Rowohlt E-Book Monographie Die Familie Mann repräsentiert ein Kapitel deutscher Zeit- und Kulturgeschichte. Der britische Diplomat Harold Nicolson nannte die Manns einmal eine «amazing family», eine erstaunliche Familie: voller Talente und Begabungen, Widersprüche und Verwicklungen. Die ungleichen Brüder Heinrich und Thomas Mann, ihre Vorfahren und Geschwister, ihre Lebenspartner und Nachkommen werden im vorliegenden Buch porträtiert. Ihre Biographien verdichten sich zu einer einzigartigen Familienchronik - und zugleich spiegelt sich in den Schicksalen der Familie Mann eine ganze Epoche. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2001Candide, wie er seinen letzten Garten bestellt
Kein Zeitalter wird besichtigt: Heinrich Manns Jahrhundert-Buch ist ein Epos der Posthistoire und der geschichtslosen Kämpfe des Geistes
Beinahe hätte er sogar für das Amt des Reichspräsidenten kandidiert. Heinrich Mann, nicht sein Bruder, galt dem breitesten politischen Spektrum von der bürgerlich-liberalen Mitte bis weit nach links als geistiger Repräsentant der Republik. Die öffentliche Rolle, die er in ihr spielte, entsprach genau jenem Bild, das sein berühmter Essay 1915 halb autobiographisch von Zola gezeichnet hatte: vom Dichter als "Lehrer der Demokratie", bereit zum Bündnis von "Geist und Tat". Im literarischen Exil dann ist dieses präsidiale Ansehen noch gewachsen; die Berufung des Sterbenskranken in das Amt des DDR-Akademiepräsidenten hat schließlich weder ihn überrascht (der die Abreise dann doch aufschob bis zuletzt) noch die literarische Welt, deren Blicke so bewundernd auf ihm ruhten wie jene des versöhnten Bruders.
Dieser Rolle eines nationalen Repräsentanten entsprachen die Dimensionen, in denen der Siebzigjährige, dessen Geburtstag sich in dieser Woche zum 130. Mal jährt, in Kalifornien seine Erinnerungen konzipierte. Stefan Ringel hat jüngst die schwierige Entstehungsgeschichte dieses letzten Hauptwerks nachgezeichnet. Nicht das eigene Leben, sondern ein Zeitalter wird besichtigt. Den mächtigen Anspruch des Titels bekräftigen gleich die ersten Worte in einer großartigen Bescheidenheitsgeste: "Die wenigen Jahrhunderte, die noch nahe genug liegen, daß sie mich nicht befremden . . ." Ein letztes Mal, so schien es, inszenierte sich hier "Größe" in alteuropäischen Dimensionen - hier schrieb ein großer Autor ein großes Werk über einen denkbar großen Gegenstand. Abgerundeter, geschlossener als dieses Lebensgeschichtsbuch konnte ein Text der Jahrhundertmitte sich schlechterdings nicht darstellen, und ebendies gab ihm die Aura eines in mehrfacher Hinsicht letzten Werkes.
Der Abstand, den die respektvoll erschütterte Nachwelt ihm gegenüber gewahrt hat, zeigt eine gewisse Verlegenheit. Zu dicht beieinander standen, wie Hans Wißkirchens Gruppenbiographie der Familie Mann resümiert, "glänzende Einsichten", "unzulässige Vereinfachungen und politisch problematische Aussagen". Wie sollte man umgehen mit einem seiner Herkunft nach bürgerlichen Schriftsteller, der hier alle Anstrengungen unternimmt, sich einem marxistischen Fortschrittsoptimismus zu unterwerfen, der sich als entschlossener Stalinist aufführt und gegen das bessere Wissen, das seine Vorarbeiten zu erkennen geben, die Schauprozesse so lautstark bejubelt wie die Künstlergestalt Josef Stalins und, wo er einmal im Zuge ist, auch gleich noch die französische Kolonialpolitik und ihre dankbaren afrikanischen Schutzbefohlenen? Über die politischen Mißgriffe dieses sonderbaren Buches haben die professionellen Leser gestritten, über seinen Kunstcharakter nicht. Dabei fragt sich, ob die Voraussetzungen dieser Lektüre überhaupt bestehen - und ob dieses Buch nicht im Grunde erst für jenes Zeitalter geschrieben wurde, das sich selbst den Namen der post-histoire beigelegt hat.
Im Zentrum dieser Erinnerungen klafft eine dreifache Lücke: Es gibt kein eindeutiges Erzähler-Ich, es gibt keinen greifbaren Gegenstand, und es gibt keine kontinuierliche Erinnerung. "Ein Zeitalter wird besichtigt", zitiert der Text einmal seinen eigenen Titel und fügt hinzu: ",Von wem?' ist immer die Frage." Sie bleibt unbeantwortet. Das Subjekt des Schreibenden soll aufgehen in der Hingabe ans geschichtliche Objekt. "Von mir", heißt es kategorisch, "ist nicht die Rede." Folgerichtig konkurriert das möglichst vermiedene Ich mit "einem Jx", das als fremde Kunstfigur in der dritten Person erscheint. Denn: "Eine Autobiographie sieht am besten von ihrem Urheber ab, wenn es anginge." Der Irrealis des Bedingungssatzes entzieht der Forderung des Hauptsatzes den Boden. Die grammatische Inkongruenz ist bezeichnend; und was sie bezeichnet, ist die Aporie einer Autobiographie ohne Ich. Wo aber ist dieses Ich dann? Eine offene Frage, vorläufig.
Wie das Subjekt, so die Geschichte. Auch deren Konturen erweisen sich bei näherem Hinsehen als überaus unscharf. Nicht nur die zeitlichen Begrenzungen des "Zeitalters" variieren - seit Voltaire oder seit Bismarck, seit der Französischen oder seit der Russischen Revolution? -, auch die elementare Chronologie verschwimmt. Weit über die vom Zeitzeugen miterlebten Ereignisse hinaus springt der Text kreuz und quer durch die Jahrhunderte. Und nicht etwa um die behaupteten Entwicklungslinien von der Französischen Revolution bis zur Sowjetmacht geht es dabei in Wahrheit, sondern um Beziehungen jenseits aller Geschichtlichkeit.
Je länger man liest, desto dichter entspinnt sich ein ganzes Geflecht sonderbarster Identifikationen: "Stalingrad gleich Valmy". Oder: "Das Frankreich des Königs Henri Quatre und des Generals de Gaulle ist durchaus das gleiche." Die "Pax Romana" wiederholt sich in der "Pax Britannica", im Commonwealth ist die Sowjetunion präfiguriert. Wie die Akteure und Schauplätze, so bleiben sich auch die Frontstellungen über die Zeiten hinweg gleich. Henri Quatre - "seither wäre er Bolschewik"; wie er, so stünde auch Bismarck "auf seiten der Sowjetunion". Hitler wiederholt sowohl Ludwig II. als auch Napoleon Bonaparte; in "Kamerad Stalin" kehrt Robespierre wieder, "der Unbestechliche", außerdem Bismarck und Henri Quatre, der seinerseits aber auch als de Gaulle auftritt, und so fort. Allenthalben gilt hier, was der Erzähler über 1914 und 1944 bemerkt: "Mit den gebotenen Abwandlungen vollzieht sich jetzt das gleiche."
Was in derart rasanten Kurzschlüssen nur pointiert zutage tritt, ist eine Erzählgrammatik, die das ganze Buch bestimmt. Bis in seine Verästelungen zielt dieser so geschichtsbesessene Text auf eine Aufhebung der Zeit, auf die Erfahrung eines stehenden Jetzt. Nichts könnte das bündiger resümieren als die titelgebende Metapher der "Besichtigung". Denn was besichtigt werden kann, ist ja zueinander und zum Besichtigenden gleichzeitig; der Begriff impliziert schon die Ersetzung eines zeitlichen Nacheinanders durch ein Nebeneinander im Raum. Wer dem "Jx" folgt, macht einen Spaziergang durch ein Museum der Jahrhunderte, zwischen dessen Sälen sich allenthalben Verbindungstüren auftun.
Diese Entzeitlichung eines Zeitalters - in ihrer reinsten Ausprägung erscheint sie im unvollendeten Projekt einer "Kleinen Encyclopädie des Zeitalters". Im publizierten Text nur einmal beiläufig erwähnt, ist dieser Plan von Heinrich Mann 1942/43 ernstlich in Angriff genommen worden, mit Stichwörtern wie "Arbeit", "Gott", "Tod"; Peter-Paul Schneiders Neuausgabe präsentiert neben anderen Vorarbeiten auch diese Aufzeichnungen. Das Zeitalter als Enzyklopädie: Kein Strukturprinzip wäre historischem Zusammenhangsdenken so wenig angemessen wie ausgerechnet das eines Lexikons; nirgends läßt sich historische Linearität konsequenter auflösen als in der Zufälligkeit des Alphabets.
Gegen Ende wird die für eine Fortschrittsgeschichte immerhin erstaunliche Prämisse explizit formuliert - im Ton achselzuckender Beiläufigkeit, als verstehe sich dies doch von selbst: "Die Zeit gilt ohnehin als angenommen. In einer höheren Ordnung, die ich nicht verstehe, fänden die Jahrhunderte mit- und durcheinander statt." Eine Variante genau dieser höheren Ordnung hat, des Bescheidenheitstopos ungeachtet, das gesamte Buch selbst entworfen. Weil auch in ihm die Zeit als angenommen gilt, deshalb finden hier fortwährend und sinnverwirrend die Jahrhunderte durcheinander statt: Abglanz einer Ordnung, die das historische Geschehen tröstlich als bloß scheinbar suspendiert - einer zeitlosen Ordnung jenseits der vergänglichen Welt.
Indem der Bericht mit der Chronologie nicht bloß spielt, sondern sie aufhebt, dementiert er implizit die marxistische Geschichtsphilosophie, der er sich explizit unterwirft. Die beiden Gruppen, zwischen denen sich hier überhaupt so etwas wie eine geschichtsbestimmende Spannung entwickelt, sind keineswegs "das Proletariat" und "die Truste" (die manchmal am Rande erwähnt werden), sondern die Machthaber und die Intellektuellen. Hier ist alle Geschichte die Geschichte von Geisteskämpfen. Weil aber der Geist seinerseits als überzeitlich erscheint, bleiben seine Kämpfe im Grunde geschichtslos.
Zielsicher findet der Text dafür entschieden vormoderne Metaphern. "Mit dem Zug gegen Rußland", heißt es beispielsweise, "fängt das Kostümstück an, eine historische Rolle wird übernommen"; als Geschichtsmodelle werden die Maskenspiele des Florentiner Karnevals und Mascagnis Oper "Die Masken" aufgerufen. Es lohnt sich, solche Bilder als Denkfiguren jener "höheren Ordnung" ernst zu nehmen. Unter den Auspizien des Welttheaters findet dieser forschende Blick nicht mehr einmalige Ereignisse im fortschreitenden Prozeß der Geschichte, sondern nur neue Maskierungen des immer Gleichen. "Sie sind so", heißt es einmal über die historischen Gestalten: "Sie sind so, in diesem Zeitalter und in jedem." Die Besichtigung eines Zeitalters - sie besteht in der Aufdeckung seiner Masken. Und was darunter sichtbar wird, sind literarische Muster. "Die hohe Tragödie gab endlich dem Edelmann Churchill seine vornehme Rolle", weiß der Erzähler, "er bleibt, unter der Maske des Zeitalters, ein Held von Corneille." Churchill als Edelmann aus dem heroischen drame classique: Was unter der Maske verborgen ist, ist die zeitlose Wahrheit, und allein die Literatur drückt sie maskenlos aus.
Damit aber wird, was der Geschichtsphilosophie verlorengeht, für die Dichtung gewonnen. "Der Sinn! Wo, um alles, ist der Sinn?" Dieser letzten Frage im Schlußteil des Buches steht bereits auf dessen ersten Seiten die Behauptung gegenüber, "daß von etwas Geschaffenem wenigstens einer den Sinn in sich trägt und begreift: es ist der Autor". Denn "Zusammenhänge gibt es, man entziffert sie wohl". Zwei Modelle sind da ineinandergeschoben: einerseits das des Zeitzeugen, der die Geschichte nur "entziffert" - andererseits das eines Autors, der den Sinn "in sich trägt". Einerseits also die Lektüre im Buch der Geschichte, dessen Embleme es nur auszulegen gilt - andererseits die verleugnete Konstruktionsanstrengung des Allegorikers. In genauer Umkehrung dessen, was Roland Barthes als den "Tod des Autors" proklamiert hat (und was in einer jüngst erschienenen Anthologie endlich erstmals in kommentiert deutscher Übersetzung nachzulesen ist), verrät sich hier der Machtanspruch eines Auteur-Dieu - nicht eines Besichtigers, sondern eines selbstmächtigen Schöpfers, der den Sinn des Geschaffenen ebendeshalb in sich trägt, weil er ihn allererst hergestellt hat.
Entschlossen erweckt der Text das Erkenntnisprivileg des poeta vates zu neuem Leben: des Propheten, dessen Amt es ist, zu sehen und zu wissen. "Ich", proklamiert er: "Ich weiß nur eins. Ich sehe und weiß, daß die Zusammenhänge weit zurückführen." Wer so sieht und weiß, macht ebenjenen langwierigen Aufklärungsprozeß rückgängig, den Heinz Schlaffer 1990 als die Ausdifferenzierung von "Poesie und Wissen" beschrieben hat. Unter dieser Prämisse darf, ja soll die Grenze verschwimmen zwischen Weltgeschichte und Phantasie, zwischen Historiograph und Geschichtenerzähler. Wenn der Erzähler als Beleg für Bismarcks Weltklugheit einen vier Druckseiten langen Monolog des Kanzlers erfindet, dann gilt seine anschließende Bewunderung der soeben von ihm selbst fingierten Gestalt - nicht dem historischen Bismarck, sondern einer Heinrich Mannschen Romanfigur gleichen Namens. Eine historische Szenenfolge um Daladier eröffnet er mit der Visionsformel: "Ich sehe Bilder, sie sind mehr als konventionell; sie bestehen die Zeit." Daß sie nur imaginär sind, schmälert ihren Geltungsanspruch nicht im geringsten. Denn daß der Autor sie sieht, beglaubigt die Wahrheit der Bilder. So, als Dichtungen, bestehen sie die Zeit.
Der so nachdrücklich herausgekehrte Kunstcharakter des Textes dementiert seinen Anspruch auf historische Wahrheit und überbietet ihn zugleich. Das brüchig gewordene Ich - in der Anstrengung der Fiktion kehrt es triumphal zurück, in der Schöpfungs- und Deutungsvollmacht der Autorschaft. "Die Geschichte ist kein Roman", zitiert Heinrich Mann ein Axiom der Moderne und fährt, nach der Kunstpause eines Absatzes, fort: "Für mich ist sie gerade das, ein Roman." Die Geschichte als Roman, der Roman als reale Geschichte: Einen Unterschied zwischen der Offenheit der Lebensvollzüge einerseits, der geschlossenen Romanwelten andererseits darf es nicht geben. "Ein Schriftsteller bringt etwas fertig, er vollzieht notwendige Abschlüsse und zeigt den Weg zu ihnen. Am Ende des Romans sind die Figuren vollendet im Guten und Bösen, gleichwie die wirklichen Menschen, nachdem sie gelebt haben." Das "gleichwie" muß sein, weil anders die Kontingenz unerträglich wäre.
Heinrich Manns Buch macht es dem Leser nicht schwer, seine romantischen Rückzüge als Entlastungsphantasien zu lesen - als Kompensation der Einsicht etwa, daß es um "Verbrechen einer sonst nicht mehr bekannten Ordnung" geht, um einen Krieg, der "kein dagewesenes Beispiel wiederholt". Eben weil das Geschehen so beispiellos ist, müssen ihm Beispiele unterlegt werden, die den Schmerz wenigstens verteilen, die den Exzeß der Barbarei reduzieren auf das neuerliche Exempel einer schon vorgewußten Wahrheit. Gerade weil das Zeitalter sich als unbegreiflich darstellt, muß mit einem schrägen Superlativ proklamiert werden, es gehöre "zu den durchschautesten". Sollten die Zusammenhänge dennoch einmal undurchschaubar bleiben, so kann das nur am Blick des Besichtigers liegen. Manchmal "fehlte mir der Scharfsinn, und die augenscheinliche Aussicht war lange verborgen hinter einem Getümmel von Ereignissen". Aber die Aussicht ist da, daran darf kein Zweifel aufkommen.
Es macht die tragische Ironie dieses Riesenwerkes aus, daß die Frage, wo, "um alles, der Sinn" sei, zwar fortwährend umkreist, aber nirgends beantwortet wird. Im Gegenteil. Unaufhaltsam überwuchern Motive von Abschied und Untergang die Trümmer der "höheren Ordnung". Der Schmerz, der durch die Anstrengung der Allegorie gebannt werden sollte, kehrt als Melancholie zurück. Im Rückblick von Bord des Schiffes, das ihn in die Neue Welt bringen soll, zeigt sich dem Exilanten ein unvergeßliches Bild: Mit dem Hafen von Lissabon verschwindet ihm, "unbegreiflich schön", Europa, verschwinden das Zeitalter und das eigene Dasein. "Überaus leidvoll war dieser Abschied." Hier, wo die Kontingenzerfahrung rettungslos und der Schmerz untröstlich geworden sind, hilft kein Durchschauen mehr. Was zuletzt hinter allen Masken verborgen liegt und im Anblick unrettbaren Verlusts nackt hervortritt, ist auch bei diesem Kampfgefährten Walter Benjamins die Grundfigur der Zeitenthobenheit, der Tod.
Der alternde Exilant, der eben noch im Sowjetland das Ziel der Geschichte erblicken wollte, schreibt plötzlich lapidar und ohne jedes Ironiesignal die barockeste aller Sentenzen hin: "Ohne die lebenslange Hoffnung wäre kein Grab, das sie endlich erfüllt." Dem allegorischen Blick zeigt sich, auch hier, die Weltgeschichte als Trümmerfeld. Anstelle eines Sinns steht am Ende nur die Notiz, "daß unser Glück gebrechlich, ein Zeitalter abgelaufen und gerichtet ist". Wenn es an diesem Ende der Roman-Geschichte noch einen Optimismus gibt, dann nur den des barocken Stoikers: "Halte dich, Jx! Versuch es! Glück auf! Aber es ist kein Unglück, vergänglich zu sein. Ein Jx im letzten Gärtchen gedenkt der Vergänglichkeit."
Die graziös-resignative Pose greift das Schlußbild des alten Zola-Essays noch einmal auf und streicht es durch. So werden aus der "Besichtigung eines Zeitalters" ausdrücklich "Die Betrachtungen eines letzten Gartens". Betrachtungen eines Candide, der im hortulus conclusus nachsinnt über Zeitalter, Alter und Zeit. Der sich hier als "Jx" selbst anredet, ist kein Geschichtsphilosoph mehr, kein autoritativer Autor, kaum ein präsidialer Repräsentant. Nur ein sich selbst schon entgleitendes Ich, das mit dem Scheitern der geschichtsphilosophischen Allegorien die Selbstaufhebung seines Werkes zelebriert.
HEINRICH DETERING
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein Zeitalter wird besichtigt: Heinrich Manns Jahrhundert-Buch ist ein Epos der Posthistoire und der geschichtslosen Kämpfe des Geistes
Beinahe hätte er sogar für das Amt des Reichspräsidenten kandidiert. Heinrich Mann, nicht sein Bruder, galt dem breitesten politischen Spektrum von der bürgerlich-liberalen Mitte bis weit nach links als geistiger Repräsentant der Republik. Die öffentliche Rolle, die er in ihr spielte, entsprach genau jenem Bild, das sein berühmter Essay 1915 halb autobiographisch von Zola gezeichnet hatte: vom Dichter als "Lehrer der Demokratie", bereit zum Bündnis von "Geist und Tat". Im literarischen Exil dann ist dieses präsidiale Ansehen noch gewachsen; die Berufung des Sterbenskranken in das Amt des DDR-Akademiepräsidenten hat schließlich weder ihn überrascht (der die Abreise dann doch aufschob bis zuletzt) noch die literarische Welt, deren Blicke so bewundernd auf ihm ruhten wie jene des versöhnten Bruders.
Dieser Rolle eines nationalen Repräsentanten entsprachen die Dimensionen, in denen der Siebzigjährige, dessen Geburtstag sich in dieser Woche zum 130. Mal jährt, in Kalifornien seine Erinnerungen konzipierte. Stefan Ringel hat jüngst die schwierige Entstehungsgeschichte dieses letzten Hauptwerks nachgezeichnet. Nicht das eigene Leben, sondern ein Zeitalter wird besichtigt. Den mächtigen Anspruch des Titels bekräftigen gleich die ersten Worte in einer großartigen Bescheidenheitsgeste: "Die wenigen Jahrhunderte, die noch nahe genug liegen, daß sie mich nicht befremden . . ." Ein letztes Mal, so schien es, inszenierte sich hier "Größe" in alteuropäischen Dimensionen - hier schrieb ein großer Autor ein großes Werk über einen denkbar großen Gegenstand. Abgerundeter, geschlossener als dieses Lebensgeschichtsbuch konnte ein Text der Jahrhundertmitte sich schlechterdings nicht darstellen, und ebendies gab ihm die Aura eines in mehrfacher Hinsicht letzten Werkes.
Der Abstand, den die respektvoll erschütterte Nachwelt ihm gegenüber gewahrt hat, zeigt eine gewisse Verlegenheit. Zu dicht beieinander standen, wie Hans Wißkirchens Gruppenbiographie der Familie Mann resümiert, "glänzende Einsichten", "unzulässige Vereinfachungen und politisch problematische Aussagen". Wie sollte man umgehen mit einem seiner Herkunft nach bürgerlichen Schriftsteller, der hier alle Anstrengungen unternimmt, sich einem marxistischen Fortschrittsoptimismus zu unterwerfen, der sich als entschlossener Stalinist aufführt und gegen das bessere Wissen, das seine Vorarbeiten zu erkennen geben, die Schauprozesse so lautstark bejubelt wie die Künstlergestalt Josef Stalins und, wo er einmal im Zuge ist, auch gleich noch die französische Kolonialpolitik und ihre dankbaren afrikanischen Schutzbefohlenen? Über die politischen Mißgriffe dieses sonderbaren Buches haben die professionellen Leser gestritten, über seinen Kunstcharakter nicht. Dabei fragt sich, ob die Voraussetzungen dieser Lektüre überhaupt bestehen - und ob dieses Buch nicht im Grunde erst für jenes Zeitalter geschrieben wurde, das sich selbst den Namen der post-histoire beigelegt hat.
Im Zentrum dieser Erinnerungen klafft eine dreifache Lücke: Es gibt kein eindeutiges Erzähler-Ich, es gibt keinen greifbaren Gegenstand, und es gibt keine kontinuierliche Erinnerung. "Ein Zeitalter wird besichtigt", zitiert der Text einmal seinen eigenen Titel und fügt hinzu: ",Von wem?' ist immer die Frage." Sie bleibt unbeantwortet. Das Subjekt des Schreibenden soll aufgehen in der Hingabe ans geschichtliche Objekt. "Von mir", heißt es kategorisch, "ist nicht die Rede." Folgerichtig konkurriert das möglichst vermiedene Ich mit "einem Jx", das als fremde Kunstfigur in der dritten Person erscheint. Denn: "Eine Autobiographie sieht am besten von ihrem Urheber ab, wenn es anginge." Der Irrealis des Bedingungssatzes entzieht der Forderung des Hauptsatzes den Boden. Die grammatische Inkongruenz ist bezeichnend; und was sie bezeichnet, ist die Aporie einer Autobiographie ohne Ich. Wo aber ist dieses Ich dann? Eine offene Frage, vorläufig.
Wie das Subjekt, so die Geschichte. Auch deren Konturen erweisen sich bei näherem Hinsehen als überaus unscharf. Nicht nur die zeitlichen Begrenzungen des "Zeitalters" variieren - seit Voltaire oder seit Bismarck, seit der Französischen oder seit der Russischen Revolution? -, auch die elementare Chronologie verschwimmt. Weit über die vom Zeitzeugen miterlebten Ereignisse hinaus springt der Text kreuz und quer durch die Jahrhunderte. Und nicht etwa um die behaupteten Entwicklungslinien von der Französischen Revolution bis zur Sowjetmacht geht es dabei in Wahrheit, sondern um Beziehungen jenseits aller Geschichtlichkeit.
Je länger man liest, desto dichter entspinnt sich ein ganzes Geflecht sonderbarster Identifikationen: "Stalingrad gleich Valmy". Oder: "Das Frankreich des Königs Henri Quatre und des Generals de Gaulle ist durchaus das gleiche." Die "Pax Romana" wiederholt sich in der "Pax Britannica", im Commonwealth ist die Sowjetunion präfiguriert. Wie die Akteure und Schauplätze, so bleiben sich auch die Frontstellungen über die Zeiten hinweg gleich. Henri Quatre - "seither wäre er Bolschewik"; wie er, so stünde auch Bismarck "auf seiten der Sowjetunion". Hitler wiederholt sowohl Ludwig II. als auch Napoleon Bonaparte; in "Kamerad Stalin" kehrt Robespierre wieder, "der Unbestechliche", außerdem Bismarck und Henri Quatre, der seinerseits aber auch als de Gaulle auftritt, und so fort. Allenthalben gilt hier, was der Erzähler über 1914 und 1944 bemerkt: "Mit den gebotenen Abwandlungen vollzieht sich jetzt das gleiche."
Was in derart rasanten Kurzschlüssen nur pointiert zutage tritt, ist eine Erzählgrammatik, die das ganze Buch bestimmt. Bis in seine Verästelungen zielt dieser so geschichtsbesessene Text auf eine Aufhebung der Zeit, auf die Erfahrung eines stehenden Jetzt. Nichts könnte das bündiger resümieren als die titelgebende Metapher der "Besichtigung". Denn was besichtigt werden kann, ist ja zueinander und zum Besichtigenden gleichzeitig; der Begriff impliziert schon die Ersetzung eines zeitlichen Nacheinanders durch ein Nebeneinander im Raum. Wer dem "Jx" folgt, macht einen Spaziergang durch ein Museum der Jahrhunderte, zwischen dessen Sälen sich allenthalben Verbindungstüren auftun.
Diese Entzeitlichung eines Zeitalters - in ihrer reinsten Ausprägung erscheint sie im unvollendeten Projekt einer "Kleinen Encyclopädie des Zeitalters". Im publizierten Text nur einmal beiläufig erwähnt, ist dieser Plan von Heinrich Mann 1942/43 ernstlich in Angriff genommen worden, mit Stichwörtern wie "Arbeit", "Gott", "Tod"; Peter-Paul Schneiders Neuausgabe präsentiert neben anderen Vorarbeiten auch diese Aufzeichnungen. Das Zeitalter als Enzyklopädie: Kein Strukturprinzip wäre historischem Zusammenhangsdenken so wenig angemessen wie ausgerechnet das eines Lexikons; nirgends läßt sich historische Linearität konsequenter auflösen als in der Zufälligkeit des Alphabets.
Gegen Ende wird die für eine Fortschrittsgeschichte immerhin erstaunliche Prämisse explizit formuliert - im Ton achselzuckender Beiläufigkeit, als verstehe sich dies doch von selbst: "Die Zeit gilt ohnehin als angenommen. In einer höheren Ordnung, die ich nicht verstehe, fänden die Jahrhunderte mit- und durcheinander statt." Eine Variante genau dieser höheren Ordnung hat, des Bescheidenheitstopos ungeachtet, das gesamte Buch selbst entworfen. Weil auch in ihm die Zeit als angenommen gilt, deshalb finden hier fortwährend und sinnverwirrend die Jahrhunderte durcheinander statt: Abglanz einer Ordnung, die das historische Geschehen tröstlich als bloß scheinbar suspendiert - einer zeitlosen Ordnung jenseits der vergänglichen Welt.
Indem der Bericht mit der Chronologie nicht bloß spielt, sondern sie aufhebt, dementiert er implizit die marxistische Geschichtsphilosophie, der er sich explizit unterwirft. Die beiden Gruppen, zwischen denen sich hier überhaupt so etwas wie eine geschichtsbestimmende Spannung entwickelt, sind keineswegs "das Proletariat" und "die Truste" (die manchmal am Rande erwähnt werden), sondern die Machthaber und die Intellektuellen. Hier ist alle Geschichte die Geschichte von Geisteskämpfen. Weil aber der Geist seinerseits als überzeitlich erscheint, bleiben seine Kämpfe im Grunde geschichtslos.
Zielsicher findet der Text dafür entschieden vormoderne Metaphern. "Mit dem Zug gegen Rußland", heißt es beispielsweise, "fängt das Kostümstück an, eine historische Rolle wird übernommen"; als Geschichtsmodelle werden die Maskenspiele des Florentiner Karnevals und Mascagnis Oper "Die Masken" aufgerufen. Es lohnt sich, solche Bilder als Denkfiguren jener "höheren Ordnung" ernst zu nehmen. Unter den Auspizien des Welttheaters findet dieser forschende Blick nicht mehr einmalige Ereignisse im fortschreitenden Prozeß der Geschichte, sondern nur neue Maskierungen des immer Gleichen. "Sie sind so", heißt es einmal über die historischen Gestalten: "Sie sind so, in diesem Zeitalter und in jedem." Die Besichtigung eines Zeitalters - sie besteht in der Aufdeckung seiner Masken. Und was darunter sichtbar wird, sind literarische Muster. "Die hohe Tragödie gab endlich dem Edelmann Churchill seine vornehme Rolle", weiß der Erzähler, "er bleibt, unter der Maske des Zeitalters, ein Held von Corneille." Churchill als Edelmann aus dem heroischen drame classique: Was unter der Maske verborgen ist, ist die zeitlose Wahrheit, und allein die Literatur drückt sie maskenlos aus.
Damit aber wird, was der Geschichtsphilosophie verlorengeht, für die Dichtung gewonnen. "Der Sinn! Wo, um alles, ist der Sinn?" Dieser letzten Frage im Schlußteil des Buches steht bereits auf dessen ersten Seiten die Behauptung gegenüber, "daß von etwas Geschaffenem wenigstens einer den Sinn in sich trägt und begreift: es ist der Autor". Denn "Zusammenhänge gibt es, man entziffert sie wohl". Zwei Modelle sind da ineinandergeschoben: einerseits das des Zeitzeugen, der die Geschichte nur "entziffert" - andererseits das eines Autors, der den Sinn "in sich trägt". Einerseits also die Lektüre im Buch der Geschichte, dessen Embleme es nur auszulegen gilt - andererseits die verleugnete Konstruktionsanstrengung des Allegorikers. In genauer Umkehrung dessen, was Roland Barthes als den "Tod des Autors" proklamiert hat (und was in einer jüngst erschienenen Anthologie endlich erstmals in kommentiert deutscher Übersetzung nachzulesen ist), verrät sich hier der Machtanspruch eines Auteur-Dieu - nicht eines Besichtigers, sondern eines selbstmächtigen Schöpfers, der den Sinn des Geschaffenen ebendeshalb in sich trägt, weil er ihn allererst hergestellt hat.
Entschlossen erweckt der Text das Erkenntnisprivileg des poeta vates zu neuem Leben: des Propheten, dessen Amt es ist, zu sehen und zu wissen. "Ich", proklamiert er: "Ich weiß nur eins. Ich sehe und weiß, daß die Zusammenhänge weit zurückführen." Wer so sieht und weiß, macht ebenjenen langwierigen Aufklärungsprozeß rückgängig, den Heinz Schlaffer 1990 als die Ausdifferenzierung von "Poesie und Wissen" beschrieben hat. Unter dieser Prämisse darf, ja soll die Grenze verschwimmen zwischen Weltgeschichte und Phantasie, zwischen Historiograph und Geschichtenerzähler. Wenn der Erzähler als Beleg für Bismarcks Weltklugheit einen vier Druckseiten langen Monolog des Kanzlers erfindet, dann gilt seine anschließende Bewunderung der soeben von ihm selbst fingierten Gestalt - nicht dem historischen Bismarck, sondern einer Heinrich Mannschen Romanfigur gleichen Namens. Eine historische Szenenfolge um Daladier eröffnet er mit der Visionsformel: "Ich sehe Bilder, sie sind mehr als konventionell; sie bestehen die Zeit." Daß sie nur imaginär sind, schmälert ihren Geltungsanspruch nicht im geringsten. Denn daß der Autor sie sieht, beglaubigt die Wahrheit der Bilder. So, als Dichtungen, bestehen sie die Zeit.
Der so nachdrücklich herausgekehrte Kunstcharakter des Textes dementiert seinen Anspruch auf historische Wahrheit und überbietet ihn zugleich. Das brüchig gewordene Ich - in der Anstrengung der Fiktion kehrt es triumphal zurück, in der Schöpfungs- und Deutungsvollmacht der Autorschaft. "Die Geschichte ist kein Roman", zitiert Heinrich Mann ein Axiom der Moderne und fährt, nach der Kunstpause eines Absatzes, fort: "Für mich ist sie gerade das, ein Roman." Die Geschichte als Roman, der Roman als reale Geschichte: Einen Unterschied zwischen der Offenheit der Lebensvollzüge einerseits, der geschlossenen Romanwelten andererseits darf es nicht geben. "Ein Schriftsteller bringt etwas fertig, er vollzieht notwendige Abschlüsse und zeigt den Weg zu ihnen. Am Ende des Romans sind die Figuren vollendet im Guten und Bösen, gleichwie die wirklichen Menschen, nachdem sie gelebt haben." Das "gleichwie" muß sein, weil anders die Kontingenz unerträglich wäre.
Heinrich Manns Buch macht es dem Leser nicht schwer, seine romantischen Rückzüge als Entlastungsphantasien zu lesen - als Kompensation der Einsicht etwa, daß es um "Verbrechen einer sonst nicht mehr bekannten Ordnung" geht, um einen Krieg, der "kein dagewesenes Beispiel wiederholt". Eben weil das Geschehen so beispiellos ist, müssen ihm Beispiele unterlegt werden, die den Schmerz wenigstens verteilen, die den Exzeß der Barbarei reduzieren auf das neuerliche Exempel einer schon vorgewußten Wahrheit. Gerade weil das Zeitalter sich als unbegreiflich darstellt, muß mit einem schrägen Superlativ proklamiert werden, es gehöre "zu den durchschautesten". Sollten die Zusammenhänge dennoch einmal undurchschaubar bleiben, so kann das nur am Blick des Besichtigers liegen. Manchmal "fehlte mir der Scharfsinn, und die augenscheinliche Aussicht war lange verborgen hinter einem Getümmel von Ereignissen". Aber die Aussicht ist da, daran darf kein Zweifel aufkommen.
Es macht die tragische Ironie dieses Riesenwerkes aus, daß die Frage, wo, "um alles, der Sinn" sei, zwar fortwährend umkreist, aber nirgends beantwortet wird. Im Gegenteil. Unaufhaltsam überwuchern Motive von Abschied und Untergang die Trümmer der "höheren Ordnung". Der Schmerz, der durch die Anstrengung der Allegorie gebannt werden sollte, kehrt als Melancholie zurück. Im Rückblick von Bord des Schiffes, das ihn in die Neue Welt bringen soll, zeigt sich dem Exilanten ein unvergeßliches Bild: Mit dem Hafen von Lissabon verschwindet ihm, "unbegreiflich schön", Europa, verschwinden das Zeitalter und das eigene Dasein. "Überaus leidvoll war dieser Abschied." Hier, wo die Kontingenzerfahrung rettungslos und der Schmerz untröstlich geworden sind, hilft kein Durchschauen mehr. Was zuletzt hinter allen Masken verborgen liegt und im Anblick unrettbaren Verlusts nackt hervortritt, ist auch bei diesem Kampfgefährten Walter Benjamins die Grundfigur der Zeitenthobenheit, der Tod.
Der alternde Exilant, der eben noch im Sowjetland das Ziel der Geschichte erblicken wollte, schreibt plötzlich lapidar und ohne jedes Ironiesignal die barockeste aller Sentenzen hin: "Ohne die lebenslange Hoffnung wäre kein Grab, das sie endlich erfüllt." Dem allegorischen Blick zeigt sich, auch hier, die Weltgeschichte als Trümmerfeld. Anstelle eines Sinns steht am Ende nur die Notiz, "daß unser Glück gebrechlich, ein Zeitalter abgelaufen und gerichtet ist". Wenn es an diesem Ende der Roman-Geschichte noch einen Optimismus gibt, dann nur den des barocken Stoikers: "Halte dich, Jx! Versuch es! Glück auf! Aber es ist kein Unglück, vergänglich zu sein. Ein Jx im letzten Gärtchen gedenkt der Vergänglichkeit."
Die graziös-resignative Pose greift das Schlußbild des alten Zola-Essays noch einmal auf und streicht es durch. So werden aus der "Besichtigung eines Zeitalters" ausdrücklich "Die Betrachtungen eines letzten Gartens". Betrachtungen eines Candide, der im hortulus conclusus nachsinnt über Zeitalter, Alter und Zeit. Der sich hier als "Jx" selbst anredet, ist kein Geschichtsphilosoph mehr, kein autoritativer Autor, kaum ein präsidialer Repräsentant. Nur ein sich selbst schon entgleitendes Ich, das mit dem Scheitern der geschichtsphilosophischen Allegorien die Selbstaufhebung seines Werkes zelebriert.
HEINRICH DETERING
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