein Mythos. Aber die permanente künstliche Stimulierung von Konsumwünschen hat nichttriviale Folgen. Das Smartphone zeigt allerdings einen umgekehrten Effekt: Ein innovatives Produkt kann Dutzende Einzelgeräte überflüssig machen.
Zitelmann fügt zwei Kapitel an, in denen er die Schrecken des real existierenden Sozialismus von der Sowjetunion bis Kambodscha bilanziert und eigens in Auftrag gegebene Umfragen zur Einstellung verschiedener Gesellschaften zum Kapitalismus vorstellt. Am Ende ist für ihn der Antikapitalismus eine politische Religion, die nichts mit Vernunft zu tun hat, sondern von nicht eingestandenen Gefühlen wie Neid motiviert ist. Mit etlichen Daten und Fakten nimmt Zitelmann den Antikapitalisten mit ihrem Nullsummenglauben, dass es den Armen hülfe, wenn es den Wohlhabenden schlechter ginge, den Wind aus den Segeln. In der Debatte mit ordoliberalen Monopolkritikern würde er sich wohl schwerer tun. Oder? PETER HOERES
Rainer Zitelmann. Die 10 Irrtümer der Anti-Kapitalisten. Zur Kritik der Kapitalismuskritik. München: FinanzBuch Verlag 2022, 464 Seiten, 25 Euro.
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"Eines der wichtigsten Bücher seit Jahrzehnten zur Verteidigung des Kapitalismus. Das sorgfältig recherchierte und gut geschriebene Buch ist nicht nur ein Plädoyer für freie Märkte, sondern demontiert auch Thomas Pikettys viel beachtetes Traktat, in dem er den Kapitalismus verdammt. Adam Smith wäre beeindruckt gewesen – und stolz."