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Michele K. Troy hat die ganz und gar exzeptionelle Geschichte eines der erfolgreichsten Verlage des vorigen Jahrhunderts geschrieben.
Albatrosse, so heißt es in einschlägigen Lexika, übertreffen mit Flügelspannweiten von dreieinhalb Metern jede andere lebende Vogelart. Sie können große Strecken zurücklegen und ein hohes Alter von bis zu siebzig Jahren erreichen. Der Mythologie zufolge tragen sie die Seelen verstorbener Seeleute über das Wasser. Wer auch immer im Jahr 1931 die Idee hatte, einem Verlag den Namen dieser Seevögel zu geben, besaß Sinn für Symbolik. Die Idee war so genial, dass einer der erfolgreichsten Verlage des zwanzigsten Jahrhunderts sie (und das ganze Verlagskonzept) schlichtweg kopierte, um ab 1935 im Zeichen des Pinguins den Weltmarkt zu erobern. Doch während Penguin Books berühmt wurde, ist sein Vorbild mit dem eigenartigen Namen "The Albatross Verlag" allenfalls noch Spezialisten bekannt - zu Unrecht, denn die Geschichte dieses kurzlebigen Unternehmens, das von 1932 bis (in allerletzten Zuckungen) 1955 bestand, ist so außergewöhnlich, dass es höchste Zeit wurde, sie zu erzählen.
Michele K. Troy, Professorin für Englische Literatur an der Universität von Hartford, Connecticut, hat öffentliche und private Archive in Deutschland, Frankreich, Holland, England, Irland und den Vereinigten Staaten durchforstet, um Licht ins Dunkel eines Geflechts von Firmenkonstruktionen und von Dutzenden einander immer wieder überkreuzenden Lebensläufen zu bringen. Entstanden ist eine Verlagsgeschichte, wie sie abenteuerlicher kaum sein kann. Sie erzählt im Kern von drei Männern in den Dreißigerjahren - ihres Lebens wie des zwanzigsten Jahrhunderts -, die eine Marktlücke sahen, wo niemand sonst eine sah, und die unter den denkbar widrigsten Umständen mit kaufmännischem Wagemut, Chuzpe und Glück das Unmögliche schufen.
Die Marktlücke war die Verbreitung neuester angloamerikanischer Literatur in der Originalsprache in preiswerten Taschenbuchausgaben in Kontinentaleuropa, und zwar von Deutschland aus. Das große Vorbild war Bernhard Tauchnitz in Leipzig mit seiner 1841 begründeten "Tauchnitz Collection of British and American Authors". Bis zum Beginn der Dreißigerjahre war das Programm auf mehr als fünftausend Titel angewachsen. Tauchnitz beherrschte den Markt außerhalb Englands und der Vereinigten Staaten nahezu monopolartig. Möglich war dies nur, weil die Originalverleger kein Interesse an einer Verbreitung ihrer Bücher außerhalb des eigenen, hochpreisigen Absatzgebietes hatten und außerdem die Mühen scheuten, im zersplitterten Kontinentaleuropa einen eigenen Vertrieb aufzubauen. Stattdessen gaben sie (oder oft die Autoren selbst) Lizenzen an Tauchnitz, der damit zum bedeutendsten Verlag für englischsprachige Belletristik außerhalb des Vereinigten Königreichs und Amerikas wurde. Aber Tauchnitz widerfuhr, was Monopolisten noch öfter widerfahren sollte - das Unternehmen ruhte sich auf seinen Lorbeeren aus und verpasste den Anschluss an moderne Entwicklungen. Es genügte eine winzige Fehlentscheidung, um eine unvorhersehbare Dynamik in Gang zu setzen.
1930 entließ Tauchnitz den erst kurz zuvor engagierten Neffen des berühmten Leipziger Insel-Verlegers Anton Kippenberg, Max Christian Wegner. Es war eine Entscheidung, die die Tauchnitz-Geschäftsführer vermutlich noch in ihrer Todesstunde bereut haben. Denn Wegner suchte sich Partner für einen eigenen Verlag, der Tauchnitz das Fürchten lehren sollte, indem er dessen Konzept übernahm und ins zwanzigste Jahrhundert überführte. Er fand die Partner in der Gestalt von John Holroyd-Reece und Kurt Enoch.
Enoch, der Sohn eines Hamburger jüdischen Buchhändlers, übernahm den Vertrieb, während Holroyd-Reece, der eigentlich Johann Hermann Rieß hieß und als Sohn einer englischen Mutter und eines deutsch-jüdischen Vaters in Hellerau bei Dresden geboren worden war, über Kontakte zu allen und jedem verfügte, darunter auch zu dem jüdischen Kupfermagnaten und Philanthropen Sir Edmund Davis in England, der sich bereit erklärte, den neuen Verlag mit fünftausend Pfund zu finanzieren. Anders als Tauchnitz, der nicht einmal über einen eigenen Vertreter in London verfügte, war Holroyd-Reece, der in Paris wohnte, aber permanent in ganz Europa auf Reisen war, mit den Agenten von James Joyce und D. H. Lawrence, Aldous Huxley und Sinclair Lewis, Thornton Wilder und Evelyn Waugh ebenso vertraut wie mit denen der begehrten Kriminalautoren Agatha Christie, Edgar Wallace oder Dashiell Hammett. Sie alle - und viele weitere Autoren - vertrauten nicht Tauchnitz, sondern Albatross ihre neuesten Werke zur Verbreitung in Europa an.
Sie taten dies nicht nur, weil Albatross Vorschüsse in Pfund und Dollar zahlen konnte, sondern auch, weil das Unternehmen ungeheuer modern war, wie die Literatur, die das Verlagsprogramm bildete. Denn mit der Hilfe des deutschen Typographen Hans (Giovanni) Mardersteig in Florenz "erfand" Albatross nichts Geringeres als das preiswerte, gut gestaltete Taschenbuch, dessen Markenzeichen ein von Max Christian Wegner geschaffenes Farbleitsystem zur Kennzeichnung der jeweiligen Literaturgattung wurde - rot für Abenteuer- und Kriminalromane, grün für Reisebeschreibungen, orange für Kurzgeschichten, violett für Biographien und historische Werke, blau für Liebesgeschichten und gelb für "psychologische Romane oder Essays".
1932 erschienen die ersten Albatross-Bände, und die Geschichte ihres Verlags wäre vermutlich so normal verlaufen wie andere Verlagsgeschichten, hätten ihr nicht die politischen Entwicklungen den Rang des Exzeptionellen aufgezwungen. Denn Albatross arbeitete auch in der NS-Diktatur weiter und wurde sogar vom Regime gefördert, was ihn zu einer der erstaunlichesten Anomalien der deutschen Buchgeschichte machte. Immerhin: Albatross war eine in Hamburg registrierte, von Paris aus geleitete, mit jüdischem Kapital aus England ausgestattete, im Besitz einer Luxemburger Dachgesellschaft befindliche Firma, die mit einem italienischen Großbuchhändler liiert war, teilweise in Schottland drucken ließ und im gesamten Kontinentaleuropa neueste englischsprachige Bücher verbreitete - also so ziemlich der Idealfall dessen, was die Nazis hassten und unterdrückten.
Doch Albatross, so macht Troy deutlich, profitierte während der NS-Zeit von systemimmanenten Widersprüchen. Da der Verlag etwa siebzig Prozent seines Umsatzes außerhalb Deutschlands machte, erwirtschaftete er Devisen, die vom Regime dringlichst benötigt wurden - eine Lebensversicherung ganz eigener Art. Da der Verlag gleichzeitig den Import teurer Originalausgaben überflüssig machte, sparte er außerdem Devisen. Mit seinen Ausgaben von Unterhaltungs- und Kriminalliteratur befriedigte Albatross ein Bedürfnis der Leser nach evasorischer Lektüre, hatte also aus Sicht der Herrschenden eine systemstabilisierende Funktion. Nicht zu unterschätzen ist auch der propagandistische Wert der durch Albatross-Bücher suggerierten "Weltoffenheit".
Allerdings zahlte das Regime auch einen Preis dafür, dass es den Verlag gewähren ließ: "Indem der Nazistaat Albatross zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil tolerierte, schuf er paradoxerweise einen Raum, in dem die demokratischen Werte der englischsprachigen Literaturtradition ebenso gedeihen konnten wie die experimentellen Formen der internationalen literarischen Moderne, die der deutsche Staat auf dem Boden der eigenen Kultur eingestampft hatte." Albatross-Bücher waren ein Fenster in die moderne Welt - auf den Bestellformularen des Jahres 1933 fand sich etwa Huxleys "Brave New World" zwischen "Ulysses" und "Lady Chatterley's Lover", also zwei Büchern, die selbst in England und den USA verboten waren.
Beruhte Troys Buch nicht auf archivalischen Quellen, könnte man es für eine Mischung aus Abenteuerroman und Wirtschaftskrimi halten. Da ist die aufwühlende Geschichte von Kurt Enoch, der als Jude Hamburg verlassen muss, dann aus dem sicher geglaubten Zufluchtsort Paris flieht, mit blutigen Händen über die Pyrenäen kriecht, um schließlich mittellos in New York zu landen - wo er mit seinen bei Albatross erworbenen Kenntnissen einen der erfolgreichsten Taschenbuchverlage der Nachkriegszeit aufbaut. Da ist die Geschichte von Max Christian Wegner, der Enochs Hamburger Firma kauft, um diesem die Emigration zu ermöglichen, später wegen "wehrkraftzersetzender" Äußerungen vor das NS-Kriegsgericht kommt und nur dank glücklicher Umstände zum Dienst an der Ostfront "begnadigt" wird - und der nach dem Krieg mit eigenem Verlag (legendär: Goethes Werke von Erich Trunz) und dem Grossohaus Wegner noch einmal ganz von vorn beginnt. Schließlich ist da John Holroyd-Reece, der halbjüdische Engländer aus Dresden, von dem bis heute niemand weiß - und auch die Recherchen von Michele K. Troy bringen keine letzte Klarheit -, wer er wirklich gewesen ist, Exzentriker oder Hochstapler, Connaisseur oder Visionär des Massenbuchmarktes, Weltenbummler oder Geheimagent, jedenfalls eine der erstaunlichsten Persönlichkeiten in der Welt des Buches des zwanzigsten Jahrhunderts.
Anders als dem namengebenden Vogel war dem Albatross-Verlag nur eine Lebenszeit von gut einem Jahrzehnt beschieden. Doch in dieser Zeit überstiegen die "Flügelspannweite" ebenso wie die zurückgelegte Wegstrecke jedes erwartbare Maß. Es waren nicht die Seelen verstorbener Seeleute, sondern die quicklebendigen Geister der modernen englischsprachigen Literatur, die Albatross in einer Zeit der geistigen Ödnis für wenig Geld jedermann zugänglich machte. Mehr kann ein Verlag nicht leisten. MARK LEHMSTEDT
Michele K. Troy: "Die Albatross Connection". Drei Glücksritter und das 'Dritte Reich'.
Aus dem Englischen von Herwig Engelmann. Europa Verlag, München 2022. 544 S., Abb., geb., 42,- Euro.
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