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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Bernhard Maier gelingt eine Geschichte der christlichen Mission, die der Diskussion über deren Zusammenhang mit Kolonialismus eine sachliche Basis gibt.
Als Léopold Sédar Senghor, Dichter und Präsident Senegals, 1968 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegennahm, führte er die Zuhörer in seiner Dankesrede in seine Jugendzeit. Im Priesterseminar einer französischen Mission in Dakar habe sein widerständiges politisches Denken begonnen. Von den Missionaren sei er immer wieder auf die Ebene des "herkömmlichen 'Lendenschurzes'" zurückgestoßen worden. Sie meinten, die "afrikanischen Vorfahren" hätten keine Kultur geschaffen, sondern eine "völlige Leere" hinterlassen, in der man "alles neu schaffen müsse". Senghor widersprach und musste das Priesterseminar verlassen. Nach dem Abitur ging er nach Paris und wurde zu einem der wichtigsten Intellektuellen des zwanzigsten Jahrhunderts. Jahrzehnte später entwarf er in der Paulskirche eine Gegengeschichte zur europäischen Zivilisationserzählung. Das antike Griechenland sei nicht der Beginn Europas, sondern Ergebnis der vielfältigen Austauschprozesse des viel älteren mediterranen Begegnungsraums, der Afrika selbstverständlich einschloss.
Ob Senghors Worte in Deutschland genügend Widerhall fanden, ist zweifelhaft. Diejenigen, die heute eine Umkehrung des Blicks fordern, haben mit Gegenwind zu kämpfen. Der evangelische Theologe Richard Schröder schrieb unlängst: Zwar gebe die Kolonisierung "Anlass zur Selbstkritik", jedoch sei dem "Kolonialismus weniger vorzuwerfen" als der innerafrikanischen Sklaverei. Man habe Afrikaner wie Kinder behandelt, streng zwar, aber um sie zu zivilisieren. "Afrikanische Christen" seien "dankbar", dass die Missionare sie von der "Geisterfurcht" befreit hätten. Derlei Missionsapologie mag nicht mehr repräsentativ sein für Kirchen, die Kooperation und interkulturellen Dialog betonen. Doch wirkt die alte Meistererzählung auch bei aufgeschlossenen Kirchenleuten weiter. Im Guten wie im Schlechten bleibt dann die alte Rollenverteilung: Die Gebenden, Lehrenden, Aktiven waren die Europäer, die Empfangenden, Lernenden, Passiven die außereuropäischen Missionierten. Mission wird als Diffusion der Kultur vom Zentrum an die Ränder der Welt imaginiert.
Von einer Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit, wie sie der Tübinger Religionswissenschaftler Bernhard Maier vorgelegt hat, darf man erwarten, dass sie sich von solchen Meistererzählungen löst. Nur so kann sie der Debatte um die Rolle christlicher Missionen in Kolonialismus und globalen kulturellen Beziehungen eine sachliche Basis geben. Man darf hoffen, dass sie Mission als interaktiven, vielfältigen und konfliktreichen Prozess beschreibt, dass sie politische Hintergründe verdeutlicht und die Gesellschaften differenziert darstellt, in denen Missionen wirkten. Man wünscht sich, dass sie die Zentrierung des europäisch-männlich-priesterlichen Subjekts in Zweifel zieht.
Das sind hohe Ansprüche. Bernhard Maier erfüllt sie in großen Teilen mit Bravour. Im Vorwort umreißt er Mission als Beziehungsgeschichte Europas mit den Regionen der Welt, die weit über die Sphäre der Religion hinaus den kulturellen Wandel nicht zuletzt in Europa selbst antrieb. Mission gilt ihm als Prozess, den Missionare und zu Missionierende, Frauen wie Männer, schufen. In elf Kapiteln durchmisst Maier die vergangenen fünf Jahrhunderte und die unterschiedlichen Räume missionarischer Tätigkeit. Die bekannten Missionen der iberischen Expansion in Süd- und Mittelamerika, in Indien, China und Japan haben ebenso ihren Platz wie die Mission bei den Sámi, den Inuit, den Inuk und den Gesellschaften in Sibirien oder auf den Pazifik-Inseln. Jeweils werden die politischen Bewegungen und sozialen Konflikte umrissen, bevor der Autor die Missionspraktiken und die gegenseitigen Transfers zwischen europäischen und außereuropäischen Akteuren darlegt.
Maier legt Wert auf die religiösen Prozesse, die durch Mission in Gang gesetzt werden: Geistertanzbewegungen der Prärie-Gesellschaften Nordamerikas, Cargo-Kulte an den Küsten Afrikas und des Pazifik, die westliche Theosophie oder die Formierung einer vergleichenden Religionswissenschaft an europäischen Universitäten. So erreicht das unaufgeregte Buch einen Grad an Pluralisierung und Dezentrierung des religiösen Blicks, der bisherigen Überblickswerken fehlt. In kurzen anschaulichen Beschreibungen verliert das Christentum Kapitel für Kapitel seine privilegierte Position in der Missionsgeschichte.
Am Ende vermisst man nur eines: Maier vermeidet es, die gegenwärtigen neuen Missionen etwa der Pfingstkirchen mit einzubeziehen, die überall in der Welt aktiv sind. So bleibt das Buch ein historisches, das selbst im Ausblick auf die Erinnerung, Historienfilme und Missionsmuseen, gerichtet ist. Das facettenreiche und doch handliche Werk bereitet der Diskussion um die Kolonialität von Mission und um ihre Wirkungen hinsichtlich weltweiter kultureller Verflechtungen eine zeitgemäße, multiperspektivische Grundlage.
Die Geschichte der Missionen ist damit noch nicht zu Ende erzählt. Nachrichten über Tausende toter Kinder, die von ihren indigenen Familien und Gesellschaften getrennt worden waren, in den von der katholischen Kirche in Kanada betriebenen "residential schools" erfordern weitere Untersuchungen. Die Kirchen müssen die Erfahrung physischer und psychischer Gewalt ernst nehmen, die gepaart war mit kulturellem Hochmut, wie sie der ehemalige Priesterseminarist Senghor beschrieb. RICHARD HÖLZL.
Bernhard Maier: "Die Bekehrung der Welt". Eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit. C. H. Beck Verlag, München 2021. 448 S., Abb., geb., 32,- Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Richard Hölzl
"Er bietet einen einzigartigen Schlüssel, um die Globalisierung der Kulturen in der Neuzeit besser zu verstehen."
Passauer Neue Presse