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Fuminori Nakamuras sperriger Thriller "Die Flucht"
Zwei Kirchen markieren die geographischen Koordinaten, zwischen denen der japanische Thrillerautor Fuminori Nakamura in "Die Flucht" seine Erzählwelt aufspannt: der Kölner Dom, der wie durch ein Wunder nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu unversehrt über der zerbombten Stadt aufragte. Und das einst größte christliche Gebäude der Asien-Pazifik-Region, die Urakami-Kathedrale in Nagasaki, die die Atombombe am 9. August 1945 dem Erdboden gleichmachte. Zwei unter den abgelagerten Sedimenten der Geschichte vergrabene Kriegsschauplätze in zwei Ländern, in denen heute politische Vertrauenskrisen das Wiedererstarken rechter Positionen begünstigen.
Nakamura, international bekannt für hochliterarische Spannungsromane wie "Der Revolver", nimmt in seinen Essays und Zeitungskolumnen immer vehementer regierungskritisch Bezug auf diesen Wandel, und in diesen Tenor stimmt auch sein neuestes Werk ein. Das wird nicht erst offensichtlich, als sich Nakamura im Nachwort auf eine Weise erklärt, die seiner Hauptfigur in Wortwahl und Tonfall ähnelt: Kenji Yamamine, linker Zeitungsreporter und Sachbuchautor, kommt in den Besitz der sogenannten Teufelstrompete, der nachgesagt wird, mit ihrem besonderen Klang eine Einheit japanischer Soldaten im Pazifikkrieg in fanatischen Wahn getrieben zu haben. Auf der Flucht vor einer geheimnisvollen Sekte, die das Instrument zur politischen Einflussnahme nutzen will, versteckt er sich zunächst in Deutschland. Doch der Kölner Dom erweist sich nicht als der erhoffte Zufluchtsort.
"Die Flucht" ist einer in Japan bedeutenden literarischen Tradition gemäß ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte in regionalen Tageszeitungen erschienen. Im fertigen Roman lässt sich die Publikationshistorie noch an den häufigen Stilwechseln nachvollziehen: Briefe, Träume, historische Exkurse durchsetzen den Text, der mehrfach das Register ändert, etwa zum Liebesroman wird, sobald Yamamine während einer Recherchereise auf den Philippinen der jungen Anh begegnet. Sie folgt ihm nach Japan und stirbt bald darauf eines gewaltsamen Todes, woraufhin sich die Klangfarbe ein weiteres Mal ändert: Ein von Anh erdachtes Romanprojekt vervollständigend, beginnt Yamamine mit einer Art Chronik der Christenverfolgung in Japan.
Er schildert vom Shogunat niedergeschlagene Rebellionen, die damals gängigen Folterpraktiken und spannt alsbald den Bogen nach Nagasaki, wo eine christliche Gemeinde über Jahrhunderte im Verborgenen ausharrte. Das Finale von "Die Flucht" leiten die Memoiren des Nachwuchsmusikers Suzuki ein, der die legendäre Teufelstrompete während des Krieges mit besonderem Talent spielt, dabei jedoch von Feinden umzingelt im philippinischen Dschungel und geplagt von Zweifeln an der Göttlichkeit des Tennos selbst dem Wahn zu verfallen droht. Das alles unter dem Eindruck von Yamamines eigener Flucht vor übermächtigen, gesichtslosen Häschern und ihren grausamen Ultimaten.
In seinem Einzelgängertum, seiner wachsenden Paranoia und ungebrochenen Hingabe an eine verlorene Geliebte erinnert Kenji Yamamine unweigerlich an die Protagonisten Haruki Murakamis, dessen zuweilen als unjapanisch gebrandmarkter Stil ihn in seiner Heimat regelmäßig zur Zielscheibe literarischer und politischer Traditionalisten werden lässt. Fuminori Nakamura nimmt diese Referenzen, nimmt über Jahrhunderte gegenwärtigen Fanatismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die heutige, in "Die Flucht" allgegenwärtige Krisenstimmung in seinem Land zum Anlass, laut darüber nachzudenken, welche Art des Geschichtenerzählens er überhaupt noch für geboten hält.
Seine Konsequenz daraus scheint eine radikale Abkehr von Gefälligkeit zu sein, von Geschichten, die vorhandene Weltsichten nur weiter bestätigen. Mit "Die Flucht" wird er diesem Eigenanspruch gerecht, diesem im besten Sinne sperrigen Großprojekt, in dem sich einzelne Kapitel wie ein Sachbuch lesen und andere knapp an der Phantastik vorbeischrammen, in dem die schiere Menge an Zeitsprüngen, historischen Anekdoten und Verweisen einen wieder und wieder zu überwältigen droht. "Ich hätte das alles gar nicht wissen wollen", beschwert sich ein Leser an einer Stelle über Yamamines unangenehme Wahrheiten offenlegendes Sachbuch "Menschen, die am Krieg verdienen". Aber für Fuminori Nakamura ist Nichtwissen keine Option. KATRIN DOERKSEN
Fuminori Nakamura: "Die Flucht". Roman.
Aus dem Japanischen von Luise Steggewentz.
Diogenes Verlag, Zürich 2024. 592 S., geb., 30,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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