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Empathie gilt als Grundlage moralischen Handelns - und damit selbst als gut. Sieht man aber genauer hin, erweist sich die Fähigkeit, »sich in andere Menschen hineinzuversetzen«, auch als Voraussetzung für gezielte Erniedrigungen und Grausamkeiten. Zudem hat selbst das wohlmeinende Mitgefühl zahlreiche unbeabsichtigte Konsequenzen. Aus diesen Gründen sind es gerade die dunklen, bisher verdrängten Aspekte der Empathie, die auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft in den Blick genommen werden müssen. Fritz Breithaupt lädt seine Leser dazu ein, diese Seiten zu bedenken oder gar an sich selbst zu…mehr

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Produktbeschreibung
Empathie gilt als Grundlage moralischen Handelns - und damit selbst als gut. Sieht man aber genauer hin, erweist sich die Fähigkeit, »sich in andere Menschen hineinzuversetzen«, auch als Voraussetzung für gezielte Erniedrigungen und Grausamkeiten. Zudem hat selbst das wohlmeinende Mitgefühl zahlreiche unbeabsichtigte Konsequenzen. Aus diesen Gründen sind es gerade die dunklen, bisher verdrängten Aspekte der Empathie, die auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft in den Blick genommen werden müssen. Fritz Breithaupt lädt seine Leser dazu ein, diese Seiten zu bedenken oder gar an sich selbst zu entdecken, und führt uns dabei von Narzissmus und Nietzsche bis zu den Helikopter-Eltern und Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Fritz Breithaupt ist Professor für Kognitionswissenschaften und Germanistik an der Indiana University in Bloomington. Dort leitet er das in seiner Form einzigartige Experimental Humanities Lab, an dem er narrative Ereignisse, Empathie, moralisches Denken, Emotionen, Parteilichkeit, Ausreden, Gewalt und Überraschung mit seinem Team empirisch erforscht. Er schreibt regelmäßig für Die Zeit und das Philosophie Magazin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2017

Wie einfühlsam doch der Sadist sein kann

Nur nicht einfach auf Empathie als ethisches Fundament setzen: Fritz Breithaupt erkundet die fatalen Aspekte einer gerne angepriesenen sozialen Fähigkeit.

Die Kanzlerin streichelt in einer Talkshow tröstend die Wange eines palästinensischen Mädchens, das gerade seine Geschichte erzählt und zu weinen begonnen hatte. Die Kanzlerin sagt: "Du hast das doch prima gemacht." Woraufhin der Moderator einwendet, die Ursachen der Tränen hätten wohl nichts mit dem Gelingen oder Misslingen des großen Auftritts zu tun, sondern seien der ungewissen Zukunft einer von Abschiebung bedrohten Familie geschuldet. Die Kanzlerin hatte im Moment großer Zuwendung offenbar komplett danebengelegen. Unmittelbar vor den Tränen hatte sie erklärt, dass Deutschland nicht jeden Flüchtling aufnehmen könne: "Das können wir auch nicht schaffen." Zwei Monate später heißt es: "Wir schaffen das!" Und Deutschland wurde - so glaubt Fritz Breithaupt - zur "Empathie-Nation".

Für den im amerikanischen Bloomington lehrenden Literaturwissenschaftler war diese Szene die Geburt deutscher Willkommenskultur aus der Überkompensation von Merkels Empathieversagen. Er nimmt in seinem jüngsten Buch die Illusion aufs Korn, dass Empathie immer ein wünschenswerter Handlungsgrund ist. Denn, so die These, durch Empathie wird die Welt nicht zwangsläufig wärmer, die Gesellschaft nicht unbedingt humaner, Donald Trump nicht einfach ein besserer Präsident. Mehr noch: Schlimmste menschliche Verhaltensweisen wie Folter oder Vergewaltigung seien nicht durch einen Mangel an Empathie erklärbar, sondern resultieren mitunter aus diesem Gefühl. Empathischer Überschwang, so Breithaupts Diagnose, tendiere zum Selbstverlust, lasse Schwarz-Weiß-Denken eskalieren, verführe zu falschen Bündnissen, ermögliche, das Leiden anderer zu kontrollieren und es im schlimmsten Fall zu genießen.

Der Ausgangspunkt für die Vorwurfskaskade, mit der der Autor die Empathie überzieht, ist eine präzise Nietzsche-Auslegung. Für Nietzsche sei der Preis der Empathie "der Glaube an das eigne Ich". Denn dem aktiv und autonom Handelnden steht der wahrnehmende, rein rezeptive, passive, mitfühlende Mensch gegenüber. Wer mitfühlt, steckt in der Empathiefalle, weil er sich selbst, sein aktives und starkes Ich ausradiert und in Nietzsches Worten von einem "Herren" zu einem "Unterling" wird.

Bliebe es bei dieser anthropologisch fragwürdigen These (Stärke könnte ja auch darin bestehen, sich durch die Mitgefühlswelt des anderen bereichern zu lassen), ließe sich das Argument von Breithaupt leicht aushebeln. Doch für seine Grundthese braucht Breithaupt gar keine verallgemeinerte anthropologische Setzung. Die schiere Möglichkeit, dass es Situationen geben kann, in denen emotionale Einfühlung zum Selbstverlust führt, bietet ein hinreichendes Argument, um die Verbindung von Empathie und Moral zu kappen. Eine solche Situation stellt für ihn das Stockholm-Syndrom dar, also die empathische Annäherung der Geisel an den, der ihr Gewalt antut. Breithaupt deutet dies als radikalen Selbstverlust.

Obwohl wir als Menschen "hyperempathische Wesen" seien und noch dazu in einer Welt des "sozialen und empathischen Lärms" lebten, neigen wir, wenn Empathie uns ergreift, als teilnehmend Beobachtende oft zur blinden Parteinahme für den Leidenden. Mit unkalkulierbaren Folgen: Terroristen, so Breithaupt, schlagen sich auf die Seite der vermeintlich Unterdrückten, immunisieren sich gegen jede andere Perspektive und töten letztlich aus Empathie.

Lässt Breithaupt schließlich noch die Figur des empathischen Sadisten auftreten, der voller Mitgefühl das Leiden anderer genießt, wird vollends deutlich, dass Empathie ein moralisch zweifelhaftes Gefühl ist. Zwar wird diese Figur an psychopathischen Fällen erläutert, an Vergewaltigern oder Serienmördern etwa. Aber für Breithaupt steckt bereits in alltäglichen Handlungen wie dem Bloßstellen, Ironisieren, heftigen Kritisieren oder dem Mobben eine Dosis empathischer Sadismus. Mitmensch, mir graust vor dir! Erst recht, weil der, dem gezielt Leid zugefügt wird, durch die Kenntnis seiner "wunden" Punkte berechen- und kontrollierbar wird. Selbst empathische Adoration oder elterliche Liebe können in einen Kontrollwahn umschlagen. Aus dem fernen Bewunderer wird ein obsessiver Stalker, aus dem fürsorglichen Elternteil eine Helikoptermutter.

Man folgt diesen Argumenten, bis man sich verdutzt die Augen reibt. "Wir müssen", so Breithaupts Einsicht, "nicht auf eine Erziehung zur Empathie setzen, sondern auf Moral und Fürsorge bauen." - Das also soll die Erkenntnis sein? Es gibt doch kaum ernstzunehmende Philosophinnen und Philosophen, die heute noch das Mitfühlen ins Zentrum einer Moral stellen und nicht Gerechtigkeit, Fairness oder das gute Leben! Auch wenn einige von Breithaupt zitierte Studien die Alltagsintuition nähren, dass mehr Empathie zu einer besseren Welt führt, und auch wenn selbsternannte Zukunftsforscher wie Jeremy Rifkin das Goldene Zeitalter einer empathischen Zivilisation am Firmament der Geschichte aufleuchten sehen, bedarf es der hier vorgelegten Entzauberung der Empathie durch Blick auf ihre dunkle Seiten eigentlich gar nicht. Es würde reichen, ins helle Licht praktischer Vernunft zu blicken. Warum also der ganze Aufwand?

Erst ganz am Ende des Buches zeigt sich, dass Breithaupt die Empathie der Moral entreißen will, um sie als Baustein eines ästhetischen Weltverhältnisses zu feiern. Sie erweitere die Wahrnehmung auf mehrere Perspektiven, sei eine ästhetische Komplexitätssteigerung, ein Mittel zur Intensivierung der Wahrnehmung, die imaginierte Möglichkeit, in mehr als einer Welt zu leben. Im Rahmen einer Ästhetik der Empathie dürfte man tatsächlich bei den dunklen Seiten der Empathie auf seine Kosten kommen. Dieses Buch müsste freilich erst geschrieben werden.

THORSTEN JANTSCHEK

Fritz Breithaupt:

"Die dunklen Seiten

der Empathie".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 227 S., br., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Empathie, zeigt Breithaupt mittels einer üppigen Sammlung von Beispielen, kann ebenso zu unmoralischen Handlungen führen wie zu moralischen.« Michael Stallknecht Neue Zürcher Zeitung 20170720