Die Studie geht den weithin unbekannten Spuren nach, die der Illuminatenorden Adam Weishaupts in Biographie, Werk und Ideenwelt Friedrich Schillers hinterlassen hat. An allen Lebensstationen der Flucht- und Wanderjahre ist die 'Kerntruppe der Aufklärung' aktiv: in Stuttgart, wo Schillers Lieblingslehrer Abel Chef der Ordensfiliale wird, in der Pfalz, wo Schiller auf führende Matadore des Bundes trifft, in Sachsen-Weimar, wo unter der Regie Johann Joachim Christoph Bodes der inzwischen verbotene Orden in reformierter Gestalt weiterlebt. Zu Gesicht kommt ein dichtes Beziehungsnetz von Ordensmitgliedern, eine Vielzahl von Begegnungen, Werbungsversuchen, Verbindungen. In unmittelbarer Nähe zu den Protagonisten erlebt Schiller so Aufstieg und Fall des Illuminatenbundes. Die Folgen für den Komplex des "Don Karlos" werden hier zum erstenmal umfassend dargelegt. Das Beispiel der Illuminaten sorgt für die Umorientierung des Sujets, die neue Führungsrolle des Marquis Posa, die Philosophie der Menschenrechte - aber auch für den Absturz ihres Verfechters in einen 'Despotismus der Aufklärung', den die "Briefe über Don Karlos" denkwürdig schroff an den Pranger stellen. In der Debatte um die Illuminaten formieren sich Positionen, die Schiller angesichts der Französischen Revolution aufnehmen wird. Die illuminatische Herausforderung begegnet ihm erneut, als der Prinz von Augustenburg und dessen Vertrauter Jens Baggesen an ihn herantreten. Die Auswirkungen sind in den Entwürfen der ästhetischen Erziehung und des ästhetischen Staates greifbar. Das Buch wirft neues Licht auf die intellektuelle Geschichte Schillers, auf die konkreten Aktivitäten des Illuminatenordens, auf die Ideologieresistenz der Weimarer Klassik.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.1996Jeder ein Spion
Hans-Jürgen Schings sucht Geheimbünde · Von Dieter Borchmeyer
"Marquis Posa ist große Mode", schreibt Thomas Mann 1917 in den "Betrachtungen eines Unpolitischen". Schillers Geistesheld ist für ihn das Urbild des literarischen Politikers, in dem sich "Sozial-Philanthropie", für die es nur "Menschen im allgemeinen" gibt, mit diktatorischer Attitüde gegenüber dem Menschen im besonderen verbindet. Hans Egon Holthusen nennt Posa in seinem Essay "Sartre in Stammheim" (1982), der die ideellen Grundlagen des modernen Terrorismus zu analysieren unternimmt, gar das literarische "Musterbeispiel eines politischen Gesinnungsethikers", in dem "entzückter Humanitarismus" in Gewalt umzuschlagen drohe.
Den berühmtesten Menschenrechtspropheten der deutschen Literatur dergestalt zu hinterfragen, mag man für niederträchtig halten - doch bereits Schiller selbst hat dazu in seinen "Briefen über Don Carlos" ein Jahr vor Ausbruch der Französischen Revolution den Weg bereitet: Die Gestalt Marquis Posas wird ihm zum Exempel für die hinter jedem republikanischen Idealismus lauernde Gefahr des Despotismus, und er nimmt hellsichtig die Charakterentwicklung mancher Wortführer der Französischen Revolution vorweg, wenn er behauptet, "daß der uneigennützigste, reinste und edelste Mensch aus enthusiastischer Anhänglichkeit an seine Vorstellung von Tugend und hervorzubringendem Glück sehr oft ausgesetzt ist, ebenso willkürlich mit den Individuen zu schalten als nur immer der selbstsüchtigste Despot".
Wie konnte Schiller nur, so hat mancher "Don Carlos"-Interpret vorwurfsvoll gefragt, eine solche Ansicht vertreten, mit welcher der Dichter eine seiner bewegendsten Gestalten desavouiert? Auf diese Frage antwortet Hans-Jürgen Schings nun in einem Buch, das man als ein Meisterstück philologischer Kriminalistik bezeichnen darf. Schings hat in jahrelanger Detektivarbeit die Spur verfolgt, die Schiller selbst gelegt hat, wenn er im zehnten seiner "Briefe über Don Carlos" bemerkt, Marquis Posa sei "sehr nahe verwandt" mit den Illuminaten, jenem von Adam Weishaupt gegründeten radikal-aufklärerischen, den Logen des Freimaurerordens entwachsenen Geheimbund, der 1785 in seinem Ursprungsland Bayern verboten wurde, seine Aktivitäten aber um so engagierter weiterverfolgte und die Ziele der Französischen Revolution deutlich antizipierte. Schings weist minutiös nach, daß Schiller schon während seines Studiums auf der Hohen Karls-Schule, wo sein wichtigster Lehrer Jakob Friedrich Abel einen Illuminatenzirkel bildete, in seiner Mannheimer Zeit und noch in Weimar, im Umkreis Bodes und Reinholds, von dem Orden umgarnt wurde, der ihn ständig zum Proselyten machen wollte.
Schiller ist - anders als Goethe - nie Illuminat geworden, und gerade die Insistenz, mit welcher der Orden ihn werbend verfolgte, bestärkte ihn in seiner Überzeugung von der "Dialektik der Aufklärung", ihrem geheimen Gewaltpotential. Die Illuminaten schlugen den Teufel mit Beelzebub, wenn sie ein, so Schings, "perfektes Überwachungssystem" für die Ordensangehörigen ausklügelten, sie auf wechselseitige Ausforschung verpflichteten. Er wolle "jeden zum Spion des anderen, und aller" machen, hatte Weishaupt verkündet. Schings gelingt es, am Beispiel Marquis Posas das Psychogramm "des kosmopolitischen Emissärs, des konspirativen Idealisten, wie ihn die Illuminaten geschaffen haben", zu entwickeln. Faszinierend vor allem der detaillierte Nachweis der Beziehungen Schillers zu Adolf von Knigge, der offenbar Marquis Posa manche Züge geliehen hat - aber auch Schillers Kritik an dieser Gestalt inspiriert haben mag.
Die Verbindungen Schillers zum Illuminatenorden hat man immer schon, ohne Genaues zu wissen, geahnt. So konnten die abenteuerlichsten Gerüchte aufkommen: Das "Internationale Freimaurerlexikon" von Lennhoff-Posner schreibt 1932 allen Ernstes, Schiller sei mit Wissen Goethes wegen Verrats der Ordensgeheimnisse von den Illuminaten ermordet worden. Vier Jahre zuvor hatte schon Mathilde Ludendorff das gleiche von den "in jüdischem Solde" stehenden Freimaurern behauptet. Ist diese "These" auch endgültig vom Tisch, so haben doch jüngst neue Spekulationen recht abenteuerlicher Art für Furore auch im deutschen Feuilleton gesorgt. Der amerikanische Germanist W. Daniel Wilson denunziert in seinem Buch "Geheimräte gegen Geheimbünde" (1991), das erstmals die Aktivitäten der Weimarer Illuminaten quellenmäßig zu erschließen sucht, mit kaum geringerer Intransigenz als weiland Mathilde Ludendorff Goethe und Herzog Karl August als Hacker im illuminatischen Internet: Sie seien dem Orden lediglich beigetreten, um die "Intelligenz" zu bespitzeln, zu überwachen und zu verfolgen.
Von derart verwegenen, durch nichts zu belegenden Spekulationen ist Schings' Buch frei. Seine kriminalistischen Recherchen sind aufregend genug. Viele Texte Schillers liest man vor ihrem Hintergrund ganz neu, so die "Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen", die mitnichten - wie bisher meist angenommen - ein "Fürstenspiegel" sind, mit dem der bürgerliche Autor dem Prinzen von Augustenburg in homöopathischen Dosen die Freiheitsphilosophie der Aufklärung nahezubringen sucht, sondern im Gegenteil eine Warnung des mit den Illuminaten sympathisierenden Fürsten vor dem Radikalismus einer Aufklärung, die nun in der vom Prinzen weithin positiv gesehenen Französischen Revolution ihre terroristische Kehrseite zeigte. Die Defekte des Illuminatismus hängen für Schiller mit dem Kern der Freimaurerei zusammen: dem Geheimnis, der Mysteriensucht, in deren Schatten sich notwendig der Despotismus einnistet. Worin Schiller sich mit seinen Freunden Wieland und Goethe einig ist: Das Medium der Vernunft kann immer nur die "Publizität" sein. Nicht in das Dunkel irgendwelcher "Mysterien" gehört die Erkenntnis, schreibt Schiller am Ende seiner "Ästhetischen Briefe", sondern "unter den offenen Himmel des Gemeinsinns".
Schings' Buch, das gewissermaßen das Vorfeld des Schillerschen - und nicht nur seines - literarischen Werks absteckt, wird sicher für dessen zukünftige Interpretation bedeutende Folgen haben - hoffentlich auch für deren Stil, denn diese Studie ist bei aller Akribie ebenso spannend wie elegant geschrieben: eben ein wissenschaftlicher Detektivroman.
Hans-Jürgen Schings: "Die Brüder des Marquis Posa". Schiller und der Geheimbund der Illuminaten. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1996. 247 S., Abb., br., 56,-DM.
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Hans-Jürgen Schings sucht Geheimbünde · Von Dieter Borchmeyer
"Marquis Posa ist große Mode", schreibt Thomas Mann 1917 in den "Betrachtungen eines Unpolitischen". Schillers Geistesheld ist für ihn das Urbild des literarischen Politikers, in dem sich "Sozial-Philanthropie", für die es nur "Menschen im allgemeinen" gibt, mit diktatorischer Attitüde gegenüber dem Menschen im besonderen verbindet. Hans Egon Holthusen nennt Posa in seinem Essay "Sartre in Stammheim" (1982), der die ideellen Grundlagen des modernen Terrorismus zu analysieren unternimmt, gar das literarische "Musterbeispiel eines politischen Gesinnungsethikers", in dem "entzückter Humanitarismus" in Gewalt umzuschlagen drohe.
Den berühmtesten Menschenrechtspropheten der deutschen Literatur dergestalt zu hinterfragen, mag man für niederträchtig halten - doch bereits Schiller selbst hat dazu in seinen "Briefen über Don Carlos" ein Jahr vor Ausbruch der Französischen Revolution den Weg bereitet: Die Gestalt Marquis Posas wird ihm zum Exempel für die hinter jedem republikanischen Idealismus lauernde Gefahr des Despotismus, und er nimmt hellsichtig die Charakterentwicklung mancher Wortführer der Französischen Revolution vorweg, wenn er behauptet, "daß der uneigennützigste, reinste und edelste Mensch aus enthusiastischer Anhänglichkeit an seine Vorstellung von Tugend und hervorzubringendem Glück sehr oft ausgesetzt ist, ebenso willkürlich mit den Individuen zu schalten als nur immer der selbstsüchtigste Despot".
Wie konnte Schiller nur, so hat mancher "Don Carlos"-Interpret vorwurfsvoll gefragt, eine solche Ansicht vertreten, mit welcher der Dichter eine seiner bewegendsten Gestalten desavouiert? Auf diese Frage antwortet Hans-Jürgen Schings nun in einem Buch, das man als ein Meisterstück philologischer Kriminalistik bezeichnen darf. Schings hat in jahrelanger Detektivarbeit die Spur verfolgt, die Schiller selbst gelegt hat, wenn er im zehnten seiner "Briefe über Don Carlos" bemerkt, Marquis Posa sei "sehr nahe verwandt" mit den Illuminaten, jenem von Adam Weishaupt gegründeten radikal-aufklärerischen, den Logen des Freimaurerordens entwachsenen Geheimbund, der 1785 in seinem Ursprungsland Bayern verboten wurde, seine Aktivitäten aber um so engagierter weiterverfolgte und die Ziele der Französischen Revolution deutlich antizipierte. Schings weist minutiös nach, daß Schiller schon während seines Studiums auf der Hohen Karls-Schule, wo sein wichtigster Lehrer Jakob Friedrich Abel einen Illuminatenzirkel bildete, in seiner Mannheimer Zeit und noch in Weimar, im Umkreis Bodes und Reinholds, von dem Orden umgarnt wurde, der ihn ständig zum Proselyten machen wollte.
Schiller ist - anders als Goethe - nie Illuminat geworden, und gerade die Insistenz, mit welcher der Orden ihn werbend verfolgte, bestärkte ihn in seiner Überzeugung von der "Dialektik der Aufklärung", ihrem geheimen Gewaltpotential. Die Illuminaten schlugen den Teufel mit Beelzebub, wenn sie ein, so Schings, "perfektes Überwachungssystem" für die Ordensangehörigen ausklügelten, sie auf wechselseitige Ausforschung verpflichteten. Er wolle "jeden zum Spion des anderen, und aller" machen, hatte Weishaupt verkündet. Schings gelingt es, am Beispiel Marquis Posas das Psychogramm "des kosmopolitischen Emissärs, des konspirativen Idealisten, wie ihn die Illuminaten geschaffen haben", zu entwickeln. Faszinierend vor allem der detaillierte Nachweis der Beziehungen Schillers zu Adolf von Knigge, der offenbar Marquis Posa manche Züge geliehen hat - aber auch Schillers Kritik an dieser Gestalt inspiriert haben mag.
Die Verbindungen Schillers zum Illuminatenorden hat man immer schon, ohne Genaues zu wissen, geahnt. So konnten die abenteuerlichsten Gerüchte aufkommen: Das "Internationale Freimaurerlexikon" von Lennhoff-Posner schreibt 1932 allen Ernstes, Schiller sei mit Wissen Goethes wegen Verrats der Ordensgeheimnisse von den Illuminaten ermordet worden. Vier Jahre zuvor hatte schon Mathilde Ludendorff das gleiche von den "in jüdischem Solde" stehenden Freimaurern behauptet. Ist diese "These" auch endgültig vom Tisch, so haben doch jüngst neue Spekulationen recht abenteuerlicher Art für Furore auch im deutschen Feuilleton gesorgt. Der amerikanische Germanist W. Daniel Wilson denunziert in seinem Buch "Geheimräte gegen Geheimbünde" (1991), das erstmals die Aktivitäten der Weimarer Illuminaten quellenmäßig zu erschließen sucht, mit kaum geringerer Intransigenz als weiland Mathilde Ludendorff Goethe und Herzog Karl August als Hacker im illuminatischen Internet: Sie seien dem Orden lediglich beigetreten, um die "Intelligenz" zu bespitzeln, zu überwachen und zu verfolgen.
Von derart verwegenen, durch nichts zu belegenden Spekulationen ist Schings' Buch frei. Seine kriminalistischen Recherchen sind aufregend genug. Viele Texte Schillers liest man vor ihrem Hintergrund ganz neu, so die "Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen", die mitnichten - wie bisher meist angenommen - ein "Fürstenspiegel" sind, mit dem der bürgerliche Autor dem Prinzen von Augustenburg in homöopathischen Dosen die Freiheitsphilosophie der Aufklärung nahezubringen sucht, sondern im Gegenteil eine Warnung des mit den Illuminaten sympathisierenden Fürsten vor dem Radikalismus einer Aufklärung, die nun in der vom Prinzen weithin positiv gesehenen Französischen Revolution ihre terroristische Kehrseite zeigte. Die Defekte des Illuminatismus hängen für Schiller mit dem Kern der Freimaurerei zusammen: dem Geheimnis, der Mysteriensucht, in deren Schatten sich notwendig der Despotismus einnistet. Worin Schiller sich mit seinen Freunden Wieland und Goethe einig ist: Das Medium der Vernunft kann immer nur die "Publizität" sein. Nicht in das Dunkel irgendwelcher "Mysterien" gehört die Erkenntnis, schreibt Schiller am Ende seiner "Ästhetischen Briefe", sondern "unter den offenen Himmel des Gemeinsinns".
Schings' Buch, das gewissermaßen das Vorfeld des Schillerschen - und nicht nur seines - literarischen Werks absteckt, wird sicher für dessen zukünftige Interpretation bedeutende Folgen haben - hoffentlich auch für deren Stil, denn diese Studie ist bei aller Akribie ebenso spannend wie elegant geschrieben: eben ein wissenschaftlicher Detektivroman.
Hans-Jürgen Schings: "Die Brüder des Marquis Posa". Schiller und der Geheimbund der Illuminaten. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1996. 247 S., Abb., br., 56,-DM.
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