Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Ein nüchterner Blick auf eine verblichene Währung
Das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation war immer etwas schwierig. Nach der Zeit des Nationalsozialismus, im geteilten deutschen Staat, fand sich ein Band, das nicht nur die alte Bundesrepublik in sich, sondern auch mit den Bürgern der DDR verband: die D-Mark. Geboren vor 75 Jahren, verstorben vor mehr als zwanzig, sehen auch heute noch besonders über Vierzigjährige darin ein nationales Symbol.
Anlässlich des 75. Jubiläums der Währungsreform hat Frank Stocker, Wirtschafts- und Finanzredakteur der "Welt", der Geschichte der D-Mark ein gelungenes Buch gewidmet. Der Politologe und Historiker hat mit "Die Deutsche Mark" nicht nur ein äußerst gut lesbares Werk mit einer gerade richtigen Seitenzahl von netto 312 Seiten verfasst. Vielmehr setzt sich Stocker unter dem treffenden Untertitel "Wie aus einer Währung ein Mythos wurde" gezielt just mit den Mythen und Narrativen auseinander, die die D-Mark eben zu jenem nationalen Symbol haben werden lassen, dessen Verklärung bisweilen messianische Züge annimmt.
In 20 Kapiteln und zwei Exkursen dekliniert Stocker die rund 54 Jahre durch, in der diese zur europäischen De-facto-Leitwährung aufstieg. Und schon das sind zwei Punkte, in denen sich Stocker als neudeutsch "Mythbuster" betätigt. Vieles davon ist bekannt, oft aber nur Experten. So etwa, dass die Währungsreform kein deutsches Projekt war, sondern eines der Besatzungsmacht USA. Ludwig Erhard habe sich zwar immer als Vater der D-Mark geriert, war aber an der Reform gar nicht beteiligt, schreibt Stocker. Spiritus Rector war viel mehr der amerikanische Ökonom Edward Tenenbaum. Überhaupt holt Stocker die deutsche Wirtschaftsikone vom Thron. Erhard sei zunächst ein "mittelmäßig begabter Ökonom" gewesen, dessen Selbstbewusstsein groß, "wenn nicht gar übersteigert" gewesen sei. Den Professorentitel habe er quasi zu seinem Vornamen gemacht, zitiert er den früheren Mainzer Wirtschaftshistoriker Volker Hentschel, obwohl Erhard nur Honorarprofessor war und nie als solcher tätig. Darüber versäumt es Stocker aber nicht, Erhards Verdienste herauszustreichen: die Aufhebung der Preiskontrollen etwa, die er als Direktor für Wirtschaft der Bizone ohne Zustimmung und zum Missfallen der Alliierten im Radio verkünden ließ und ohne die die Währungsreform erfolglos gewesen wäre.
Auch das beliebte Narrativ "Währungsreform - Läden voll - Wirtschaftswunder - alle reich" wird demontiert. Den vollen Geschäften folgte bei weiter geltendem Lohnstopp eine rasante Inflation. Und so kam es im Oktober 1948 zu gewalttätigen Ausschreitungen, im November dann zum einzigen Generalstreik in der Geschichte der Bundesrepublik. So mancher Bundesbürger hätte den die Währungsreform verteidigenden Erhard damals wohl am liebsten hängen gesehen.
Ihr Fett weg bekommt auch die Deutsche Bundesbank. Nicht nur habe diese diverse schwere geldpolitische Fehler begangen. Stocker bescheinigt ihr auch ein bisweilen "fast schon autistisches und rücksichtsloses" Agieren. Bis zuletzt habe sie ihre Verantwortung als Hüterin der in den Achtzigern zweitwichtigsten Reservewährung der Welt ignoriert. Und Stocker macht klar: Dies war ein wesentlicher Grund, dass die europäischen Partnerländer die D-Mark gern loswurden. Dass man in der Bundesbank oft genug recht hatte, ist für Stocker dabei unbenommen. Sein Ziel ist nicht der Bildersturm, sondern die Bedeutung der oft überhöhten D-Mark realistisch einzuordnen.
Das gelingt dem Historiker und Politologen Stocker sehr gut, auch wenn Nostalgiker dies sicher nicht gern lesen. Zu kurz kommen an mancher Stelle die Ökonomen. Zwar stellt Stocker wirtschaftliche Zusammenhänge in gebotener Kürze dar. Doch manchmal möchte man ausführlicher diskutieren - etwa über die Rolle der D-Mark beim Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods, als sich Deutschland und die Bundesbank gegen eine Aufwertung sperrten. Dabei war die D-Mark 1949 abgewertet worden, um ihren vorzeitigen Kollaps abzuwenden, was auch die Geschichte vom Exportweltmeister in ein anderes Licht rückt.
Natürlich kann man noch Kleinigkeiten kritisieren. Etwa die gerade in den ersten Kapiteln oft überlangen Zitate, die sich nicht in den Lesefluss einfügen wollen. Auch kommen die Achtzigerjahre etwas dürftig weg. Stockers Buch empfiehlt sich für alle, die gern wüssten, wie es wirklich war. Stocker demontiert Mythen, nicht die D-Mark. Daher ist die Lektüre auch Nostalgikern zu empfehlen. Mit dieser Nostalgie befasst sich der Autor im Schlusskapitel. Die Ursache seien nicht Defizite des Euro, sondern die Sehnsucht nach der einfacheren Welt vor den Neunzigerjahren. Mit den Veränderungen habe der Euro überhaupt nichts zu tun und so macht Stocker auch klar: Eine Rückkehr zur D-Mark wäre keine Rückkehr in eine goldene Vergangenheit. Vielmehr wäre diese "heute eine europäische Leitwährung, die der Bundesbank eine völlig andere Rolle verleihen würde (...) Durch eine . . . Rückkehr zur D-Mark würde die Bundesrepublik nicht harmonischer oder gerechter, sie würde aber zu einem geldpolitischen Hegemonen in Europa, mit vielerlei Konsequenzen, meist nicht angenehmen." Das Trachten der Deutschen solle vielmehr dahin gehen, den Euro stark und stabil zu halten - aber ohne Besserwisserei und Oberlehrergehabe. MARTIN HOCK
Frank Stocker: Die Deutsche Mark - Wie aus einer Währung ein Mythos wurde. Finanzbuch Verlag, München 2023, 360 Seiten, 27 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH