Fünfzehn Jahre ist es her, dass Mitch McDeere gemeinsam mit dem FBI seine kriminelle alte Firma hat hochgehen lassen. Mittlerweile arbeitet er in der größten Anwaltskanzlei der Welt in Manhattan. Da holt ihn das Verbrechen wieder ein: Als ihn ein Mentor in Rom um einen Gefallen bittet, findet sich Mitch schnell im Zentrum eines mörderischen Konflikts wieder. Er soll durch eine immense Lösegeldzahlung eine Geiselnahme beenden, doch die Umstände sind dramatisch. Schon bald ist nicht nur er selbst in Gefahr, sondern auch die, die ihm nahestehen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eher "okay" findet Rezensent Gerhard Matzig die Fortsetzung von John Grishams "Die Firma", in der wir wieder auf den Rechtsanwalt Mitch McDeere treffen - erstmal passiert aber über 100 Seiten nicht wirklich etwas anderes als Reminiszenzen. Dann gibt es plötzlich ziemlich viele Tote, vor allem im libyschen Raum, dazu kommt eine komplizierte Entführung, die der Protagonist lösen soll, erfahren wir. Leider nimmt die Frage nach dem Ausgang viel mehr Raum ein als die eigentlich so spannenden juristischen Strategien, derer sich McDeere bedient, bedauert Matzig. Er hat das Gefühl, dass diese Fortsetzung nicht die Charaktere weiterentwickelt, sondern eher Autor und Verlag dient.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2024Berühmter Rückkehrer
Krimis in Kürze: John Grisham und Ulf Kvensler
Es ist nicht bekannt, welche Schuhgröße Mitch McDeere hat; von Tom Cruise, der ihn 1993 in dem Film "Die Firma" gespielt hat, heißt es lediglich, er trage Fahrstuhlschuhe, um größer zu wirken, doch der ökologische Fußabdruck, den McDeere in "Die Entführung" (Heyne, 384 S., geb., 24,- Euro), dem neuen Roman von John Grisham, hinterlässt, ist verheerend. Da wird geflogen, bis das Kerosin raucht, von New York nach Rom, Tripolis, London, per Linie und per Learjet. Wenngleich Romane heute keine Benzin sparenden Helden haben müssen, wäre eine gewisse dramaturgische Plausibilität der zahlreichen Flugbewegungen schon ganz schön.
Grisham ist also schwach geworden, er hat eine Art Sequel zu dem Buch geschrieben, mit dem ihm der Durchbruch gelang. Das Erstaunliche daran ist, dass es sich um einen Anwaltsroman ohne eine einzige Gerichtsszene handelt. Mitch, bei dem man unausweichlich Tom Cruise vor Augen hat, ist damals den mafiösen Aktivitäten der "Firma" in Memphis entkommen und untergetaucht.
Jetzt muss er gleich für die "größte Kanzlei der Welt" arbeiten, für deren Briefkopf eine DIN-A4-Seite kaum reichen dürfte. Eine Partnerin der Kanzlei wird entführt, Anti-Gaddafi-Rebellen halten sie gefangen. Das Lösegeld ist hoch, Mitch und sogar seine Frau Abby werden involviert. Er sammelt eifrig Meilen fürs Vielfliegerprogramm. Nur spannend wird es eigentlich nie.
"Die Entführung" ist eine große Enttäuschung, auch wegen einiger handwerklicher Schwächen. Erst deutet Grisham an, dass dunkle Kräfte aus Mitchs Vergangenheit am Werk sein könnten, als er zur Geldübergabe auf die Cayman Islands fliegt, wo im Film eine großartige Szene mit Cruise und Gene Hackman spielt. Dann kommt dazu gar nichts mehr. Schweigen wir von der Schlampigkeit der Übersetzung, die nicht unterscheiden kann zwischen Konjunktiv I und II. Wenn aus diesem Roman mit seinen lahmen Beschreibungen und seiner spießigen Italophilie ein guter Film werden soll, bräuchte es mindestens einen Regisseur wie den 2008 verstorbenen Sydney Pollack und einen Drehbuchautor wie den nicht mehr aktiven Robert Towne.
Alle paar Jahre darf es mal wieder ein sogenannter Schwedenkrimi sein, obwohl der rechte Glaube fehlt, unter den zahlreichen skandinavischen Neuerscheinungen werde sich eine Überraschung finden lassen. Arne Dahls "Stummer Schrei" mit einer neuen Kommissarin ist es sicher nicht. Den legt man spätestens nach fünfzig Seiten weg, weil er in jeder Hinsicht wie ein Retortenprodukt wirkt. Unbegreiflich, wie es ein derart steriles Produkt auf Platz eins der Krimibestenliste schaffen konnte.
Stattdessen also Ulf Kvensler, als Romancier ein Debütant, als Serienautor erfahren und erfolgreich. "Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück" (Penguin, 464 S., br., 17,- Euro) beginnt so, dass die Versuchung groß ist, bald wieder aufzuhören. Aber irgendetwas, was sich erst im Nachhinein erschließt, hält einen davon ab: ein leises Misstrauen, das nichts so bleiben kann, wie es aussieht, eine Erzählinstanz, die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit weckt.
Ein Vernehmungsprotokoll eröffnet das Buch. Wer vernommen wird, sei nicht verraten, das wäre ein unnötiger Spoiler. Vier Personen sind aufgebrochen zu einem Wanderurlaub in den Sarek, einen Nationalpark im schwedischen Teil Lapplands, ein Paradies für Hardcore-Wanderer. Anna, die ehrgeizige Anwältin, Hendrik, ihr langjähriger Freund, beider alte Freundin Melina, die überraschend ihre neue Internetdating-Bekanntschaft Jacob mitgebracht hat, dem etwas Dubioses anhaftet. Ist der Neue ein Psychopath? Manches spricht dafür. Er überredet die anderen zu einer gefährlicheren Strecke, er baggert Anna an. Hendrik ist früh erschöpft. Die Paare trennen sich. Jedes geht seiner Wege. So scheint es zunächst.
Kvensler lockt einen auf ausgetretene Story-Wege, während seine Protagonisten unwegsame Pfade absolvieren müssen. Er arbeitet mit Rückblenden und immer wieder mit Vernehmungsprotokollen. Er lässt langsam das Bild kippen, wenn es sich gerade zu verfestigen beginnt. Lesererwartungen, die auf eine Routinelösung konditioniert wurden, zerfallen. Am Ende werden die losen Fäden dann auch nicht brav verschnürt. Wir werden mit ein paar gut gesetzten Hinweisen in die Ungewissheit entlassen. Das passt. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: John Grisham und Ulf Kvensler
Es ist nicht bekannt, welche Schuhgröße Mitch McDeere hat; von Tom Cruise, der ihn 1993 in dem Film "Die Firma" gespielt hat, heißt es lediglich, er trage Fahrstuhlschuhe, um größer zu wirken, doch der ökologische Fußabdruck, den McDeere in "Die Entführung" (Heyne, 384 S., geb., 24,- Euro), dem neuen Roman von John Grisham, hinterlässt, ist verheerend. Da wird geflogen, bis das Kerosin raucht, von New York nach Rom, Tripolis, London, per Linie und per Learjet. Wenngleich Romane heute keine Benzin sparenden Helden haben müssen, wäre eine gewisse dramaturgische Plausibilität der zahlreichen Flugbewegungen schon ganz schön.
Grisham ist also schwach geworden, er hat eine Art Sequel zu dem Buch geschrieben, mit dem ihm der Durchbruch gelang. Das Erstaunliche daran ist, dass es sich um einen Anwaltsroman ohne eine einzige Gerichtsszene handelt. Mitch, bei dem man unausweichlich Tom Cruise vor Augen hat, ist damals den mafiösen Aktivitäten der "Firma" in Memphis entkommen und untergetaucht.
Jetzt muss er gleich für die "größte Kanzlei der Welt" arbeiten, für deren Briefkopf eine DIN-A4-Seite kaum reichen dürfte. Eine Partnerin der Kanzlei wird entführt, Anti-Gaddafi-Rebellen halten sie gefangen. Das Lösegeld ist hoch, Mitch und sogar seine Frau Abby werden involviert. Er sammelt eifrig Meilen fürs Vielfliegerprogramm. Nur spannend wird es eigentlich nie.
"Die Entführung" ist eine große Enttäuschung, auch wegen einiger handwerklicher Schwächen. Erst deutet Grisham an, dass dunkle Kräfte aus Mitchs Vergangenheit am Werk sein könnten, als er zur Geldübergabe auf die Cayman Islands fliegt, wo im Film eine großartige Szene mit Cruise und Gene Hackman spielt. Dann kommt dazu gar nichts mehr. Schweigen wir von der Schlampigkeit der Übersetzung, die nicht unterscheiden kann zwischen Konjunktiv I und II. Wenn aus diesem Roman mit seinen lahmen Beschreibungen und seiner spießigen Italophilie ein guter Film werden soll, bräuchte es mindestens einen Regisseur wie den 2008 verstorbenen Sydney Pollack und einen Drehbuchautor wie den nicht mehr aktiven Robert Towne.
Alle paar Jahre darf es mal wieder ein sogenannter Schwedenkrimi sein, obwohl der rechte Glaube fehlt, unter den zahlreichen skandinavischen Neuerscheinungen werde sich eine Überraschung finden lassen. Arne Dahls "Stummer Schrei" mit einer neuen Kommissarin ist es sicher nicht. Den legt man spätestens nach fünfzig Seiten weg, weil er in jeder Hinsicht wie ein Retortenprodukt wirkt. Unbegreiflich, wie es ein derart steriles Produkt auf Platz eins der Krimibestenliste schaffen konnte.
Stattdessen also Ulf Kvensler, als Romancier ein Debütant, als Serienautor erfahren und erfolgreich. "Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück" (Penguin, 464 S., br., 17,- Euro) beginnt so, dass die Versuchung groß ist, bald wieder aufzuhören. Aber irgendetwas, was sich erst im Nachhinein erschließt, hält einen davon ab: ein leises Misstrauen, das nichts so bleiben kann, wie es aussieht, eine Erzählinstanz, die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit weckt.
Ein Vernehmungsprotokoll eröffnet das Buch. Wer vernommen wird, sei nicht verraten, das wäre ein unnötiger Spoiler. Vier Personen sind aufgebrochen zu einem Wanderurlaub in den Sarek, einen Nationalpark im schwedischen Teil Lapplands, ein Paradies für Hardcore-Wanderer. Anna, die ehrgeizige Anwältin, Hendrik, ihr langjähriger Freund, beider alte Freundin Melina, die überraschend ihre neue Internetdating-Bekanntschaft Jacob mitgebracht hat, dem etwas Dubioses anhaftet. Ist der Neue ein Psychopath? Manches spricht dafür. Er überredet die anderen zu einer gefährlicheren Strecke, er baggert Anna an. Hendrik ist früh erschöpft. Die Paare trennen sich. Jedes geht seiner Wege. So scheint es zunächst.
Kvensler lockt einen auf ausgetretene Story-Wege, während seine Protagonisten unwegsame Pfade absolvieren müssen. Er arbeitet mit Rückblenden und immer wieder mit Vernehmungsprotokollen. Er lässt langsam das Bild kippen, wenn es sich gerade zu verfestigen beginnt. Lesererwartungen, die auf eine Routinelösung konditioniert wurden, zerfallen. Am Ende werden die losen Fäden dann auch nicht brav verschnürt. Wir werden mit ein paar gut gesetzten Hinweisen in die Ungewissheit entlassen. Das passt. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.02.2024Libyen ist überall
Vor Jahrzehnten landete John Grisham mit „Die Firma“ einen Weltbestseller.
Jetzt wird sein smarter Anwalt Mitch McDeere im neuen Buch reanimiert.
„Alle sind unzufrieden“, heißt es auf Seite 134 des knapp 400 Seiten umfassenden Comebacks von Mitch McDeere, den man sich nur wie Tom Cruise vorstellen kann. Aber trotz Top-Gun-Revival-Potenzial sind alle erst mal unzufrieden im neuen Roman „Die Entführung“ von John Grisham. Als Leser denkt man sich an dieser Stelle: Genau, ich bin auch unzufrieden.
Denn „das am sehnlichsten erwartete Sequel des Jahrzehnts“, wie im Daily Express die Grisham-Fortsetzung vom einstigen (und mit Tom Cruise in der Hauptrolle verfilmten) Grisham-Weltbestseller „Die Firma“ aus dem Jahr 1991 angepriesen wird, hätte man sich zumindest bis Seite 134 dann doch etwas actionreicher vorgestellt. Mit etwas mehr Thrill. Stattdessen gibt es jede Menge Erinnerungen, die auf den Helden „einstürmen“ oder wie Enten „ihre Kreise ziehen“. Der Memphis-Blues rund um den irre spannungsreich gestrickten Mafia-Fall in „Die Firma“ nimmt zunächst behäbig viel Weißt-du-noch-Raum ein – samt Spareribs mit Krautsalat und eiskaltem Bier.
Doch dann, endlich, muss man sagen, gibt es gleich elf Tote, Türken und Libyer, und eine von Terroristen, Verbrechern, Revolutionären, Stammeskriegern, Fundamentalisten, Aufständischen und/oder Klischee-Banditen entführte Italienerin mit einem britischen Pass, die für die größte Anwaltskanzlei der Welt, Scully & Pershing mit Sitz in New York, arbeitet – zusammen mit Mitch McDeere. Nun denkt man: Okay, es reicht jetzt mal. Inzwischen sind ja auch genug Tote mit Kettensägen zerteilt worden.
In der libyschen Stadt Bengasi wird zum Beispiel Youssef gefunden: „in seinem Schädel klaffte ein Loch“, heißt es, und „seine blutüberströmte Leiche war splitternackt, an Händen und Füßen gefesselt und drehte sich im Licht der aufgehenden Sonne langsam an einem dicken Drahtseil“. Am rechten Knöchel ist eine Nachricht befestigt. „Sie lautete: Youssef Ashour, Verräter.“ Danach geht es um abgeschnittene Hoden, aber zuvor werden noch Haskel, Gau, Abdo und Aziz mit abgeschnittenem Kopf aufgefunden. Das öffentliche Schockvideo gehört zum Bilder-Arsenal des modernen Terrors.
Sogar der Fachmann für unmögliche Missionen, Tom Cruise (alias Mitch McDeere, der Einser-Jurist aus Harvard), versucht ein paar Mal zu oft im Roman, solche Videos nicht zu sehen. Man kann es verstehen. Bis Seite 134 denkt man sich also, dass mal was passieren könnte im Thriller – bald danach hofft man, dass es jetzt genug Aufregung in Nahost gegeben hat. Eine Hoffnung, die nur bis zur nächsten „Tagesschau“ hält.
Zum Glück beendet Grisham das Massaker in seiner Fiktion bald – um zu seinen Leisten zurückzukehren: knifflige Rechtsfälle. Die in diesem Fall aber mit einer Entführung im Mission-Impossible-Stil einhergehen. Der Fall, um den es in „Die Entführung“ geht, ist dabei denkbar absurd – aber in seiner Absurdität auch realistisch.
Ausgangspunkt ist ein Fantasiebau gigantischen Ausmaßes – nämlich eine Brückenkonstruktion in der Wüste, die sich Muammar al-Gaddafi ausgedacht hat. Der Diktator Libyens ist vor mehr als zehn Jahren getötet worden, doch im Roman wird er zum immer noch lebendigen Auftraggeber der „Great Gaddafi Bridge“. Die ist Teil eines realen Projekts, genannt „Great Man Made River“.
Gemeint ist das größte künstlich angelegte Wasserfördersystem der Welt, das als Gaddafis „achtes Weltwunder“ gilt. Vor mehr als 30 Jahren wurde das megalomane Bauprojekt begonnen. So weit die Realität, die schon absurd genug ist: Gaddafi meinte, das für enorme Bausummen künstlich angelegte Wasserreservoir würde mindestens 5000 Jahre lang Wasser spenden – Experten gehen von wenigen Jahrzehnten aus. Das ganze Vorhaben, teurer als gedacht, später fertig als geplant, erinnert insofern auch an die Deutsche Bahn. Libyen ist überall.
Im Buch weigert sich die libysche Regierung, die berechtigten Zahlungsforderungen eines türkischen Bauunternehmens zu begleichen. Mitch McDeere muss vor Ort nach dem Rechten sehen – zusammen mit seiner natürlich unglaublich jungen, unglaublich schönen und unglaublich klugen Partnerin – deren Entführung für Suspense sorgt: Wird sie aus den Fängen des Wahnsinns gerettet? Das Böse ist von Virginia aus betrachtet ja verdächtig oft im arabischen Raum zu finden.
Diese Frage wird im Buch zunehmend wichtig, während das, was normalerweise den Reiz bei Grisham ausmacht, raffinierte Schachzüge im Strategiespiel der Jurisprudenz, immer mehr verflacht. Das macht einen Teil der Enttäuschung über das am sehnlichsten erwartete Sequel des Jahrzehnts aus. Der andere Teil speist sich aus der Frage, wem Mitch McDeeres Comeback dient. Außer dem Autor und seinem Verlag. Darüber rätselt man bis zum Schluss, denn die Erinnerungen an die Abenteuer, die die McDeeres einst erlebt haben im Kampf gegen die Firma, führen zu nichts. In der Danksagung schreibt John Grisham, er sei immer wieder gefragt worden, ob man Mitch und Abby „eines Tages wiedersehen“ werde. Offenbar wollte der Autor endlich sagen: ja. Für einen faszinierenden Thriller wie „Die Firma“ reicht das nicht – für ein Sequel schon. „Ich gehe“, sagt der inzwischen 41-jährige Mitch McDeere am Ende, „ich kündige, nennen Sie es, wie Sie wollen.“ Als Leser nennt man es so: okay.
GERHARD MATZIG
An seinem rechten
Knöchel ist eine Nachricht
befestigt: „Verräter“
„Ich gehe, ich kündige,
nennen Sie es,
wie Sie wollen.“
Trump-Kritiker, bekennender Baptist und Weltbestseller-Autor: der Schriftsteller John Grisham.
Foto: Loic Venance / dpa
John Grisham: Die Entführung. Aus dem Englischen von Bea Reiter und Imke Walsh-Araya. Heyne, München 2024.
384 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vor Jahrzehnten landete John Grisham mit „Die Firma“ einen Weltbestseller.
Jetzt wird sein smarter Anwalt Mitch McDeere im neuen Buch reanimiert.
„Alle sind unzufrieden“, heißt es auf Seite 134 des knapp 400 Seiten umfassenden Comebacks von Mitch McDeere, den man sich nur wie Tom Cruise vorstellen kann. Aber trotz Top-Gun-Revival-Potenzial sind alle erst mal unzufrieden im neuen Roman „Die Entführung“ von John Grisham. Als Leser denkt man sich an dieser Stelle: Genau, ich bin auch unzufrieden.
Denn „das am sehnlichsten erwartete Sequel des Jahrzehnts“, wie im Daily Express die Grisham-Fortsetzung vom einstigen (und mit Tom Cruise in der Hauptrolle verfilmten) Grisham-Weltbestseller „Die Firma“ aus dem Jahr 1991 angepriesen wird, hätte man sich zumindest bis Seite 134 dann doch etwas actionreicher vorgestellt. Mit etwas mehr Thrill. Stattdessen gibt es jede Menge Erinnerungen, die auf den Helden „einstürmen“ oder wie Enten „ihre Kreise ziehen“. Der Memphis-Blues rund um den irre spannungsreich gestrickten Mafia-Fall in „Die Firma“ nimmt zunächst behäbig viel Weißt-du-noch-Raum ein – samt Spareribs mit Krautsalat und eiskaltem Bier.
Doch dann, endlich, muss man sagen, gibt es gleich elf Tote, Türken und Libyer, und eine von Terroristen, Verbrechern, Revolutionären, Stammeskriegern, Fundamentalisten, Aufständischen und/oder Klischee-Banditen entführte Italienerin mit einem britischen Pass, die für die größte Anwaltskanzlei der Welt, Scully & Pershing mit Sitz in New York, arbeitet – zusammen mit Mitch McDeere. Nun denkt man: Okay, es reicht jetzt mal. Inzwischen sind ja auch genug Tote mit Kettensägen zerteilt worden.
In der libyschen Stadt Bengasi wird zum Beispiel Youssef gefunden: „in seinem Schädel klaffte ein Loch“, heißt es, und „seine blutüberströmte Leiche war splitternackt, an Händen und Füßen gefesselt und drehte sich im Licht der aufgehenden Sonne langsam an einem dicken Drahtseil“. Am rechten Knöchel ist eine Nachricht befestigt. „Sie lautete: Youssef Ashour, Verräter.“ Danach geht es um abgeschnittene Hoden, aber zuvor werden noch Haskel, Gau, Abdo und Aziz mit abgeschnittenem Kopf aufgefunden. Das öffentliche Schockvideo gehört zum Bilder-Arsenal des modernen Terrors.
Sogar der Fachmann für unmögliche Missionen, Tom Cruise (alias Mitch McDeere, der Einser-Jurist aus Harvard), versucht ein paar Mal zu oft im Roman, solche Videos nicht zu sehen. Man kann es verstehen. Bis Seite 134 denkt man sich also, dass mal was passieren könnte im Thriller – bald danach hofft man, dass es jetzt genug Aufregung in Nahost gegeben hat. Eine Hoffnung, die nur bis zur nächsten „Tagesschau“ hält.
Zum Glück beendet Grisham das Massaker in seiner Fiktion bald – um zu seinen Leisten zurückzukehren: knifflige Rechtsfälle. Die in diesem Fall aber mit einer Entführung im Mission-Impossible-Stil einhergehen. Der Fall, um den es in „Die Entführung“ geht, ist dabei denkbar absurd – aber in seiner Absurdität auch realistisch.
Ausgangspunkt ist ein Fantasiebau gigantischen Ausmaßes – nämlich eine Brückenkonstruktion in der Wüste, die sich Muammar al-Gaddafi ausgedacht hat. Der Diktator Libyens ist vor mehr als zehn Jahren getötet worden, doch im Roman wird er zum immer noch lebendigen Auftraggeber der „Great Gaddafi Bridge“. Die ist Teil eines realen Projekts, genannt „Great Man Made River“.
Gemeint ist das größte künstlich angelegte Wasserfördersystem der Welt, das als Gaddafis „achtes Weltwunder“ gilt. Vor mehr als 30 Jahren wurde das megalomane Bauprojekt begonnen. So weit die Realität, die schon absurd genug ist: Gaddafi meinte, das für enorme Bausummen künstlich angelegte Wasserreservoir würde mindestens 5000 Jahre lang Wasser spenden – Experten gehen von wenigen Jahrzehnten aus. Das ganze Vorhaben, teurer als gedacht, später fertig als geplant, erinnert insofern auch an die Deutsche Bahn. Libyen ist überall.
Im Buch weigert sich die libysche Regierung, die berechtigten Zahlungsforderungen eines türkischen Bauunternehmens zu begleichen. Mitch McDeere muss vor Ort nach dem Rechten sehen – zusammen mit seiner natürlich unglaublich jungen, unglaublich schönen und unglaublich klugen Partnerin – deren Entführung für Suspense sorgt: Wird sie aus den Fängen des Wahnsinns gerettet? Das Böse ist von Virginia aus betrachtet ja verdächtig oft im arabischen Raum zu finden.
Diese Frage wird im Buch zunehmend wichtig, während das, was normalerweise den Reiz bei Grisham ausmacht, raffinierte Schachzüge im Strategiespiel der Jurisprudenz, immer mehr verflacht. Das macht einen Teil der Enttäuschung über das am sehnlichsten erwartete Sequel des Jahrzehnts aus. Der andere Teil speist sich aus der Frage, wem Mitch McDeeres Comeback dient. Außer dem Autor und seinem Verlag. Darüber rätselt man bis zum Schluss, denn die Erinnerungen an die Abenteuer, die die McDeeres einst erlebt haben im Kampf gegen die Firma, führen zu nichts. In der Danksagung schreibt John Grisham, er sei immer wieder gefragt worden, ob man Mitch und Abby „eines Tages wiedersehen“ werde. Offenbar wollte der Autor endlich sagen: ja. Für einen faszinierenden Thriller wie „Die Firma“ reicht das nicht – für ein Sequel schon. „Ich gehe“, sagt der inzwischen 41-jährige Mitch McDeere am Ende, „ich kündige, nennen Sie es, wie Sie wollen.“ Als Leser nennt man es so: okay.
GERHARD MATZIG
An seinem rechten
Knöchel ist eine Nachricht
befestigt: „Verräter“
„Ich gehe, ich kündige,
nennen Sie es,
wie Sie wollen.“
Trump-Kritiker, bekennender Baptist und Weltbestseller-Autor: der Schriftsteller John Grisham.
Foto: Loic Venance / dpa
John Grisham: Die Entführung. Aus dem Englischen von Bea Reiter und Imke Walsh-Araya. Heyne, München 2024.
384 Seiten, 24 Euro.
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»[...] mit Charles Brauer als Mann hinter dem Mikrofon. [...] Mit seiner sonoren Stimme schafft er es auch dieses Mal, die Hörer in seinen Bann zu ziehen.« Christoph Mahnel, literaturmarkt.info