Examensarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,5, Technische Universität Dresden (FB Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: »Gehört nicht Alles, was die Vor- und Mitwelt geleistet, dem Dichter von Rechtswegen an? [...] Nur durch Aneignung fremder Schätze entsteht ein Großes. 2. Dezember 2000, eine Menschenansammlung und jemand ruft, »Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, und manche liebe Schatten steigen auf; [...]«; ich befinde mich im Vorraum der Arena und diese Tatsache zusammen mit dem Wissen, soeben ein Theaterticket mit dem Aufdruck: Peter Stein inszeniert ‚Faust’ von Johann Wolfgang Goethe eingelöst zu haben, machen mir bewusst, mich in einem Theaterstück zu befinden. Verdränge ich den geschilderten Kontext, bin ich Teil dieser ‚Welt’ und fühle mich direkt angesprochen, denn neben der Widmungsqualität, die Goethes Zueignung innewohnt, wird hier auch die theatralische Illusion aufgehoben indem erst das Folgende als dichterische Hervorbringung, als Spiel poetischer Imagination deklariert wird. Diese Intention Goethes setzt Stein dramaturgisch brillant um; nach der Zueignung bittet ‚er’ ins Theater. So betrete ich erst jetzt das ‚Theaterhaus’ und habe noch Zeit, mir über meine mitgebrachten Bilder Gedanken zu machen. Einst - an der Polytechnischen Oberschule - hatte ich Goethes Schlussmonolog in Faust II zu meiner Abschlussprüfung rezitieren und interpretieren müssen; eine der Aufgabenstellungen lautete: ‚Ordnen Sie Goethes Faust in das sozialistische Kulturerbe der DDR ein!’. Ziemlich fassungslos, weil sich die ‚Welt’ des Goetheschen Faust für mich nicht mit jenem sozialistischen Kulturerbe in Einklang bringen ließ, gelang es mir doch, jene Vision Fausts: Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn, entsprechend der sozialistisch-nationalen Lesart zu kommentieren. Jenes verzerrte Bild einer positiven tatkräftigen Faust-Figur als einer nationalen Vorreiterfigur des Sozialismus wurde mir damals eingeimpft, und eben jenes Bild kam mir nun ob seiner Paradoxie wieder in den Sinn. Und dies jenem Goethe, der sich Tore und Straßen nach allen Enden der Welt wünschte und auf eine allgemeine Weltliteratur hoffte, die einen allgemeineuropäischen bzw. gar weltweiten Wechseltausch des Nehmens und Gebens bedeuteten sollte. Dabei ist gerade die Faust-Dichtung beispielgebend für solchen Wechseltausch, der Goethe im Faust wichtiger scheint als eine innere Stringenz...