Die Buchvorlage zum ARD-TV-Highlight »DIE GETRIEBENEN«: ein Insider-Report aus dem Innern der Macht.
Die Grenzöffnung für Flüchtlinge im Herbst 2015 hat das Land gespalten – die einen preisen Angela Merkels moralische Haltung, die andern geißeln die Preisgabe von Souveränität. Doch was als planvolles Handeln erscheint, ist in Wahrheit eine Politik des Durchwurstelns, des Taktierens und Lavierens, befeuert von hehren Idealen und Opportunismus. Robin Alexander zeigt, dass die politischen Akteure Getriebene sind, zerrieben zwischen selbst auferlegten Zwängen und den sich überschlagenden Ereignissen.
Robin Alexander blickt als Korrespondent der »Welt am Sonntag« seit Jahren hinter die Kulissen des Kanzleramtes - in seinem Buch, das auf Recherchen in Berlin, Brüssel, Wien, Budapest und der Türkei basiert, rekonstruiert er minutiös die Schlüsselentscheidungen von sechs Schicksalsmonaten - und erzählt am Beispiel des wohl dramatischsten Kapitels der jüngeren deutschen Geschichte davon, wie heute Politik gemacht wird.
Die Grenzöffnung für Flüchtlinge im Herbst 2015 hat das Land gespalten – die einen preisen Angela Merkels moralische Haltung, die andern geißeln die Preisgabe von Souveränität. Doch was als planvolles Handeln erscheint, ist in Wahrheit eine Politik des Durchwurstelns, des Taktierens und Lavierens, befeuert von hehren Idealen und Opportunismus. Robin Alexander zeigt, dass die politischen Akteure Getriebene sind, zerrieben zwischen selbst auferlegten Zwängen und den sich überschlagenden Ereignissen.
Robin Alexander blickt als Korrespondent der »Welt am Sonntag« seit Jahren hinter die Kulissen des Kanzleramtes - in seinem Buch, das auf Recherchen in Berlin, Brüssel, Wien, Budapest und der Türkei basiert, rekonstruiert er minutiös die Schlüsselentscheidungen von sechs Schicksalsmonaten - und erzählt am Beispiel des wohl dramatischsten Kapitels der jüngeren deutschen Geschichte davon, wie heute Politik gemacht wird.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2017Gefühl
und Verstand
Ein zorniger Robin Alexander
analysiert das Fluchtjahr 2015
Der Titel ist richtig, und der erste Eindruck ist Zorn. Am Anfang ist dieser Zorn besonders zu spüren: Es ist der Zorn des Autors Robin Alexander auf Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Liest man das Buch des renommierten, oft prononciert konservativen Journalisten über die Flüchtlingskrise, dann bekommt man zu Beginn vor allem einen Eindruck: dass Angela Merkel in dieser Krise alles falsch gemacht hat. Dass allein sie die Grenzen öffnete; dass vor allem sie vor der Krise alle Signale verschlafen hat; dass natürlich sie Deutschland den Tort mit einer Million Flüchtlingen angetan hat und das Land alleine wegen ihr ganz anders aussehen wird als vor dem Herbst 2015. Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ lebt zu Beginn von der Botschaft: Merkel ist schuld. Hätte der Verlag „Die Getriebene“ darüber geschrieben, dann hätte ihn das auch nicht falsch wiedergegeben.
Ob dieser erste Eindruck gut ist oder eher problematisch, hängt in diesem Fall ganz besonders vom Betrachter ab. Die Flüchtlingskrise spaltet seit Monaten die Gesellschaft; sie tut das mit einer Vehemenz, wie das in der bundesrepublikanischen Geschichte selten passiert ist. Auf der einen Seite sind jene, die den Flüchtlingen offen begegnen und ihre Aufnahme als moralische Pflicht empfinden. Aber es gibt auch viele, die das Ganze für falsch halten, es als Bedrohung erleben und zum Teil mit größter Aggression bekämpfen. Für sie ist Merkel zum Feindbild und das Buch an vielen Stellen zu einer Bestätigung ihrer Weltsicht geworden. Aus verlegerischer Sicht ist das ein Glücksfall. Ein Buch, das derart den Nerv trifft – besser geht’s kaum. So schreibt man Bestseller.
Dabei ist schade, dass der Autor seinem Ärger auf den ersten hundert Seiten so freien Lauf lässt. Es schwächt das, was ansonsten in der Tat ein sehr gutes und dazu gut geschriebenes Buch ist. Früh schildert Robin Alexander eine Szene, die seine präzise Beobachtungsgabe ebenso belegt wie sein zugespitztes Urteil. An einer Stelle erzählt er von Merkels Besuch in Heidenau, einem sächsischen Ort, in dem wenige Tage vor ihrer Visite ein fremdenfeindlicher Mob eine Flüchtlingsunterkunft attackiert hat. Merkel wird dort aufs Vulgärste angegriffen; sie wird als „Hure“ beschimpft und als „Volksverräterin“ verleumdet. Robin Alexander erzählt das sehr ausführlich – und berichtet dann weiter, wie sie nur wenige Stunden später CDU-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen empfängt, die angesichts der Lage das Asylrecht verschärfen möchten.
Merkel lehnt das Ansinnen ab. Sie hält es für falsch, Fremdenfeinden auf diese Weise entgegenzukommen. Für Alexander wird das zum Beweis dafür, dass sie – wieder einmal – Grundsätze der Union über Bord wirft, in diesem Fall den Grundsatz, rechts von der Union keine andere Partei entstehen zu lassen. Er schreibt: „Wie schon beim Ersatz des traditionellen Familienbildes durch die Doppelverdiener-Ehe, bei der Abschaffung der Wehrpflicht und der Abkehr von der Kernenergie schafft Merkel auch diesmal zunächst Fakten und liefert die Begründung nach.“
Das klingt nicht nur wie eine Vereinfachung; es ist auch eine. Schafft Merkel in diesem Augenblick Fakten? Oder reagiert sie auf welche? Kam die Energiewende aus heiterem Himmel oder nach Fukushima? Wer hat die Abschaffung der Wehrpflicht erfunden? Merkel oder vielleicht doch ihr damaliger Verteidigungsminister? Es sind diese Verkürzungen, die seinen Zorn massiv durchscheinen lassen. Dabei hätte sich der Autor, der so gerne selbstbewusst urteilt, auch fragen können, ob in diesem historischen Moment tatsächlich die CDU-Abgeordneten oder vielleicht doch Merkel christdemokratischer handelten.
Sieht man von dieser Schwäche aber ab, dann bietet Robin Alexander großartige Einblicke. Immer dort, wo er die Gespräche und versteckten Botschaften, die Finten und Streitereien schildert, sei es zwischen Berlin und Brüssel, zwischen Budapest und Wien oder auch in der großen Koalition in Deutschland, liefert er famose Details. Wer verstehen will, warum sich das Verhältnis zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel zu einem durch und durch absurden entwickeln konnte, wird hier fündig. Wer lernen will, warum Wolfgang Schäuble sich in der Krise zu einem CDU- Übervater entwickeln konnte, erfährt in diesem Buch alles über die offene und die versteckte Macht des Finanzministers. Gut erzählt, gut eingeordnet.
Keine Frage, das Jahr 2015 ist eine historische Wegmarke. Und der Konflikt um die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen ist nicht zu Ende. Ein politisches Urteil über all das wird freilich kein Buch treffen, auch nicht dieses. Das Votum über diesen Teil deutscher Geschichte werden die Wähler abgeben, bei der Bundestagswahl am 24. September.
STEFAN BRAUN
Ein politisches Urteil über all das
wird freilich kein Buch treffen,
auch nicht dieses
Robin Alexander:
Die Getriebenen. Merkel
und die Flüchtlingspolitik:
Report aus dem Innern
der Macht. Siedler-Verlag
München 2017,
288 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book: 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
und Verstand
Ein zorniger Robin Alexander
analysiert das Fluchtjahr 2015
Der Titel ist richtig, und der erste Eindruck ist Zorn. Am Anfang ist dieser Zorn besonders zu spüren: Es ist der Zorn des Autors Robin Alexander auf Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Liest man das Buch des renommierten, oft prononciert konservativen Journalisten über die Flüchtlingskrise, dann bekommt man zu Beginn vor allem einen Eindruck: dass Angela Merkel in dieser Krise alles falsch gemacht hat. Dass allein sie die Grenzen öffnete; dass vor allem sie vor der Krise alle Signale verschlafen hat; dass natürlich sie Deutschland den Tort mit einer Million Flüchtlingen angetan hat und das Land alleine wegen ihr ganz anders aussehen wird als vor dem Herbst 2015. Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ lebt zu Beginn von der Botschaft: Merkel ist schuld. Hätte der Verlag „Die Getriebene“ darüber geschrieben, dann hätte ihn das auch nicht falsch wiedergegeben.
Ob dieser erste Eindruck gut ist oder eher problematisch, hängt in diesem Fall ganz besonders vom Betrachter ab. Die Flüchtlingskrise spaltet seit Monaten die Gesellschaft; sie tut das mit einer Vehemenz, wie das in der bundesrepublikanischen Geschichte selten passiert ist. Auf der einen Seite sind jene, die den Flüchtlingen offen begegnen und ihre Aufnahme als moralische Pflicht empfinden. Aber es gibt auch viele, die das Ganze für falsch halten, es als Bedrohung erleben und zum Teil mit größter Aggression bekämpfen. Für sie ist Merkel zum Feindbild und das Buch an vielen Stellen zu einer Bestätigung ihrer Weltsicht geworden. Aus verlegerischer Sicht ist das ein Glücksfall. Ein Buch, das derart den Nerv trifft – besser geht’s kaum. So schreibt man Bestseller.
Dabei ist schade, dass der Autor seinem Ärger auf den ersten hundert Seiten so freien Lauf lässt. Es schwächt das, was ansonsten in der Tat ein sehr gutes und dazu gut geschriebenes Buch ist. Früh schildert Robin Alexander eine Szene, die seine präzise Beobachtungsgabe ebenso belegt wie sein zugespitztes Urteil. An einer Stelle erzählt er von Merkels Besuch in Heidenau, einem sächsischen Ort, in dem wenige Tage vor ihrer Visite ein fremdenfeindlicher Mob eine Flüchtlingsunterkunft attackiert hat. Merkel wird dort aufs Vulgärste angegriffen; sie wird als „Hure“ beschimpft und als „Volksverräterin“ verleumdet. Robin Alexander erzählt das sehr ausführlich – und berichtet dann weiter, wie sie nur wenige Stunden später CDU-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen empfängt, die angesichts der Lage das Asylrecht verschärfen möchten.
Merkel lehnt das Ansinnen ab. Sie hält es für falsch, Fremdenfeinden auf diese Weise entgegenzukommen. Für Alexander wird das zum Beweis dafür, dass sie – wieder einmal – Grundsätze der Union über Bord wirft, in diesem Fall den Grundsatz, rechts von der Union keine andere Partei entstehen zu lassen. Er schreibt: „Wie schon beim Ersatz des traditionellen Familienbildes durch die Doppelverdiener-Ehe, bei der Abschaffung der Wehrpflicht und der Abkehr von der Kernenergie schafft Merkel auch diesmal zunächst Fakten und liefert die Begründung nach.“
Das klingt nicht nur wie eine Vereinfachung; es ist auch eine. Schafft Merkel in diesem Augenblick Fakten? Oder reagiert sie auf welche? Kam die Energiewende aus heiterem Himmel oder nach Fukushima? Wer hat die Abschaffung der Wehrpflicht erfunden? Merkel oder vielleicht doch ihr damaliger Verteidigungsminister? Es sind diese Verkürzungen, die seinen Zorn massiv durchscheinen lassen. Dabei hätte sich der Autor, der so gerne selbstbewusst urteilt, auch fragen können, ob in diesem historischen Moment tatsächlich die CDU-Abgeordneten oder vielleicht doch Merkel christdemokratischer handelten.
Sieht man von dieser Schwäche aber ab, dann bietet Robin Alexander großartige Einblicke. Immer dort, wo er die Gespräche und versteckten Botschaften, die Finten und Streitereien schildert, sei es zwischen Berlin und Brüssel, zwischen Budapest und Wien oder auch in der großen Koalition in Deutschland, liefert er famose Details. Wer verstehen will, warum sich das Verhältnis zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel zu einem durch und durch absurden entwickeln konnte, wird hier fündig. Wer lernen will, warum Wolfgang Schäuble sich in der Krise zu einem CDU- Übervater entwickeln konnte, erfährt in diesem Buch alles über die offene und die versteckte Macht des Finanzministers. Gut erzählt, gut eingeordnet.
Keine Frage, das Jahr 2015 ist eine historische Wegmarke. Und der Konflikt um die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen ist nicht zu Ende. Ein politisches Urteil über all das wird freilich kein Buch treffen, auch nicht dieses. Das Votum über diesen Teil deutscher Geschichte werden die Wähler abgeben, bei der Bundestagswahl am 24. September.
STEFAN BRAUN
Ein politisches Urteil über all das
wird freilich kein Buch treffen,
auch nicht dieses
Robin Alexander:
Die Getriebenen. Merkel
und die Flüchtlingspolitik:
Report aus dem Innern
der Macht. Siedler-Verlag
München 2017,
288 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book: 15,99 Euro.
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»Ein atemberaubender Bericht aus dem Inneren der Macht. Seite für Seite ein politischer Krimi.« ZDF "Markus Lanz"