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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zurzeit besteht ein fataler Anreiz, den Tod in Kauf zu nehmen, um nach Europa zu kommen. Ein Migrationsforscher setzt seine "Utopie" dagegen.
Von Jasper von Altenbockum
Manchmal lohnt es sich, ein Buch von hinten zu lesen. Das letzte Kapitel von Ruud Koopmans' Kritik der Asylpolitik, das Kapitel über eine "realistische Utopie", ist das spannendste. Denn er hat ja recht: Die derzeitige Praxis des Asylrechts in der Europäischen Union strotzt nur so vor Widersprüchen, Ungerechtigkeiten, Inkonsequenzen, Überforderungen. Das fatale Ergebnis ist der massenhafte Tod im Mittelmeer. Die Ursachen dafür breitet Koopmans in den sechs Kapiteln davor sehr griffig und anschaulich aus. Aber was folgt daraus? Gibt es einen besseren, einen ganz anderen Weg jenseits dieser inakzeptablen Schwächen, jenseits auch von links- und rechtspopulistischen Träumereien? Die "Utopie" des Migrationsforschers an der Humboldt-Universität besteht aus festen nationalen Kontinenten für Flüchtlinge und aus Asylverfahren, die nicht im Wunschland der Bewerber stattfinden, sondern exterritorial, in Drittstaaten. Koopmans tritt also für die "australische Lösung" ein. In Europa wird sie derzeit von Dänemark und Großbritannien nachgeahmt, wenn auch nicht im Sinne Koopmans. Denn er plädiert dafür, dass die Härten ausgelagerter Asylverfahren durch großzügig bemessene Kontingente kompensiert werden. Für Deutschland hieße das, dass jährlich weit mehr als hunderttausend Flüchtlinge aufgenommen würden - weit weniger als jetzt, aber weit mehr als in "normalen" Jahren, vor allem aber: vorhersehbarer, integrationsfähiger, konfliktfreier. Nur so und durch Ausnahmen (etwa humanitäre Visa oder für Asylbewerber aus EU-Anrainerstaaten) sei die für "rechte" Politiker attraktive Vorstellung, man könne Asylverfahren etwa nach Ruanda auslagern, auch für das "linke" Lager konsensfähig, glaubt Koopmans. Das zweite Rezept Koopmans ist ein Tauschgeschäft für Wirtschaftsflüchtlinge. Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern gegen großzügige Angebote zur Einwanderung von Fachkräften. Es müssten legale Migrationswege geschaffen werden, allerdings an klare Bedingungen geknüpft: weniger legale Möglichkeiten, wenn die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber stockt. Wie für die "australische Lösung" gilt auch hier, dass illegale Wanderung zwar reduziert, aber nicht ausgeschlossen werden kann. Australien hat es nach Darstellung Koopmans allerdings geschafft, die Zahl der Toten auf hoher See drastisch zu reduzieren. Grund dafür ist vor allem, dass der Anreiz, Schlepper zu bezahlen, gesunken ist. Koopmans geht ausführlich auf das Für und Wider solcher Ansätze ein. Er orientiert sich dabei an Wissenschaftlern wie Gerald Knaus, Daniel Thym oder Kay Hailbronner, die man als realistische Schule der deutschen Asylrechts- und Migrationsforschung bezeichnen könnte. Auf deren Wirken geht unter anderem das Türkei-EU-Abkommen zurück, das parallel zu den Grenzschließungen auf der Balkanroute zum Ende der unkontrollierten Wanderungsbewegung vor knapp zehn Jahren geführt hat. Eine wichtige Rolle in Koopmans Buch spielen die Erpressungsversuche des belarussischen Diktators Lukaschenko gegenüber der EU und der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine. In beiden Fällen wurden Glaubenssätze relativiert. Die EU konnte sehr wohl Grenzen schließen (im Falle von Belarus), und die osteuropäischen Staaten konnten sehr wohl Masseneinwanderung zulassen (nicht weil sie Rassisten sind, wie linke Migrationspolemik will, sondern weil die Ukraine für sie das ist, was die Türkei für Syrien: ein Erstaufnahmestaat). Dem Buch schadet es nicht, dass es auf die aktuelle deutsche Gesetzgebung, etwa das Einwanderungsgesetz für Fachkräfte, nicht mehr eingehen konnte. Man kann sich denken, was Koopmans dazu meint. Alles gut und schön, aber solange irreguläre Migration in einem Asylverfahren endet, dessen Ausgang eigentlich egal ist (weil Rückführungen die Ausnahme sind), ändert sich nichts am Grundübel. Das besteht im Anreiz, den Tod in Kauf zu nehmen, um nach Europa zu kommen. Deutschland nimmt dadurch eine überproportionale Einwanderung in die Sozialsysteme in Kauf, ohne den Bedarf an Fachkräften decken zu können. Einwanderungsländer machen das besser. Politiker, die daraus lernen wollen, sollten dieses Buch auf dem Nachttisch haben. Ruud Koopmans: Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg. C.H.Beck Verlag, München 2023. 269 S., 26,- Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Presse, Anne-Catherine Simon
"Wer in Europa Schutz bekommt, das ist laut dem Migrationsforscher Ruud Koopmans 'ziemlich willkürlich'. Es seien die, die sich den Weg leisten können. Ähnlich wie bei den Ukrainern sollte Deutschland Flüchtlinge direkt aus Kriegsregionen aufnehmen."
Deutschlandfunk Kultur, Kirsten Klümper
"Das europäische Asylsystem muss dringend reformiert werden, fordert der Soziologe Ruud Koopmans. Nur so verhindere man, dass Menschen ertrinken und Integration scheitere."
Tagesspiegel, Hans Monath
"Wie eine Neuregelung der Zuwanderung in die EU aussehen kann, das zeigt Koopmans in seinem neuen Buch in wiederum idealer Balance von ideologiefreier Datensichtung, Philanthropie und Sinn für das politisch Notwendige und Machbare."
Falter, Sebastian Kiefer
"Mit großem Differenzierungsvermögen und hoher Sachkenntnis ... Kurzum: das Buch lohnt die Lektüre."
hpd.de, Armin Pfahl-Traughber
"Das Buch kommt zur richtigen Zeit, und es liest sich mit großem Gewinn."
NZZ am Sonntag, Beat Stauffer
"Der Autor fasst das Problem und die Lösungen freilich kompakt, faktenbasiert und ohne jede Polemik so zusammen, dass hier ein Referenzwerk zum unerquicklichen Thema entstanden ist. Jetzt muss die Politik nur noch handeln."
Wiener Zeitung, Christian Ortner
"Politiker, die daraus lernen wollen, sollten dieses Buch auf dem Nachttisch haben."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jasper von Altenbockum