August Becker ist der Star unter den Pressefotografen, seine Porträts sind unverwechselbar. Im aktuellen Wahlkampf um die Kanzlerschaft erhält er von einer liberalen Wochenzeitschrift den Auftrag, den Spitzenkandidaten einer populistischen Partei zu fotografieren. Ulli Popp hetzt gegen Migranten, gegen Frauen, gegen unabhängige Medien. August Becker soll den Mann hinter der Fassade von Fürsorglichkeit entlarven, seine Brutalität, seinen Zynismus, er soll den unaufhaltsam scheinenden Siegeszug seiner Partei stoppen. August verachtet Popp, er nimmt den Auftrag an, und tatsächlich gelingt ihm ein Schnappschuss, von dem er überzeugt ist, dass er den Ausgang der Wahl entscheidend beeinflussen wird - bis sich von einem Tag auf den anderen alle Gewissheiten ins Gegenteil verkehren. Mit Witz, Ironie und Fabulierlust erzählt Doron Rabinovici in seinem neuen Roman von einer immer stärker polarisierten Gegenwart, einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft. Es geht um die Relativierung von Fakten, die Anziehungskraft des Autoritären, die Macht der Bilder. Es geht um den Kampf eines Populisten gegen einen Fotografen, der genau weiß, dass jede Aufnahme Zeugnis einer Einstellung ist.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Stefan Michalzik erhält in Doron Rabinovicis neuem Buch "Die Einstellung" ein scharfes Abbild einer immer stärker vom Populismus geprägten Gesellschaft. Der 1961 in Tel Aviv geborene Autor lässt dafür seinen Protagonisten, den renommierten Pressefotografen August Becker, mit dem populistischen Politiker Ulli Popp agieren - Becker soll Fotos von Popp für ein Magazin schießen, was ihm gut gelingt, denn sein Bild hat das Potenzial, Popps Wahl zu vermasseln. Doch das Magazin entscheidet sich für ein anderes Foto, und das Geschehen schaukelt sich für Becker, der nach und nach und eigentlich unbeabsichtigt immer häufiger mit Popp verkehrt, hoch, bis der Protagonist seine Arbeit und seinen guten Ruf verliert, erzählt uns Michalzik. Rabinovicis gut in die unterhaltsame Handlung eingebundenen Figuren erinnern den Rezensenten mit ihren Konturen und den modellhaften Verdichtungen an das Ensemble eines guten Theaterstücks. Und auch wenn der Kritiker Einwände gegen das stellenweise Pathos und den schwachen Schluss erhebt, erscheint ihm das Buch in seiner Süffisanz amüsant und gewinnbringend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022Mit dem Pinsel der Kolportage
Doron Rabinovici schreibt eine Mustererzählung über den rechten Populismus. Doch das Muster wirkt literarisch fadenscheinig.
Von Andreas Kilb
Eine moralische Erzählung muss nicht unbedingt eine Moral haben, sie kann sie auch als Spielmaterial nutzen. In Eric Rohmers Film "Meine Nacht bei Maud", dem vierten Teil seiner "Moralischen Geschichten", widersteht ein Mann einer klugen und verführerischen Frau, weil er sich in eine andere verliebt hat. Später stellt sich heraus, dass diese andere nicht so rein war, wie er es sich vorgestellt hat. Die Moral seines Handelns wird nicht desavouiert, aber ihre Voraussetzung gerät ins Zwielicht.
In Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung" knipst der Fotograf August Becker den populistischen Politiker Ulli Popp auf einer Wahlkampftour. Dabei fängt er den Augenblick ein, in dem Popp mit verzerrter Miene ein Bierfass anschlägt. Das Foto, erkennt Becker, demaskiert den Populisten, es zeigt "das Gesicht eines Totschlägers, Hass im Hochformat". Aber die Redaktion des Nachrichtenmagazins, für das der Fotograf arbeitet, will das Bild nicht drucken. Aus Trotz und Gekränktheit schickt Becker die Aufnahme an Popp. Der macht sie zum Motiv einer Plakatkampagne, die seiner Partei den überraschenden Wahlsieg bringt.
Der Roman leuchtet August Beckers Handeln aus verschiedenen Blickwinkeln aus. Der Fotograf, der seine Berufswahl gegen den Vater durchgesetzt und seinen Großvater als "Scheißnazi" beschimpft hat, hegt für Popps Heimatrhetorik und Ausländerhetze keine Sympathie. Aber er leidet unter dem Bedeutungsverlust der Reportagefotografie im Zeitalter der Smartphones, was ihn für die Schmeicheleien des Populisten empfänglich macht. Außerdem will er seiner Freundin Marion imponieren, die in der rechtslastigen Boulevardzeitung "Total" eine Kolumne schreibt. Seine Loyalität zu Selma, einer Enthüllungsjournalistin, die er bei ihrer Popp-Recherche begleitet, lässt dagegen nach, seit ihn Selmas Lebensgefährte, ein Künstler, als Figur ohne Unterleib gemalt hat. Und schließlich muss August das Geld für das Studium seines Sohnes aufbringen. Die Summe, die ihm Popp für ein Becker-Foto angeboten hat, löst das Problem auf einen Schlag. Und macht den Fotografen zum Zulieferer seines Feindes.
Dass "Die Einstellung" eine Parabel ist, eine Mustergeschichte mit einer Modellkonstellation, ist dem Roman ins Gesicht geschrieben. Der Maler, der August symbolisch kastriert, heißt Dino Ahmetovic, ein jüdischstämmiger Schriftsteller, der für den Fotografen auf Instagram in die Bresche springt, Avi Weiss, und ein zwielichtiger PR-Berater, der für die Regierung wie für private Dunkelmänner arbeitet, Flo Maus. Ein zwielichtiger Investor, mit dem Ulli Popp lieber nicht gesehen werden will, nennt sich Jo Gromow, und die Kleinstadt, in der Popps Wahlkampf beginnt, trägt den Namen Oberfeist.
Dieser Hang zum Überdeutlichen schließt nicht aus, dass der Autor, wenn er will, subtil sein kann. Der "Total"-Chefredakteur wird als "Evangelist des Groben" vorgestellt, der sich "die Freiheit zur Niedertracht" nimmt. Man könnte Rabinovici entsprechend als Salonmaler der neuen politischen Unübersichtlichkeit bezeichnen. Die Freiheiten, die er sich gestattet, sind vor allem sprachlicher Art: Der Satz "Das Abendlicht färbte den Gelben Muskateller in ihren Gläsern dunkler" dürfte selbst in einem Boulevardblatt gestrichen werden, die Bemerkung über eine Journalistin, "die nicht nur durch ihre scharfen Fragen aufzufallen wusste", würde man in einem Männermagazin vermuten.
Am bittersten vermisst man in "Die Einstellung" jenes Moment des Diskursiven, das der Titel verspricht. In Rohmers moralischen Filmerzählungen reflektieren die Personen ausgiebig ihre Motive, ganz gleich, ob sie einem Mädchen unter den Rock gucken oder Männerbekanntschaften sammeln. Bei Rabinovici aber sagt jede Figur nur auf, was man sowieso von ihr erwartet, mit Ausnahme von August Becker, der so rücksichtslos von den Wendungen des Plots getrieben wird, dass er nicht zu einem eigenen Standpunkt findet. Dabei ist es weder die Moral seiner Fotografien, die ins Zwielicht rückt, noch die Amoral seines Gegenspielers Ulli Popp, sondern die ästhetische Moral des Autors, der mit dem Pinsel der Kolportage die Gegenwart porträtieren will. Doch die Wahrheit, die er sucht, verschwindet im Plakativen. Trivialität im Breitformat.
Doron Rabinovici: "Die Einstellung". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doron Rabinovici schreibt eine Mustererzählung über den rechten Populismus. Doch das Muster wirkt literarisch fadenscheinig.
Von Andreas Kilb
Eine moralische Erzählung muss nicht unbedingt eine Moral haben, sie kann sie auch als Spielmaterial nutzen. In Eric Rohmers Film "Meine Nacht bei Maud", dem vierten Teil seiner "Moralischen Geschichten", widersteht ein Mann einer klugen und verführerischen Frau, weil er sich in eine andere verliebt hat. Später stellt sich heraus, dass diese andere nicht so rein war, wie er es sich vorgestellt hat. Die Moral seines Handelns wird nicht desavouiert, aber ihre Voraussetzung gerät ins Zwielicht.
In Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung" knipst der Fotograf August Becker den populistischen Politiker Ulli Popp auf einer Wahlkampftour. Dabei fängt er den Augenblick ein, in dem Popp mit verzerrter Miene ein Bierfass anschlägt. Das Foto, erkennt Becker, demaskiert den Populisten, es zeigt "das Gesicht eines Totschlägers, Hass im Hochformat". Aber die Redaktion des Nachrichtenmagazins, für das der Fotograf arbeitet, will das Bild nicht drucken. Aus Trotz und Gekränktheit schickt Becker die Aufnahme an Popp. Der macht sie zum Motiv einer Plakatkampagne, die seiner Partei den überraschenden Wahlsieg bringt.
Der Roman leuchtet August Beckers Handeln aus verschiedenen Blickwinkeln aus. Der Fotograf, der seine Berufswahl gegen den Vater durchgesetzt und seinen Großvater als "Scheißnazi" beschimpft hat, hegt für Popps Heimatrhetorik und Ausländerhetze keine Sympathie. Aber er leidet unter dem Bedeutungsverlust der Reportagefotografie im Zeitalter der Smartphones, was ihn für die Schmeicheleien des Populisten empfänglich macht. Außerdem will er seiner Freundin Marion imponieren, die in der rechtslastigen Boulevardzeitung "Total" eine Kolumne schreibt. Seine Loyalität zu Selma, einer Enthüllungsjournalistin, die er bei ihrer Popp-Recherche begleitet, lässt dagegen nach, seit ihn Selmas Lebensgefährte, ein Künstler, als Figur ohne Unterleib gemalt hat. Und schließlich muss August das Geld für das Studium seines Sohnes aufbringen. Die Summe, die ihm Popp für ein Becker-Foto angeboten hat, löst das Problem auf einen Schlag. Und macht den Fotografen zum Zulieferer seines Feindes.
Dass "Die Einstellung" eine Parabel ist, eine Mustergeschichte mit einer Modellkonstellation, ist dem Roman ins Gesicht geschrieben. Der Maler, der August symbolisch kastriert, heißt Dino Ahmetovic, ein jüdischstämmiger Schriftsteller, der für den Fotografen auf Instagram in die Bresche springt, Avi Weiss, und ein zwielichtiger PR-Berater, der für die Regierung wie für private Dunkelmänner arbeitet, Flo Maus. Ein zwielichtiger Investor, mit dem Ulli Popp lieber nicht gesehen werden will, nennt sich Jo Gromow, und die Kleinstadt, in der Popps Wahlkampf beginnt, trägt den Namen Oberfeist.
Dieser Hang zum Überdeutlichen schließt nicht aus, dass der Autor, wenn er will, subtil sein kann. Der "Total"-Chefredakteur wird als "Evangelist des Groben" vorgestellt, der sich "die Freiheit zur Niedertracht" nimmt. Man könnte Rabinovici entsprechend als Salonmaler der neuen politischen Unübersichtlichkeit bezeichnen. Die Freiheiten, die er sich gestattet, sind vor allem sprachlicher Art: Der Satz "Das Abendlicht färbte den Gelben Muskateller in ihren Gläsern dunkler" dürfte selbst in einem Boulevardblatt gestrichen werden, die Bemerkung über eine Journalistin, "die nicht nur durch ihre scharfen Fragen aufzufallen wusste", würde man in einem Männermagazin vermuten.
Am bittersten vermisst man in "Die Einstellung" jenes Moment des Diskursiven, das der Titel verspricht. In Rohmers moralischen Filmerzählungen reflektieren die Personen ausgiebig ihre Motive, ganz gleich, ob sie einem Mädchen unter den Rock gucken oder Männerbekanntschaften sammeln. Bei Rabinovici aber sagt jede Figur nur auf, was man sowieso von ihr erwartet, mit Ausnahme von August Becker, der so rücksichtslos von den Wendungen des Plots getrieben wird, dass er nicht zu einem eigenen Standpunkt findet. Dabei ist es weder die Moral seiner Fotografien, die ins Zwielicht rückt, noch die Amoral seines Gegenspielers Ulli Popp, sondern die ästhetische Moral des Autors, der mit dem Pinsel der Kolportage die Gegenwart porträtieren will. Doch die Wahrheit, die er sucht, verschwindet im Plakativen. Trivialität im Breitformat.
Doron Rabinovici: "Die Einstellung". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 224 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Mit Witz, Ironie und Fabulierlust erzählt Doron Rabinovici in seinem neuen Roman von einer immer stärker polarisierten Gegenwart, einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft.« Jamal Tuschick TEXTLAND 20220408