Wie Xi Jinping, Putin, Chamenei & Co. sich Geld, Macht und Straffreiheit verschaffen und zugleich unsere Demokratie zerstören: Eine hochaktuelle Analyse der neuen autoritären Netzwerke
FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS 2024 FÜR DAS GESAMTWERK VON ANNE APPLEBAUM
Autokratische Herrschaft besteht im 21. Jahrhundert nicht länger nur aus einem Tyrannen an der Spitze, der mit Gewalt sein Volk unterdrückt: Heute werden Autokratien durch ausgeklügelte Netzwerke geführt, es hat sich eine neue internationale autokratische Allianz gebildet, wie Bestsellerautorin Anne Applebaum in ihrem neuen Buch zeigt. Von China bis Weißrussland, von Syrien bis Russland unterstützen sich Autokraten von heute gegenseitig mit Ressourcen und Equipment made in Iran, Myanmar oder Venezuela: von Propaganda-Trollfarmen und Bots über Investitionsmöglichkeiten für ihre korrupten Staatsunternehmen bis hin zum Austausch modernster Überwachungstechnologien. Applebaum offenbart, wie die Diktatoren der Welt hinter den Kulissen zusammenarbeiten und sich mit aggressiven Taktiken gegenseitig Sicherheit und Straffreiheit verschaffen. Und sie macht deutlich, wie diese autokratische Allianz unsere Demokratie untergräbt.
»Das ist die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte: Nicht, dass Deutsche nie wieder Krieg führen dürfen, sondern dass sie eine besondere Verantwortung dafür haben, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei auch Risiken einzugehen.« (Aus der Dankesrede von Anne Applebaum zum Friedenspreis 2024)
FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS 2024 FÜR DAS GESAMTWERK VON ANNE APPLEBAUM
Autokratische Herrschaft besteht im 21. Jahrhundert nicht länger nur aus einem Tyrannen an der Spitze, der mit Gewalt sein Volk unterdrückt: Heute werden Autokratien durch ausgeklügelte Netzwerke geführt, es hat sich eine neue internationale autokratische Allianz gebildet, wie Bestsellerautorin Anne Applebaum in ihrem neuen Buch zeigt. Von China bis Weißrussland, von Syrien bis Russland unterstützen sich Autokraten von heute gegenseitig mit Ressourcen und Equipment made in Iran, Myanmar oder Venezuela: von Propaganda-Trollfarmen und Bots über Investitionsmöglichkeiten für ihre korrupten Staatsunternehmen bis hin zum Austausch modernster Überwachungstechnologien. Applebaum offenbart, wie die Diktatoren der Welt hinter den Kulissen zusammenarbeiten und sich mit aggressiven Taktiken gegenseitig Sicherheit und Straffreiheit verschaffen. Und sie macht deutlich, wie diese autokratische Allianz unsere Demokratie untergräbt.
»Das ist die eigentliche Lehre aus der deutschen Geschichte: Nicht, dass Deutsche nie wieder Krieg führen dürfen, sondern dass sie eine besondere Verantwortung dafür haben, sich für die Freiheit einzusetzen und dabei auch Risiken einzugehen.« (Aus der Dankesrede von Anne Applebaum zum Friedenspreis 2024)
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Anne Applebaum legt für Rezensentin Sieglinde Geisel einen überzeugenden Überblick über die "flexiblen Zweckbündnisse" vor, die Autokratien und Diktaturen weltweit eingehen, um ihre Macht zu erhalten und Demokratien zu zerstören. Von Russland über Syrien bis Venezuela werden die verschiedensten Staaten beleuchtet und aufgezeigt, welche Strategien sie von Waffenlieferungen an Rechtsextremisten bis Finanzspritzen an Terroristen zur Destabilisierung nutzen, so Geisel. Dass Putin und Xi Jinping bestimmt Begriffe nutzen, zum Beispiel von "Souveränität" sprechen statt von Menschenrechten, um sich so weiter gegen demokratische Bestrebungen wehren, kann Applebaum kenntnisreich vermitteln. Die Kritikerin lobt, dass das Buch trotz des schweren Themas einnehmend geschrieben ist und nicht vergisst, an unsere Verantwortung beim Fortbestand der Demokratie zu appellieren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2024Siegeszug
der Schurkenländer
Eine „Achse der Autokraten“ macht sich daran,
den freien Westen zu zerstören. Wer die Dramatik
der Lage verstehen will, muss Anne Applebaum lesen.
VON VIOLA SCHENZ
Im Herbst 2023 stritten die Europäische Union und der US-Kongress über die Unterstützung der Ukraine. Hier wie dort blockierte eine Minderheit mit guten Beziehungen zu Russland weitere Finanz- und Militärhilfen – Anhänger des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und Trump-hörige republikanische Abgeordnete. Die von Iran hochgerüstete Hamas verübte ihren brutalen Terrorangriff auf Israel. Die ebenfalls Iran-treuen Huthi-Rebellen in Jemen feuerten auf Frachtschiffe im Roten Meer. Der aserbaidschanische Diktator Ilham Alijew eroberte mit Segen und Kampfdrohnen aus der Türkei die Region Bergkarabach und vertrieb die 100 000 dort lebenden Armenier. Im Frühjahr 2024 flogen chinesische Hacker auf, die in die Computer des britischen Parlaments eingedrungen waren. In Brüssel, Warschau und Prag wurde eine russische Kampagne aufgedeckt, die auf die Europawahlen einwirken sollte. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro kündigte die Besetzung einer Provinz im Nachbarstaat Guyana an. Derweil strömten Hunderttausende wegen seiner inkompetenten Gewaltherrschaft verarmte Venezolaner gen USA, was dort Überfremdungsängste hochkochen ließ und Donald Trump, der im Ukrainekrieg mit Putin sympathisiert, Zulauf bescherte.
All diese zusammenhängenden Krisen werden nicht von einem Superhirn zentral koordiniert und sind auch nicht das Produkt einer Verschwörung, schreibt Anne Applebaum. „Stattdessen zeigt die Summe der Vorfälle, über welchen Einfluss Autokraten inzwischen in verschiedenen politischen, wirtschaftlichen, militärischen und Informationssphären verfügen.“ Sie zeige zugleich, wie viel Schaden sie anrichten können für ihr gemeinsames Ziel, „die Beschädigung der Demokratien und der demokratischen Werte“. Moderne Autokratien, fährt sie fort, verfolgten Siege und Niederlagen anderer genau und wählten den Zeitpunkt für eigene Schritte so, dass größtmögliches Chaos entstehe.
Die Osteuropa-Historikerin und Journalistin Applebaum ist eine hervorragende Kennerin autoritärer Herrschaftssysteme. Nach dem Studium an der Yale University und der London School of Economics begann sie 1988, gerade mal 24 Jahre alt, als Korrespondentin des Economist in Warschau und berichtete über den Zusammenbruch des Kommunismus. Es folgten Stationen bei namhaften anglo-amerikanischen Zeitungen, Magazinen und Thinktanks. Ihre Bücher sind Bestseller und preisgekrönt, unter anderem mit dem Pulitzer-Preis. Dieses Jahr erhält sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Tochter aus gutbürgerlich-jüdischem Haus an der US-Ostküste ist mit dem amtierenden polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet und lebt seit 2006 in Polen.
Ihr neues Buch „Die Achse der Autokraten“ ist eine finstere Weltreise zu modernen Diktaturen. Im Gegensatz zu früheren militär-politischen Bündnissen von Demokratiefeinden trete diese Gruppe nicht als Block auf, schreibt Applebaum, sondern eher wie eine Kooperation von Unternehmen, was den Umgang mit ihnen umso schwieriger mache. „Den Zusammenhalt liefert keine gemeinsame Ideologie, sondern nur die skrupellose Entschlossenheit, mit der sie sich selbst bereichern und ihre Macht erhalten.“
Der Schurkenverbund floriert: Putin unterstützt rechtsradikale und extremistische Bewegungen in Europa und versorgt afrikanische Despoten mit Söldnern und Waffen. Sein Krieg in der Ukraine führt weltweit zu Nahrungsmittelknappheit und hohen Energiepreisen. Iran finanziert seine Schergen in Libanon, in Palästina, in Jemen und im Irak mit Ölverkäufen an China und Indien. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko versucht, seine demokratischen Nachbarländer zu destabilisieren, indem er Flüchtlinge aus dem Nahen Osten einfliegen lässt und in die EU schleust. Kubaner kämpfen mit der russischen Armee in der Ukraine, kubanische Geheimpolizisten stützen Maduros Diktatur in Venezuela.
Autokraten versorgen einander nicht nur mit Geld und Waffen, sondern, genauso wichtig, auch mit Straflosigkeit. Russland und China schützen ihre Freunde Nordkorea, Iran und Syrien mit Vetos im UN-Sicherheitsrat. Das wiederum erhöht die Furcht- und Schamlosigkeit. „Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts verhüllten die meisten Diktaturen ihre wahren Absichten mit ausgeklügelten und sorgfältig manipulierten demokratischen Darbietungen“, schreibt Applebaum. Längst aber sei es Autokraten gleichgültig, wie sie vor der Welt dastünden. So macht Myanmars Militärregierung keinen Hehl daraus, dass sie in den Straßen von Rangun Hunderte Demonstranten getötet hat. Das Regime von Simbabwe schikaniert bei seinen Scheinwahlen die Oppositionspolitiker in aller Öffentlichkeit. Iranische Mullahs geben sich nicht mal mehr Mühe, ihre brutale Unterdrückung von Frauen zu verheimlichen.
Aus demselben Motiv nähmen autokratische Systeme wirtschaftlichen Kollaps, Gewalt, Massenarmut und internationale Isolation in Kauf. Lukaschenko oder Baschar al-Assad scheint es egal zu sein, ob sie über ruinierte Volkswirtschaften und Gesellschaften herrschen. Im Gegensatz zu Diktatoren des 20. Jahrhunderts gehe es ihnen nicht darum, ihren Untertanen eine heile Welt vorzugaukeln. Vielmehr wollen sie, dass sich diese von der Politik fernhalten und jede Hoffnung auf eine demokratische Alternative fahren lassen, so Applebaum. Gleichzeitig destabilisieren und verteufeln sie Demokratien nach dem Motto: Unser Staat mag dir nicht gefallen, aber wir sind zumindest stark, und die anderen sind schwach, verderbt, gespalten.
Letzteres trifft sogar oft zu, so schlimm ist die Lage inzwischen. Das offenbarte allein die jüngste UN-Vollversammlung Ende September, als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij zur Solidarität gegen die russischen Invasoren aufrief – vor halb leerem Plenum.
Solche Taktiken, gepaart mit fortwährenden Lügen und Desinformation, erzeugten nicht etwa Entrüstung, sondern Nihilismus. „Autokraten können nur gewinnen, wenn sie Hoffnungslosigkeit und Zynismus verbreiten“, so Applebaums zentrales Argument, „und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern in der ganzen Welt.“
Der gemeinsame Feind ist „der Westen“ – die demokratische Welt, die Nato, die Europäische Union, das freiheitliche Gedankengut. Doch der Westen ist auch Teil des Dilemmas – friedensbemüht, im Grunde aber desinteressiert und gleichgültig und mit eigenen, innenpolitischen Problemen beschäftigt, die, und das ist Teil der Strategie der Autokraten, von ihnen geschürt werden. Seit Jahren manipuliert Moskau demokratische Gesellschaften mit Falschinformationen, es spioniert, sabotiert und infiltriert, mit Morden und Angriffen auf Computersysteme oder die Energieversorgung. Das soll soziale Spannungen schüren und prorussische Narrative streuen. „Allmählich akzeptierten Demokratien Rechtlosigkeit selbst in ihren eigenen Grenzen“, meint Applebaum besorgt.
Der Westen träumt weiter vom Wandel durch Handel und Diplomatie, davon, „dass sich Demokratie und freiheitliches Gedankengut in einer offeneren und vernetzten Welt einfach in den autokratischen Staaten verbreiten würden“. Das Gegenteil ist der Fall: Die Autokratie und ihr Gedankengut dringen nun in die demokratische Welt vor. Nur wenige warnten früh vor leichtfertigem Optimismus. Chris Patten etwa, der letzte britische Gouverneur von Hongkong, klagte einst, die Briten litten unter „Wahnvorstellungen“, wenn sie glaubten, ein reicheres China werde automatisch ein demokratisches sein.
Die Werte, die den Westen auszeichnen, um die uns der Rest der Welt beneidet, also Markt- und Meinungsfreiheit, Toleranz, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, geraten an ihre Grenzen, weil wir sie missbrauchen lassen. Unsere rechtsstaatlichen Strukturen ermöglichen es, daheim ergaunertes Vermögen außer Landes zu schaffen und in Fußballvereine oder Immobilien in London, Paris und am Tegernsee zu stecken. Sie dulden Lügen-Medien wie Russia Today (RT) oder Propaganda-Einrichtungen wie die chinesischen Konfuzius-Institute, die sich, getarnt als Sprach- und Kulturlehrstätten, weltweit verbreiten.
Wer an der Welt verzweifelt, sie aber verstehen will, muss „Die Achse der Autokraten“ lesen. Applebaum koppelt versiert Wissenschaft und Journalismus, sie beschreibt kundig und luzide, sachlich und schwurbellos, was ist, was das bedeutet, und was daraus folgt. Die Stärke des Buchs liegt auch in seiner relativen Kürze; bei dem Wust an Material hätte es locker doppelt so lang ausfallen können. Obendrein ist es gut übersetzt und lektoriert, beides leider nicht mehr selbstverständlich.
Wer oder was aber rettet uns nun vor Autokraten? Eine Gegen-Achse wäre dienlich, ein Schulterschluss redlicher, rechtsstaatlicher Politik und Justiz. Man müsste Apathie und Eigeninteressen überwinden, Steueroasen austrocknen, seriöse Medien und Demokratie-Aktivisten anderswo fördern, Sabotage und Spionage ahnden, Wehrhaftigkeit und politische Moral über billiges russisches Gas und noch billigere chinesische Flachbildschirme stellen. Applebaums naheliegende Vorschläge klingen eher idealistisch denn realistisch. Gewidmet hat sie ihr jüngstes Werk folgerichtig den „Optimisten“.
„Keine gemeinsame
Ideologie, nur skrupellose
Entschlossenheit“
Die Publizistin erhält 2024
den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels
Anne Applebaum:
Die Achse der Autokraten.
Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Siedler-Verlag, München 2024. 208 Seiten, 26 Euro.
Die Welt im Visier: Wladimir Putin beim Besuch bei der russischen Luftwaffe im März.
Foto: Mikhail Metzel/AFP
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der Schurkenländer
Eine „Achse der Autokraten“ macht sich daran,
den freien Westen zu zerstören. Wer die Dramatik
der Lage verstehen will, muss Anne Applebaum lesen.
VON VIOLA SCHENZ
Im Herbst 2023 stritten die Europäische Union und der US-Kongress über die Unterstützung der Ukraine. Hier wie dort blockierte eine Minderheit mit guten Beziehungen zu Russland weitere Finanz- und Militärhilfen – Anhänger des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und Trump-hörige republikanische Abgeordnete. Die von Iran hochgerüstete Hamas verübte ihren brutalen Terrorangriff auf Israel. Die ebenfalls Iran-treuen Huthi-Rebellen in Jemen feuerten auf Frachtschiffe im Roten Meer. Der aserbaidschanische Diktator Ilham Alijew eroberte mit Segen und Kampfdrohnen aus der Türkei die Region Bergkarabach und vertrieb die 100 000 dort lebenden Armenier. Im Frühjahr 2024 flogen chinesische Hacker auf, die in die Computer des britischen Parlaments eingedrungen waren. In Brüssel, Warschau und Prag wurde eine russische Kampagne aufgedeckt, die auf die Europawahlen einwirken sollte. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro kündigte die Besetzung einer Provinz im Nachbarstaat Guyana an. Derweil strömten Hunderttausende wegen seiner inkompetenten Gewaltherrschaft verarmte Venezolaner gen USA, was dort Überfremdungsängste hochkochen ließ und Donald Trump, der im Ukrainekrieg mit Putin sympathisiert, Zulauf bescherte.
All diese zusammenhängenden Krisen werden nicht von einem Superhirn zentral koordiniert und sind auch nicht das Produkt einer Verschwörung, schreibt Anne Applebaum. „Stattdessen zeigt die Summe der Vorfälle, über welchen Einfluss Autokraten inzwischen in verschiedenen politischen, wirtschaftlichen, militärischen und Informationssphären verfügen.“ Sie zeige zugleich, wie viel Schaden sie anrichten können für ihr gemeinsames Ziel, „die Beschädigung der Demokratien und der demokratischen Werte“. Moderne Autokratien, fährt sie fort, verfolgten Siege und Niederlagen anderer genau und wählten den Zeitpunkt für eigene Schritte so, dass größtmögliches Chaos entstehe.
Die Osteuropa-Historikerin und Journalistin Applebaum ist eine hervorragende Kennerin autoritärer Herrschaftssysteme. Nach dem Studium an der Yale University und der London School of Economics begann sie 1988, gerade mal 24 Jahre alt, als Korrespondentin des Economist in Warschau und berichtete über den Zusammenbruch des Kommunismus. Es folgten Stationen bei namhaften anglo-amerikanischen Zeitungen, Magazinen und Thinktanks. Ihre Bücher sind Bestseller und preisgekrönt, unter anderem mit dem Pulitzer-Preis. Dieses Jahr erhält sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Tochter aus gutbürgerlich-jüdischem Haus an der US-Ostküste ist mit dem amtierenden polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet und lebt seit 2006 in Polen.
Ihr neues Buch „Die Achse der Autokraten“ ist eine finstere Weltreise zu modernen Diktaturen. Im Gegensatz zu früheren militär-politischen Bündnissen von Demokratiefeinden trete diese Gruppe nicht als Block auf, schreibt Applebaum, sondern eher wie eine Kooperation von Unternehmen, was den Umgang mit ihnen umso schwieriger mache. „Den Zusammenhalt liefert keine gemeinsame Ideologie, sondern nur die skrupellose Entschlossenheit, mit der sie sich selbst bereichern und ihre Macht erhalten.“
Der Schurkenverbund floriert: Putin unterstützt rechtsradikale und extremistische Bewegungen in Europa und versorgt afrikanische Despoten mit Söldnern und Waffen. Sein Krieg in der Ukraine führt weltweit zu Nahrungsmittelknappheit und hohen Energiepreisen. Iran finanziert seine Schergen in Libanon, in Palästina, in Jemen und im Irak mit Ölverkäufen an China und Indien. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko versucht, seine demokratischen Nachbarländer zu destabilisieren, indem er Flüchtlinge aus dem Nahen Osten einfliegen lässt und in die EU schleust. Kubaner kämpfen mit der russischen Armee in der Ukraine, kubanische Geheimpolizisten stützen Maduros Diktatur in Venezuela.
Autokraten versorgen einander nicht nur mit Geld und Waffen, sondern, genauso wichtig, auch mit Straflosigkeit. Russland und China schützen ihre Freunde Nordkorea, Iran und Syrien mit Vetos im UN-Sicherheitsrat. Das wiederum erhöht die Furcht- und Schamlosigkeit. „Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts verhüllten die meisten Diktaturen ihre wahren Absichten mit ausgeklügelten und sorgfältig manipulierten demokratischen Darbietungen“, schreibt Applebaum. Längst aber sei es Autokraten gleichgültig, wie sie vor der Welt dastünden. So macht Myanmars Militärregierung keinen Hehl daraus, dass sie in den Straßen von Rangun Hunderte Demonstranten getötet hat. Das Regime von Simbabwe schikaniert bei seinen Scheinwahlen die Oppositionspolitiker in aller Öffentlichkeit. Iranische Mullahs geben sich nicht mal mehr Mühe, ihre brutale Unterdrückung von Frauen zu verheimlichen.
Aus demselben Motiv nähmen autokratische Systeme wirtschaftlichen Kollaps, Gewalt, Massenarmut und internationale Isolation in Kauf. Lukaschenko oder Baschar al-Assad scheint es egal zu sein, ob sie über ruinierte Volkswirtschaften und Gesellschaften herrschen. Im Gegensatz zu Diktatoren des 20. Jahrhunderts gehe es ihnen nicht darum, ihren Untertanen eine heile Welt vorzugaukeln. Vielmehr wollen sie, dass sich diese von der Politik fernhalten und jede Hoffnung auf eine demokratische Alternative fahren lassen, so Applebaum. Gleichzeitig destabilisieren und verteufeln sie Demokratien nach dem Motto: Unser Staat mag dir nicht gefallen, aber wir sind zumindest stark, und die anderen sind schwach, verderbt, gespalten.
Letzteres trifft sogar oft zu, so schlimm ist die Lage inzwischen. Das offenbarte allein die jüngste UN-Vollversammlung Ende September, als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij zur Solidarität gegen die russischen Invasoren aufrief – vor halb leerem Plenum.
Solche Taktiken, gepaart mit fortwährenden Lügen und Desinformation, erzeugten nicht etwa Entrüstung, sondern Nihilismus. „Autokraten können nur gewinnen, wenn sie Hoffnungslosigkeit und Zynismus verbreiten“, so Applebaums zentrales Argument, „und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern in der ganzen Welt.“
Der gemeinsame Feind ist „der Westen“ – die demokratische Welt, die Nato, die Europäische Union, das freiheitliche Gedankengut. Doch der Westen ist auch Teil des Dilemmas – friedensbemüht, im Grunde aber desinteressiert und gleichgültig und mit eigenen, innenpolitischen Problemen beschäftigt, die, und das ist Teil der Strategie der Autokraten, von ihnen geschürt werden. Seit Jahren manipuliert Moskau demokratische Gesellschaften mit Falschinformationen, es spioniert, sabotiert und infiltriert, mit Morden und Angriffen auf Computersysteme oder die Energieversorgung. Das soll soziale Spannungen schüren und prorussische Narrative streuen. „Allmählich akzeptierten Demokratien Rechtlosigkeit selbst in ihren eigenen Grenzen“, meint Applebaum besorgt.
Der Westen träumt weiter vom Wandel durch Handel und Diplomatie, davon, „dass sich Demokratie und freiheitliches Gedankengut in einer offeneren und vernetzten Welt einfach in den autokratischen Staaten verbreiten würden“. Das Gegenteil ist der Fall: Die Autokratie und ihr Gedankengut dringen nun in die demokratische Welt vor. Nur wenige warnten früh vor leichtfertigem Optimismus. Chris Patten etwa, der letzte britische Gouverneur von Hongkong, klagte einst, die Briten litten unter „Wahnvorstellungen“, wenn sie glaubten, ein reicheres China werde automatisch ein demokratisches sein.
Die Werte, die den Westen auszeichnen, um die uns der Rest der Welt beneidet, also Markt- und Meinungsfreiheit, Toleranz, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, geraten an ihre Grenzen, weil wir sie missbrauchen lassen. Unsere rechtsstaatlichen Strukturen ermöglichen es, daheim ergaunertes Vermögen außer Landes zu schaffen und in Fußballvereine oder Immobilien in London, Paris und am Tegernsee zu stecken. Sie dulden Lügen-Medien wie Russia Today (RT) oder Propaganda-Einrichtungen wie die chinesischen Konfuzius-Institute, die sich, getarnt als Sprach- und Kulturlehrstätten, weltweit verbreiten.
Wer an der Welt verzweifelt, sie aber verstehen will, muss „Die Achse der Autokraten“ lesen. Applebaum koppelt versiert Wissenschaft und Journalismus, sie beschreibt kundig und luzide, sachlich und schwurbellos, was ist, was das bedeutet, und was daraus folgt. Die Stärke des Buchs liegt auch in seiner relativen Kürze; bei dem Wust an Material hätte es locker doppelt so lang ausfallen können. Obendrein ist es gut übersetzt und lektoriert, beides leider nicht mehr selbstverständlich.
Wer oder was aber rettet uns nun vor Autokraten? Eine Gegen-Achse wäre dienlich, ein Schulterschluss redlicher, rechtsstaatlicher Politik und Justiz. Man müsste Apathie und Eigeninteressen überwinden, Steueroasen austrocknen, seriöse Medien und Demokratie-Aktivisten anderswo fördern, Sabotage und Spionage ahnden, Wehrhaftigkeit und politische Moral über billiges russisches Gas und noch billigere chinesische Flachbildschirme stellen. Applebaums naheliegende Vorschläge klingen eher idealistisch denn realistisch. Gewidmet hat sie ihr jüngstes Werk folgerichtig den „Optimisten“.
„Keine gemeinsame
Ideologie, nur skrupellose
Entschlossenheit“
Die Publizistin erhält 2024
den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels
Anne Applebaum:
Die Achse der Autokraten.
Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Siedler-Verlag, München 2024. 208 Seiten, 26 Euro.
Die Welt im Visier: Wladimir Putin beim Besuch bei der russischen Luftwaffe im März.
Foto: Mikhail Metzel/AFP
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»Selten liest man Bücher, die alles auf einmal sind: investigative Recherche, [..] politischer Appell und atemberaubend gut geschriebene Essayistik. [Dies] ist so ein Buch. Ein Glücksfall.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung