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Widerstand hat nie lange auf sich warten lassen: Ella Müller zeigt, wie der Umweltschutz in den Vereinigten Staaten zu einem wichtigen Feld politischer Auseinandersetzung geworden ist.
Das Wahljahr 2016 war gerade einmal zwei Tage alt, da machten sich Journalisten aus ganz Amerika auf nach Harney County in Oregon, für die erste große Geschichte des Jahres: Ammon Bundy, ein rechter Aktivist, hatte ein paar Hundert Menschen so weit aufgestachelt, dass einige von ihnen das Hauptquartier eines Naturschutzgebietes besetzten. Erst vierzig Tage später gaben die letzten bewaffneten Störer auf, unter den selbst ernannten "Milizen" waren Rechtsradikale ebenso wie Menschen, die jegliche Naturschutzauflagen als staatlichen Eingriff in ihre Freiheit als Jäger oder Farmer ansahen. Die Historikerin Ella Müller erinnert in einem neuen Buch, das auf ihrer Dissertation basiert, an diesen "standoff", weil er für die Entwicklung steht, die sie beschreibt: die Radikalisierung der Republikaner auch im Kampf gegen den Natur- und Klimaschutz.
Ein Jahr nach dem Krawall in Oregon war Donald Trump Präsident, und am 1. Juni 2017 verkündete er den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Seine Regierung nahm so viele Umwelt- und Naturschutzverordnungen der Vorgänger zurück, dass der "Anti-Environmentalism" Staatsdoktrin im Weißen Haus geworden sei, so Müller. Amerikanische Historiker und Politikwissenschaftler wie Julian E. Zelizer oder Heather Cox Richardson haben in den vergangenen Jahren die Entwicklung der Republikaner als Radikalisierungsgeschichte erzählt und so mit dem Eindruck aufgeräumt, Trumps Präsidentschaft sei ein Bruch mit den Traditionen der Partei gewesen.
Rassismus, Religion und Lobbyismus nehmen in der Forschung breiten Raum ein. Der Widerstand gegen den Umweltschutz ist für Müller aber bislang eher zu kurz gekommen, dabei aber ein zentrales Feld der Auseinandersetzung. Sie beschreibt die Entwicklung der amerikanischen Umweltschutzpolitik als Wandel von einem relativ konfliktarmen Feld hin zu einer Arena des viel zitierten "Kulturkampfes", bei dem es stets um gesellschaftliche und politische Macht geht.
Dabei liefert die Historikerin auch eine Geschichte der Radikalisierung der Republikaner, die den bekannten Blickwinkeln neue hinzufügt. Wie die Partei seit den Sechzigerjahren zur neuen politischen Heimat all jener wurde, die den Demokraten den Rücken kehrten, ist oft beschrieben worden. Nachdem die Regierung des Demokraten Lyndon B. Johnson sich mit dem Civil Rights Act von 1964 zur Bürgerrechtsbewegung bekannt hatte, gewannen die Republikaner nicht nur bei den rassistischen Demokraten des Südens, den "Dixiecrats", Stimmen und Mandate. Die Logik der Umweltpolitik bewegte sich allerdings noch bis zur Präsidentschaft Richard Nixons in den vertrauten Bahnen des "environmental management state", wie Müller schreibt: eines Staates, der mit den Mitteln der Verwaltung zunächst vor allem die Landnutzung, zunehmend aber auch den Schutz der Natur organisierte und sich dabei auf breiten gesellschaftlichen Rückhalt stützen konnte.
Ein Beispiel ist etwa der Water Quality Act von 1965. Richard Nixon unterzeichnete dann 1970 als Präsident den weitreichenden National Environmental Policy Act (NEPA), mit dem das mächtige Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung etabliert war. Er konnte auf breite Unterstützung zählen, insbesondere nach der Ölpest im kalifornischen Santa Barbara im Vorjahr. Die Katastrophe ereignete sich, weil an einer Plattform im Meer unkontrolliert Öl ausfloss. An insgesamt zehn Tagen gelangten etwa 80.000 bis 100.000 Barrel Rohöl in den Santa-Barbara-Kanal und auf die örtlichen Strände. Rund 3500 Seevögel und zahlreiche Säugetiere starben.
Müller legt überzeugend dar, dass Nixon kein leidenschaftlicher Umweltschützer gewesen sei, sondern erkannt habe, dass die von ihm beschworene "schweigende Mehrheit" der weißen Amerikaner von ihm eine Mischung aus einem starken Staat, wirtschaftlicher Freiheit und weißer Identitätspolitik erhoffte.
Die Umweltpolitik, bei der der Staat sich als handlungsfähig erweisen konnte, sei somit ein Gewinnerthema und ein "Glücksfall" für ihn gewesen. Gleichzeitig gewann die Umweltschutzbewegung mit den neuen sozialen Bewegungen Zulauf - kulturell war sie zunehmend mit dem Teil der Bevölkerung assoziiert, der die Bürgerrechtsbewegung unterstützte. Die Umweltpolitik wurde so immer mehr zu einem Feindbild rechter Republikaner, die auf der Suche nach neuen strategischen Allianzen waren. Im Kampf gegen staatliche Umweltschutzeingriffe fanden sie eine Art strategisches Scharnier.
Die große Stärke des Buches von Müller sind die Fallstudien, die diese historische Erzählung ergänzen. Die Autorin stützt sich auf Originalquellen, die zum Teil noch nie wissenschaftlich ausgewertet wurden, reiste für ihr Projekt zu zahlreichen amerikanischen Archiven und Schauplätzen des Kampfes um den Umweltschutz. Anhand des politischen Werdegangs von Dixy Lee Ray zeigt sie etwa, dass die politischen Fronten nicht immer so klar waren wie heute. Ray war 1977 die erste Frau, die Gouverneurin des Westküstenstaates Washington wurde, einer Region, in der manche Menschen intensiv für den Schutz der Wälder kämpften, während andere vor allem die Rechte von Holzfällern, Jägern und Holzunternehmern zu schützen versuchten.
Die Biologin Ray trat für die Demokraten an, hatte jedoch bereits in der Atomenergiekommission von Nixons Regierung gesessen und war eine leidenschaftliche Befürworterin der Kernenergie. Ray wurde zu einer bekannten Gegnerin der Umweltbewegung, schrieb mehrere Bücher, darunter "Environmental Overkill", machte 1984 Wahlkampf für die Republikaner und wurde von Greenpeace einmal als gefährlichste Gegnerin bezeichnet. In Rays Engagement macht Müller viele Argumentationen aus, die typisch für die Rechte seien: Staatliches Handeln sah sie als Gängelung an, und das "Nicht-Gehört-werden" nach dem Scheitern der Wiederwahl zur Gouverneurin sei Ray zu einer politischen Handlungsmotivation geworden.
Einen großen Teil der Studie von Müller nimmt auch der Widerstand gegen den Klimaschutz ein. Ähnlich wie das Thema Schwangerschaftsabbrüche war die Erderwärmung nicht immer zentral für die amerikanische Rechte, sondern erwies sich erst im Laufe der Zeit als besonders geeignet zur Wählermobilisierung. Müller zeigt, wie gut finanzierte Lobbyorganisationen etwa der Kohleindustrie es schafften, wissenschaftliche Erkenntnisse in Zweifel und die Republikaner im Kongress auf ihre Seite zu ziehen. Nicht nur rechte Medien wie Fox News hätten dafür gesorgt, dass Klimawandelleugner eine immer breitere Lobby bekamen - auch die seriösen bürgerlichen Medien hätten dazu beigetragen, dass viele Bürger glaubten, es gäbe über die Existenz des Klimawandels einen seriösen wissenschaftlichen Konflikt.
Es gelingt nicht immer, aus einer historischen Dissertation ein spannendes Buch zu machen. Müller erzählt ihren Stoff lebendig und mit vielen Bezügen zur Gegenwart. Wie es beim Umweltschutz weitergeht, hängt wieder einmal vom Wahlausgang ab: Präsident Joe Biden bekommt bislang gemischte Kritiken für seine Umwelt- und Klimapolitik, Donald Trump würde vermutlich dort weitermachen, wo er 2021 aufgehört hat. FRAUKE STEFFENS
Ella Müller: "Die amerikanische Rechte und der Umweltschutz". Geschichte einer Radikalisierung.
Hamburger Edition, Hamburg 2023. 368 S., geb., 40,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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