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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Seweryna Szmaglewska schrieb eines der ersten Bücher über das KZ Auschwitz-Birkenau. In Polen ein Klassiker, ist es jetzt auch auf Deutsch erschienen.
Dieses Buch ist ein Kraftakt, seine Autorin hat es sich abgerungen, indem sie über gut fünf Monate hinweg vom frühen Morgen bis in die Dämmerung schrieb, wie sie sich später erinnerte (F.A.Z. vom 25. Januar 2019). Und dass nur wenige Wochen nach ihrer Flucht von einem der Todesmärsche, die ihre zweieinhalbjährige Haft in Auschwitz-Birkenau beendeten. Als sie im Februar 1945 begann, das Manuskript in ihre "Torpedo"-Schreibmaschine zu tippen, tobte der Krieg noch; als sie es im Juli beendete, war Frieden, doch ihr Land, Polen, ihre Stadt, Warschau, waren zerstört. Im Dezember erschien das Buch unter dem Titel "Dymy nad Birkenau" ("Rauch über Birkenau") und wurde in Polen zu einem Klassiker.
Seine damals 29-jährige Autorin, die Studentin Seweryna Szmaglewska (1916 - 1992), legte damit noch im Jahr der Befreiung des Konzentrationslagers eines der weltweit ersten Bücher zu Auschwitz vor, einem Ort, den seinerzeit nur wenige kannten. Was die junge Widerstandskämpferin vor fünfundsiebzig Jahren zu Papier brachte, ist in seiner Mischung aus Reportage, Roman und Überlebensbericht ein literarisch eindrucksvolles Schriftdenkmal für die Frauen von Auschwitz. Es ist aus konsequent weiblicher Perspektive geschrieben, und es erzählt vom Alltag aus sinnloser Zwangsarbeit, Läusen, Ruhr und Typhus, vom "Organisieren", wie das Schmuggeln und Handeln im Lager hieß, und von Widerstand und Solidarität im Frauenlager. Szmaglewska holt die Lagerinsassinnen aus der ihnen zugedachten Anonymität, indem sie von vielen individuellen Schicksalen erzählt.
Unter ihnen ist die Widerstandkämpferin Zofia Sikorska, die in den Folterverhören nichts preisgibt und später im Krankenlager vom Typhus hinweggerafft wird. Da ist die fünfzehnjährige Griechin Alegri, die für ihre Mithäftlinge griechische Volkslieder singt: "Sie hebt den Kopf, ihre riesigen Augen, in denen man die Pupillen kaum erkennen kann, schauen in die Ferne, als würden sie von den Dingen, die sie umgeben, nichts sehen, als hätten sie am Horizont die Inseln des fernen Griechenland erblickt, als würde ihnen in der blauen Luft eine Vision des Ägäischen Meeres erscheinen, über das ein weißes Segel gleitet." Alegri wird genauso ermordet wie die polnisch-jüdische Tänzerin Franciszka Mann, die auf dem Weg zur Gaskammer einem SS-Mann die Waffe entreißt und einen anderen erschießt. Und da ist die Gefangene Barbara aus dem Krankenblock, die nicht mehr isst und mit niemandem mehr redet, aber in ihrer Lethargie mit sich selbst spricht: "Heh, ihr Nazis! Öffnet die Tore! Die Welt kommt zu euch, eine große Koalition von Nationen. Sie wird die Barbarei besiegen. Beeilt Euch! Verwischt die Spuren! Wascht die Erde!"
Szmaglewska erzählt, wie sich die Nachrichten vom Vorrücken der Roten Armee im Lager verbreiten, wie jeder alliierte Luftangriff auf den Lagerkomplex und seine Umgebung von den Gefangenen insgeheim bejubelt wird und wie die Niederschlagung des Warschauer Aufstands im Oktober 1944 allen Hoffnungen unter den Lagerinsassen auf eine rasche Befreiung zunichtemachte: "So klingt jener sonnige Sommer in Birkenau aus; ein Sommer voller Glauben, voller Pläne."
Szmaglewska berichtet, dass Neugeborene in Auschwitz eine Nummer auf den Oberschenkel tätowiert bekamen. Vom Frauenlager aus hören die Inhaftierten Nacht für Nacht die auf der Rampe ankommenden Transporte aus ganz Europa, und eine fragt in die nächtliche Stille hinein: "Sagt mal, wie kommt es, dass wir von dem, was wir sehen, nicht wahnsinnig werden?"
Bereits 1947 erschien eine englische Übersetzung des Buches, es folgten weitere in zehn Sprachen. 1955 brachte der Warschauer Fremdsprachenverlag "Polonia" erstmals eine deutsche Teilübersetzung heraus, aus der Hermann Langbein in seinem 1972 erschienenen Werk "Menschen in Auschwitz" mehrere Passagen zitierte. Aber jedes Buch hat seine Zeit, und so erscheint die erste Ausgabe in einem deutschen Verlag zwar um Jahrzehnte zu spät, aber gerade rechtzeitig inmitten einer laufenden Debatte um ein Denkmal in Berlin zum Gedenken an die Opfer der deutschen Besatzung in Polen. Denn die Lektüre von Seweryna Szmaglewska erinnert daran, dass Auschwitz - inzwischen zum universellen Synonym für die Ermordung der europäischen Juden geworden - auch ein Leidens- und Erinnerungsort des polnischen Volkes ist.
Kleinste Vergehen führten damals zur Inhaftierung in Auschwitz. Szmaglewska etwa erwähnt eine Gruppe von Frauen aus Babice, einem kleinen, westlich von Krakau gelegenen Dorf, die ins Lager kamen, weil sie beim Marschieren ein polnisches Lied gesungen hatten. Die Autorin selbst geriet 1942 in Haft, weil ein Gestapo-Mann sie dabei beobachtet hatte, wie sie auf einem Platz stehen blieb und ihre Brille zurechtrückte, was von ihm als konspiratives Zeichen gedeutet wurde.
Das Buch gewinnt seine Unmittelbarkeit dadurch, dass es im Präsens geschrieben ist. Außerdem vermeidet Szmaglewska das Personalpronomen "ich", weil sie ihr eigenes Überleben nicht als Heldengeschichte in den Mittelpunkt einer Erzählung stellen wollte, die vor allem von denen berichtet, die das Lager nicht überlebt haben. Sie erzählt von Individuen jenseits der Kategorien von Opfer und Täter, die auch im Angesichts des Terrors eine Wahl haben, sich einen Spielraum bewahren, so oder so zu handeln, egoistisch oder solidarisch, menschlich oder grausam. Sie erzählt von Frauen, die es fertigbringen, menschlich zu bleiben in einer Welt, in der der Tod als Befreiung galt und der Rauch der Krematorien allgegenwärtig war.
RENÉ SCHLOTT.
Seweryna Szmaglewska: "Die Frauen von Birkenau". Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Marta Kijowska.
Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt 2020. 456 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
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