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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Catalin Partenie erzählt von einer Freundschaft im sozialistischen Rumänien
Wer ihn angeschossen hat, ist nicht bekannt. Aber Fanes bester Freund Paul stirbt 1989 in Bukarest. Das erfahren die Leser schon zu Beginn des Debütromans "Die Goldene Höhle" von Catalin Partenie. Stefan, genannt Fane, erzählt darin die Geschichte seiner Freundschaft zu Paul. Eine Geschichte von Bewunderung, Leidenschaft, Freiheit, aber auch von Grenzen, Zensur und Zwängen. Und ständig die Frage: Wie ist das mit Paul passiert?
Die Erzählung setzt 1988 ein. Fane lebt in Bukarest, geht zur Schule und ist musikbegeistert. Er selbst spielt kein Instrument, ist aber Roadie und lernt dabei Paul kennen. Der ist vier Jahre älter, studiert Philosophie, aber vor allem spielt er Schlagzeug. Fane bewundert ihn vom ersten Moment an. Nahezu jeden Tag treffen sie sich in Pauls Keller, Fane hört ihm beim Spielen zu und vergisst alles um sich herum: "Ich versuchte vorauszuahnen, was er tun würde, und das war ganz aufregend." Jugendliche in der Tristesse einer neostalinistischen Diktatur.
Doch Fane und Paul sind keine beliebigen Jugendlichen, sie sind Musikfans in einem Land, in dem alles von Ceausescu, im Roman nur "der Steuermann" genannt, reglementiert ist. In dem Musik genehmigt werden muss und Musiker einen Künstlerausweis brauchen. Aber auch in einem Land, in dem es trotz der totalitären Herrschaft Freiräume gibt für Eigensinn. In der Erzählung geht es zwar vordergründig nicht ums Leben in der Diktatur, sie lauert dennoch ständig im Hintergrund und ist der Rahmen, in dem sich alles bewegt. Und später auch darüber hinaus.
Die Freunde entfliehen in die Musik. Nachdem Paul sein Studium hat beenden müssen - bei einem Statistendreh hatte der Regisseur den Bart eines Kommilitonen bemängelt und Paul gewitzelt: "Die Wahrheit ist, dass man einfach keine Rasierklingen kriegt" -, heuert er als Schlagzeuger in einer Restaurantband außerhalb von Bukarest an. In dem von Politikern und Funktionären besuchten Lokal tritt Paul mit Kollegen auf, die sich mit Musik aller Art auskennen. Sie kennen Deep Purple, und der Gitarrist trägt ein Trauerband für den toten Tommy Bolin. Wann der gestorben sei? "Ist das wichtig?"
Und dann ist da die Kellnerin Oksana. Mit ihr ist es wie mit allem anderen auch: Paul hat alles, was Fane begehrt. Dieser hegt aber keinen Neid; dafür müsste ihre Beziehung auf Augenhöhe sein.
Dann wird Paul Wächter in einer Halle voller Theaterrequisiten. Darin finden Paul und Fane ihren Rückzugsort, ihre "goldene Höhle". Fane mit seiner neu erworbenen E-Gitarre und Paul mit seinem Schlagzeug spielen zusammen. Und Oksana taucht mit Verpflegung auf. Doch ihre Figur bleibt klischeebehaftet: Oksana ist die begehrte Kellnerin. Sie bringt auch das Essen für die Jungs, während diese Musik machen, dekoriert die Halle mit Theaterrequisiten und erschafft dadurch aus dem Gerümpel einen Freiraum. Sie kümmert sich. Aber Paul gibt weiter den Ton an, nicht nur beim Spiel. "Beurteile nicht, was du spielst - ah, das ist cool, das ist Mist. Geh darüber raus", erklärt er Fane. Die Musik, die die Freunde machen, ist experimentell, spontan und spiegelt ihr Streben nach Freiheit wider.
Paul flieht, schwimmt über die Donau ins blockfreie Jugoslawien. Er hat es geschafft, später sogar bis nach Kanada, wo er über einem All-you-can-eat-Lokal wohnt, während Fane in einem Land zurückbleibt, in dem Bier und Sonnenblumenöl in den gleichen Flaschen verkauft werden. Nach Pauls Flucht weicht die "Goldene Höhle" einem Bauprojekt der Regierung. Fane beginnt ein Philosophiestudium, wie zuvor schon Paul. Ein Vetter seiner Mutter berät ihn: Im Ostblock sei Philosophie keine Wissenschaft in den Hochschulen, sondern gelebter Alltag. "Die Materie ist in Bewegung, für sie wie für uns. Wir aber nennen diese Bewegung 'Dialektik', und was das ist, weiß niemand. [...] Du brauchst nur zu sagen, dass die Bewegung der Materie dialektisch ist, und darfst nie zugeben, dass du nicht weißt, was das bedeutet." Ganz ohne Philosophie kommt der Roman nicht aus; sein Verfasser lehrt das Fach an der Nationalen Universität für Politische Studien und Verwaltung in Bukarest, und "Die Goldene Höhle" ist sein erster Ausflug in die Literatur.
Partenie schildert die Verwirrung und Benommenheit, die herrschten, als 1989 die Straßenkämpfe ausbrachen: "Alle wussten, dass etwas Unumkehrbares geschehen war, aber niemand wusste, wie es weitergehen würde. Die Lage war wie eine Melodie ohne tonales Zentrum." Und wie nach Pauls Rückkehr die Geschichte im Chaos enden wird, ist ja bereits klar: Paul ist tot. Drei Tage danach wird Ceausescu erschossen.
Auch wenn die Erzählung hier und da abdriftet, Nebenschauplätze aufmacht, wie etwa das Kennenlernen von Paul und Oksanas Großmutter, verliert sich die Erzählung nicht. Fane wird einerseits mit Universalien des Erwachsenwerdens konfrontiert wie der Suche nach Vorbildern und Anerkennung, nach Alleinstellungsmerkmalen und Sinn in der Langeweile. Auf der anderen Seite stellen sich auch immer wieder Spezifika des Lebens im sozialistischen Rumänien Ende der Achtzigerjahre heraus: die Grenzen der Kunst- und Redefreiheit, die Flucht des besten Freundes oder die Macht der Staatsphilosophie. Partenies düstere Coming-of-Age-Geschichte nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise, die trotzdem zeitlos wirkt. JULIA BAUMANN
Catalin Partenie: "Die Goldene Höhle". Roman.
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Hoffmann und Campe, Hamburg 2023.
175 S., geb., 23,- Euro.
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