Wer kennt ihn nicht, den um keine Ausrede verlegenen guten Soldaten Josef Švejk, der seine Vorgesetzten zur Raserei brachte, sich aber mit seinem treuen Blick und seinen skurrilen Geschichten jedes Mal vor der drohenden Bestrafung rettete? In Tschechien gehört der "Švejk" zum Nationalerbe; in Zeiten der Okkupation war er ein Widerstandsbuch -über die Rolle, die das Buch für die Tschechen spielt, informiert Jaroslav Rudiš' sehr persönliche Nachbemerkung. Bei uns hat er sich vor allem durch die Verfilmungen mit Heinz Rühmann oder Fritz Muliar oder die Zeichnungen von Josef Lada auch bildlich ins Gedächtnis eingeprägt. Ins Deutsche übersetzt wurde der Text bisher aber erst einmal: von Grete Reiner, die in den 1920er Jahren mit ihrem "Böhmakeln" gleich eine eigene Sprachform für Švejk schuf. Doch Švejk spricht im Original sauberes Umgangs-Tschechisch, eine Sprache, die sich keineswegs durch grammatikalische Unkorrektheiten auszeichnet. Es war also durchaus an der Zeit, eine neue Übersetzung vorzulegen, die auf diese heute zu komödiantisch wirkenden, k.u.k.-tümelnden Elemente verzichtet und dem Roman so seine Modernität wiedergibt. Auf diese Weise entschlackt, erweist sich dieser große Roman 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges als erschreckend zeitgemäß in seiner Aufdeckung von Behördenwillkür, Selbstüberheblichkeit der Militärs, Obrigkeitshörigkeit und Dummheit. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014Diese Lektüre macht glücklich
Ein Meisterwerk der modernen Literatur erscheint endlich in angemessener Übersetzung: Jaroslav Haseks bittere Groteske um den Soldaten Svejk.
Von Dirk Schümer
Dass ein großes Werk der Weltliteratur seit Jahrzehnten in keiner adäquaten deutschen Übersetzung vorlag - kann das sein? Gerade Jaroslav Haseks "Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" scheint doch jeder einigermaßen Belesene zu kennen; das Werk wurde bei uns viele hunderttausend Male verkauft; die weniger oder mehr gelungenen Verfilmungen, vor allem die mit Fritz Muliar, hat man gesehen. Und doch: Erst mit dieser neuen Ausgabe können wir das geniale, verstörende, brutale, ordinäre, saukomische Epochenwerk über einen tschechischen Trottel im Ersten Weltkrieg wirklich als einen der größten Romane überhaupt wertschätzen.
Dabei soll gegen Grete Reiners Übersetzung von 1926 gar nichts vorgebracht werden. Die Prager Jüdin wurde - makabrer Lohn für ihre Pionierarbeit - 1944 in Auschwitz umgebracht. Und gerade die anheimelnd böhmakelnden Sentenzen ihres Josef Schwejk, die Austriazismen aus dem Wortschatz der k. u. k. Dienstreglements, die urkomischen Versprecher und Verschleifer in Schwejks Suaden haben den internationalen und heimischen Erfolg des Werks, das vorher in Tschechien meist als Groschenheft abgetan wurde, ungemein befördert.
Doch nicht nur ist der Sprachgestus der Erstübersetzung antiquiert geworden; nicht nur hat Grete Reiner die immense Vulgarität von Haseks Urtext abschwächen müssen. Vor allem die liebgewonnene Habsburgerstimmung des, so Grete Reiner, "Kleinseitner Deutschs" ihres Helden hat die idiomatische Konstellation auf den Kopf gestellt: Deutsche Leser erlebten Schwejk als Dampfplauderer mit Dialekt, mit putzigen Wortfindungsproblemen und lustigen Neologismen - eben genau wie die tschechischen Dienstboten und Handwerker von der Prager Kleinseite, deren Herrschaften oft nur Deutsch sprachen. Bei Hasek ist es aber genau umgekehrt: Da spricht - nennen wir ihn von jetzt an in der korrekten Schreibweise - Svejk zwar umgangssprachliches, doch sehr pointiertes und wendiges Tschechisch, und es sind die deutschsprachigen Offiziere und Bürgersleute, die im Roman unbeholfen radebrechen. Dem Autor, der zeitlebens gegen die deutsche Sprachdominanz in Böhmen agitierte, hätte die fatale Umkehrung sicher nicht gefallen.
Antonín Brousek, im Zivilberuf Richter in Berlin, kann seine großartige Übertragung daher leicht rechtfertigen, ohne dem Pionierwerk der Kollegin Abbruch zu tun. Das Hauptanliegen seiner Neuübersetzung, "den Text in ein Deutsch zu übertragen, das genauso modern und unauffällig-umgangssprachlich ist wie das Tschechisch des Originals", dieses Ziel hat Brousek mit bewundernswerter Exaktheit erreicht. Der Duktus vor allem der zahllosen Kneipenanekdoten und krassen Histörchen verdankt sich der Entstehung des Romans, denn der schwerkranke und alkoholisierte Hasek diktierte das Gros des Textes in einer Kneipe im ostböhmischen Kaff Lipnice nad Sázavou. Die Sprachmelodie ist mit absurden Bandwurmsätzen und zahllosen Dialogen umso heikler.
Dass Brousek alle Ortsnamen konsequent ins Deutsche übertrug, ist eine vertretbare Wahl; schließlich sprechen wir von Prag und nicht von Praha, von Budweis und nicht von Ceské Budejovice. Daher wurden jetzt auch kleine Dörfer eingedeutscht, obgleich man sie nurmehr auf alten Landkarten (oder im ausgezeichneten Anmerkungsapparat) wird finden können. Dass Brousek etliche von Grete Reiners Streichungen ungeschehen machte, dass er sich um Haseks bestürzend drastische Flüche, Sexual- und Fäkalwörter nicht mehr drücken musste, versteht sich von selbst. Nur beim Titel musste der Übersetzer einen Kompromiss schließen: Aus dem "braven Soldaten" wurde korrekterweise ein "guter" Soldat, aber die beibehaltenen "Abenteuer" entsprechen keineswegs den tschechischen "Osudy", sondern wären lakonisch treffender als "Schicksale" zu verstehen. Doch war der eingeführte deutsche Titel wohl übermächtig.
Was gewinnen deutsche Leser durch die Neufassung? Unendlich viel. Denn was dieses Buch zu einem der Schlüsselwerke des vorigen Jahrhunderts macht, lässt sich jetzt viel präziser begreifen und genießen. Am Anfang steht das Staunen darüber, wie es diesem versoffenen, jahrelang wohnungs- und arbeitslosen Lohnschreiber Hasek, der vom Gymnasium geflogen war und nie eine Universität von innen sah, der ernste Literatur verachtete und lieber Lexika sowie kuriose Heftchen über Hundezucht und Mechanik las - wie es diesem betrauernswerten Originalgenie im finalen Leberdelirium gelang, solch ein penibel beobachtetes Pandämonium der menschlichen Bosheit aus dem Kopf heraus zu komponieren.
Denn nichts anderes ist der "Svejk" zuvörderst: Ohne Drumherumreden, ohne jede Hoffnung schildert der Autor das Militärpersonal im Weltkrieg als Ansammlung von Sadisten, von sich gegenseitig belauernden und beklauenden Kanaillen und Vollidioten. Es gibt keinen hohen Offizier, keinen Juristen und schon gar keinen von Haseks katholischen Feldkuraten, der außer dem Befriedigen der dumpfesten Machtgier und der eigenen Fress- und Sexgelüste irgendwelche menschlichen Regungen zeigte.
Das urkomische Psychogramm des Oberst Friedrich Kraus von Zillergut, der seine Untergebenen grausam kujoniert und dabei so blöd ist wie ein Blumentopf, macht ihn zu einem schrecklichen Zwilling des österreichischen Oberkommandierenden im wirklichen Ersten Weltkrieg, Conrad von Hötzendorf. Den konnte der Historiker Christopher Clark gerade erst als Psychopathen entlarven, der außer Angriffskrieg und Massenvernichtung nur die perverse Liebesbeziehung zu einer verheirateten Wiener Großbürgerin im Kopf hatte und fleißig seine Faltencrèmes hortete, während er Millionen in den Tod schickte.
Hasek hat die literarischen Pendants solcher Realverbrecher aus den eigenen Kriegserfahrungen herausdestilliert. Der weise Autor ergab sich mit seiner Kompanie bei erster Gelegenheit den Russen und geriet jahrelang in Revolutionswirren, wusste also Bescheid. Sein Zillergut ergeht sich vor den Soldaten in Vorträgen über Selbstverständliches, woraus Hasek Meisterwerke des Dadaismus formte (den er als Ästhetik gewiss gar nicht kannte): "Wissen Sie, was das ist, ein Graben? Ein Graben ist eine Aushebung, an der eine Vielzahl von Menschen arbeitet. Es ist dies eine Vertiefung. Ja. Man arbeitet dort mit Hacken. Wissen Sie, was das ist, eine Hacke?"
Gespenstisch, dass die realen Kollegen solcher degenerierten Idealtypen Europa in den Suizid getrieben haben. Hasek hat das genau begriffen. Er schildert - und das kann man jetzt endlich in gebotener Lakonik und Präzision lesen - den industriellen Krieg als das Eindringen der Moderne mit ihren Ideologien in jedes Menschenleben. Es gibt kein Entkommen. Hier liegt auch die merkwürdige Verwandtschaft zum exakten Lebenszeitgenossen und Prager Mitbürger Franz Kafka, etwa wenn Hasek ausführlich die sinnfreien Dienstverordnungen und "Zirkuläre" der habsburgischen Militärverwaltung auflistet. Oder wenn er logische Labyrinthe, die auch einem Kafka gefallen hätten, in einem Spionage-Rapport über den ahnungslosen Svejk unterbringt: "Sicher ist, dass gemäß seinem eigenen Eingeständnis lediglich die Tatsache, dass er keinen Fotoapparat bei sich führt, verhindert hat, dass er keine Bahnhofsgebäude fotografieren konnte."
Wundersam, wie es Hasek gelingt, die Atmosphäre des großen Schlachtens in allen Fibern einzufangen, ohne dass sein Svejk je in Kampfhandlungen verwickelt wird. Denn als der Held endlich an der Front ankommt, stirbt der Autor an seinem im Alkohol ertränkten Weltekel. Dieser Krieg erschließt sich ihm dennoch als sinnlos und massenmörderisch schon in der Etappe mit ihren stupiden Kloppereien unter Soldaten, den Offiziersbordellen, den Selbstverstümmelungen, dem Ungeziefer, dem Vollsuff, der pedantischen Bürokratie, der Folter und den dauernden Inhaftierungen.
Nur Übertreibungen und Absurditäten können die wild gewordene Realität überhaupt noch einfangen. Denn Hasek überzeichnet seine Knallchargen bewusst, etwa wenn ein debiler Dorfdepp zwölf Jahre Haft aufgebrummt bekommt, weil der den Namen des Kaisers mit "Mähh. Hopp!" kommentiert. In Wahrheit hat die k. u. k. Gerichtsbarkeit sogar den jugendlichen Attentäter von Sarajevo - also den Auslöser des Weltkriegs - milde davonkommen lassen. Doch durch diese vermeintliche Milde hindurch blickt der Autor dem systemischen Irrsinn direkt ins Auge. Was der Weltkrieg war, dafür findet der Autor sehr genaue Worte. Hasek schildert die jungen Soldaten, "die nun erneut ins Feld fuhren, um sich neue Verwundungen, Verstümmelungen und Schmerzen zu holen. Sie fuhren los, um sich ein schlichtes Holzkreuz über ihren Gräbern zu verdienen."
Und der Held? Steht der mitten in diesem Inferno wirklich als eulenspiegelhafter Narr, als sich dumm stellender Lausbub oder gar als munter plaudernder Sancho Pansa da? Der abgerissene Hundefänger Josef Svejk hat mit dieser Übersetzung seine deutsche Existenz als liebenswerter Böhmenwitzler hinter sich gelassen und gewinnt mit seinen listig komponierten Anekdoten und genauen Beobachtungen, aber auch mit mitleidlos-brutalen Kommentaren stark an Kontur. Ein geistesschwacher Depp, wie er im ersten Absatz vorgestellt wird, kann er, der die Mordmaschine blockiert, indem er ihre Befehle stupide übererfüllt, gar nicht sein. Aber Svejk ist ohnehin kein realer Mensch, sondern ein individuell gestalteter Typus, den Hasek dem kollektiven Staatsbetrieb die Stirn bieten lässt. So ersteht sein Held als unerschrockener Zen-Mönch inmitten des Schreckens, als philosophischer Meister des Gleichmuts, als milder "Gottesnarr" nach ostkirchlicher Tradition, der aller kranken Vernunft die schiere Naivität entgegensetzt.
In Wahrheit, das wusste der an seinem Roman sterbende Anarchist Hasek sehr genau, hat das Individuum die große Schlacht verloren. Aber er wollte den ganz einfachen Menschen mit ihrem Bier und ihrem Kartenspiel wenigstens ein Denkmal setzen. Dieses Denkmal, bei allem Zynismus eines der großartigsten Mahnmale des Humanismus und ein Triumph der Literatur über das Leben, können deutsche Leser jetzt erst richtig kennenlernen. Und man darf dieses nationale Volksbuch (so beschreibt es in einem zweiten Nachwort der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis) getrost mit der Verheißung des nicht genug zu preisenden Übersetzers lesen: "Dass nämlich die Lektüre des Svejk glücklich machen kann."
Jaroslav Hasek: "Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg". Roman.
Aus dem Tschechischen, kommentiert und mit einem Nachwort von Antonín Brousek. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2014. 1008 S., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Meisterwerk der modernen Literatur erscheint endlich in angemessener Übersetzung: Jaroslav Haseks bittere Groteske um den Soldaten Svejk.
Von Dirk Schümer
Dass ein großes Werk der Weltliteratur seit Jahrzehnten in keiner adäquaten deutschen Übersetzung vorlag - kann das sein? Gerade Jaroslav Haseks "Abenteuer des braven Soldaten Schwejk" scheint doch jeder einigermaßen Belesene zu kennen; das Werk wurde bei uns viele hunderttausend Male verkauft; die weniger oder mehr gelungenen Verfilmungen, vor allem die mit Fritz Muliar, hat man gesehen. Und doch: Erst mit dieser neuen Ausgabe können wir das geniale, verstörende, brutale, ordinäre, saukomische Epochenwerk über einen tschechischen Trottel im Ersten Weltkrieg wirklich als einen der größten Romane überhaupt wertschätzen.
Dabei soll gegen Grete Reiners Übersetzung von 1926 gar nichts vorgebracht werden. Die Prager Jüdin wurde - makabrer Lohn für ihre Pionierarbeit - 1944 in Auschwitz umgebracht. Und gerade die anheimelnd böhmakelnden Sentenzen ihres Josef Schwejk, die Austriazismen aus dem Wortschatz der k. u. k. Dienstreglements, die urkomischen Versprecher und Verschleifer in Schwejks Suaden haben den internationalen und heimischen Erfolg des Werks, das vorher in Tschechien meist als Groschenheft abgetan wurde, ungemein befördert.
Doch nicht nur ist der Sprachgestus der Erstübersetzung antiquiert geworden; nicht nur hat Grete Reiner die immense Vulgarität von Haseks Urtext abschwächen müssen. Vor allem die liebgewonnene Habsburgerstimmung des, so Grete Reiner, "Kleinseitner Deutschs" ihres Helden hat die idiomatische Konstellation auf den Kopf gestellt: Deutsche Leser erlebten Schwejk als Dampfplauderer mit Dialekt, mit putzigen Wortfindungsproblemen und lustigen Neologismen - eben genau wie die tschechischen Dienstboten und Handwerker von der Prager Kleinseite, deren Herrschaften oft nur Deutsch sprachen. Bei Hasek ist es aber genau umgekehrt: Da spricht - nennen wir ihn von jetzt an in der korrekten Schreibweise - Svejk zwar umgangssprachliches, doch sehr pointiertes und wendiges Tschechisch, und es sind die deutschsprachigen Offiziere und Bürgersleute, die im Roman unbeholfen radebrechen. Dem Autor, der zeitlebens gegen die deutsche Sprachdominanz in Böhmen agitierte, hätte die fatale Umkehrung sicher nicht gefallen.
Antonín Brousek, im Zivilberuf Richter in Berlin, kann seine großartige Übertragung daher leicht rechtfertigen, ohne dem Pionierwerk der Kollegin Abbruch zu tun. Das Hauptanliegen seiner Neuübersetzung, "den Text in ein Deutsch zu übertragen, das genauso modern und unauffällig-umgangssprachlich ist wie das Tschechisch des Originals", dieses Ziel hat Brousek mit bewundernswerter Exaktheit erreicht. Der Duktus vor allem der zahllosen Kneipenanekdoten und krassen Histörchen verdankt sich der Entstehung des Romans, denn der schwerkranke und alkoholisierte Hasek diktierte das Gros des Textes in einer Kneipe im ostböhmischen Kaff Lipnice nad Sázavou. Die Sprachmelodie ist mit absurden Bandwurmsätzen und zahllosen Dialogen umso heikler.
Dass Brousek alle Ortsnamen konsequent ins Deutsche übertrug, ist eine vertretbare Wahl; schließlich sprechen wir von Prag und nicht von Praha, von Budweis und nicht von Ceské Budejovice. Daher wurden jetzt auch kleine Dörfer eingedeutscht, obgleich man sie nurmehr auf alten Landkarten (oder im ausgezeichneten Anmerkungsapparat) wird finden können. Dass Brousek etliche von Grete Reiners Streichungen ungeschehen machte, dass er sich um Haseks bestürzend drastische Flüche, Sexual- und Fäkalwörter nicht mehr drücken musste, versteht sich von selbst. Nur beim Titel musste der Übersetzer einen Kompromiss schließen: Aus dem "braven Soldaten" wurde korrekterweise ein "guter" Soldat, aber die beibehaltenen "Abenteuer" entsprechen keineswegs den tschechischen "Osudy", sondern wären lakonisch treffender als "Schicksale" zu verstehen. Doch war der eingeführte deutsche Titel wohl übermächtig.
Was gewinnen deutsche Leser durch die Neufassung? Unendlich viel. Denn was dieses Buch zu einem der Schlüsselwerke des vorigen Jahrhunderts macht, lässt sich jetzt viel präziser begreifen und genießen. Am Anfang steht das Staunen darüber, wie es diesem versoffenen, jahrelang wohnungs- und arbeitslosen Lohnschreiber Hasek, der vom Gymnasium geflogen war und nie eine Universität von innen sah, der ernste Literatur verachtete und lieber Lexika sowie kuriose Heftchen über Hundezucht und Mechanik las - wie es diesem betrauernswerten Originalgenie im finalen Leberdelirium gelang, solch ein penibel beobachtetes Pandämonium der menschlichen Bosheit aus dem Kopf heraus zu komponieren.
Denn nichts anderes ist der "Svejk" zuvörderst: Ohne Drumherumreden, ohne jede Hoffnung schildert der Autor das Militärpersonal im Weltkrieg als Ansammlung von Sadisten, von sich gegenseitig belauernden und beklauenden Kanaillen und Vollidioten. Es gibt keinen hohen Offizier, keinen Juristen und schon gar keinen von Haseks katholischen Feldkuraten, der außer dem Befriedigen der dumpfesten Machtgier und der eigenen Fress- und Sexgelüste irgendwelche menschlichen Regungen zeigte.
Das urkomische Psychogramm des Oberst Friedrich Kraus von Zillergut, der seine Untergebenen grausam kujoniert und dabei so blöd ist wie ein Blumentopf, macht ihn zu einem schrecklichen Zwilling des österreichischen Oberkommandierenden im wirklichen Ersten Weltkrieg, Conrad von Hötzendorf. Den konnte der Historiker Christopher Clark gerade erst als Psychopathen entlarven, der außer Angriffskrieg und Massenvernichtung nur die perverse Liebesbeziehung zu einer verheirateten Wiener Großbürgerin im Kopf hatte und fleißig seine Faltencrèmes hortete, während er Millionen in den Tod schickte.
Hasek hat die literarischen Pendants solcher Realverbrecher aus den eigenen Kriegserfahrungen herausdestilliert. Der weise Autor ergab sich mit seiner Kompanie bei erster Gelegenheit den Russen und geriet jahrelang in Revolutionswirren, wusste also Bescheid. Sein Zillergut ergeht sich vor den Soldaten in Vorträgen über Selbstverständliches, woraus Hasek Meisterwerke des Dadaismus formte (den er als Ästhetik gewiss gar nicht kannte): "Wissen Sie, was das ist, ein Graben? Ein Graben ist eine Aushebung, an der eine Vielzahl von Menschen arbeitet. Es ist dies eine Vertiefung. Ja. Man arbeitet dort mit Hacken. Wissen Sie, was das ist, eine Hacke?"
Gespenstisch, dass die realen Kollegen solcher degenerierten Idealtypen Europa in den Suizid getrieben haben. Hasek hat das genau begriffen. Er schildert - und das kann man jetzt endlich in gebotener Lakonik und Präzision lesen - den industriellen Krieg als das Eindringen der Moderne mit ihren Ideologien in jedes Menschenleben. Es gibt kein Entkommen. Hier liegt auch die merkwürdige Verwandtschaft zum exakten Lebenszeitgenossen und Prager Mitbürger Franz Kafka, etwa wenn Hasek ausführlich die sinnfreien Dienstverordnungen und "Zirkuläre" der habsburgischen Militärverwaltung auflistet. Oder wenn er logische Labyrinthe, die auch einem Kafka gefallen hätten, in einem Spionage-Rapport über den ahnungslosen Svejk unterbringt: "Sicher ist, dass gemäß seinem eigenen Eingeständnis lediglich die Tatsache, dass er keinen Fotoapparat bei sich führt, verhindert hat, dass er keine Bahnhofsgebäude fotografieren konnte."
Wundersam, wie es Hasek gelingt, die Atmosphäre des großen Schlachtens in allen Fibern einzufangen, ohne dass sein Svejk je in Kampfhandlungen verwickelt wird. Denn als der Held endlich an der Front ankommt, stirbt der Autor an seinem im Alkohol ertränkten Weltekel. Dieser Krieg erschließt sich ihm dennoch als sinnlos und massenmörderisch schon in der Etappe mit ihren stupiden Kloppereien unter Soldaten, den Offiziersbordellen, den Selbstverstümmelungen, dem Ungeziefer, dem Vollsuff, der pedantischen Bürokratie, der Folter und den dauernden Inhaftierungen.
Nur Übertreibungen und Absurditäten können die wild gewordene Realität überhaupt noch einfangen. Denn Hasek überzeichnet seine Knallchargen bewusst, etwa wenn ein debiler Dorfdepp zwölf Jahre Haft aufgebrummt bekommt, weil der den Namen des Kaisers mit "Mähh. Hopp!" kommentiert. In Wahrheit hat die k. u. k. Gerichtsbarkeit sogar den jugendlichen Attentäter von Sarajevo - also den Auslöser des Weltkriegs - milde davonkommen lassen. Doch durch diese vermeintliche Milde hindurch blickt der Autor dem systemischen Irrsinn direkt ins Auge. Was der Weltkrieg war, dafür findet der Autor sehr genaue Worte. Hasek schildert die jungen Soldaten, "die nun erneut ins Feld fuhren, um sich neue Verwundungen, Verstümmelungen und Schmerzen zu holen. Sie fuhren los, um sich ein schlichtes Holzkreuz über ihren Gräbern zu verdienen."
Und der Held? Steht der mitten in diesem Inferno wirklich als eulenspiegelhafter Narr, als sich dumm stellender Lausbub oder gar als munter plaudernder Sancho Pansa da? Der abgerissene Hundefänger Josef Svejk hat mit dieser Übersetzung seine deutsche Existenz als liebenswerter Böhmenwitzler hinter sich gelassen und gewinnt mit seinen listig komponierten Anekdoten und genauen Beobachtungen, aber auch mit mitleidlos-brutalen Kommentaren stark an Kontur. Ein geistesschwacher Depp, wie er im ersten Absatz vorgestellt wird, kann er, der die Mordmaschine blockiert, indem er ihre Befehle stupide übererfüllt, gar nicht sein. Aber Svejk ist ohnehin kein realer Mensch, sondern ein individuell gestalteter Typus, den Hasek dem kollektiven Staatsbetrieb die Stirn bieten lässt. So ersteht sein Held als unerschrockener Zen-Mönch inmitten des Schreckens, als philosophischer Meister des Gleichmuts, als milder "Gottesnarr" nach ostkirchlicher Tradition, der aller kranken Vernunft die schiere Naivität entgegensetzt.
In Wahrheit, das wusste der an seinem Roman sterbende Anarchist Hasek sehr genau, hat das Individuum die große Schlacht verloren. Aber er wollte den ganz einfachen Menschen mit ihrem Bier und ihrem Kartenspiel wenigstens ein Denkmal setzen. Dieses Denkmal, bei allem Zynismus eines der großartigsten Mahnmale des Humanismus und ein Triumph der Literatur über das Leben, können deutsche Leser jetzt erst richtig kennenlernen. Und man darf dieses nationale Volksbuch (so beschreibt es in einem zweiten Nachwort der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudis) getrost mit der Verheißung des nicht genug zu preisenden Übersetzers lesen: "Dass nämlich die Lektüre des Svejk glücklich machen kann."
Jaroslav Hasek: "Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg". Roman.
Aus dem Tschechischen, kommentiert und mit einem Nachwort von Antonín Brousek. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2014. 1008 S., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2014KRIEGSKLASSIKER
Jaroslav Hašeks
guter Soldat Švejk
Er gilt als eine der großen komischen Figuren der Weltliteratur: der „brave“ (oder, in neuer Übersetzung, „gute“) Soldat Švejk, den Jaroslav Hašek in seinem umfangreichen und einzigen Roman in den frühen Zwanzigerjahren erschaffen hat. Er gehört, wie der Don Quixote oder die Werke Kafkas, zu den literarischen Phänomenen, die auch ohne Lektüre per Osmose in die Erinnerung übergegangen sind.
Der Autor selbst leistet dem Verständnis Švejks als eines heiteren, verschmitzten Wesens durchaus Vorschub, wenn er im Vorwort schreibt: „Ich habe ihn sehr gern, diesen guten Soldaten Švejk, und indem ich seine Schicksale im Weltkrieg darbiete, bin ich überzeugt davon, dass Ihr alle mit diesem bescheidenen, verkannten Helden sympathisieren werdet.“
Dabei führt dieser Švejk – und um das zu begreifen, muss man nun wirklich das Buch lesen – einen Kampf auf Leben und Tod. Er führt ihn nicht an einer der zahlreichen Fronten des Ersten Weltkriegs; das eigentliche Kriegsgeschehen findet in dem fast 1000 Seiten starken, dennoch Fragment gebliebenen Werk kaum Erwähnung. An der Front stünde er, Gewehrmündung gegen Gewehrmündung, dem Feind auf Augenhöhe gegenüber. Der Todfeind aber, der hier droht, hat die Schlacht immer schon gewonnen. Es ist der asymmetrische Konflikt des durch die Wehrpflicht wehrlos gewordenen gemeinen Soldaten mit der österreichischen Militär-Bürokratie.
Der gesamte Roman spielt in der „Etappe“, dem Hinterland, wo Kranke durch folterähnliche Prozeduren in den Militärhospitälern solange gepiesackt werden, bis sie sich freiwillig gesund melden und lieber von Granaten zerreißen lassen, als dass sie weiter die Quälereien erdulden. Ist es lustig, wenn ein angeblicher Simulant an der Behandlung stirbt und der Arzt dies als Bestätigung der Diagnose wertet?
Solche Dinge aber geschehen laufend in diesem Buch. Einer der Bürokraten, bei denen Švejk sich melden muss, hat sein Dienstzimmer mit Fotos von erhängten serbischen Familien dekoriert. Wenn Švejk in dieser Lage den gemütlichen Idioten spielt, dann um das Entsetzen zu maskieren, das jeden hier ergreifen muss – und das ihm unfehlbar als strafbare Rebellion ausgelegt würde. Nein, angesichts des Grauens den Lustigen spielen müssen, das ist nicht lustig. Die unverjährte Botschaft des Soldaten Švejk lautet: Wenn es Krieg gibt, droht uns die größte Gefahr nicht von den anderen, auf die wir schießen sollen, sondern von „den eigenen“.
BURKHARD MÜLLER
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Jaroslav Hašeks
guter Soldat Švejk
Er gilt als eine der großen komischen Figuren der Weltliteratur: der „brave“ (oder, in neuer Übersetzung, „gute“) Soldat Švejk, den Jaroslav Hašek in seinem umfangreichen und einzigen Roman in den frühen Zwanzigerjahren erschaffen hat. Er gehört, wie der Don Quixote oder die Werke Kafkas, zu den literarischen Phänomenen, die auch ohne Lektüre per Osmose in die Erinnerung übergegangen sind.
Der Autor selbst leistet dem Verständnis Švejks als eines heiteren, verschmitzten Wesens durchaus Vorschub, wenn er im Vorwort schreibt: „Ich habe ihn sehr gern, diesen guten Soldaten Švejk, und indem ich seine Schicksale im Weltkrieg darbiete, bin ich überzeugt davon, dass Ihr alle mit diesem bescheidenen, verkannten Helden sympathisieren werdet.“
Dabei führt dieser Švejk – und um das zu begreifen, muss man nun wirklich das Buch lesen – einen Kampf auf Leben und Tod. Er führt ihn nicht an einer der zahlreichen Fronten des Ersten Weltkriegs; das eigentliche Kriegsgeschehen findet in dem fast 1000 Seiten starken, dennoch Fragment gebliebenen Werk kaum Erwähnung. An der Front stünde er, Gewehrmündung gegen Gewehrmündung, dem Feind auf Augenhöhe gegenüber. Der Todfeind aber, der hier droht, hat die Schlacht immer schon gewonnen. Es ist der asymmetrische Konflikt des durch die Wehrpflicht wehrlos gewordenen gemeinen Soldaten mit der österreichischen Militär-Bürokratie.
Der gesamte Roman spielt in der „Etappe“, dem Hinterland, wo Kranke durch folterähnliche Prozeduren in den Militärhospitälern solange gepiesackt werden, bis sie sich freiwillig gesund melden und lieber von Granaten zerreißen lassen, als dass sie weiter die Quälereien erdulden. Ist es lustig, wenn ein angeblicher Simulant an der Behandlung stirbt und der Arzt dies als Bestätigung der Diagnose wertet?
Solche Dinge aber geschehen laufend in diesem Buch. Einer der Bürokraten, bei denen Švejk sich melden muss, hat sein Dienstzimmer mit Fotos von erhängten serbischen Familien dekoriert. Wenn Švejk in dieser Lage den gemütlichen Idioten spielt, dann um das Entsetzen zu maskieren, das jeden hier ergreifen muss – und das ihm unfehlbar als strafbare Rebellion ausgelegt würde. Nein, angesichts des Grauens den Lustigen spielen müssen, das ist nicht lustig. Die unverjährte Botschaft des Soldaten Švejk lautet: Wenn es Krieg gibt, droht uns die größte Gefahr nicht von den anderen, auf die wir schießen sollen, sondern von „den eigenen“.
BURKHARD MÜLLER
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Anlässlich des 100. Todestags des tschechischen Autors Jaroslav Hašek beugt sich Rezensent Paul Jandl noch einmal über die vor einigen Jahren erschienene Neuübersetzung von Hašeks Roman über die Abenteuer des braven Soldaten Josef Schwejk durch Antonín Brousek. Schwejk dient als Soldat im ersten Weltkrieg, er ist ein "trottelhaftes Genie", dessen zuversichtliche Dummheit zuverlässig als Waffe gegen die Unterdrückung der Führungseliten funktioniert. Die Figur ist ein Amalgamat aus Fakt und Fiktion, weiß der Rezensent, in das Hašek eigene Kriegserfahrungen eingearbeitet hat. Schwejk wirkt österreichisch auf Jandl, was für ihn zum einen mit der Sprache zu tun hat und zum anderen mit dem Handlungs- und Entstehungszeitraum in der k.u.k-Monarchie. "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst", könnte man die Verfasstheit des Protagonisten beschreiben, denkt sich Jandl. Ein längst legendär gewordener Roman, den der Kritiker gerne empfiehlt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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