Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Analysen zur Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik
Eberhard Kuhrt/Hansjörg F. Buck/Gunter Holzweißig (Herausgeber): Die Endzeit der DDR-Wirtschaft. Verlag Leske + Budrich, Opladen 1999, 520 Seiten, 68 DM.
Was ist passiert, als SED-Ökonomen in die Wüste geschickt worden sind? Zunächst einmal zehn Jahre nichts. Im elften Jahr ist der Sand ausgegangen! Dieses Bonmot könnte der von Eberhard Kuhrt, Hansjörg F. Buck und Gunter Holzweißig herausgegebenen Studie, in der die Defizite der DDR-Wirtschaft in den achtziger Jahren beleuchtet werden, als Geleitwort vorangestellt sein. Das Buch ist der vierte Band der Reihe "Am Ende des realen Sozialismus", die im Auftrag des Bundesministeriums des Innern herausgegeben wird. Weitere Analysen sind in Vorbereitung, zum Beispiel zum Repressionsapparat. Bisher sind Untersuchungen des Zusammenbruchs der SED-Herrschaft, der Opposition sowie der ökologischen und ökonomischen Situation in der DDR erschienen. An das zuletzt genannte, 1996 publizierte Werk knüpft das neue Buch an.
Gernot Gutmann verweist auf die systembedingten Wachstums-, Effizienz- und Modernisierungshemmnisse im realen Sozialismus. Als Ursachen macht er drei miteinander verflochtene Konstruktionsfehler aus: die Entscheidungszentralisation, die Informationsverarbeitung und die Leistungsanreize. So hätten die Planungsbehörden zwar die Entscheidungsbefugnis besessen, aber nicht das Entscheidungsvermögen, da ihnen nur unzureichende Informationen vorgelegen hätten. Deshalb seien sie auf die Mitarbeit der Betriebe angewiesen gewesen, was Manipulationen Tür und Tor geöffnet habe. Denn die "Grundeinheiten" hätten kein Interesse daran gehabt, ihren Wissensvorsprung gegenüber der "Zentrale" einzubüßen, um den eigenen Spielraum möglichst groß zu halten. Im Ergebnis sei es zu den so genannten "weichen Plänen" gekommen.
Dass unter solchen Bedingungen ein notwendiger Strukturwandel blockiert worden ist, zeigt Siegfried Kupper. Die Folgen reichten vom hohen Energie- und Materialverbrauch über den veralteten Maschinenpark bis zur desaströsen Infrastruktur. Der zweite deutsche Staat verharrte gewissermaßen auf dem Stand Anfang der sechziger Jahre. Eine Entwicklung von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft habe nicht stattgefunden. Auch der primäre Sektor litt zunehmend unter den strukturellen Defiziten in der DDR, so dass die Produktivität mehr und mehr zu wünschen übrig gelassen habe. Was hier am Beispiel der Landwirtschaft belegt wird, gilt tatsächlich für die gesamte SED-Ökonomie, auch wenn Gerhard Schürer das zu relativieren sucht.
Mit dem Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission der DDR kommt gleichsam ein Zeitzeuge in eigener Sache zu Wort. Schürer hatte Ende Oktober 1989 vor dem Politbüro die ökonomische Situation im Lande angesichts der erdrückenden Verschuldung im Westen als katastrophal geschildert. Doch sein Aufsatz ist zwiespältig zu bewerten. Einerseits kritisiert er einen Staat, "der die Schönfärberei zu einem festen Bestandteil seiner Leistungsbilanz gemacht hatte", und konstatiert die Unterlegenheit der Planwirtschaft. Andererseits nährt er die Mär, die Planwirtschaft sei kein grundsätzliches Übel, sondern durch Eingriffe der politischen Führung in Misskredit gebracht worden. Die Herausgeber nennen diese Sichtweise eine "begrenzt kritische" - und treffen damit den Nagel auf den Kopf.
Dass in der DDR Nägel mit Köpfen gemacht worden sind, dafür hat lange (für manche bis heute) die Sozialpolitik herhalten müssen, mit der sich Manfred G. Schmidt auseinander setzt. Dabei hat diese zunächst als ein dem Sozialismus wesensfremdes Strukturmerkmal des Kapitalismus gegolten, da mit Sozialpolitik im Kapitalismus Klassengegensätze übertüncht werden sollten. Im Sozialismus hat entsprechend der SED-Lesart für Sozialmaßnahmen "keine objektive Notwendigkeit" bestanden. Noch unter Walter Ulbricht ist man von dieser These abgerückt. Mit Erich Honecker ist schließlich zur Steigerung der Produktivität die "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" beschworen worden. Allerdings hat es weder eine unabhängige Sozialgerichtsbarkeit noch Zuwendungen ohne Ansehen der Person gegeben. In der DDR, lautet das treffende Fazit Schmidts, hat "kein lebensfähiges System der sozialen Sicherheit, sondern ein umfassender Wohlfahrtsstaat auf Pump, zu Lasten der Wirtschaftskraft und der Zukunft" existiert. Doch während Defizite im Sozialbereich unter dem Deckmantel scheinbarer Gleichheit versteckt worden sind, haben die Umweltsünden - mitunter im doppelten Sinne - zum Himmel gestunken, wie Hansjörg F. Buck in zwei Beiträgen anhand der Tier- und Pflanzenproduktion sowie von Müllentsorgung und Industrieabfällen nachweist.
Der Sammelband, in dem wissenschaftliche Analyse und Dokumentation kombiniert werden, leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Autoren räumen mit manchen Mythen gründlich auf. Deshalb sei das Buch DDR-Nostalgikern wärmstens ans Herz gelegt, denn eines haben diese immer noch nicht verwunden: Im Jahr 1989/90 sind die SED-Ökonomen tatsächlich in die Wüste geschickt worden. Dass - nachdem marktwirtschaftliche Bedingungen geherrscht haben - in den folgenden zehn Jahren nichts passiert wäre, kann niemand behaupten. Im elften Jahr seit dem Mauerfall ist man rückblickend Zeuge einer Erfolgsgeschichte - von drohender Sandknappheit oder Ähnlichem keine Spur.
RALF ALTENHOF
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH