Inhaltsangabe:Einleitung: Wie kann man zugleich anwesend und nicht dabei gewesen sein? Diese Frage stellt Christa Wolfs Romanfigur Lenka, die Tochter der Protagonistin in Kindheitsmuster, ihrer Mutter im Spätsommer 1971. Die Antwort darauf ist aus heutiger Sicht noch immer ein Mysterium und das schauerliche Geheimnis der Menschen des letzten Jahrhunderts, wie Wolf sich ausdrückt. Die drei Autoren Christa Wolf, Ludwig Harig und Ruth Klüger, deren autobiographische Werke im Zentrum dieser Literaturbetrachtung stehen, versuchen dem Geheimnis ein Stück weit auf den Grund zu gehen. Ihre Ansätze unterscheiden sich dabei in vielerlei Hinsicht und sollen im Folgenden untersucht werden. Die Lebensläufe von Ludwig Harig, Christa Wolf und Ruth Klüger weisen auf den ersten Blick nur wenige Parallelen auf, wenn man von den Geburtsjahren absieht, die nicht weit auseinanderliegen. Durch diesen Umstand haben alle drei ihre Kindheit und die frühe Jugend unter nationalsozialistischer Obrigkeit verbracht, aber wie sehr beeinflusst eine Jugend in einem totalitären System den Fortgang des Lebens? Auf welche Weise berichten die Autoren von den Ereignissen ihrer Jugend und welche literarischen Mittel und Erzählstrukturen wenden sie dabei an? Die unterschiedlichen Perspektiven der Schriftsteller in Bezug auf den Nationalsozialismus spielen dabei eine wichtige Rolle. Ruth Klüger hat bereits im Kindesalter, aufgrund ihrer jüdischen Herkunft, die Schrecken der Verfolgung bis hin zur Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern erlebt. Wolf und Harig dagegen standen auf den ersten Blick gesehen als Mitglieder der Hitlerjugend auf der Seite der Verfolger. Doch lässt sich dieser erste Eindruck halten, wenn man die Faktoren betrachtet, die einen jungen Menschen zur Zeit des Faschismus beeinflussten? Es ist fraglich, ob ein Kind, welches der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten ausgesetzt war, als Täter oder Mitläufer bezeichnet werden kann. Man könnte im Hinblick auf die Geschichte nicht nur Klüger als Opfer des Systems ansehen, denn die anderen beiden wurden durch die Auswirkungen des Krieges, und in Wolfs Fall zudem durch die Flucht vor der Roten Armee, ebenfalls ein Stück weit ihrer Jugend beraubt. Harig schreibt zum Beispiel in einem Gespräch mit Jörg Magenau über seine Zeit in Frankreich direkt nach dem Krieg: Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, was für eine zwanghafte Kindheit ich in diesem Nationalsozialismus durchlebt hatte. Eine solche [...]
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