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Warum sie in die Partei eintraten
War der Faschismus ein "Extremismus der Mitte", wie der amerikanische Soziologe Seymour Lipset Ende der 1950er Jahre meinte? Der typische Anhänger der NSDAP gehörte demnach zum alten Mittelstand, sei also Handwerker, Landwirt oder Händler gewesen. Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter hat später nachgewiesen, dass die Partei eine breite Unterstützung auch in der Arbeiterschaft und der oberen Mittelschicht fand. Ende 1933 gehörten ihr rund 2,6 Millionen Mitglieder an. Die Mitgliedschaft war und blieb freiwillig. Nun haben Paul Windolf und Christian Marx in einer groß angelegten Studie herausgefunden, dass der Anteil der Manager in der Partei mehr als dreimal so hoch war, verglichen mit dem Durchschnitt der Bevölkerung. Gerade anfangs waren viele Unternehmer von Hitlers Politik überzeugt: "Wenn sie Anfang 1939 auf sechs Jahre NS-Herrschaft zurückblickten, konnten sie feststellen, dass das NS-Regime viele ihrer politischen Forderungen erfüllt hatte." Dazu gehörten, so Windolf und Marx, die Liquidierung des Klassenfeindes (Kommunisten, SPD, Gewerkschaften), die Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und die mithilfe der forcierten Aufrüstung erreichte Rückkehr Deutschlands in den Kreis der Großmächte. Zufrieden war man auch mit der Abschaffung des klassischen Arbeitsvertrags als "Relikt einer überholten liberalen Rechtsordnung". Dieser wurde durch eine "Eingliederungstheorie" ersetzt. Mit dem Eintritt in den Betrieb wurde der Arbeiter in eine dem Individuum übergeordnete Betriebsgemeinschaft eingegliedert. Dieser Gemeinschaft war er zu Unterordnung und Dienst verpflichtet. Die sozialdemokratische Idee einer Demokratisierung der Betriebe stand für absehbare Zeit nicht mehr auf der Tagesordnung, schreiben die Autoren. Auch Tarifverhandlungen waren abgeschafft.
Dagegen lehnten die meisten Manager den aggressiven Antisemitismus ab. "Sie hielten ihn für wirtschaftlich irrational, weil sie den Verlust an Kompetenz und Wirtschaftsleistung befürchteten." Doch letztendlich haben sich die Unternehmen dem Druck gebeugt und jüdische Mitglieder aus Vorständen und Aufsichtsräten entlassen. Warum aber traten Wirtschaftslenker der Partei aktiv bei? Die Motive sind zahlreich, komplex und widersprüchlich. Dazu gehören wirtschaftlicher Zwang, Opportunismus, nationalkonservative Überzeugungen, strategisches Handeln (um "Schlimmeres" zu verhüten) und gedankenloser Konformismus in einer sozialen Umwelt, in der viele zu Parteigenossen wurden. Windolf und Marx betrachten aber nicht individuell-subjektive Motive, sondern sehen die von ihnen untersuchten 537 Mitglieder der Wirtschaftselite als ein Kollektiv, dessen Interessenlage durch das totalitäre Regime bestimmt wurde. "Die NSDAP-Mitgliedschaft verschaffte Unternehmern Zugang zu einem komplexen Netzwerk, in dem Vorteile auf der Basis von persönlichen Überzeugungen zugeteilt wurden. Sie erhielten damit die Chance, an einem mafiösen Tausch zu partizipieren - allerdings um den Preis, eine formale Konformität mit der Ideologie des Regimes öffentlich zu signalisieren." Mit der Auflösung traditioneller Wirtschaftsverbände verloren die Unternehmen ihre autonomen Interessenorganisationen. "Damit verschob sich der Fokus der ökonomischen Interessenvertretung auf die Unternehmensebene. Die Mitgliedschaft in der NSDAP war eine Strategie (unter anderen), die kollektive Interessenvertretung durch individuelle Einflussnahme zu ersetzen."
Die Unternehmer versuchten, die NSDAP nicht nur als Türöffner, sondern auch als Schutzschild zu nutzen. Windolf und Marx erinnern an Gewaltanwendungen. Die Enteignung von Hugo Junkers (Junkers Flugzeugwerk), der 1933 Haus- und Stadtverbot erhielt und Dessau verlassen musste, sei ein Beispiel dafür. Hinzu kamen Betriebsbesetzungen durch die SA, die zwar von der Regierung verbal verurteilt, aber trotzdem geduldet wurden. Gleichzeitig erklärt der "Tausch" von Mitgliedschaft gegen Aufträge und Sicherheit, weshalb beispielsweise Bankiers in geringerem Maße NSDAP-Mitglieder wurden. Sie hatten keine direkte Bedeutung für Rüstung und Konsumgüterproduktion und waren daher "einem geringeren politischen Druck ausgesetzt, in die Partei einzutreten". Außerdem propagierte die NS-Bewegung in Bezug auf das "raffende Kapital" (Finanzsektor) eine besonders aggressive antikapitalistische Ideologie.
Von den Unternehmern wurden rund 37 Prozent Mitglied der NSDAP. Das waren mehr als in der Gesamtbevölkerung, aber weniger als bei Medizinern und Juristen, bei denen die Beitrittsneigung nahe 50 Prozent lag. Sehr selten traten dagegen Ingenieure in die Partei ein. Sie standen "der Blut-und-Boden-Ideologie und den hohlen Gemeinschaftsphrasen eher distanziert gegenüber", schreiben Windolf und Marx. Nach der NS-Zeit sahen sich viele Unternehmer nicht als Täter. Sie hätten eine "höhere Pflicht" erfüllt, individuelle Rücktritte hätten an der Aufrüstung nichts geändert. Nach Christoph Buchheim haben sich viele wie moralisch indifferente Kapitalisten verhalten, die dem Überleben ihres Unternehmens höchste Priorität einräumten und gerade dadurch zu Mittätern der Verbrecher wurden. Ob es tatsächlich so war, kann nach Ansicht von Windolf und Marx nicht abschließend beurteilt werden. Manch einer wurde vielleicht auch gegen seinen Willen in die Aufrüstungsmaschinerie hineingezogen. Profitiert aber haben alle. Die neue Studie schließt eine Forschungslücke der jüngeren Wirtschaftsgeschichte auf formidable, da empirische Weise. JOCHEN ZENTHÖFER
Paul Windolf, Christian Marx: Die braune Wirtschaftselite. Campus, Frankfurt 2022, 457 Seiten, 39 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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