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Die „Große Proletarische Kulturrevolution“ zählt zu den prägendsten Ereignissen der neueren chinesischen Geschichte. Die Auswirkungen dieses Kontinuitätsbruchs prägen die Kommunistische Partei Chinas und die chinesische Gesellschaft bis heute. Gegen die noch immer andauernde Mystifizierung der Kulturrevolution setzt Daniel Leese auf eine umfassende Historisierung. Anschaulich informiert er über Ursachen, Verlauf und Folgen. Im Fokus steht nicht nur die Rolle Mao Zedongs, sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen und regionale Unterschiede.

Produktbeschreibung
Die „Große Proletarische Kulturrevolution“ zählt zu den prägendsten Ereignissen der neueren chinesischen Geschichte. Die Auswirkungen dieses Kontinuitätsbruchs prägen die Kommunistische Partei Chinas und die chinesische Gesellschaft bis heute. Gegen die noch immer andauernde Mystifizierung der Kulturrevolution setzt Daniel Leese auf eine umfassende Historisierung. Anschaulich informiert er über Ursachen, Verlauf und Folgen. Im Fokus steht nicht nur die Rolle Mao Zedongs, sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen und regionale Unterschiede.
Autorenporträt
Daniel Leese lehrt Sinologie mit dem Schwerpunkt „Geschichte und Politik des Modernen China“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2016

Schmutziges Spiel um Macht
Chinas Kulturrevolution

China war von Anfang an mehr als nur einer von vielen Satellitenstaaten der Sowjetunion. Mao Tse-tungs Kommunismus benutzte so gut wie alle bekannten Vokabeln der Bewegung, füllte sie aber mit sehr chinesischem Inhalt. Und so sind auch Maos (zahlreiche) Verbrechen nicht einfach nur die Fortsetzung der Untaten Lenins oder Stalins, sondern gehorchen auch "nationalen" Gesetzmäßigkeiten. Die "Kulturrevolution", deren Beginn sich zum 50. Mal jährt, gilt (auch) als Versuche des alternden Maos, eine Gesellschaft zu hinterlassen, die gegen "falsche" Einflüsse - er nannte sie revisionistisch - "immunisiert" ist. Diese Haltung ist nun wieder nicht spezifisch chinesisch. Mao war nicht der erste Herrscher, und er wird nicht der letzte gewesen sein, der seine Vorstellung der Welt für mehrere Generationen im Voraus prägen wollte. Die Konsequenzen einer solchen Haltung sind eigentlich immer schlimm. Und da in China so ziemlich alles größer ausfällt als anderswo, waren die Konsequenzen hier besonders schlimm. Die neuesten Schätzungen sprechen von 1,5 bis 1,8 Millionen Toten, 22 bis 30 Millionen direkt politisch Verfolgten und mehr als 100 Millionen indirekt Betroffenen, Letztere vor allem als Opfer von Sippenhaft.

Im Unterschied zu anderen Katastrophen hat sich die Kulturrevolution aber nicht nur auf das einfache Volk verheerend ausgewirkt. Das wilde Jahrzehnt hat eine ganze Funktionärsgeneration traumatisiert. In Erinnerung geblieben ist ein ziemlich beispielloses Chaos. Dieses hatte Mao allerdings bewusst herbeigeführt. Zu Beginn der Revolution trug er durch lange Abwesenheit aus Peking dazu bei, dass die anderen Funktionäre nicht direkt mit ihm sprechen konnten, seine Gedanken und Absichten also im Detail erraten mussten. Unter vielen anderen tappten der Staatspräsident Liu Shaoqi und der spätere Reformer Deng Xiaoping in die vom "Großen Vorsitzenden" gestellte Falle. Liu kostete dies das Leben, Deng vorübergehend Freiheit und Karriere. Dieses Vorgehen zieht sich wie ein blutroter Faden durch die ganze Zeit.

Wie jede Revolution fraß auch diese zahlreiche ihrer Kinder. Wer die Losung, Autoritäten zu entmachten, an den "falschen" Leuten ausleben wollte, sah sich schnell in die Rolle eines "Revisionisten" gedrängt; ein Verdikt, das durchaus lebensgefährliche Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Wichtig war am Ende nur, dass Mao unangetastet blieb. Und so mag es durchaus sein, dass am Anfang der Kulturrevolution eine aus der Ideologie gespeiste Idee stand. Der Verlauf der Konvulsion ist dann aber das oft in der Geschichte praktizierte schmutzige Spiel um persönliche Macht. Und wie immer in solchen Konstellationen spielen Wohl und Wehe von Land und Menschen keine Rolle. Sie werden vielmehr - mehr oder weniger geschickt - für den eigentlichen Zweck der Übung instrumentalisiert.

Dieses Schicksal teilten die alten Widersacher Maos wie Liu Shaoqi oder Deng Xiaoping mit vielen, die den Vorsitzenden in seinen Bestrebungen anfangs unterstützt hatten. Niemand - außer Mao natürlich - konnte sich seiner Position sicher sein. Das erfuhr auch der schon als "Nachfolger" ausgerufene Verteidigungsminister Lin Biao. Ihm wurde vorgeworfen, einen Putsch geplant zu haben. Auf der Flucht in die Sowjetunion kam er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Alle Umstände dieses Todes sind, wie so manches andere aus der Zeit der Kulturrevolution, bis heute nicht abschließend geklärt.

Am Fall Lin Biao kann man - mit der unverdient erworbenen Weisheit dessen, der das Ende dieser Geschichte kennt - sehen, wie wenig realistisch in einem System wie dem chinesischen die Installierung eines "Nachfolgers" ist. Wenn nämlich der Führer, dem man nachfolgen soll, stark ist, kann der "Nachfolger" von Natur aus eigentlich nur ein Schwächling sein, denn welcher starke Führer würde jemals einen Gleichrangigen neben sich dulden. Ist der Führer hingegen schwach, wird der "Nachfolger" diesem - ebenso von Natur aus - gefährlich und tötet sich dadurch gewissermaßen selbst. In jedem der geschilderten Fälle überlebt das Herrschaftssystem den Tod des Führers nicht in der zuvor bekannten Gestalt.

Die "Große Proletarische Kulturrevolution", zu deren vermeintlichen Errungenschaften so manch westlicher Intellektuelle in unreflektierter Bewunderung aufschaute, endete gut einen Monat nach Maos Tod mit der Verhaftung der sogenannten "Viererbande" um Maos Witwe Jiang Qing. Der Spuk war damit zwar im Grunde vorbei. Für die regierende Kommunistische Partei allerdings begann spätestens in diesem Moment das Problem. Wie sollte sie von nun an mit der Kulturrevolution umgehen? Den "Vorsitzenden Mao" im übertragenen Sinne vom Sockel seines Denkmals zu stürzen, kam für die Regierenden nie in Frage. Eine abschließende Antwort auf die Frage, wie das wilde Jahrzehnt zu beurteilen ist, steht bis heute aus. Eine ehrliche Vergangenheitsbewältigung ist von dieser Partei allerdings auch nicht zu erwarten. Daniel Leese hat alles das auf knappem Raum sehr lesbar zusammengetragen.

PETER STURM

Daniel Leese: Die chinesische Kulturrevolution 1966-1976. Verlag C. H. Beck, München 2016. 128 S., 8,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Wie der Sinologe Daniel Leese auf kaum 130 Seiten die Ursachen und Folgen der chinesischen Kulturrevolution erklärt, findet Detlev Claussen bemerkenswert. Vom Image der antibürokratischen Bewegung zu Maos Hasardspiel führt ihm der Autor die komplexen Geschehnisse und Zusammenhänge "eindringlich" vor Augen. Dass die ein oder andere Besonderheit der chinesischen Kultur und Momente des sinisierten Marxismus als Voraussetzung des Maoismus bei dieser Kürze unter den Tisch fallen, kann der Rezensent verkraften.

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