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Neues aus Wirtschaftssoziologie in Deutschland
Der vorliegende Sammelband über Neues aus der Wirtschaftssoziologie geht auf eine Tagung der Theorie-Sektion der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 2007 zurück. Er enthält neben der Einführung der Herausgeber 16 Beiträge. Die Themenpalette ist sehr breit, wie auch an den Überschriften der vier Teile des Buches ablesbar ist: 1. Sozial- und gesellschaftstheoretische Konturen, 2. Einbindung und Kontrolle von Unternehmen, 3. gesellschaftliche Ungleichheit und Ökonomisierung, 4. Unternehmen in einer globalisierten Welt.
Trotz der Mitarbeit weniger Vertreter anderer Fächer und eines Italieners kann man den Sammelband als Dokument des Standes der deutschen Wirtschaftssoziologie auffassen. Weil der Sammelband auf eine Tagung der Theorie-Sektion zurückgeht, wird die quantitativ-empirische Forschung allerdings nur wenig berücksichtigt.
Nur ein einziger Beitrag, Giuseppe Delmestri und Peter Walgenbach zu Assessment-Centers, berichtet Resultate von multivariaten Datenanalysen. Eine wirklich systematische Berücksichtigung der empirischen Forschung ist eher selten. Holger Lengfelds Beitrag zu Unternehmen und ungleichen Lebenschancen ist da eine Ausnahme. Dort erfährt man etwas über die Einkommenseffekte von Unternehmensgröße und Frauenanteil an den Beschäftigten. Nebenbei: Lengfelds Beitrag ist der einzige, in welchem der Klassenbegriff eine zentrale Rolle spielt.
Ungefähr vierzig Jahre nach der Invasion neomarxistischen Denkens bleibt fast nichts davon übrig. Die Abweichung von dieser Art der Ökonomik bedeutet allerdings keine Öffnung zu konkurrierenden ökonomischen Forschungsprogrammen, wie dem der klassischen oder neoklassischen Ökonomik oder gar den besonders staatskritischen Programmen der österreichischen Schule oder von Public Choice.
Deshalb erfährt man in diesem Band wenig über die Mitbestimmung oder das Problem der Managerhaftung. Die zeitgenössische deutsche Wirtschaftssoziologie lässt sich weniger von der Ökonomik als von ihren eigenen Gründervätern, vor allem Max Weber und Emile Durkheim, inspirieren. Das kann hier nur durch das Herausgreifen weniger Beiträge illustriert werden.
Von Weber inspiriert ist Kraemers Beitrag. Natürlich kann man Unternehmer als charismatische Figuren verstehen. Ich fürchte allerdings, dass der Charisma-Begriff in der Soziologie eine ähnliche Rolle spielt wie der technische Fortschritt in der exogenen Wachstumstheorie. Letztlich bleibt er ein Etikett für unsere Wissenslücken.
Für die Theoriediskussion bezeichnend ist Schmids Beitrag zur sozialen Einbettung des wirtschaftlichen Handelns. Er setzt sich mit dem Forschungsprogramm Mark Granovetters auseinander, der (von Durkheim inspiriert) die Neoklassik durch eine genuin soziologische Theorie ergänzen oder gar ersetzen möchte. Schmids Beitrag hat höchstes Niveau. Er setzt allerdings Kenntnisse der Wissenschaftstheorie, der Neoklassik und von Granovetters Werk voraus: hervorragend, aber nicht leicht verständlich. Nebenbei: Schmid findet die "soziologische" Alternative zur Neoklassik gar nicht überzeugend.
Typisch soziologisch (und ebenfalls in der Durkheim'schen Tradition) ist Münchs Beitrag zur sozialen Verantwortung von Unternehmen in der Weltgesellschaft. Ihn interessiert Moral als soziale Konstruktion. Er betrachtet den "Washington Consensus" als eine Art Moral, die mit der Moral der europäischen Sozialpartnerschaften inkompatibel ist.
Dabei macht er es sich nicht so einfach, Freihandel und Globalisierung zu beschimpfen. Denn er betont, dass die Moral der Globalisierung nicht weniger moralisch als die der Sozialpartnerschaft ist, sondern nur eine andere Moral. Die neue Moral verzichtet auf die Ausgrenzung der Menschen außerhalb der Sozialstaaten.
Der Band dokumentiert, dass sich die deutsche Wirtschaftssoziologie inzwischen weit genug entwickelt hat, dass die zumindest punktuelle Zusammenarbeit mit ihr auch für Ökonomen interessant werden könnte, die traditionell Abstand zur Soziologie halten.
ERICH WEEDE
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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