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Kultur gibt den Ausschlag: Hansjürg Küster bricht eine Lanze für die Wissenschaft von der Landschaft als neue Integrationsdisziplin.
Von Joachim Müller-Jung
Wie könnte man unserer Natur oder dem, was Hansjörg Küster Landschaft nennt, wieder näher kommen als mit den Füßen, die uns tragen, und den Augen, die uns sehen lassen? Mit der Wissenschaft, glaubt Küster. Der Hannoveraner Pflanzenökologe hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen neuen Fixpunkt im Koordinatensystem der schon jetzt nicht gerade armen Naturforschungsdiszplinen zu begründen: die Landschaftswissenschaft als Brücke zwischen den Kontinenten der Naturwissenschaften und den Kultur-, Sozial und Wirtschaftsfächern.
Das ist, verfolgt man Küsters publizistisches und wissenschaftliches Wirken zurück, durchaus konsequent. An Begriffen wie "naturnäher" oder "naturferner", ja an dem allseits genutzten Begriff "Natur" hat sich der Botaniker schon immer gerieben. Denn Kultur hat lange schon die vermeintlich unberührte Natur verdrängt. An vielen Beispielen macht Küster deutlich, wie das, was einige noch liebevoll Biotope nennen und mit Natürlichkeit, ja Wildheit gleichsetzen, von Menschenhand gegründet wurde: die Lüneburger Heide genauso wie die heimischen Wälder.
Das alles ist nicht neu. Aber ist es deshalb überholt? Sicher nicht. Eine Wissenschaft, die sich "über das Verhältnis vom Menschen zu seinen Landschaften klarwerden" soll, darf auch diesen Konflikt um Etiketten nicht scheuen. Das gilt erst recht in einer Epoche wie heute, in der man zu begreifen beginnt, dass wir mit der Einflussnahme von sieben Milliarden Menschen erdgeschichtlich in einer beispiellosen Zeit leben: Anthropozän, das Menschenzeitalter, oder auch Anthropozoikum, wie es einige Geologen inzwischen bezeichnen.
Schwer zu verstehen, warum Küster dieses empirische Argument für die Landschaftswissenschaft nicht aufgreift. Er selbst sieht die neue Disziplin als den Integrationsfaktor schlechthin: Grundlegende Methoden aus der Geographie, der Ökologie, der Kunstgeschichte und Philosophie, der Volkswirtschaft und der Planung - alles könnte in eine Art Systemforschung der Landschaft einfließen. Aber wie sollte so eine ganzheitliche, wissenschaftlich würde man sagen: transdisziplinäre Herangehensweise von den Nachbardisziplinen anerkannt werden - zumal längst andere Disziplinen - wie etwa die Klimaforschung - sich mit dem komplexen Phänomen Landschaftsnutzung beschäftigen und ihm mit Computermodellen zu Leibe rücken? Küster legt überzeugend dar, weshalb die Landschaftsveränderungen durch den Menschen und weniger die Wildnis unser heutiges Naturbild prägen. Fraglich ist allerdings, ob ihm damit tatsächlich auch eine Umwälzung der Wissenschaftslandschaft gelingt.
Hansjörg Küster: "Die Entdeckung der Landschaft". Einführung in eine neue Wissenschaft.
Verlag C. H. Beck, München 2012. 361 S., zahlr. Abb., br., 17,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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