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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Anna Baars Roman "Die Farbe des Granatapfels"
Meist ist das Räumen der großelterlichen Wohnung eine unangenehme Pflicht, häufig auch eine traurige. Man findet Dinge, die Erinnerungen wachrufen, stößt vielleicht auf Bilder und Dokumente, die man lieber nicht gesehen hätte, sieht Oma oder Opa dadurch in neuem Licht. In einem Roman erwarten uns an dieser Stelle gewöhnlich Entdeckungen, die etwas, eine Geschichte, eine Handlung in Gang setzen. In "Die Farbe des Granatapfels" folgen das große Ausmisten und Aufräumen chronologisch ziemlich zu Ende des Buches. Nada, die Großmutter, die den Zweiten Weltkrieg als Partisanin, den Tod Marschall Titos 1980 und das grausame, plötzliche Zerreißen Jugoslawiens dann schon im hohen Alter und stets als Kettenraucherin überlebt hat, ist hier noch nicht verstorben. Sie entschließt sich, die letzten Jahre, die ihr noch bleiben, in einem jüdischen Altersheim in Zagreb zuzubringen.
Erzählt wird das von ihrer Enkeltochter "Anuschka", die die Kindheitssommer bei der Oma auf einer jugoslawischen Insel verbrachte. Hinter dem Mädchen steht, unschwer zu erkennen, die Autorin Anna Baar in diesem stark autobiographisch geprägten Werk. Für dessen Rohfassung (unter dem Arbeitstitel "Sanduhr der Abwesenheit") erhielt sie im Vorjahr bereits den Preis des Kärntner Schriftstellerverbandes. Der Juryvorsitzende Josef Winkler beschrieb Anna Baars Sprache als "poetisch, metaphorisch und voller Pathos", was in Kärnten offenbar als Lob durchgeht. In diesem Jahr las die Autorin Auszüge beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, nun liegt der fertige Roman vor. Und er schwelgt geradezu in Metaphern, Andeutungen und - freilich unerfüllten - Verheißungen. Die meiste Zeit kommen wir darüber hinaus den beiden Protagonistinnen, Oma und Enkelin, nahe, beinahe zu nahe. Details auch der intimsten Art werden dem Leser aufgedrängt, nicht selten wiederholt an mehreren Stellen. Etwa die - durchaus nachvollziehbare - Verachtung der einstigen Partisanin für die "Nijemci", wozu selbstverständlich auch (wir, besonders wir) "Esterreicha" zählen, mit ihrer "Mörderzunge", die ihr nicht nur die Schwester und so viele Weggenossen ermordeten, ihr seltsamer Umgang mit Arzneien, zumal Beruhigungsmitteln, ihre Obsession für Schmutz oder ihre dazu gegenläufige Akkuratesse beim Zurechtzupfen von Teppichfransen respektive ihre Tochter und Enkeltochter damit zu beauftragen, zu quälen. Oder andererseits der Reiz, den Vulgaritäten - in vielen slawischen Sprachen, ähnlich wie in romanischen, eher mit dem Genital- als dem Fäkalbereich verbunden - auf Anuschka ausüben, wenn sie nicht überhaupt zu sprechen verweigert. Dazwischen immer wieder Worte, Sätze, Passagen in Kroatisch, dem das fast gleichzeitig mit Jugoslawien untergegangene Serbokroatisch noch aus allen Poren lugt, oft ohne deutsche Übersetzung.
Für eine in Zagreb geborene österreichische Autorin, Lyrikerin und Slawistin, die in Kärnten lebt, ist dieser Umgang mit Sprache womöglich provokant. Für den durchschnittlichen Leser ist er anfangs mühsam, aber alles wird ja ohnedies des Öfteren abgespult, und irgendwann kommt man bestimmt hinter die Bedeutung.
Anstrengender sind da schon die ewigen Wiederholungen oder die wenig übersichtlich gedrechselten Sätze. Schließlich ist der Umstand, dass keine wirklich erkennbare Geschichte erzählt, zumindest kaum einer der zahlreichen Handlungsfäden fertigerzählt wird, ermüdend. Aneinandergereihte Aufzählungen von Gefühlen und in die Erinnerung eines Kindes, später und viel kürzer dann einer Pubertierenden, vermutlich als peinlich oder unsagbar töricht eingebrannte Episoden ergeben noch keinen lesbaren Roman. Das macht im Falle dieses Granatapfels nicht Lust auf mehr, sondern auf weniger.
MARTIN LHOTZKY.
Anna Baar: "Die Farbe des Granatapfels". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
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