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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Das Erlebnis zählt mehr als das Ergebnis: Leander Fischer fischt mit Goldkopfnymphen in den trüben Gewässern der österreichischen Geschichte
Die angelsächsische Literatur ist reich an hemingwayesken Fischermeditationen, Nature-Writing-Sachbüchern und Romanen über Ethik und Ästhetik des Fliegenfischens; man denke nur an Paul Tordays "Lachsfischen im Jemen" oder "Aus der Mitte entspringt ein Fluss", die von Robert Redford verfilmte erbauliche Geschichte ungleicher Brüder, die nur beim Fliegenfischen zusammenfinden. In deutschen Gewässern geht es traditionell mehr um Technik und Mechanik dieser Tätigkeit als um das Schöne, Gute und Wahre. Aber auch bei uns plaudern Autoren wie Paulus Hochgatterer, Christoph Schwennicke oder Max Scharnigg neuerdings angelsächsisch leicht über das "Glück am Haken" oder die "Stille vor dem Biss". Das Fischen mit Stange, Nass- und Trockenfliegen (nur Banausen sprechen von Angeln, Rute und Köder) ist eine Sache für Profis: Weltgleichnis und Obsession wie Käpt'n Ahabs Jagd auf Moby-Dick und eine machtvolle literarische Metapher.
Die Kunst, aus zartesten Naturprodukten "Muster" zu binden, gaukelt den Fischen und wohl auch den Fischern selbst naturgemäß Mimikry durch gesteigerte Künstlichkeit vor. Binden und Biss, Morgen- und Abendsprung der Forellen, die Hohe Schule des Wartens, Werfens und Scheiterns machen die Fliegenfischerei so zum Sinnbild jeder ernsthaften Kulturarbeit. "Eine Fliege, auf die garantiert kein Fisch beißt, an eine Stelle zu werfen, an der sich garantiert kein Fisch befindet: Das ist reine Kunst", schreibt Hochgatterer in seiner "Kurzen Geschichte vom Fliegenfischen".
Ein fängiger Fisch ködert selbst glitschige Leser, und so hatte der junge österreichische Autor Leander Fischer - kein Pseudonym! - schon etliche Fans an der Angel, bevor sein kultverdächtiger Roman "Die Forelle" erschien. Letztes Jahr in Klagenfurt gewann Fischer den Preis des Deutschlandfunks für sein fulminantes Eröffnungskapitel "Goldkopf". Jetzt liegt seine "Forelle" in ihrer ganzen glitzernden Pracht und schuppigen Schönheit vor: ein Monsterwerk über Fliegenfischen als Philosophie und Lebensform, Handwerk und Schriftstellerschicksal. Nicht umsonst hat Fischer in Hildesheim eine Arbeit über poetologische Selbstreflexion geschrieben: "Wie Tristram Shandy Fliegenfischen lernt".
Schauplatz seines Forellenromans ist ein Dorf im Salzkammergut, genauer: das Gasthaus "Zum lachenden Haberer" zu Beginn der achtziger Jahre. Historisch reicht Fischers Stange weit nach hinten bis in die NS-Zeit zurück; umgekehrt kündigt sich im Widerstand der Angler gegen Wasser- und Atomkraftwerke, Waldheim und Haider schon die grünalternative Gegenwart an. Am Anfang ist die Welt noch in Ordnung, am Ende zerfällt das Sommerfrische-Idyll im Salzkammergut mehr und mehr in Hader und Gewalt, Massentourismus und Massentierhaltung. Immer aber bindet ein Kreis leidenschaftlicher Fliegenfischer mit Anmut, Geduld und Sorgfalt aus feinstem Material - Reh- und Frauenhaar, Kupferdraht, Spinnfäden - prachtvolle Fliegen wie die Goldkopfnymphe oder Ritz-D.
Ihr Kopf und Herz ist Ernstl, ein grantiger Flüchtling aus Südtirol, den man nie ohne Zweiliterflasche Veltliner und mit Schuhen sieht. Sein Meisterschüler, der Erzähler Siegi Heehrmann, hat das Mozarteum absolviert, verschleudert sein beträchtliches Talent aber zum Ärger seiner Frau und seiner Buben als Musiklehrer und Aushilfsgeiger. Meister Ernstl und Siegi verstehen sich als vornehme Gentlemen und gnadenlose Sportsmänner. Das Böse, Hässliche und Dumme flussabwärts ist ihnen ein Graus: depperte Skifahrer, Gambsbarttrottel, Burschenschafter, also toxische Männlichkeit, faschistische Tiraden, dumpfes Bierdimpfeltum, gepaart mit Dilettantismus, Impotenz und Ignoranz. Der Anglerverein dieser Aufseher und Aufschneider wird geführt von Obmann Volki, einer Ausgeburt infamer Gemütlichkeit, die ihre fesche Rute überall hineinsteckt und selbst Siegis Lena nachstellt.
"Die Forelle" erinnert streckenweise an die ausufernden Satiren von Thomas Pynchon oder David Foster Wallace: Eine Rasselbande von gutmütigen Hippies und durchgeknallten Hipstern, befeuert von Lachgas und anderen Drogen, verteidigt ihr bedrohtes Revier und ihre Werte gegen die Mächte der Finsternis: Dynamit- und Zuchtlachsfischer, Piefkes und "Sauproleten", Kapital und Establishment. Die Guten lieben Heimat und Natur, haben aber auch nichts gegen Pariser Charme und britische Coolness. Sie hassen Wien, rauchen Joints in Kette und flechten um die Wette Zitate aus Popkultur und Weltliteratur in ihre Suaden ein. Sie malen die österreichische Barbarei in grellen Farben, aber sie können auch Aquarelle von Tautropfen im Gegenlicht zart hintupfen.
Fischer knüpft an die großen Traditionen des österreichischen Sprachspiels von Wittgenstein bis Franzobel und Jelinek an. Sein Debütroman bindet nicht die Enden einer pynchonesken Weltverschwörungsparabel zusammen und ist auch kein langer, ruhiger Fluss aus der Mitte eines Pfarrhauses in Montana. Es ist ein hochkomischer, übermütig sprudelnder, strudelnder, gurgelnder Bergbach, der sein Erzählwasser kaum zu halten vermag. Wortspiele und Neologismen wie "lobpudelig" oder "vertschüssen" schwimmen "bier und hetzt" ebenso vorbei wie launige Stilparodien, alberne Kalauer, Abschweifungen über Cézanne oder den Wiener Aktionismus und das terminologische Einmaleins des Fliegenfischens. Und natürlich auch ein paar Bauerntrottel und Dialektbrocken aus dem österreichischen Antiheimatroman; schließlich kam Fischer 1992 in Vöcklabruck zur Welt und besuchte in Thomas Bernhards Gmunden das Gymnasium.
Seine Fliegen-Geschichten sind bunt und federleicht gefiedert, aber nur lose gebunden. Manchmal verrauscht Fischers Wasserfall in plätscherndem Gleichmaß, Nonsens oder joyceanischen Delirien; auf die Distanz von fast achthundert Seiten kann dieses zum Anbeißen bestimmte Blendwerk jedenfalls schon ermüden. "So wartete das Ding auf die baldige Vermählung, den Zug kundiger Hand, die gerade den drallen Körper schlang, den Bobbin erneut aufnahm, den Flachs niederband, die Hahnenfeder am Hals applizierte und den Bobbin während des Hechelwickelns wieder links hängen ließ. Ich justierte den Biss an den Seitenflächen der Spule ..." Mit Verlaub, da fehlen Zug wie Biss.
Fischer kann Kunst und Technik des Fliegenbindens oder auch einen Tropfen auf einem Sektglas in atemraubenden Endlossätzen beschreiben. Aber als Autor fischt er fast noch lieber im Trüben entlegener Fachgebiete nach neuen und seltenen Wörtern. Motorentechnik, Medizin, Musik, die Biologie von Giraffe, Dschungelhahn und Rattenschwanz: Ein Muster ist im Gewimmel der Themen und Sphären nicht immer zu erkennen; schließlich hat Siegi Ernstls Musterköchelverzeichnis schon im Prolog verbrannt.
Man kann in diesem Fluss voller Geschichte und Geschichten leicht ertrinken. Die Strömung ist jedenfalls wichtiger als der Strom, der virtuose Flow wichtiger als der Fang. Beim Fischen wie beim Schreiben gilt Ernstls reine Gentleman-Lehre: "Ein Widerhaken sei widersinnig. Der Fisch habe eine faire Chance. Und fingen wir ihn doch, so setzten wir ihn zurück. Nur das Erlebnis zähle, nicht das Ergebnis."
MARTIN HALTER
Leander Fischer: "Die Forelle".
Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 784 S., geb., 28,- [Euro].
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