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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Unterwegs sein als buddhistische Übung: Jack Kerouacs Roman „Die Dharmajäger“ neu übersetzt
Ein Jahr im Leben von Ray Smith und seinen Freunden, ihr Lebensmittelpunkt istdieses immens kultivierte Städtchen, „das da San Francisco heißt“. „Die Dharmajäger“ kam 1958 heraus, ein Jahr nach „On the Road“, das Buch, mit dem Jack Kerouac weltberühmt wurde, das den Mythos der Beat Generation schuf, ihrer alternativen Poeten und Lebenskünstler.
Das Pathos des großen Aufbruchs gibt es auch in diesem Buch, die Erregung des Unterwegsseins, all die langen Highway-Fahrten und Dichterlesungen in vollgepackten Kneipen, die Dialektik von Einsamkeit und Gemeinschaft, von Lust auf Leben in absoluter Freiheit und Überdruss angesichts der Enge des bürgerlichen Mittelstands – aber all das ist hier abgefedert in einem existenzialistischen Kontext, durch buddhistische Vorstellungen jeglicher Spielart, die praktisch umgesetzt werden für einen alternativen way of life. Ein künstlerisch-intellektueller Buddhismus, der, wenn er auf die Weite der amerikanischen Landschaft trifft, ungemein lässig und spielerisch bleibt (was der Originaltitel „The Dharma Bums“ wiedergibt, im deutschen klingt zu viel Zielgerichtetheit an).
Hinter dem Erzähler Ray Smith steckt Kerouac selbst, der diesmal single unterwegs ist, quer durchs Land, als Hobo auf Güterzügen oder trampend. Es ist ein Abenteuer-Buch ganz eigener Art, rückläufig und zirkulär in seinen Bewegungen, ganz der Natur des Buddhismus entsprechend – das Ziel zählt wenig, mehr die Stationen, die man macht, Nächte in freier Natur, Meditation, Ekstase, Stille und Kälte. Eine „moderne Metaphysik der Bewegung“ hat der Schriftsteller Matthias Nawrat das in seinem Nachwort zu einer neuen Übersetzung genannt, die zu Kerouacs hundertstem Geburtstag erschienen ist.
Es beginnt an der Westküste im späten September 1955, Ray springt in Los Angeles auf einen Güterzug, die Nacht verbringt er in Santa Barbara, am Strand, am nächsten Morgen geht’s weiter nach San Francisco, auf dem Ghost Train. Weihnachten wird er im Elternhaus in North Carolina, bei der Mutter verbringen, nachts zieht er sich dort in den Schnee unter eine Tanne zurück und meditiert – der amerikanische Mythos von Freiheit und Individualität.
Mythisch wirkt auch Japhy Ryder, mit dem sich Ray in San Francisco zusammentut (und hinter dem der Zen-Poet Gary Snyder steckt). Ein Junge aus einer Blockhütte in Oregon, ein Exzentriker im Vergleich zu den spießigen, karrierebewussten Amerikanern. Er propagiert das einfache Leben, in Japhy gehen amerikanische Naturerfahrung und fernöstliche Philosophie zusammen. „Abgesehen von seiner ganzen Bildung, der östlichen Weisheit, Pound, seinen Erfahrungen mit Peyote und seinen Visionen, dem Bergsteigen und dem mönchischen Wanderleben – abgesehen von all dem ist Japhy Ryder einfach ein großer neuer Held der amerikanischen Kultur, wow!“
In einer der ersten Nächte gibt es die berühmte Lesung in der Six Gallery in San Francisco, wo unter anderem das große Stück der Beat Poetry „Howl“ von Allen Ginsberg vorgetragen wird – im Buch heißt es „Wail“ und der Verfasser Alvah Goldbrook. Kurz darauf nimmt Japhy Ray mit auf das Matterhorn, nicht das europäische, sondern den Matterhorn Peak in Kalifornien. Ein Selbsterfahrungstrip. „Wenn du auf einem Berggipfel ankommst“, lautet einer der schönen paradoxen Sprüche des Buddhismus, „klettere weiter.“
Das Buch ist gespickt mit solchen Sentenzen, die ins Absurde spielen und daher so praktisch sind. Das ist das Programm der Dharma Bums – Widerspruchsgeist, Provokation, Unangepasstheit. Nicht das Etwas ist aus dem Nichts entstanden, sondern das Nichts aus dem Etwas. Hinter der sichtbaren Welt gibt es nur große Leere: „Wie furchtbar, wenn die Welt wirklich wäre, denn dann wäre sie unsterblich.“ Fröhlich wird zwischen den diversen buddhistischen Lehren hin und her gezappt, das Plappern ist hier zu einer naiven Kunst gemacht. Das Yabyum (das sie in den Tempeln von Tibet machen) ist ein erotisches Spiel, Mann und Frau ineinander verschlungen, und wenn Japhy das Ray erklärt, mithilfe des „Om mani padme hum“, klingt das wie in einem altbackenen Studentenklamauk und löst auch bei Kerouac-Fans heute Unbehagen aus – der männliche Donnerkeil, der in das weibliche dunkle Nichts hineinstößt.
Rays Geschichte endet im Sommer 1956, er übernimmt einen Sommerjob, von dem ihm Japhy berichtet hatte, die ultimative Erfahrung eines Dharma Bum: ein paar Monate auf einem isolierten Feuerwachen-Ausguck auf dem Desolation Peak in Washington, an der Grenze zu Kanada. Zwei Monate in Leere und Nichts, eine absolute Einsamkeit über den Wolken, den Stürmen und dem Regen ausgesetzt. Der Bergführer, der Ray hinaufbringt, er heißt Happy, spricht aus Erfahrung von der Existenz auf diesem Berg, von Dharma bum zu Dharma bum: „Alle reden erst daher wie die Helden. Aber irgendwann fängst du an, mit dir selbst zu reden. Und das ist gar nicht so schlimm, solange du dir nicht auch noch antwortest, Junge.“
FRITZ GÖTTLER
Jack Kerouac:
Die Dharmajäger. Roman. Aus dem Englischen
von Thomas Überhoff.
Mit einem Nachwort
von Matthias Nawrat. Rowohlt 2022.
287 Seiten, 24 Euro.
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