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Sie ist insgesamt über 3000 Kilometer lang und soll – geht es nach Donald Trump und seinen Anhängern – endgültig den Zustand einer veritablen Befestigungsanlage erreichen: "La Frontera", wie die Grenze zwischen Mexiko und den USA genannt wird, aufgerüstet zum Bollwerk gegen den armen Süden und die von dort einströmende illegale Migration in den reichen Norden. So weit die Rhetorik, die viel weiter ist als die faktische Realität. Das gigantomanische Projekt ist noch nicht in Angriff genommen – lediglich die Test-Errichtung von prototypischen Mauersegmenten bei San Diego ist mit gebührendem…mehr

Produktbeschreibung
Sie ist insgesamt über 3000 Kilometer lang und soll – geht es nach Donald Trump und seinen Anhängern – endgültig den Zustand einer veritablen Befestigungsanlage erreichen: "La Frontera", wie die Grenze zwischen Mexiko und den USA genannt wird, aufgerüstet zum Bollwerk gegen den armen Süden und die von dort einströmende illegale Migration in den reichen Norden. So weit die Rhetorik, die viel weiter ist als die faktische Realität. Das gigantomanische Projekt ist noch nicht in Angriff genommen – lediglich die Test-Errichtung von prototypischen Mauersegmenten bei San Diego ist mit gebührendem Medienpomp begleitet worden. Für den vielleicht noch lang anhaltenden Moment wichtig aber ist schon einmal das damit gegebene Signal: wir drinnen, ihr draußen. Ganz das Klischee von der Grenze als Schutzwall gegen alles Unerwünschte von draußen. Dieses medial vermittelte schlichte Bild steht in einem grotesken Gegensatz zur vorhandenen Vielschichtigkeit, in der sich diese "Grenze aller Grenzen" präsentiert. Nie ist eine Grenze einfach nur linearer Verlauf. Immer und in jeder Hinsicht ist sie soziales Konstrukt und spiegelt als solches die Gesellschaft und schließlich sich selbst. Sie selbst wird zum Medium, das sich durch gelebten Alltag, Kunst und Kulturprojekte genauso verändert wie durch Ökonomie und Politik und nicht zuletzt durch Drogenkartelle, Gewalt und Tod.
Autorenporträt
Zu faszinieren begann die mexikanisch-US-amerikanische Grenzregion ALEXANDER GUTZMER (*1974) spätestens, als er vor zwei Jahren seinen Lebensmittelpunkt zeitweise nach Mexiko verlegte. Dort lehrt er als Gastprofessor an der Hochschule Tecnológico de Monterrey. Daneben ist der promovierte Kulturwissenschaftler und Diplom-Betriebswirt Chefredakteur des Münchner Architekturmagazins Baumeister und Editorial Director des Verlags Georg D.W. Callwey. Gutzmer lehrt als Professor für Medien und Kommunikation an der Quadriga-Hochschule in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2018

Die Drogen hält keine Mauer auf

Am Fluss, der Rio Bravo und Rio Grande heißt: zwei Bücher über das Leben an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten.

Mit der Trennung von Kleinkindern und ihren Eltern durch die amerikanischen Grenzbehörden, hatte die Regierung von Donald Trump es geschafft, die amerikanisch-mexikanische Grenze jenseits des geplanten Mauerbaus wieder in den internationalen Fokus zu rücken. Nun kommen noch Trumps markige Ankündigungen hinzu, den Marsch mittelamerikanischer Migranten mit Grenzschutz und Militär zu stoppen. Allerdings gerät dabei leicht außer Acht, wie problembeladen diese Grenze bereits zuvor gewesen war. Es war Bill Clinton, der die Grenzkontrollen in den neunziger Jahren entschieden verschärft hatte. Sein Nachfolger George W. Bush ließ es an Härte ebenfalls nicht fehlen, und selbst unter Barack Obama kam es zwischen der südkalifornischen Pazifikküste und der Mündung des Rio Grande zu harschen Maßnahmen gegen Grenzübertritte, wobei auf Hochtechnologie und Drohnen zurückgegriffen wurde. Auch der Zaun, den es seit Bush stellenweise schon gab, wurde ausgebaut.

Wer sich für die Geschichte dieser Grenze vor allem in Texas interessiert, der ist bei Jeanette Erazo Heufelder bestens aufgehoben. Die Journalistin, eine ausgebildete Ethnologin mit höchst soliden historischen Kenntnissen, lotet das konfliktreiche Spannungsfeld um den Rio Grande oder, wie er in Mexiko heißt, Rio Bravo gekonnt aus. Ihr detailreiches, flüssig geschriebenes Buch geht bis in die 1840er Jahre zurück, als sich die Vereinigten Staaten 1848 im Frieden von Guadeloupe Hidalgo weite Teile des heutigen Südwestens des Landes, darunter Kalifornien, New Mexico, Arizona, Nevada und Utah, aneigneten. Schon 1845 war Texas, das sich 1836 die Unabhängigkeit von Mexiko erkämpft hatte, den Vereinigten Staaten beigetreten.

Diese Geschichte kennzeichnet das Verhältnis der Mexikaner zu den Vereinigten Staaten bis zum heutigen Tag. Obwohl, auch dies ist festzuhalten, viele in den Nordprovinzen lebende Mexikaner anfangs froh waren, nunmehr unter die effizientere Herrschaft der Amerikaner geraten zu sein.

Die Freude verflog indes rasch. Mexikaner galten in den Vereinigten Staaten wahlweise als obskurantistische, brutale spanische Katholiken im Sinne der Schwarzen Legende oder als minderwertige rassische Mischlinge, weswegen man ihnen das Land mit allen möglichen legalen Tricks abnahm, wo es nur ging. Das führte zur Abwanderung vieler Mexikaner und zur Gründung neuer Städte südlich des Rio Bravo und damit zur charakteristischen Doppelstadtstruktur, die jedem Besucher der Region entlang des Flusses sofort ins Auge sticht.

Erazo Heufelder schildert diese Prozesse mit dem ethnologischen Blick für konfliktreiche Details und unter wohltuendem Verzicht auf voreilige moralische Zuschreibungen. Die Grenze war lange als solche kaum erkennbar, weil sie weniger trennte als für die Ausgestaltung einer eigenen ökonomischen und kulturellen Identität in Texas und im mexikanischen neuen Norden sorgte. Dabei bedienten sich die Texaner einer ausgefeilten, historisch verbrämten Mythologie, etwa über die angeblich so tapfere Elitetruppe der Texas Ranger, die gleichwohl einem aus Alkoholikern und Verbrechern zusammengesetzten Lynchmob glich.

Aber auch südlich der Grenze entstand ein ganz eigenes Selbstverständnis, das sich vom Rest Mexikos absetzte. Die Autorin bezieht populärkulturelle Quellen, Filme, Theaterstücke und Romane, in ihre Analyse konsequent mit ein. Auf diese Weise gelingt es ihr, ein facettenreiches Bild dieser Entwicklungen zu vermitteln. Nicht zuletzt weist sie auf die vielen Konflikte an der Grenze hin, etwa die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen 1910 und 1919, als amerikanische Truppen und Texas Ranger den mexikanischen Rebellen und Verbrecher Pancho Villa bekämpften, der seinerseits von amerikanischen Filmproduzenten bezahlt und ausstaffiert wurde, um das amerikanische Publikum schaurig-schön zu unterhalten.

Über der Historie vergisst Erazo Heufelder freilich nicht die Gegenwart, weder den ökonomischen Aufschwung, den die zahllosen Sonderwirtschaftszonen südlich der Grenze zwischenzeitlich genommen haben, noch die latente Gewalt, die in diesem Raum seit den neunziger Jahren herrscht. Gewiss ist in Ciudad Juárez und anderen nordmexikanischen Städten inzwischen eine selbstbewusste und wohlhabende Mittelklasse herangereift, aber der Wohlstand ist außerordentlich ungleich verteilt. In wachsendem Maße beherrschen Drogenkartelle und die sogenannten Zetas - ehemalige Elitepolizisten, die im Drogenhandel aktiv sind - die Szene und schrecken vor keiner Gewalttat zurück. Seit 1990 wurden über 1700 junge Frauen von den Drogenhändlern ermordet, insgesamt sind über 250 000 Menschen dem Drogenkrieg inzwischen zum Opfer gefallen. Diese Gewalt und die Armut in Zentralamerika erklären, warum so viele Mexikaner, Honduraner und Guatemalteken ihr Heil im Lande der ungeliebten Gringos suchen. Neben den Verbrechern sind es deren Opfer, die zugleich Opfer des amerikanischen Drogenmarkts sind, die vorwiegend illegal über die Grenze gehen.

Diese Ambivalenz der Grenze am Rio Grande steht auch im Mittelpunkt der Untersuchung von Alexander Gutzmer. Beide Bücher zeigen, dass die Grenzanlagen und Kontrollen zwar effektiv den Export der Gewalt von Kartellen und Zetas einzudämmen vermögen, nicht aber die effizient organisierte Distribution von Drogen, denn nur selten sind es die illegalen Migranten, die Drogen transportieren, und dann bevorzugt Marihuana. Die harten Drogen werden im Rahmen legaler Grenzübertritte oder über die zahllosen Tunnel unterhalb der vorhandenen Sperranlagen in die Vereinigten Staaten transportiert. Trumps Mauer wird daran nichts ändern.

Alexander Gutzmer ist kein Ethnologe und schon gar kein Historiker, sondern Kulturwissenschaftler, weswegen die aktuelle Situation im Fokus seiner Darstellung steht und er sich überdies, viel stärker als Erazo-Heufelder, an Theorien orientiert. Beides ist für sich genommen zwar vollkommen legitim, aber Gutzmers Buch weist aufgrund dieser Herangehensweise vermeidbare Schwächen auf. In erster Linie tendiert sein dekonstruktivistischer Theorieansatz dazu, Voraussetzungen in die Analyse hineinzuschmuggeln.

Da es immer bereits feststeht, wie fragil und porös soziokulturelle Konstruktionen sind, sind Grenzen ebenfalls fragil und porös. Da verstellt die Theorie den Blick auf mögliche andere Herangehensweisen. Darüber hinaus neigt Gutzmer dazu, den Begriff des Mediums und des Medialen über Gebühr zu strapazieren, wodurch er jegliche Trennschärfe verliert. Durch den Verzicht auf historische Tiefenschärfe wird dieses Problem dann noch gravierender, denn konsequent übersieht der Autor die angesichts der vorgeblichen Fragilität von Grenzen erstaunlichen Kontinuitäten, die bei Erazo Heufelder hervortreten.

Vor allem aber fehlt es Gutzmer an einer adäquaten Reflexion auf die normative Kraft der Faktizitäten von Staatlichkeit, Staatsgewalt und Recht. Etwas mehr historische Dialektik täte dem Dekonstruktivismus gut. Dennoch gelingt es dem Autor manchmal, seinen Ansatz fruchtbar zu machen. Etwa wenn er Trumps Vorhaben, eine Mauer zu bauen, als Ausdruck postmoderner Inszenierung von permanentem bordering analysiert. Herausragend wird das Buch aber immer dann, wenn aus eigener Erfahrung berichtet wird, wie in dem kurzen Kapitel über den Herausgeber einer nordmexikanischen Zeitung, dessen Journalisten einer nach dem anderen von Auftragskillern der Drogenkartelle ermordet wurden.

Sieht man von den vorgebrachten Einwänden ab, sind beide Bücher empfehlenswert. Wo Erazo Heufelder nuanciert, informativ und mit Blick für Historizität sorgsam beschreibt, bietet Gutzmer eine theoretisch mitunter überladene, indes wertvolle Darstellung der Situation am Rio Grande. Auf diese Weise gewinnt der Leser Einblicke, die ihm ein eigenes Urteil über die aktuellen Vorkommnisse erlauben.

MICHAEL HOCHGESCHWENDER

Jeanette Erazo Heufelder: "Welcome to Borderland". Die US-mexikanische

Grenze.

Berenberg Verlag, Berlin 2018. 256 S., geb., 25,- [Euro].

Alexander Gutzmer: "Die Grenze aller Grenzen". Inszenierung und Alltag zwischen den USA und Mexiko.

kursbuch edition, Hamburg 2018. 216 S., geb., 22,- [Euro].

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