Der Westen protzt. Der Westen stellt sich in Frage. Einerseits EU-Schulterschluss im Angesicht des Ukrainekrieges. Selbstzweifel, Selbstkritik und Selbstdementierung auf der anderen Seite. Zur europäisch-nordamerikanisch-westlichen Praxis gehört eben nicht nur die Erfindung der Demokratie und der Menschenrechte, nicht nur die Idee der Gleichheit der Menschen und die Idee pluralistischer Ordnungen, der Gewaltenteilung und des vernünftigen Interessenausgleichs, sondern auch seine radikale Dementierung. Kolonialismus, Faschismus und Nationalsozialismus, Imperialismus und Rassismus sind ohne Zweifel keine nicht-westlichen, keine nicht-modernen Erscheinungen. Sie gehören konstitutiv zur westlichen Moderne dazu. Das Kursbuch 211 stellt sich dieser Ambivalenz auf vielfältigste Weise. In ihrem Beitrag versucht Franziska Davies eine Ortsbestimmung der Ukraine – nicht nur in der gegenwärtigen Situation des terroristischen Kriegs Russlands gegen dieses Land zwischen Ost und West. Die Historikerin zeigt die wechselvolle Geschichte dieses Landes, dessen Zugehörigkeiten stets mit Randlagen in geostrategischen Großlagen zu tun hatten. Davies arbeitet heraus, wie sehr die Erwartung vor allem von westlicher Politik und westlichen Medien, die Ukraine als »westlich« zu markieren, der Selbstbeschreibung der Demokratisierungsbewegung in der Ukraine zuwiderläuft, die sich dieser Opposition schon aus historischen Erfahrungen entzieht.
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