Walter I. Farmer, der frühere Offizier der US-Army in der amerikanischen Besatzungszone, hat sich 1945 um den Erhalt von bedeutendem europäischen kulturellen Erbe für Deutschland und Europa in besonderer Weise verdient gemacht, als es darum ging, den strikten Befehl aus Washington zum Abtransport wertvollster Gemälde (insbesondere aus der Sammlung der Berliner Gemäldegalerie) zu verhindern. Mit anderen in Deutschland eingesetzten "Kunstschutzoffizieren" der US-Army hat er 1945 das "Wiesbadener Manifest" verfaßt, das letztendlich dazu führte, daß die Kunstschätze heute noch in deutschen Museen zu bewundern sind. 1966 wurde ihm dafür das Bundesverdienstkreuz verliehen. Die vorliegende Autobiographie stellt neben dem persönlichen Erlebnisbericht ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument dar. Das Werk umfaßt einen umfangreichen Dokumenten- und Archivanhang.
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Wie der Amerikaner Walter I. Farmer dafür sorgte, daß die Spitzenwerke der Berliner Staatlichen Museen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland blieben
Aus gutem Grund besorgt auf die Kalksteinbüste der ägyptischen Königin Nofretete herabblickend, posiert der im Sommer 1945 zum Leiter des Wiesbadener Sammellagers militärisch sichergestellter Kunstwerke berufene Walter I. Farmer für ein Erinnerungsfoto, das den Einband einer Dokumentation über das Schicksal deutscher Kulturgüter am Ende des Zweiten Weltkrieges schmückt. Als so entschiedener wie sendungsbewußter "Bewahrer des Erbes" hatte der 1911 in Ohio geborene Architekt und Designer im hessischen "Central Collecting Point" die Verantwortung für die von amerikanischen Truppen aus thüringischen Salzbergwerken geborgenen Spitzenwerke der Berliner Staatlichen Museen übernommen. Zu den im notdürftig wiederhergestellten Wiesbadener Landesmuseum treuhänderisch bewahrten Artefakten gehörten neben der als Gipfelleistung der Amarna-Kunst gefeierten Nofretete der Welfenschatz und mehr als eintausendfünfhundert Gemälde aus dem Kaiser-Friedrich-Museum und der Nationalgalerie.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf den von Städel-Direktor Ernst Holzinger fachlich beratenen Konservator am 6. November 1945 ein Befehl der Militärregierung, innerhalb von zehn Tagen zweihundert Altmeistergemälde sowie Honoré Daumiers "Don Quixote" und Edouard Manets "Wintergarten" zur Überführung in die Vereinigten Staaten zu präparieren. In Sorge um das ungewisse künftige Schicksal seiner Schützlinge mobilisierte Farmer zweiunddreißig ebenfalls im Dienst der MFA & A (Monuments, Fine Arts & Archives) tätige Kollegen, eine Protestnote zu unterzeichnen, in der die aufgebrachten Kunstschutzoffiziere sich vehement gegen den "Abtransport von Kunstwerken aus dem Eigentum deutscher Einrichtungen und Staatsbürger" wandten.
Das als "Wiesbadener Manifest" in die Geschichte der Beutekunst eingegangene Veto stellte nach Solidaritätserklärungen amerikanischer Museumsdirektoren die Weichen für die Abwendung einer katastrophalen Entwicklung, die im Rahmen von Restitutionsforderungen wohl auf Eingliederung deutscher Museumsbestände in öffentliche Sammlungen der Vereinigten Staaten hinausgelaufen wäre. Statt dessen kam es lediglich zu einer phänomenal gut besuchten Ausstellung in der National Gallery von Washington und - nach der Ausgliederung der hochempfindlichen Holztafeln - zu einer Tournee durch zwölf amerikanische Städte.
Nach Intervention der als "Consultant" herbeigerufenen Berliner Kunsthistorikerin Irene Kühnel-Kunze, die Spezialkenntnisse in die Waagschale werfen konnte, kehrten die Bilder am 22. April 1949 wohlbehalten nach Deutschland zurück, wo sie später in die Obhut der 1955 gegründeten Stiftung Preußischer Kulturbesitz gelangten und bis Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in einem Dahlemer Interimsquartier zu besichtigen waren.
Mit standing ovations des Auditoriums bedacht, erinnerte Walter Farmer Anfang 1995 in dem New Yorker Symposion "The Spoile of War", das Vertreter der östlichen und der westlichen Welt am grünen Tisch zusammengeführt hatte, an das höchst mutige Aufbegehren der amerikanischen Kunstschutzoffiziere angesichts eines keineswegs auszuschließenden Eingreifens militärischer Gerichtsbarkeit. Nicht zuletzt, um ein Exempel gegen die eherne russische Haltung in Sachen Beutekunst zu statuieren, wurde Farmer ein Jahr später mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Anschließend empfing ihn der Direktor der Berliner Gemäldegalerie, Henning Bock, zu einem Rundgang durch sein Haus, das dem Gast aus Cincinnati den Wiedergewinn einer langen Reihe jener Kostbarkeiten verdankt, die seit 1998 in einem Neubau am Kemperplatz zu besichtigen sind.
Bereits Anfang der neunziger Jahre hatte Walter Farmer eine Ghostwriterin mit der Abfassung seiner Memoiren beauftragt, die in der Überarbeitung des Berliner Prähistorikers und Beutekunstexperten Klaus Goldmann nun auch auf dem deutschen Buchmarkt greifbar sind. Im Zentrum der Lebenserinnerungen des im Sommer 1997 sechsundachtzigjährig gestorbenen Farmer steht die nur zehn Monate umfassende Tätigkeit als Leiter des Wiesbadener Sammellagers. Gekrönt wurde der engagierte Schutz deutschen Museumsgutes durch eine Ausstellung im Februar 1946, die ihren Hauptglanz aus der Anwesenheit Nofretetes, des Welfenschatzes und herausragender Werke von Cimabue, Botticelli, Dürer, Rembrandt und Rogier van der Weyden zog.
CAMILLA BLECHEN
Walter I. Farmer: "Die Bewahrer des Erbes". Das Schicksal deutscher Kulturgüter am Ende des Zweiten Weltkrieges. Aus dem Amerikanischen von Henning Kunze. Überarbeitet und mit einem Vorwort von Klaus Goldmann. Einleitung von Margaret Farmer Platon. De Gruyter Verlag, Berlin 2002. 250 S., 28 Abb., geb., 49,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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