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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Googles Vorläufer: Der Historiker Anton Tantner sieht sich in der Vorgeschichte der Suchmaschinen um
Gottfried Wilhelm Leibniz war nicht nur ein Philosoph und Gelehrter ersten Ranges, sondern auch ein großer Projektemacher. 1678 malte er seinem Dienstherrn, dem Herzog von Braunschweig-Calenberg, die Vorzüge von sogenannten Adressbüros aus. Die Grundidee dieser Einrichtungen war recht einfach. Da persönlich geknüpfte Netzwerke offensichtlich nicht mehr ohne weiteres hinreichten, um Angebote aller Art schnell oder überhaupt zur Kenntnis von Interessenten gelangen zu lassen, schaffe eine Agentur Abhilfe. Ein Büro nämlich, bei dem Angebote wie Nachfragen erfasst und auf diese Weise zueinander in Beziehung gebracht wurden. Oder gleich in Leibniz' bündiger Beschreibung, "vermittelst deßen man durchs ganze Land was zu kauffen, verkauffen, zu lehnen, zu vermiethen, zu verdingen, zu sehen, zu lernen, zu gebrauchen, erfahren köndte".
Der Nutzen einer solchen Vermittlungsagentur lag auf der Hand, und der Effekt, dass bei ihr auch etwas gefunden werden konnte, das gar nicht gesucht worden war, schlug zusätzlich als Vorteil für Handel und Wandel zu Buche. Die Vorteile mussten aber nicht auf wirtschaftliche beschränkt werden. Adressbüros oder Notiz-Ämter tauchen auch in Leibniz' verschiedenen Plänen für öffentliche Akademien auf, um Gelehrten und Erfinder miteinander in Kontakt zu bringen. Überhaupt sollten durch sie bloß zufällig zustande kommende Kontakte und Geschäftsverbindungen auf eine vernünftige Basis gestellt werden und die Menschen fester miteinander verknüpft werden - auch dann, wenn sie sich gar nicht direkt begegnen; wozu auch regelmäßig gedruckte Aussendungen der Notiz-Ämter beitragen konnten.
Als Leibniz seine Projekte skizzierte, konnte er bereits auf Pläne und Erfahrungen mit Adressbüros in Paris und London zurückgreifen. Die Idee zu solchen Einrichtungen war sogar noch deutlich älter. Michel de Montaigne hatte sie in einem seiner 1580 erschienenen "Essais" seinem Vater zugeschrieben, der ihm einmal den Plan auseinandergesetzt habe, in Städten eine Einrichtung zu gründen, wo eigens dafür eingesetzte Beamte Anfragen und Angebote von Bürgern registrieren. Anfragen aller Art, denn "der eine sucht dies, der andere das, jeder nach seiner Art". Montaigne fügte den Beispielen seines Vaters auch ein eigenes an, nämlich das traurige Ende zweier Gelehrter, über deren finanzielle Schwierigkeiten vermögende Auftraggeber nur hätten wissen müssen, um ihnen eine Stelle zu verschaffen.
Es ist diese "Urszene" bei Montaigne, von der der österreichische Historiker Anton Tantner seinen Ausgang nimmt, um die Ausgestaltungen und Verwirklichungen der Idee bis hinauf ins frühe neunzehnte Jahrhundert zu verfolgen: die Geschichte der Adresscomptoirs, Frag- und Kundschaftsämter, Berichthäuser, Intelligenzbüros, Notizämter, bureaux de recontre und register offices. Tatsächlich nämlich brachte es Montaignes knappe Bemerkung zu einer erstaunlichen Wirkungsgeschichte. Was auch daran gelegen haben mag, dass sie unter dem Titel "Von den Mängeln unserer Verwaltung" den wohl kürzesten und geradlinigsten Essay in Montaignes Buch ausmachte. Jedenfalls zitierten ihn sowohl die Pariser wie Londoner Pioniere des Adressbüros wie noch manche ihrer Nachfolger.
In Paris verdankte sich der unmittelbare Anstoß einem 1612 verliehenen königlichen Privileg, das bei der Registrierung "aller wechselseitigen Annehmlichkeiten der Untertanen" vor allem die Armenversorgung im Blick hatte. Aber Théophraste Renaudot, in dessen Familie das Privileg lange bleiben sollte, erweiterte den Spielraum mit der endlichen Einrichtung des Büros 1630 entschieden. Es lief innerhalb kurzer Zeit auf ein stattliches Medien-, Waren- und auch Bildungsunternehmen hinaus, denn Vorträge gehörten ebenso zum Angebot wie regelmäßig publizierte Annoncen-Auszüge. Es kam sogar die Vermittlung von kostenloser ärztlicher Beratung und Behandlung hinzu, auch auf der Basis von schriftlich eingereichten Symptombeschreibungen - wogegen die Ärzteschaft der Sorbonne Sturm lief.
Damit waren in diesem ersten Adressbüro tatsächlich schon viele Elemente beisammen, die die weitere Geschichte solcher Einrichtungen bestimmten; einschließlich behördlicher Versuche, die Register für Meldeverpflichtungen und Polizeiaufgaben heranzuziehen. In London hatte man sogar noch etwas früher Projekte gewälzt und der aus Preußen stammende Gelehrte Samuel Hatlib der Idee durch einen ambitioniert wissenschaftsreformerischen Zuschnitt einen utopischen Einschlag gegeben.
Realisiert wurden dann ab den fünfziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts doch bodenständigere Modelle. In Wien und Berlin war man mit einem Oberintelligentz- und Adress-Haus etwa drei Jahrzehnte später dran. Das Auf und Ab der verschiedenen Gründungen ist in der Folge kaum auf eine gerade Entwicklungslinie zu bringen. Nicht einmal die Verlagerung vom Büro auf das Medium des gedruckten Auszugs war eine eindeutige Tendenz, obwohl es zuletzt die Intelligenz-Blätter und Zeitungen waren, die den Büros Anfang des neunzehnten Jahrhunderts dann das Wasser abgruben.
Man lernt vieles aus Anton Tantners nahe an den Quellen bleibender und gerade deshalb kurzweilig zu lesender Darstellung: über Gewohnheiten des frühneuzeitlichen Stadtlebens, über den Stellenwert der Anonymität, den die Adressbüros für ihre Anbahnung des Austauschs garantierten, und der tendenziellen Enträumlichung der von ihnen geleisteten Vermittlungen. Und natürlich über die obrigkeitlichen Versuche, die Büros ihrem Überwachungs- und Verwaltungregime einzufügen. Weshalb die Adressbüros auch in einem Essay auftauchen, den Tantner der Vorgeschichte der Kontrollgesellschaft gewidmet hat (Anton Tantner/Jana Hartwig; "Zu den historischen Wurzeln der Kontrollgesellschaft". Picus Verlag, Wien 2014). Aufmerksamkeit für behördliche Zugriffe, die über Adressen liefen, demonstrierte er schon in seiner Untersuchung zur Geschichte der Hausnummern.
Eher wenig ist darüber zu erfahren, warum diese frühen papierbasierten Suchmaschinen oft keine lange Lebenszeit hatten. Ob es also im einzelnen Fall eher am Zuschnitt des Projekts, am Widerstand von Händlern oder anderen konkurrenzierten Anbietern, an Vorbehalten der anvisierten Klientel, obrigkeitlichen Einschränkungen oder anderen Faktoren lag, die die Finanzierung schwierig machten. Die Ambitionen von einigen unter ihnen waren jedenfalls nicht bescheiden. Schon 1750 konnte man in der Programmschrift der Gebrüder Fielding zu ihrem "Universal Register Office" lesen, dass sie vorhätten, "die Welt zusammen an einen Platz zu bringen". Gemeint war damals London. Heute versteht Google es ganz wörtlich.
HELMUT MAYER.
Anton Tantner: "Die ersten Suchmaschinen". Adressbüros, Fragämter, Intelligenz-Comptoirs. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2014. 171 S., geb, 19,90 [Euro].
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