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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
dem Mammut
In „Die dunkle Stunde des Jägers“ erzählt Davide
Morosinotto vom Leben eines Jungen in der Steinzeit
VON FRITZ GÖTTLER
Ein zugespitzter Stock und ein Brettchen mit einem Loch, in dem man den Stock beständig zwirbelt, bis durch die Reibung Funken geschlagen werden ... so hat man früher Feuer gemacht, wenn man keinen Feuerstein hatte, mühsam und geduldig, sehr viel früher, vor Tausenden Jahren. „Sing beim Feuermachen“, hatte Großmutter Chila immer gesagt. „Flammen lieben Musik und werden nachschauen wollen, warum du sie rufst.“
Der junge Roqi erinnert sich daran, als er erstmals selber Feuer machen muss – weil er plötzlich ganz allein ist in der Wildnis, wirklich allein, und für sich sorgen muss, um zu überleben. Vier Dinge braucht’s dafür, die vier „Geheimnisse des Lebens“: Wasser, Nahrung, Feuer, einen Unterschlupf. Es ist die Frühzeit des Holozäns, in die uns Davide Morosinotto hier führt, der sich mit seiner unerschöpflichen Erzähl-Energie schon in diversen Welten und Epochen durchschlug. Sein neues Buch spielt etwa vor zehntausend Jahren, in jenem Teil Amerikas, der später Florida sein wird. In einer Zeit also, von der es keine Aufzeichnungen und Erinnerungen gibt, und in der das Handeln von wenigen primitiven, elementaren Bedürfnissen bestimmt wird.
Anfangs war Roqi mit fünf Freunden in einer kleinen Gruppe unterwegs, fast alle unter dem gleichen Mond geboren, aber plötzlich brach ein gewaltiger Feuersturm los, der alles verwüstet und vor dem sich die Jugendlichen nur in letzter Sekunde in einen Fluss retten können. Von ihrem Stamm aber, den Eltern und Freunden im Dorf, hat keiner überlebt, alles ist unter einer dichten Ascheschicht begraben. Die Jugendlichen, darunter zwei Mädchen, müssen nun allein zurechtkommen, Wasser, Nahrung, Feuer, Unterschlupf, mit ihren individuellen „Gaben“, den Dingen, in denen sie besonders gut sind. Roqi hat die seine eben erst entdeckt – die Gabe des Tötens, er ist durch sie zum Jäger der kleinen Gruppe bestimmt, aber noch nicht initiiert, vom Schamanen geweiht – auch der ist unter den Toten des Stammes.
Kein Junge mehr, aber noch kein Mann, diese Zwischenstellung wird Roqi später zum Verhängnis werden. Als die Gruppe nach langer Irrfahrt einem anderen Stamm begegnet, wird Roqi durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse mit dem Zeichen des Unglücks belegt und ausgeschlossen – vogelfrei!
Es ist Roqi, der seine Geschichte (und die der anderen) erzählt, naiv und großspurig, und auf ganz natürliche Weise tief verwurzelt im animistischen Kontext der Welt, in der Pflanzen, Tiere und das Jenseits magisch zueinander gehören. Mit wachem Gespür hat Davide Morosinotto die Tiere und Pflanzen dieser Welt, die wirklich existierten, mit plastischen Namen versehen, die die Erfahrung der Menschen widerspiegeln: Streifenschleicher, Seitenkrabbler, Ästeschädel, Weißbüschelschwanz ... man weiß sogleich, welche Tiere damit gemeint sind, bei Unsicherheit hilft ein visuelles Glossar am Ende von Fabio Visintin. Seine Bilder, die das Erzählte sanft rhythmisieren, greifen nie wilde Action heraus, es sind immer Panoramen von weiten Landschaften, Ebenen und Wäldern, in denen die Menschen sich verlieren, dürre, gesichtslose Wesen, die aufmerksam beäugt werden von Tieren in gebührender Distanz.
Die Jagd, das Fallenstellen, das Töten von Tieren ist hier elementarer notwendiger Teil des Lebens, das wird auch den jugendlichen Lesern nachvollziehbar sein – Tierliebe oder Jagdsport sind hier keine Aspekte. Die Stämme sind, um sich für den Winter zu versorgen, auf der Suche nach Giganten, nach riesigen Mammuts – „Wirbelstürme aus Fleisch. Lebende Erdbeben“, sie hinterlassen riesige Fußstapfen und Kackberge. Die Giganten aber sind bereits am Aussterben. Am Ende treffen Inibi – so nennt Roqi den letzten Giganten – und Roqi – der letzte Jäger, so heißt das Buch im Original – aufeinander. Sie teilen die gleiche Einsamkeit, ihr Kampf, auf einer Halbinsel am Meer, hat etwas von Selbstzerstörung an sich. Er beginnt wie ein Ritual, aber das Ende ist grausam, unwürdig, traurig ...
Auf das Geheimnis dieses Buches, sagt Davide Morosinotto, hat eine Steinzeitexpertin ihn hingewiesen: Man kann diese Zeit mit ihrer ganz eigenen Dialektik des Fürsichseins nur verstehen, wenn man einmal im Wald geschlafen hat, ganz allein. „Das habe ich dann auch getan und ein paar Tage als Steinzeitmensch auf dem Apennin-Fernwanderweg Alta Via Dei Parchi verbracht.“ Dort, in den italienischen Bergen, ist er seinem Helden, dem letzten Jäger, ganz nahe gekommen.
Davide Morosinotto: Die dunkle Stunde des Jägers. Aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi. Mit Bildern von Fabio Visintin. Thienemann, Stuttgart 2022. 287 Seiten, 15 Euro.
Die Stämme sind, um sich für den Winter zu versorgen,
auf der Suche nach Giganten, nach riesigen Mammuts Foto: imago
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