Die 1860 in Amerika geborene Charlotte Perkins Gilman wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, schloss die Schule ohne einen richtigen Abschluss ab und schöpfte ihr Wissen – wie so viele große Literaten der damaligen Zeit – vornehmlich aus öffentlichen Bibliotheken. Ihr Vater verließ die Familie in
frühen Jahren, was in ihr den Wunsch nach Kontrolle und Unabhängigkeit nachhaltig einprägte.
Eine…mehrDie 1860 in Amerika geborene Charlotte Perkins Gilman wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, schloss die Schule ohne einen richtigen Abschluss ab und schöpfte ihr Wissen – wie so viele große Literaten der damaligen Zeit – vornehmlich aus öffentlichen Bibliotheken. Ihr Vater verließ die Familie in frühen Jahren, was in ihr den Wunsch nach Kontrolle und Unabhängigkeit nachhaltig einprägte.
Eine nach der Geburt ihres ersten Kindes erlittene Depression brachte sie schließlich zum Schreiben. So stammt aus dieser Zeit unter anderem die Geschichte Die gelbe Tapete. Bereits nach wenigen Jahren Ehe ließ sie sich scheiden – ein in damaligen Zeiten aufsehenerregender Schritt – und widmete ihr Leben fortan der Frauenbewegung.
Es dauerte nicht lange, bis sie sich einen Namen als Rednerin und Journalistin machte und mit The Forerunner gab sie sogar ein eigenes Magazin heraus. Den Kampf um die Unabhängigkeit der Frauen führte sie sowohl in belletristischen als auch in wissenschaftlichen Werken und wurde so binnen kürzester Zeit eine Ikone der Frauenbewegung.
1935 wählte sie angesichts einer sich ausbreitenden Brustkrebserkrankung den Freitod – und behielt damit bis zum Schluss die Kontrolle über ihr Schicksal.
Bei der ersten Geschichte „Die gelbe Tapete“ handelt es sich um eine klassische Schauergeschichte. Völlig unabhängig vom feministischen Hintergrund handelt es sich um eine handwerklich wirklich gut gemachte Geschichte, die vor allem durch eine durchweg beklemmende Atmosphäre überzeugen kann. In Form von Tagebucheinträgen verfolgen wir dabei gebannt, wie unsere Protagonistin nach und nach dem Wahnsinn verfällt.
Geschickt steigert Gilman die Spannung von Eintrag zu Eintrag, bis die Geschichte in einem fulminanten Finale endet. Auch wenn das Ende wohl nur wenige Leser überraschen vermag, so gelingt es ihr durch die kompakte Erzählweise den Leser derart zu fesseln, dass solche Gedanken während der Lektüre unterbleiben.
Noch interessanter als die Geschichte selbst ist ihr Hintergrund: Wie Gilman in ihrem kurzen Nachwort erläutert, litt auch sie selbst nach der Geburt ihrer Tochter an einer Depression. Ihr erging es wie ihrer Protagonistin – unter anderem durfte sie sich auf Anraten des Arztes nie wieder einer kreativen oder wissenschaftlichen Tätigkeit widmen. Natürlich verschlechterte sich ihr Zustand. Besserung trat erst ein, als sie alle Ratschläge ignorierte und selbst körperliche und geistige Tätigkeit wieder aufnahm.
Tatsächlich hatte diese Geschichte sogar handfeste Auswirkungen: So nahm etwa (nicht nur) ihr damaliger Arzt nach der Lektüre dieser Geschichte Abstand von dieser Behandlungsmethode. Damit hat eine Horrorgeschichte ausnahmsweise nicht seine Leser in den Wahnsinn getrieben, sondern sogar davor gerettet.
Die 1915 ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte im Magazin The Forerunner erschienene Novelle Herland schlägt eine ganz andere Richtung ein.
Drei Männer, darunter ein Frauenrechtler, ein Macho und unser Erzähler stoßen auf einer Forschungsreise auf Herland, einem abgeschiedenen Landstrich, der seit Jahrtausenden ausschließlich von Frauen bevölkert wird. Unser Protagonist schildert dabei aus der Rückschau von der ersten Begegnung bis zum nicht ganz freiwilligen Abschied den längeren Aufenthalt in diesem außergewöhnlichen Land.
Weite Teile der Erzählung bestehen dabei daraus, dass Gilman die Überlegenheit einer nur von Frauen geprägten Gesellschaft schildert. Sie widmet sich dabei einem breiten Spektrum an Themen - etwa der Bedeutung von Geschlechtern im Allgemeinen, der Kindererziehung oder (sehr kritisch) der Bedeutung und dem Einfluss von Religionen in diesem Zusammenhang. Dass Herland dabei keine reine Utopie ist, deutet sie zwar am Rande an, geht aber darauf verständlicherweise nicht genauer ein.
Aus Lesersicht hat die Geschichte trotz des inhaltlichen Schwerpunktes durchaus ihren Reiz. Insbesondere dann, wenn sie die überlegenen kulturellen Errungenschaften der Frauen auf die Vorurteile der Männerwelt treffen lässt, ergeben sich unterhaltsame und humorvolle Szenen. So gerät unsere Männergruppe so manches Mal in Erklärungsnot, wenn sie mit den Problemen einer von Männern dominierten Gesellschaft konfrontiert werden.
Leider fehlt es hier an einer richtigen Spannungskurve. Im Grunde stellt Gilman immer wieder Thesen auf, die von den Männern nicht widerlegt werden können und widmet sich dann wieder einem anderen Thema. Inhaltlich mag dies durchaus interessant sein, aber dafür müssen wir auch auf wirkliche Spannung oder gar einen Plot verzichten.
Fazit: Die gelbe Tapete und Herland von Charlotte Perkins Gilman sind zwei unterhaltsame Geschichten, die sowohl inhaltlich als auch handwerklich auch heute noch überzeugen können.