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Bis hinunter auf die Botschafter- und Beraterebene: Deutsch-französische Beziehungen 1949 bis 1963
Ulrich Lappenküper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der "Erbfeindschaft" zur "Entente élémentaire". Band I: 1949-1958, Band II: 1958-1963. R. Oldenbourg Verlag, München 2001. 1991 Seiten, zusammen 498,- Mark.
Mit keinem anderen seiner Nachbarn verbindet Deutschland eine so wechselvolle Geschichte. Bei keinem anderen ist der historische Wandel in den Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg so verblüffend ausgefallen wie bei Frankreich. Die Schlüsselphase dieses erstaunlichen Prozesses steht im Mittelpunkt der detaillierten, bisweilen zu detaillierten Studie von Ulrich Lappenküper.
Nicht durchweg chronologisch, sondern nach Themenschwerpunkten geordnet, beschreibt er die Peripetie der deutsch-französischen Beziehungen. Sie fällt in Deutschland in die Zeit der Ära Adenauer, in Frankreich in die durch rasche Regierungswechsel gekennzeichnete Phase der versinkenden IV. und unter de Gaulle heraufziehenden V. Republik. Ein prägender Zeitabschnitt für beide Seiten. So stecken in den zwei Halbbänden eigentlich fünf bis sechs Monographien, etwa über "Frankreich und die deutsche Frage", über den "Prozeß der Europäischen Integration", die "Saarfrage" oder "Nato-Reform und Nuklearbewaffnung". Biographien stecken nicht darin, das Biographische liegt diesem Autor weniger.
Die Qualitäten der Studie finden sich anderswo. Als Leitmotiv könnte der Satz de Gaulles gelten: "Staaten haben keine Freunde, Staaten haben Interessen." Die jeweiligen, teilweise widerstreitenden Interessen beider Seiten kommen deutlich zum Vorschein - und die unterschiedlichen Vorstellungen über deren Durchsetzung. Bis in die feinen Verästelungen der Botschafter- und Beraterebene hat Lappenküper etwa in Paris das "spannungsreiche Nebeneinander unterschiedlicher Konzepte für den Umgang mit Deutschland" untersucht.
Zunächst hatte für Frankreich, die einzige zuvor besiegte Siegermacht, die Stunde des "Dominanzkonzepts" geschlagen. Zerteilung der deutschen Reichseinheit, Abtrennung des Ruhrgebietes, Angliederung der Saar lauteten die Ziele. Im Zuge des heraufziehenden Kalten Krieges neigte ein Teil der Verantwortlichen in Paris ab 1948 jedoch dazu, nach Alternativen zu suchen. Das "Integrationskonzept" - die Einbindung des westlichen Teils Deutschlands in die westliche Staatenwelt, damit "französische Sicherheit durch deutsche Integration" - machte fortan dem "Dominanzprinzip" Konkurrenz.
Schlüsselfigur jener Jahre: Robert Schuman. Für ihn war wohl wirklich die Aussöhnung mit Deutschland das "zentrale Gebot seiner Außenpolitik". Aber man täusche sich nicht. Das wirtschaftlich wie politisch revolutionäre Projekt der Montan-Union, dieser erste konkrete Schritt in Richtung auf eine supranationale Gemeinschaft, folgte französischer Interessenpolitik. Ähnlich verhielt es sich mit der supranationalen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG): Man wollte in Paris damit eine deutsche Nato-Beteiligung verhindern. Schuman wie der gesamten classe politique ging es mit dem Aufstieg des östlichen Nachbarn viel zu schnell. Die Angst vor neuerlicher deutscher Suprematie, vor demographischer und ökonomischer Überlegenheit saß tief. Mißtrauen und Haß waren noch politische Faktoren von Gewicht - die Frau des deutschen Generalkonsuls Hausenstein, selbst eine belgische Jüdin, wurde im Herbst 1950 von ihrer Gesprächspartnerin im Musée d'Art Moderne noch vor einer Hakenkreuzfahne empfangen.
Manch einen lockte die Option eines militärisch neutralen Deutschland. Für diese "doppelte Deutschlandpolitik" Frankreichs bis etwa 1956 hat Lappenküper eine erstaunliche Fülle von Belegen gefunden. Nicht allein für Staatspräsident Auriol, ohnehin von "Germanophobie" erfüllt, für die Regierungschefs Faure (der fließend Russisch sprach, was Adenauer tief beunruhigte), Mendès-France oder Guy Mollet war die Verständigung mit Moskau über Deutschland "eine echte oder mindestens taktisch einsetzbare Alternative". Alle Vorstöße scheiterten jedoch an der starren Haltung der Sowjets.
Aber auch Amerikaner und Briten hätten wohl nicht mitgespielt. Und schon gar nicht Adenauer. Er verfolgt die Wendungen der französischen Außenpolitik lange mit Mißtrauen. Noch 1953 stellt er resigniert fest: "Die USA sind unsere einzigen Freunde." Dabei war er zu erheblichen Vorleistungen gegenüber Frankreich bereit. Der Kanzler war viel konzilianter als der SPD-Oppositionsführer Kurt Schumacher, für den das Ziel der deutschen Einheit unbedingte Priorität hatte. Der französische Hohe Kommissar François-Poncet bezeichnete Schumacher deshalb als "Hitler de gauche" .
Nach Rückgewinnung der staatlichen (Teil-)Souveränität 1954/55 begann die beste Zeit der deutsch-französischen Beziehungen. Der Bürgerkrieg in Algerien, das französisch-britische Debakel am Suez-Kanal, aber auch wachsende Wirtschaftsprobleme bereiteten in Paris den Boden für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft: Nie zuvor haben sich "souveräne Staaten so weitgehend politisch und wirtschaftlich" verbunden. Damit einher ging eine umfassende geheime Rüstungskooperation auf atomarem Sektor. Adenauer und Verteidigungsminister Strauß wollten so rasch wie möglich den 1954 in London ausgesprochenen deutschen Atomwaffenverzicht rückgängig machen.
De Gaulle sistierte das Projekt jedoch nach seiner Rückkehr auf die europäische Bühne, entschied sich für einen Alleingang beim Aufbau der "Force de Frappe". So begann er 1958 sein großes Spiel um die Hegemonie in Europa. Für Adenauer wurde damit alles einfacher und komplizierter zugleich. In der neu eskalierenden Krise um Berlin nach Chruschtschows Ultimatum erwies sich der französische Präsident für den Kanzler als einziger "Rocher de bronce", der amerikanisch-britischer Appeasement-Politik entschlossen entgegentrat. Je mehr Adenauers Vertrauen in Macmillan, in Eisenhowers und Kennedys Krisenmanagement schwand, desto mehr trieb ihn "die Angst vor dem Verlust der einzig verbliebenen Schutzmacht in der deutschen Frage" an die Seite de Gaulles. Dabei war der General, so Lappenküper, zu keinem Zeitpunkt bereit, Deutschland wirkliche Gleichberechtigung und Partnerschaft anzubieten.
Erkannte Adenauer das nicht? 1959 hatte er seinen Außenminister Brentano noch besorgt gefragt: "Wollen die Franzosen aus der Nato austreten und mit uns allein Allianz machen? Dann gibt es schönen Krach!" 1962/63, als das westliche Bündnis durch de Gaulle in seine schwerste Krise gestürzt wurde, war der Krach da. Damals war der Kanzler zu einer politischen Union mit Frankreich, zu einem Zweibund entschlossen, auch wenn seine Vertrauten wie Herbert Blankenhorn oder Heinrich Krone warnten, das sei "tödlich gefährlich - es heißt, den Amerikanern den Stuhl vor die Tür Europas setzen".
Dennoch wollte Adenauer - um seinen verhaßten Nachfolger Erhard und den anglophilen Außenminister Schröder zu binden - den Abschluß des deutsch-französischen Vertrags. Aber der Bundestag nahm ihm durch seine hinzugefügte Präambel die antiatlantische Spitze, ließ damit den deutsch-französischen Zweibund scheitern. Adenauer, der erst bei seiner letzten Auslandsreise im September 1963 gegenüber de Gaulle von persönlicher Freundschaft sprach, konnte es nicht mehr verhindern. Die verbliebenen Möglichkeiten zu Kooperation und Konsultation werden von seinen Nachfolgern in unterschiedlicher Intensität mit Leben erfüllt. Aber bis heute gilt, daß gerade die Integration Europas der deutsch-französischen Entente bedarf: "Stockt dieser Motor, stagniert der Prozeß."
DANIEL KOERFER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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