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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Michael Hochgeschwender deutet die Amerikanische Revolution und zeigt, wie sie bis in die Gegenwart fortwirkt
Die Amerikanische Revolution steht im europäischen Geschichtsbewusstsein traditionell im Schatten der Französischen. Während in Frankreich gekrönte Häupter rollten und das "unreine Blut" der Tyrannen in Strömen floss, fehlten in Nordamerika der "totalitäre Blutrausch, der genozidale Gewaltexzess, der die Französische Revolution beim Versuch begleitete, einen Neuen Menschen zu generieren", wie der Münchner Kulturhistoriker Michael Hochgeschwender in seiner neuen großen Darstellung der Amerikanischen Revolution schreibt.
Lange Zeit hat die Geschichtsschreibung den Geschehnissen in Nordamerika daher den genuin revolutionären Charakter abgesprochen. Auch Hochgeschwender spricht von einer konservativen Revolution, weil die amerikanischen Kolonisten für den "Erhalt überkommener Privilegien und Freiheiten" gekämpft hätten. Der Freiheitsbegriff, den die amerikanischen Revolutionäre dem Versuch von Krone und Parlament entgegensetzten, die Kolonien an den Lasten des Empires angemessen zu beteiligen, war zutiefst vormodern. Der Autor betont die Bedeutung des Tugendrepublikanismus, des evangelikalen Enthusiasmus und der traditionellen Rechte freier Briten als ideologische Wurzeln der Amerikanischen Revolution, denen gegenüber der Einfluss des liberalen vertragstheoretischen Denkens John Lockes nicht überschätzt werden dürfe: "Die USA waren und sind kein Kind der Aufklärung, sie sind ein Kind des Kompromisses zwischen Vormoderne und Moderne", so Hochgeschwenders pointiertes Diktum.
Dies alles bedeutet nun aber nicht, dass die Amerikanische Revolution gar nicht revolutionär gewesen wäre, und zwar nicht nur, weil Hochgeschwender dann doch ausführlich schildert, wie brutal der Bürgerkrieg zwischen revolutionären Whigs und königstreuen Tories geführt wurde, vor allem wenn sich die Kampfhandlungen mit dem Ziel verbanden, die meist auf Seiten der Briten kämpfenden Indianerstämme zu vertreiben und zu dezimieren. Der anfänglich begrenzte Konflikt um die Besteuerung der Kolonisten entfaltete eine Eigendynamik, die schließlich zum gewaltsamen Umsturz und zur Entstehung einer neuen republikanischen Ordnung führte, aus der sich schließlich eine moderne kapitalistische Marktgesellschaft und die erste egalitäre Massendemokratie für weiße Männer entwickelte.
Der Autor schreibt die Geschichte dieser Revolution in betonter Abgrenzung vom amerikanischen Geschichtspatriotismus und durchaus mit einigem Verständnis für die britische Position. Der Konflikt verlief zudem nicht nur zwischen Kolonien und Mutterland, zwischen amerikanischen Whigs und Tories, sondern war auch ein latenter Klassenkampf zwischen den kolonialen Eliten, denen es um die Wahrung ihrer Eigentumsinteressen ging, und den rebellischen, nach Anerkennung und Gleichheit strebenden Unterschichten. Den widersprüchlichen und leidvollen Erfahrungen der einfachen Menschen, der Soldaten, der Frauen, der schwarzen Sklaven und der Indianer widmet der Autor jeweils lange Kapitel, auch den oft geschmähten hessischen Söldnern, die auf Seiten der Briten kämpften, lässt er Gerechtigkeit widerfahren und spricht sie vom Vorwurf besonderer Rohheit ebenso frei wie vom Makel militärischen Versagens.
Michael Hochgeschwenders Buch ist die bisher beste deutschsprachige Darstellung der Amerikanischen Revolution. Der Autor verfügt über eine enzyklopädische Kenntnis der amerikanischen Geschichte und Geschichtsschreibung, er führt den Leser ebenso kundig durch das Labyrinth der englischen Parteiungen wie durch die politische Ideenwelt des achtzehnten Jahrhunderts. Der Autor ist ein brillanter Analytiker, der souverän komplexe Zusammenhänge und große Entwicklungslinien skizziert, er schreibt mit beeindruckender begrifflicher Präzision und bisweilen auch mit feiner Ironie.
Und doch fehlt diesem Werk etwas, nämlich die Stimmen der handelnden Zeitgenossen. Auf mehr als vierhundert Seiten bleiben die Quellen fast durchweg stumm. So diskutiert Hochgeschwender ausführlich Thomas Paines berühmte Flugschrift "Common Sense", die schon die Zeitgenossen als "Bibel der amerikanischen Revolution" rühmten, aber die beißende Polemik und der trockene Witz, mit denen Paine die Monarchie überschüttet, bleiben dem Leser verborgen. Nicht einmal die Unabhängigkeitserklärung, wohl einer der berühmtesten und einflussreichsten Texte der Weltgeschichte, erscheint dem Verfasser ein Zitat wert.
Diese Distanz zu den Quellen ist bedauerlich, denn die Wortgewalt, mit der sich die Antagonisten der Revolution gegenseitig traktierten, ist ein ästhetischer Genuss, den ein Historiker seinen Lesern nicht vorenthalten sollte, so wenn der englische Gelehrte Samuel Johnson das Freiheitspathos der Kolonisten mit seiner maliziösen Frage bloßstellte: "Wie kann es sein, dass ausgerechnet Sklaventreiber am lautesten nach Freiheit kläffen?"
War die Amerikanische Revolution wirklich die Geburt einer Nation? Man darf vermuten, dass der Verlag sich diesen Untertitel gewünscht hat, denn in seinen Schlussbetrachtungen betont der Autor gerade das unvollendete und widersprüchliche Erbe der Revolution für die weitere Geschichte der Vereinigten Staaten. Von einer einheitlichen, gar geeinten Nation konnte keine Rede sein, Sklaverei und Westexpansion schufen eine schwelende Konfliktlage, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in das "Stahlbad des Bürgerkrieges" mündete. Das alles ist, wie Michael Hochgeschwender uns eindringlich vor Augen führt, nicht wirklich Vergangenheit, sondern eine die Gegenwart prägende Geschichte.
MANFRED BERG
Michael Hochgeschwender: "Die Amerikanische Revolution". Geburt einer Nation 1763-1815.
C. H. Beck Verlag, München 2016. 512 S., Abb., geb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Michael Hochgeschwender erzählt die Geschichte der Amerikanischen Revolution:
„Sie wollte nicht den Neuen Menschen, sondern die Freiheit des Alten“
VON STEPHAN SPEICHER
No taxation without representation“, keine Besteuerung ohne Repräsentation – unter dieser Forderung begann die Amerikanische Revolution. Das Wort kennt jeder, sein Recht leuchtet jedem ein. Doch ganz so einfach war die Sache nicht. Die Abgaben auf importierten Tee, um die es ging, waren keine Steuern, sondern Zölle, und dieser Unterschied war immer, auch von den amerikanischen Siedlern, akzeptiert worden.
Und neben diesem juristischen Gesichtspunkt gab es auch ein starkes politisches Argument für den Zoll: Die nordamerikanischen Kolonien waren für Großbritannien teuer, von Profit und Ausbeutung konnte keine Rede sein. Ihre Verteidigung gegen Frankreich im Siebenjährigen Krieg oder besser: im French and Indian War 1754 – 1763 hatte die Krone hohe Summen gekostet, an denen sich die Siedler nicht beteiligten, obwohl der Krieg doch auch in ihrem Interesse geführt worden war. Und dass es überhaupt Tee und Handel geben konnte, durften sich die Briten gleichfalls gutschreiben. Allein die Royal Navy hielt die karibischen Piraten halbwegs in Schach, eine kostspielige Aufgabe, von der man sich fragen konnte, warum nicht auch Nordamerikaner sie mitfinanzieren sollten. Mittlerweile war im Mutterland die Steuerlast pro Kopf 26-mal höher als in den Kolonien, obwohl man da sehr gut lebte.
Die Amerikanische Revolution und der Unabhängigkeitskrieg sind einer der großen Momente der Geschichte des Westens. Wenn diesen so etwas auszeichnet wie ein politisch-moralisches Projekt, dann kann man es hier studieren. Zum ersten Mal gewinnt der Gedanke der Volkssouveränität Gestalt, es ist die Aufkündigung des Gottesgnadentums, „eine größere Revolution, als früher je eine in der Welt gewesen war“, wie Leopold von Ranke es 1854 in seinen Vorträgen vor Maximilian II. ausdrückte. Eine Verfassung tritt in Kraft, die neben der Volkssouveränität erstmals dem Prinzip der Gewaltenteilung Geltung verschafft und, mit wenig Verspätung, in den ersten zehn Zusatzartikeln Grundrechte formuliert.
Und doch gilt die Amerikanische Revolution in Deutschland nicht viel. Aus dem Schatten der Französischen Revolution ist sie nie herausgetreten; ihre klassischen Darstellungen haben sich bei uns nicht verbreiten können. Es gibt da eine Lücke, in die nun Michael Hochgeschwender tritt, Professor am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er stellt die „Geburt einer Nation“ dar, die oft als relativ unproblematisch gilt. An ihrem Anfang steht die Ablehnung fremder Herrschaft, ein Krieg muss geführt werden, aber es kommt nicht zum Terror, der Französische und Russische Revolution befleckt.
Dieser Eindruck ist nicht völlig falsch. Man schätzt, dass die Whigs, die Revolution und Unabhängigkeit wollten, nur etwa 35 bis 40 Prozent der Bevölkerung ausmachten. 20 bis 25 Prozent standen loyal zum König, den Rest machten die Neutralen, „Apathischen und Apolitischen“ aus. Und das hieß, dass der Krieg, der sich 1775 entwickelte, nicht allein der Krieg der Nordamerikaner gegen britische Truppen war. Es war auch ein Bürgerkrieg der Revolutionäre und Loyalisten, geführt mit der bürgerkriegstypischen Grausamkeit. Und doch, was fehlte, „das war der totalitäre Blutrausch, der genozidale Gewaltexzess, der die Französische Revolution beim Versuch begleitete, einen neuen Menschen zu generieren. (… ) Der Amerikanischen Revolution fehlte die genuin moderne Form extrem enthemmter Vernichtungsgewalt, weil es sich bei ihr nicht um eine moderne Revolution handelte. Sie wollte nicht den Neuen Menschen, sondern die Freiheit des Alten.“ Das erleichterte nach Kriegsende auch die Aussöhnung der inneramerikanischen Gegner: das geringe Maß des ideologischen Eifers, man darf auch sagen: des moralischen Feuers.
Viele Amerikaner zeigten im Kampf für die Freiheit eine gewisse Lustlosigkeit. Aushebungen waren unpopulär, die Milizen – man möchte denken, die ersten Träger des republikanischen Gedankens – unzuverlässig, Steuern wurden ungern und zögerlich bezahlt, und dies, obwohl sie doch der eigenen Sache, der der Freiheit dienten. Man ahnt, wie es möglich ist, dass heute ein Präsidentschaftskandidat öffentlich prahlt, dass es nur für seine Klugheit spreche, wenn er keine Steuern zahle. Sehr fraglich, ob die Amerikaner den Briten standgehalten hätten, wenn nicht die bourbonischen Mächte, Frankreich und Spanien, zu Hilfe gekommen wären, mit Truppen und Subsidien. Und als die Briten zu einem Frieden bereit waren, da schlossen ihn die Nordamerikaner separat und ließen ihre Bundesgenossen dumm dastehen – was man wiederum klug und nüchtern finden kann. Vielleicht ist der Wunsch nach freudigen Empfindungen beim Betrachten demokratischer Prozesse unangemessen?
Hochgeschwenders „Amerikanische Revolution“ hat nicht unbedingt das Zeug, die klassische Darstellung des Themas zu werden. Dafür ist der disponierende Zugriff zu schwach, die Detailfreude zu groß. Und doch ist das Buch eine höchst interessante Lektüre auch für den, der es auf dem Sofa ohne Stift und Papier nur durchschmökert. Hochgeschwender hat nämlich in der Detailfreude eine Menge Denkmaterial zu bieten. Auf welch schwankenden geistigen Grundlagen beginnt nicht der Kampf für die Freiheit! Die Rechte des free Englishman gaben die Losung ab. Aber was war damit gemeint? Auch auf den britischen Inseln glaubte man selbstverständlich, diesen Rechten zu entsprechen. Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden. Doch gerade der Grundsatz no taxation without representation kam vielen ganz unenglisch vor. Das englische Recht war und ist eines aus altem Herkommen; der naturrechtliche Ton, der in der Steuerverweigerung angeschlagen wurde, war seiner historisch-pragmatischen Natur fremd.
Aber nicht allein die Steuerfrage bewegte die Kolonisten. Ähnlich wichtig war, dass der englische König 1763 ihnen eine Grenze gezogen hatte. Der Höhenkamm der Apalachen, die „Proklamationslinie“, sollte künftig das Land der Kolonisten im Osten und das der Indianer im Westen trennen. Für die rasch wachsende Gemeinde der Kolonisten war das eine böse Überraschung, Hemmung ihrer freien Entfaltung. Wer sich als junger Mann der drückenden Dominanz seiner Familie entziehen wollte, der konnte nun nicht mehr so einfach nach Westen gehen und sich auf neuem Land einrichten. (Tatsächlich wurde die Proklamationslinie weitgehend missachtet.) Die königliche Regelung schützte die Indianer, wurde aber von den revolutionären Kolonisten als Freiheitsbeschränkung empfunden. Dass sie sich durchsetzten, war für die Indianer, wie Hochgeschwender schreibt, „wortwörtlich vernichtend“.
Und auch für die Schwarzen, meist Sklaven, hatte die Revolution ihre hässliche Seite. In Großbritannien war 1772 ein Urteil ergangen, Sklaven, die auf den Boden des britischen Mutterlandes verbracht würden, seien freizulassen. Das Urteil löste nicht den Unabhängigkeitskrieg aus. Aber es erregte in den südlichen Kolonien Unmut und trug dazu bei, die hier eher stärkeren Loyalitäten zur Krone abzubrechen. Und als während des Unabhängigkeitskrieges Lord Dunmore entflohenen Sklaven die Freiheit versprach, wenn sie sich der britischen Armee anschlossen, da bezeichnete selbst George Washington ihn als einen „Erzverräter der Menschheit“.
Gewiss war die Sklaverei, the peculiar institution, vielen der Revolutionäre zuwider. In den nördlichen Staaten wurde sie bald verboten. Aber sie lief auch nicht bloß mit, sie konnte sich auf eine elaborierte Verteidigung aus dem Geist des Liberalismus stützen. Freiheit war an den Begriff des Eigentums gekoppelt, nur wer Eigentum effizient bewirtschaftete, konnte nach John Locke Anspruch auf Freiheit erheben. Und da man solche Effizienz den Schwarzen wie den Indianern absprach, standen sie in der letzten Reihe. Die Amerikanische Revolution bedeutet wahrhaftig eine neue Ordnung der Zeiten, novus ordo seclorum, wie es im Großen Siegel der USA 1782 heißt. Aber Hochgeschwender breitet aus, auf welch verschlungen, schlammigen Wegen sie erreicht wurde.
Michael Hochgeschwender: Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763 – 1815. C. H. Beck, München 2016. 512 Seiten, 29,95 Euro. E-Book 24,99 Euro.
Im Kampf für die Freiheit
zeigten viele Amerikaner
eine gewisse Lustlosigkeit
Die Siedler waren empört, dass
der König ihnen eine Grenze
gezogen hatte
Erinnerung an die Geburt einer Nation: Mel Gibson als Benjamin Martin in dem Film „The Patriot“ (2000).
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Josef Johannes Schmid, sehepunkte, 20. November 2017
"Eine eindrucksvolle und flüssig geschriebene Darstellung (...) vorzüglich und in Kenntnis vor allem der amerikanischen Forschung geschrieben."
Hermann Wellenreuther, H SOZ KULT, 25. April 2017
"Fundierte und spannend geschriebene Monografie (...) lesenswert."
Alexander Weinlein, Das Parlament, 19. Dezember 2016
"Die bisher beste deutschsprachige Darstellung der Amerikanischen Revolution (...) Der Autor ist ein brillanter Analytiker, der souverän komplexe Zusammenhänge und große Entwicklungslinien skizziert."
Manfred Berg, FAZ, 12. November 2016
"Ein fundiertes Werk, das ein breites Verständnis für Vergangenheit und Gegenwart der USA erlaubt."
Moritz Holler, SWR2 Die Buchkritik, 8. November 2016
"Brillantes (...) spannendes Buch."
Hannes Stein, Literarische WELT, 22. Oktober 2016
"Wer an dieser spannenden Zeit in der amerikanischen Geschichte interessiert ist, liegt mit der Wahl des Buches richtig."
Martin Kessler, Rheinische Post, 12. Oktober 2016
"Eine erfrischende Art des wissenschaftlichen Schreibens."
Tom Goeller, Deutschlandfunk, 10. Oktober 2016
"(A)uf dem neuesten Stand der Forschung."
Neues Deutschland, 18. Oktober 2016
"Eindrucksvoll."
Julian Weber, taz - die tageszeitung, 18. Oktober 2016