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Als Stefan Hertmans erfährt, dass seine zweite Heimat, der Ort Monieux in Frankreich, vor tausend Jahren Schauplatz eines Pogroms durch die Kreuzritter war, begibt er sich auf Spurensuche. Unter den Überlebenden soll eine junge Frau christlicher Herkunft gewesen sein. Diese historisch verbürgte Figur lässt ihn nicht mehr los, er tastet sich erzählend an ihr Leben heran. Vigdis nennt er die Frau, die für die Liebe zum Sohn des Rabbi ihre Existenz aufs Spiel setzt und zu Hamutal wird, die alles verliert und ganz allein nach Jerusalem aufbricht. Mit seiner grandiosen literarischen Rekonstruktion…mehr

Produktbeschreibung
Als Stefan Hertmans erfährt, dass seine zweite Heimat, der Ort Monieux in Frankreich, vor tausend Jahren Schauplatz eines Pogroms durch die Kreuzritter war, begibt er sich auf Spurensuche. Unter den Überlebenden soll eine junge Frau christlicher Herkunft gewesen sein. Diese historisch verbürgte Figur lässt ihn nicht mehr los, er tastet sich erzählend an ihr Leben heran. Vigdis nennt er die Frau, die für die Liebe zum Sohn des Rabbi ihre Existenz aufs Spiel setzt und zu Hamutal wird, die alles verliert und ganz allein nach Jerusalem aufbricht. Mit seiner grandiosen literarischen Rekonstruktion dieser Geschichte von Liebe, Gewalt und religiöser Verfolgung ist Hertmans ein erschreckend gegenwärtiger Roman gelungen.

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Autorenporträt
Stefan Hertmans, geboren 1951, gilt als einer der wichtigsten niederländischsprachigen Autoren der Gegenwart. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Preis der flämischen Gemeinschaft für Prosa. Für Der Himmel meines Großvaters erhielt er 2014 den AKO Literatuurprijs und De Gouden Uil.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2017

Chaos und Flüchtlingströme

In seinem historischen Roman überbrückt Stefan Hertmans mühelos tausend Jahre: "Die Fremde" erzählt die Geschichte einer Flucht zur Zeit der Kreuzzüge und ist von brisanter Aktualität.

Unter der Signatur "T-S 16.100" bewahrt die Handschriftensammlung der Universität von Cambridge ein Dokument auf. Es ist fast tausend Jahre alt, in hebräischer Sprache verfasst und ein Empfehlungsschreiben, mitgegeben einer bedürftigen Frau auf der Flucht. "Vigdis" und später "Hamutal" nennt der belgische Autor Stefan Hertmans diese im Pergament erwähnte, vom Christen- zum Judentum konvertierte Frau. Ihr Schicksal hat ihn jahrelang beschäftigt - auch, weil das provenzialische 350-Seelen-Örtchen Monieux, Hertmans' zweite Heimat, Schauplatz dieser tragischen Geschichte und einer der schlimmsten Pogrome war. Hierhin, nach Monieux, flieht also "Die Fremde".

Als junges Mädchen, Tochter aus gebildeter Familie, muss sie den Kopf gesenkt halten und mit kleinen Schritten gehen, gekleidet in kostbaren Stoff. Ausgang wird ihr spärlich gewährt, Bildung nur als Statussymbol vermittelt, um Heiratschancen zu vergrößern. Da sieht sie eines Tages, wie ein Junge zu Tode getreten wird, weil er Jude ist. Und vielleicht war es ja so, wie Stefan Hertmans es hier erfindet: dass Vigdis beim Anblick des toten Jungen ihre Augen öffnet für jene Glaubensgemeinschaft, die sie tagtäglich in den Straßen ihrer Heimatstadt Rouen sieht. Sie verliebt sich. Mit David, ihrem jüdischen Mann, Sohn des Oberrabbiners von Narbonne, wird sie zu "Hamutal", was ihren Vater erbost. Seinem Zorn gilt die erste Flucht des Paares von Rouen bis nach Monieux, wo man skeptisch auf die "blonde Jüdin mit den eisblauen Augen" schaut und Kinder ihr schimpfend Steine hinterherwerfen. Der schlimmste Tag im Leben dieser Frau kommt Jahre später, als sie selbst schon zwei Kinder hat, dazu ein Neugeborenes. Kreuzritter fallen in den Ort ein, rauben, vergewaltigen, morden, wildern gegen die jüdische Bevölkerung. David stirbt; die älteren Kinder entführt; Hamutal, flüchtend, fast auf dem Scheiterhaufen verbrannt. "Die Fremde" als Romantitel ist gut gewählt - auch wenn "Die Flucht" genauso gepasst hätte. Doch die überzeugendsten Passagen gelten der Beschreibung gefühlter Fremdheit. Wie sehr sich Hamutal auch müht und ereifert, den auferlegten Geschlechter- und Religionsrollen gerecht zu werden - die Fremdheit ist ihr eigentlicher Begleiter. So gelesen, ist dieser historische Stoff von brisanter Aktualität.

Der vielfach ausgezeichnete, 1951 in Belgien geborene, auf Niederländisch schreibende Stefan Hertmans war hierzulande in den neunziger Jahren mit einem Roman und den Gedichten "Scardanelli" zu bemerken. Im Jahr 2014 erschien die Übersetzung seines Romans "Der Himmel meines Großvaters" über einen flämischen Soldaten im Ersten Weltkrieg - erzählt entlang authentischer Briefe. Jetzt ist die Materiallage dürftiger. Neben dem Pergament gibt es wissenschaftliche Artikel zu Monieux und Thesen zum Überfall; die Erwähnung der Frau in Simon Schamas "Geschichte der Juden"; Gebetsriemen, die ihrem Mann David zugeschrieben werden. Rouen, ihre Geburtsstadt, beheimatete im elften Jahrhundert neben Narbonne ein wichtiges jüdisches Zentrum, mit Talmudschule, Synagoge, rituellem Schlachthaus.

Es ist schön erzählt, wie Hamutal möglicherweise dort in ersten Gesprächen mit jüdischen Gelehrten die Unterschiede zur eigenen Religion erklärt bekommt; wie sie aufhorcht, als ausnahmsweise nicht zuerst von Folter und Kreuzigung Jesu die Rede ist, sondern von einer kreativen Tat, als Jahwe die Welt erschuf. Oder wie sie in den Küchen der Frauen Essensvorschriften lernt. Hertmans überbrückt tausend Jahre mühelos und lässt die Zeit in Gegenständen aufblitzen. Etwa eine zweizinkige Gabel - "Zeichen des Wohlstands", wie der Erzähler kommentiert; deutlich immer wieder der Hinweis, dass er als tastender Geschichtsdeuter schreibt, seinerseits zweifelnd.

So stellt sich auch dem geschichtsferneren Leser diese mittelalterliche Welt rund ums Mittelmeer plastisch dar. Flüchtlingsströme und Chaos. Große Unzufriedenheit, weil das Feudalwesen die Kluft zwischen Arm und Reich verstärkt. Der Ritterstand gilt als unantastbar. Also richtet sich der Zorn des Volkes in den erzählten Jahren um 1096, als Papst Urban II. auf den Feldern zum "Heiligen Krieg" aufruft, gegen die Juden als das Fremde an sich. Genötigt, Geld zu zahlen, um ihre Religion ausüben zu dürfen, sind sie seit je Angriffsfläche. Die Abhängigkeit schürt Neid. Die Schreckensgeschichte der Juden-Pogrome ist dokumentiert.

Am Einzelschicksal Geschichte zu begreifen, ist das Erfolgsrezept historischer Romane. Deren zwei Hauptfehler unterlaufen Hertmans immerhin nicht: Historismus ist seine Sache nicht. Und die Kreuzzüge sind auch keineswegs nur schauriger Dekor für eine fesselnde Geschichte. Er hat wirklich Feuer gefangen, genau recherchiert, den Roman zwischen erlebnisnahem Präsens, Zeitfakten und Befindlichkeit des betroffenen Erzählers entwickelt. Aber genau das ist auch das Problem. Denn leider liest sich Hertmans Roman streckenweise arg reißerisch. Adjektivschübe verwässern die Wirkung jedes schönsten Details. Der erste Beischlaf, die erste Geburt - da scheint gleich das ganze Universum beteiligt. Der recherchierende Autor meldet sich erschöpft zu Wort, wenn er Massaker beschrieben hat. Er reist Hamutal nach, schwärmt von der Natur, wird in Palermos Kapuzinergruft zwischen Schädeln zum Grufti-Touristen, zerrissen zwischen Welten und Zeiten. Ja, er sieht sogar mehr als die über Kairo nach langer Odyssee nach Monieux zurückgelangte und dort schließlich zu Tode gekommene Hamutal selbst gesehen haben kann. Etwa die Sphinx und die Pyramiden von Gizeh.

Trotz schöner und kluger Reiseberichte wird man den Eindruck nicht los, dass alles verwertet gehörte. Und so verweht inmitten aller Reisen und Recherchegänge die Kraft der Stimme dieser bemerkenswerten Frauenfigur. Nur das Schlussporträt ist dann wieder gebändigte Erzählkunst: Hamutal im Wahn. Hier wirkt sie wie eine Wiedergängerin großer Mimen, die sich freudlos einreiht in eine ganze Kette tragisch endender weiblicher Hauptfiguren, vergleichbar etwa Hamlets verrückt gewordener Schwester. Da passt Hertmans' offensichtliche Liebe zur theatralischen Schilderung wiederum ganz gut. Mehr Ruhe und erzählerischen Fokus hätte man sich für das gesamte Romanprojekt gewünscht.

ANJA HIRSCH.

Stefan Hertmans: "Die Fremde." Roman.

Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Hanser Berlin, Berlin 2017. 224 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2017

Und alles ist Gefahr
Ein historischer Roman und doch keiner: Der flämische Autor Stefan Hertmans
träumt vom Mittelalter, aber was ihn treibt, ist die Unruhe der Gegenwart
VON LOTHAR MÜLLER
An zwei Orten lebt der Schriftsteller Stefan Hertmans, in der Nähe von Brüssel und in einem südfranzösischen Dorf unweit des Mont Ventoux. Und in ihm lebt, was man die europäische Unruhe nennen könnte, eine feine Witterung für Bruchlinien und Risikozonen, für die explosiven Elemente in Sprache, Kultur, Religion. Seine Papiere weisen ihn als Belgier aus, der 1951 in Gent geboren ist, seine Bücher als flämischen Autor, der auf Niederländisch schreibt. Der Staat, dessen Bürger er ist, droht gelegentlich von den Spannungen zwischen Flamen und Wallonen zerrissen zu werden. In seinen Essays und Interviews begegnet er dieser Spannung mit Gelassenheit, aber in dieser Gelassenheit verschwindet die Unruhe so wenig wie in der nachsichtigen Ironie, mit der er auf das Europaviertel in Brüssel blickt, die Hauptstadt der Europäischen Union. Wenn er auf Buchmessen auf einem Podium sitzt, wechselt er mühelos vom Französischen ins Englische oder auch Deutsche.
Aber es gibt bei ihm keinen schwerelosen Kosmopolitismus, dafür ist seine Bodenhaftung zu groß, die Bindung an die Orte, an denen er aufgewachsen ist und lebt. Aus dieser Ortsbindung geht seine Literatur hervor, seine Art des Erzählens, die Dynamik seiner Einbildungskraft. Wer seine Herkunftswelt kennenlernen will, der greife zu seinem Roman „Der Himmel meines Großvaters“ (2014). Im Original heißt er „Krieg und Terpentin“, weil dieser Großvater in Gent der Sohn eines Kirchenmalers unter katholischen Handwerkern war und selber gern mit den Farben hantierte, ein talentierter Kopist der großen Meister, den es im Ersten Weltkrieg in das Grauen der belgischen Frontabschnitte verschlug.
Das Gegenüber der Großeltern und Urgroßeltern in diesem Roman war der Enkel und Urenkel, der erst spät die Hinterlassenschaften der Familie erkundet, Friedhöfe, Kirchen und Museen aufsucht, Fotos in einem Album betrachtet, in den Heften mit den handschriftlichen Memoiren des Großvaters dessen traurige Liebesgeschichte entdeckt und sich nicht scheut, in den Passagen über die Schlachtfelder die Rolle des nachgeborenen Chronisten zu verlassen und in die erste Person Singular zu schlüpfen. Das haben ihm manche Leser als eine Art Quellenfälschung übel genommen. Es war aber ein sehr strenges, allem Fabulieren abholdes Sprachexperiment, der Versuch, einer historischen Erfahrung mit den Mitteln der Einbildungskraft einen gültigen Ausdruck zu geben.
Jahrelang hat Stefan Hertmans an seinem neuen Roman, „Die Fremde“ gearbeitet. Wieder ist es ein Buch der Bodenhaftung, eine Erzählung aus dem Nahbereich, die sich ins Europäische weitet, eine in die Vergangenheit gerichtete Halluzination. Ausgangspunkt ist der französische Wohnsitz des Autors in Monieux im Département Vaucluse. Im Archiv, in der Bibliothek und auf Reisen hat er der Geschichte nachgespürt, die sich zur Zeit des Ersten Kreuzzuges im späten 11. Jahrhundert vor seiner Haustür zugetragen hat. In den Ruinen oberhalb des heutigen Dorfkerns hat er nach Überresten des jüdischen Viertels gesucht, das es gegeben haben muss, wenn seine Hauptquelle nicht trügt, das Dokument „T-S 16.100“ aus der „Cairo Genizah Collection“ in der Handschriftenabteilung der University Library von Cambridge.
Seit dem 19. Jahrhundert liegt das hebräische Manuskript in England, eingerissen und an einigen Stellen durchlöchert, aber noch gut lesbar. Geschrieben hat es der Rabbi Joshua Obadja aus „MNYW“, so lautet der Ortsname, wenn man ihn aus den hebräischen Buchstaben transkribiert, die Stefan Hertmans seinem Buch vorangestellt hat. Die Gelehrten sind sich nicht einig, ob damit sein Monieux gemeint ist oder der Ort Muño bei Burgos in Nordspanien. Aber seit Stefan Hertmans an seinem Berghang das Wasserbecken eines jüdischen Bades gefunden hat, einer Mikwe, ist er überzeugt, dass Joshua Obadjas Brief in Monieux geschrieben wurde.
Es berichtet vom Schicksal einer Christin, die ihre Familie verließ und zum jüdischen Glauben übertrat, um David aus der Familie Todros in Narbonne zu heiraten, und von dort floh, um ihren Verfolgern zu entgehen. Dauerhafte Sicherheit aber fand das Paar durch die Flucht nach Monieux nicht. Bei einem Pogrom durchziehender Kreuzritter wird David ermordet, zwei Kinder des Paares werden geraubt, der Brief des Rabbis von Monieux soll die mittellose Witwe, die mit einem weiteren Kind zurückbleibt, dem Schutz einer fernen jüdischen Gemeinde empfehlen.
Der Roman trägt ein Motto aus Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“: „... aber die Form der Zeitlosigkeit ist das Jetzt und Hier“. Er beginnt mit einem Tagtraum, in dem der Autor am frühen Morgen vom Fenster seines Hauses in Monieux aus das flüchtende Paar auf das Dorf zuwandern zu sehen glaubt. „Der Berg des Jupiter“ heißt dieses erste Kapitel, nach dem alten Namen von Monieux, Mons Jovis. Fast alle Kapitel, die folgen, werden ebenfalls Ortsnamen tragen, Rouen, Narbonne, Kairo, Najéra, Cambridge.
Der Autor reist seinen Figuren nach, glaubt in einer alten Skulptur seine Heldin wiederzuerkennen, blättert in Büchern, Chroniken und Manuskripten, während er von seinen Figuren erzählt. So wird aus der namenlosen Proselytin des hebräischen Manuskripts in Cambridge die Tochter eines zum Christentum bekehrten Normannen in Rouen. Geboren 1070, vier Jahre nach der Schlacht von Hastings, erhält sie den nordischen Namen Vigdis und als Beinamen Adelaïs, nach der flämischen Großmutter mütterlicherseits. Die Liebesgeschichte, die den zum Studium nach Rouen geschickten Sohn des Oberrabbiners von Narbonne mit der blonden Christin zusammenführt, folgt dem Muster, das Magister Abaelardus und die junge Äbtissin Héloise berühmt machen werden: „Eines Tages beugen sie sich gerade über eine Schriftrolle, als geschieht, was geschehen muss. Ihre Hände berühren sich, ihre Gesichter wenden sich einander zu, der kleine Raum erscheint plötzlich zu klein für die großen Wünsche, die sie hegen.“
Das ist die Urszene der Katastrophe, die in diesem Buch ihren Lauf nimmt, der Beginn der Verwandlung der Christin Vigdis Adelaïs in die Jüdin Hamutal in einer Zeit, in der in Rouen wie in Südfrankreich die Pogrome gegen jüdische Gemeinden den großen Mobilisierungsprozess begleiten, in dem sich nach der großen Rede des Papstes Urban II. über den „Heiligen Krieg“ in Clermont 1095 die Heere für den Ersten Kreuzzug gegen die Sarazenen in Jerusalem formieren. Die Fluchtbewegung des Paares, dem die christlichen Häscher aus Rouen nachstellen, und das Heer der Ritter, Abenteurer und Entwurzelten trifft beim Massaker von Monieux zusammen, das David nicht überlebt. „Als der Morgen graut, kehrt Ruhe ein. Überall liegen Leichen, in der Synagoge schwelt noch das Feuer, das jüdische Viertel ist ein einziger Schutthaufen, und zwischen den durcheinanderliegenden, entstellten Körpern schnüffeln Hunde.“ Das geschieht knapp nach der Mitte des Buches, fortan ist es die Geschichte der endlosen Such- und Fluchtbewegung der jungen Witwe, die ihre Kinder bei den Kreuzzüglern in Jerusalem zu finden hofft, über Marseille und Palermo nach Alexandria und Kairo nur gelangt, weil sie die Liebesdienste leistet, die ihre Beschützer, die Kaufleute, verlangen.
In Kairo gelangt der Roman an seine Quelle. Der Autor besucht die Ben-Esra-Synagoge in der Altstadt, blickt in die „Geniza“, das dunkle Loch, in das Tausende hebräisch geschriebene Manuskripte und Dokumente geworfen wurden, weil es unstatthaft gewesen wäre, Schriftzeichen, die der Verehrung Gottes dienten, zu vernichten. In Cambridge berührt er das Original des Rabbi Obadja, über seinem Schreibtisch in Monieux hängt eine Kopie, während seine Protagonistin in Kairo noch einmal heiratet, noch einmal nach Narbonne aufbricht, auf dem Weg dahin fast verbrannt wird und immer tiefer im Wahn versinkt, bis sie schließlich Monieux erreicht.
Dieses Buch ist ein Vergegenwärtigungsprojekt. Die Form des historischen Romans schlägt es aus und mit ihr das Imperfekt einer in sich ruhenden, zurückblickenden Erzählerstimme. An ihre Stelle tritt die Obsession der Nähe, die an den Dokumenten entzündete Einbildungskraft. Im Präsens tritt sie an die Seite der Figuren und scheint sich gelegentlich an den Ekstasen der Liebenden und dem Delirium der entlaufenen Christin angesteckt zu haben, die im Aufschwung der Pogrome und Kreuzzüge untergeht. Nie macht diese fiebrige Einbildungskraft ein Hehl daraus, dass sie ein mögliches in ein wirkliches Geschehen verwandelt. Sie schöpft aus historischem Wissen, wenn sie das Europa der christlichen Mobilmachung als eine Gefahrenzone vor Augen stellt, aus der die Fluchtwege nicht hinausführen. Aber die Unruhe dieses Autors ist aus der Gegenwart Europas hervorgegangen.
Dieses Buch schlägt die Form des
historischen Romans aus und mit
ihr den in sich ruhenden Erzähler
Stefan Hertmans:
Die Fremde. Roman.
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm. Verlag Hanser Berlin, München 2017. 304 Seiten, 23 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
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"Dieser grandiose Roman wird mich ab jetzt begleiten wie ein guter Freund. Die Fremde hat sich in meinem Kopf und in meinem Herzen eingenistet, als hätte ich ihre Geschichte selbst erlebt. Aus jeder Seite spricht eine Wahrhaftigkeit, wie nur große Literatur sie zu erschaffen vermag." Margriet de Moor