Die grausame Verbindung von Ideologie und Liebe In einer Nacht lässt eine Frau ihr langes Leben in einem Dorf im Norden Finnlands Revue passieren. Schon mit vier Jahren schien ihr Schicksal besiegelt zu sein, als sie im Haus der Eltern den Oberst kennenlernt, ihren späteren Ehemann. Achtundzwanzig Jahre älter als sie, macht er aus ihr eine glühende Nationalsozialistin. Beide verehren sie Hitler, und mit seinen Erfolgen wächst ihre alles verzehrende Liebe zueinander. Doch mit dem Fall Nazideutschlands zieht die Gewalt in die Ehe ein - und sie muss alle Kräfte aufbieten, um sich zu befreien, von ihrem tyrannischen Mann und den falschen Versprechungen.
»Die Frau des Obersts« ist ein messerscharfes, unerbittliches Zeugnis über die Allmacht der ideologischen Verblendung, über Abhängigkeit und Unterwerfung und die Kraft der wahren Liebe.
»Die Frau des Obersts« ist ein messerscharfes, unerbittliches Zeugnis über die Allmacht der ideologischen Verblendung, über Abhängigkeit und Unterwerfung und die Kraft der wahren Liebe.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020Allein seine Tritte sind unverzeihlich
Hitler-Verehrung, Fanatismus und Gewaltexzesse: Die finnische Autorin Rosa Liksom erzählt aus den vierziger Jahren in Lappland.
Von Fridtjof Küchemann
Als die Mädchen im finnischen Sommerlager vor vielleicht neunzig Jahren ein paar Stunden Freizeit haben, lesen einige in der Bibel, andere singen oder spielen Fangen. Eines geht ins lappländische Sumpfmoor: Benebelt von den aufsteigenden Gasen, fasziniert von flirrenden Farben, schnell vollständig durchnässt und verdreckt, fühlt es sich "frei und grenzenlos". Es besteht "von vorn bis hinten aus überirdischer Kraft und Herrlichkeit", schließt die Augen und schwebt "mit den bloßen Instinkten voran". Wenn jetzt der Tod kommt, denkt das Kind, "dann heiße ich ihn mit offenen Armen willkommen".
Der Tod kommt lange nicht in Rosa Liksoms Roman "Die Frau des Obersts", jedenfalls nicht zur Erzählerin, die im hohen Alter nächtens ihre Geschichte notiert und mit der Kindheitserinnerung im nationalistischen Sommerlager beginnt. Und doch ist der Tod allgegenwärtig in diesem Buch: im ländlichen Leben der Kindheit, in der Bestialität der Kriegszeit, in der Brutalität ihres Ehemanns, des Obersts, in der Zeit danach. Eine seltsame Bereitschaft zeichnet Rosa Liksoms Erzählerin aus, Missbrauch, Gewalt, Bedrohung und Tod in ihrem Leben hinzunehmen, zugleich wie unbeteiligt von Greueltaten zu berichten, auch von solchen, die ihr selbst widerfahren. Dabei findet sie - instinktiv, körperlich, sexuell, mitunter fast animalisch - immer wieder zu einer ganz eigenen Lebensgier zurück. Sie ist so von sich selbst erfüllt und gleichzeitig so entrückt, dass der Leser nicht einmal ihren Namen erfährt. Eine vielfach traumatisierte Stimme, die nicht nur den Wahnsinn, sondern auch das Erlebte in der Nüchternheit ihres Erzählens gerade so zu bändigen scheint.
Vielleicht ist diese Figur nicht zu verstehen ohne die Zeit, von der sie erzählt - und diese Zeit nicht ohne die Wunden, die sie in Menschen wie sie schlägt: Nicht viel mehr als zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit von Russland sahen die Finnen in wachsender Angst vor dem übermächtigen Nachbarn das nationalsozialistische Deutschland als einzig mögliche Unterstützung - und stießen auf Ablehnung, bis Hitler die Bedeutung der Nickelerzvorkommen in Petsamo für die Rüstungsindustrie erkannte. Himmler hatte, wie die Erzählerin erfährt, die Finnen für "minderwertig" im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie erklärt. Dennoch gab es glühende Verehrer des Nationalsozialismus im Finnland der dreißiger und vierziger Jahre. Ganz vorne mit dabei: der Oberst, Nachbar aus Kindheitstagen, später Geliebter, Mann, mehrmals beinahe Mörder der Erzählerin.
So scheinbar teilnahmslos, wie sie von dem Mann erzählt, so fassungslos stehen ihre Leser vor dieser Figur, der seiner achtundzwanzig Jahre jüngeren Geliebten gleich nach der Verlobung eine Handgranate in die Unterhose schiebt und eine zwischen die Lippen, der mit Vergnügen von Grausamkeiten berichtet, der Bewunderung und Hingabe der Erzählerin sicher.
An seiner Seite reist sie: nach Helsinki, wo seine Mutter ihr noch beim Kennenlernen rät, ihn nie zu heiraten, über Berlin ins gerade erst besetzte Polen, in ein Gutshaus, vor dem "nervenschwache und jüdische Gefangene" im kalten Regen im Garten schuften, von Rottweilern bewacht, weil es den SS-Wachsoldaten draußen zu unfreundlich ist.
Schon in ihrem ersten Roman, "Crazeland", 1999 in deutscher Übersetzung erschienen, befasst sich Rosa Liksom mit Lappland, dem Krieg und großfinnischen Phantasien. In "Die Frau des Obersts" kehrt ihr Paar zurück, bevor der Krieg die Heimat ganz erreicht: Nach einem keine vier Monate währenden Winterkrieg 1939/40 kämpfte Finnland im "Fortsetzungskrieg" zusammen mit Deutschland von Ende Juni 1941 an gegen die Sowjetunion. Zuletzt überstieg die Zahl der in Lappland stationierten Wehrmachtssoldaten die der Einwohner um mehr als das Doppelte.
Der Oberst scheint den Krieg wie im Rausch zu genießen, seine Verlobte vergöttert den Berauschten. Und Rosa Liksom führt durch diese Zeit bis zum großen Kater: Als sich Finnland nach einem Separatfrieden mit Moskau gegen Deutschland wendet, fordert der Befehlshaber der Wehrmacht den Oberst auf, in einem Partisanenregiment gegen Russen und Finnen zu kämpfen - Generalsstreifen um den Preis eines erweiterten Selbstmords, wie der Oberst erkennt. Um nicht die Waffe gegen die Deutschen heben zu müssen, taucht er mit seiner Verlobten unter. Sie heiraten, als alles verloren scheint. Und damit ist für die Erzählerin alles verloren.
Nach dem Krieg wendet er seinen Sadismus gegen sie: "Ich wurde nach oben geschleudert, in den grauen Bereich von Seele und Körper, und schaute von der Decke aus zu, wie er mich auspeitschte, vergewaltigte, auf mich pisste und mich zum Schluss in den Kleiderschrank sperrte", schildert die Erzählerin einen der vielen Exzesse. Als sie ein erstes Mal schwanger wird, ist sie dreiundvierzig. "Trächtig" nennt sie sich selbst im Rückblick: Auch dass sie dem Oberst entkommen konnte, dass sie, wieder Lehrerin, in einem abermals achtundzwanzig Jahre Jüngeren eine neue Liebe findet, dass sie später als Schriftstellerin mit geschönten Geschichten aus der Zeit mit dem Oberst wenigstens noch Kapital schlagen kann, ändert nichts daran, dass sie von sich selbst spricht als von einem Tier. Am Ende ist sie bereit, dem Oberst alles zu verzeihen. Bis auf die Tritte, mit denen er "unseren gemeinsamen Sohn aus mir heraus auf den Fußboden geprügelt hat".
"Die Frau des Obersts" ist schonungslos und obszön. Der Ertrag der Lektüre: eine Ahnung der Perversionen, die Nationalsozialismus und Krieg begünstigt haben, und ihrer Träger in ungewohntem Blickwinkel und Zusammenhang. Wenn man Rosa Liksom fragt, wie sie auf eine solche Erzählerin gekommen ist, in der sich Verblendung und Trauma auf diese Weise verquicken, antwortet sie schlicht: "Es waren Nachbarn meiner Eltern."
Rosa Liksom: "Die Frau des Obersts." Roman.
Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Penguin Verlag, München 2020. 224 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hitler-Verehrung, Fanatismus und Gewaltexzesse: Die finnische Autorin Rosa Liksom erzählt aus den vierziger Jahren in Lappland.
Von Fridtjof Küchemann
Als die Mädchen im finnischen Sommerlager vor vielleicht neunzig Jahren ein paar Stunden Freizeit haben, lesen einige in der Bibel, andere singen oder spielen Fangen. Eines geht ins lappländische Sumpfmoor: Benebelt von den aufsteigenden Gasen, fasziniert von flirrenden Farben, schnell vollständig durchnässt und verdreckt, fühlt es sich "frei und grenzenlos". Es besteht "von vorn bis hinten aus überirdischer Kraft und Herrlichkeit", schließt die Augen und schwebt "mit den bloßen Instinkten voran". Wenn jetzt der Tod kommt, denkt das Kind, "dann heiße ich ihn mit offenen Armen willkommen".
Der Tod kommt lange nicht in Rosa Liksoms Roman "Die Frau des Obersts", jedenfalls nicht zur Erzählerin, die im hohen Alter nächtens ihre Geschichte notiert und mit der Kindheitserinnerung im nationalistischen Sommerlager beginnt. Und doch ist der Tod allgegenwärtig in diesem Buch: im ländlichen Leben der Kindheit, in der Bestialität der Kriegszeit, in der Brutalität ihres Ehemanns, des Obersts, in der Zeit danach. Eine seltsame Bereitschaft zeichnet Rosa Liksoms Erzählerin aus, Missbrauch, Gewalt, Bedrohung und Tod in ihrem Leben hinzunehmen, zugleich wie unbeteiligt von Greueltaten zu berichten, auch von solchen, die ihr selbst widerfahren. Dabei findet sie - instinktiv, körperlich, sexuell, mitunter fast animalisch - immer wieder zu einer ganz eigenen Lebensgier zurück. Sie ist so von sich selbst erfüllt und gleichzeitig so entrückt, dass der Leser nicht einmal ihren Namen erfährt. Eine vielfach traumatisierte Stimme, die nicht nur den Wahnsinn, sondern auch das Erlebte in der Nüchternheit ihres Erzählens gerade so zu bändigen scheint.
Vielleicht ist diese Figur nicht zu verstehen ohne die Zeit, von der sie erzählt - und diese Zeit nicht ohne die Wunden, die sie in Menschen wie sie schlägt: Nicht viel mehr als zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit von Russland sahen die Finnen in wachsender Angst vor dem übermächtigen Nachbarn das nationalsozialistische Deutschland als einzig mögliche Unterstützung - und stießen auf Ablehnung, bis Hitler die Bedeutung der Nickelerzvorkommen in Petsamo für die Rüstungsindustrie erkannte. Himmler hatte, wie die Erzählerin erfährt, die Finnen für "minderwertig" im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie erklärt. Dennoch gab es glühende Verehrer des Nationalsozialismus im Finnland der dreißiger und vierziger Jahre. Ganz vorne mit dabei: der Oberst, Nachbar aus Kindheitstagen, später Geliebter, Mann, mehrmals beinahe Mörder der Erzählerin.
So scheinbar teilnahmslos, wie sie von dem Mann erzählt, so fassungslos stehen ihre Leser vor dieser Figur, der seiner achtundzwanzig Jahre jüngeren Geliebten gleich nach der Verlobung eine Handgranate in die Unterhose schiebt und eine zwischen die Lippen, der mit Vergnügen von Grausamkeiten berichtet, der Bewunderung und Hingabe der Erzählerin sicher.
An seiner Seite reist sie: nach Helsinki, wo seine Mutter ihr noch beim Kennenlernen rät, ihn nie zu heiraten, über Berlin ins gerade erst besetzte Polen, in ein Gutshaus, vor dem "nervenschwache und jüdische Gefangene" im kalten Regen im Garten schuften, von Rottweilern bewacht, weil es den SS-Wachsoldaten draußen zu unfreundlich ist.
Schon in ihrem ersten Roman, "Crazeland", 1999 in deutscher Übersetzung erschienen, befasst sich Rosa Liksom mit Lappland, dem Krieg und großfinnischen Phantasien. In "Die Frau des Obersts" kehrt ihr Paar zurück, bevor der Krieg die Heimat ganz erreicht: Nach einem keine vier Monate währenden Winterkrieg 1939/40 kämpfte Finnland im "Fortsetzungskrieg" zusammen mit Deutschland von Ende Juni 1941 an gegen die Sowjetunion. Zuletzt überstieg die Zahl der in Lappland stationierten Wehrmachtssoldaten die der Einwohner um mehr als das Doppelte.
Der Oberst scheint den Krieg wie im Rausch zu genießen, seine Verlobte vergöttert den Berauschten. Und Rosa Liksom führt durch diese Zeit bis zum großen Kater: Als sich Finnland nach einem Separatfrieden mit Moskau gegen Deutschland wendet, fordert der Befehlshaber der Wehrmacht den Oberst auf, in einem Partisanenregiment gegen Russen und Finnen zu kämpfen - Generalsstreifen um den Preis eines erweiterten Selbstmords, wie der Oberst erkennt. Um nicht die Waffe gegen die Deutschen heben zu müssen, taucht er mit seiner Verlobten unter. Sie heiraten, als alles verloren scheint. Und damit ist für die Erzählerin alles verloren.
Nach dem Krieg wendet er seinen Sadismus gegen sie: "Ich wurde nach oben geschleudert, in den grauen Bereich von Seele und Körper, und schaute von der Decke aus zu, wie er mich auspeitschte, vergewaltigte, auf mich pisste und mich zum Schluss in den Kleiderschrank sperrte", schildert die Erzählerin einen der vielen Exzesse. Als sie ein erstes Mal schwanger wird, ist sie dreiundvierzig. "Trächtig" nennt sie sich selbst im Rückblick: Auch dass sie dem Oberst entkommen konnte, dass sie, wieder Lehrerin, in einem abermals achtundzwanzig Jahre Jüngeren eine neue Liebe findet, dass sie später als Schriftstellerin mit geschönten Geschichten aus der Zeit mit dem Oberst wenigstens noch Kapital schlagen kann, ändert nichts daran, dass sie von sich selbst spricht als von einem Tier. Am Ende ist sie bereit, dem Oberst alles zu verzeihen. Bis auf die Tritte, mit denen er "unseren gemeinsamen Sohn aus mir heraus auf den Fußboden geprügelt hat".
"Die Frau des Obersts" ist schonungslos und obszön. Der Ertrag der Lektüre: eine Ahnung der Perversionen, die Nationalsozialismus und Krieg begünstigt haben, und ihrer Träger in ungewohntem Blickwinkel und Zusammenhang. Wenn man Rosa Liksom fragt, wie sie auf eine solche Erzählerin gekommen ist, in der sich Verblendung und Trauma auf diese Weise verquicken, antwortet sie schlicht: "Es waren Nachbarn meiner Eltern."
Rosa Liksom: "Die Frau des Obersts." Roman.
Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Penguin Verlag, München 2020. 224 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Schonungslos und obszön. Der Ertrag der Lektüre: eine Ahnung der Perversionen, die Nationalsozialismus und Krieg begünstigt haben, und ihrer Träger in ungewohntem Blickwinkel und Zusammenhang.« FAZ, Fridtjof Küchemann